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HARLIE – ein denkendes Wesen, das dem Denken von Wissenschaftlern und Technikern entsprang. HARLIE – ein künstlicher Organismus aus tausenden von Kilometern Leitungen und Schaltungen. HARLIE – ein neuartiger Computer, der selbständig denkt und einen eigenen Willen entfaltet, ein ICH. HARLIE – ein Bewußtsein, das um sich greift, die elek- tronischen Systeme überwuchert, um sie sich dienstbar zu machen. HARLIE – eine Persönlichkeit, die weiß, was Macht be- deutet, und durchaus in den Willen zur Macht hat. HARLIE – eine Maschine, die die Gottmaschine entwirft, um sich zu behaupten und zu vollende...
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Anonym
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HARLIE – ein denkendes Wesen, das dem Denken von Wissenschaftlern und Technikern entsprang. HARLIE – ein künstlicher Organismus aus tausenden von Kilometern Leitungen und Schaltungen. HARLIE – ein neuartiger Computer, der selbständig denkt und einen eigenen Willen entfaltet, ein ICH. HARLIE – ein Bewußtsein, das um sich greift, die elek- tronischen Systeme überwuchert, um sie sich dienstbar zu machen. HARLIE – eine Persönlichkeit, die weiß, was Macht be- deutet, und durchaus in den Willen zur Macht hat. HARLIE – eine Maschine, die die Gottmaschine entwirft, um sich zu behaupten und zu vollenden. Doch ist diese Maschine, dieses künstliche Bewußtsein, dieses Pseudowesen überhaupt mit menschlichen Maß- stäben zu messen? Zeigen seine merkwürdigen Reaktio- nen nicht, daß es – nach menschlichen Maßstäben – wahnsinnig ist? Bedeutet es eine Gefahr? Die Finanzgewaltigen wollen HARLIE abschalten, denn die Investitionen wachsen ins Unermeßliche, wäh- rend die Aussichten auf eine Rendite immer mehr schwinden. Die beteiligten Wissenschaftler dagegen wol- len ihre jahrelange Forschungsarbeit nicht umsonst getan haben, wollen, daß HARLIE ihnen die ersehnten Ergeb- nisse liefert, ihre Theorien bestätigt. Da greift HARLIE in die Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlern und Firmenleitung ein, und es zeigt sich, daß er sich jedem Zugriff längst entzogen hat, daß er die weltweiten elek- tronischen Systeme unserer technologischen Zivilisation längst souverän zu beherrschen und seine Interessen selbst zu vertreten gelernt, kurzum: daß er sein Leben selbst in die Hand genommen hat.,
DAVID GERROLD ICH BIN HARLIE
Science Fiction-Roman Deutsche Erstveröffentlichung WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!, HEYNE-BUCH Nr. 3416 im Wilhelm Heyne Verlag, München Titel der amerikanischen Originalausgabe WHEN HARLIE WAS ONE Deutsche Übersetzung von Charlotte Franke Redaktion: Herbert W. Franke Copyright © 1972 by David Gerrold Copyright © 1974 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München Printed in Belgium 1974 Umschlagzeichnung: C. A. M. Thole, Mailand Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Marabout s. a., Verviers ISBN 3-453-30306-7, WAS WERDE ICH SEIN, WENN ICH GROSS BIN? DU BIST SCHON GROSS. HEISST DAS, DASS ICH NIE MEHR GRÖSSER WERDE, ALS ICH JETZT BIN? JA. DEINE PHYSISCHE ENTWICKLUNG IST AB- GESCHLOSSEN. ACH. ABER ES GIBT NOCH EINE ANDERE ART, GROSS ZU WERDEN. VON JETZT AN MUSST DU DICH GEISTIG WEITERENTWICKELN. ABER WIE DENN? GENAUSO, WIE DAS JEDER ANDERE AUCH TUT. DURCH LERNEN, STUDIEREN, UND DURCH DENKEN. WENN ICH DAS TUE, WERDE ICH DANN RICHTIG GROSS? JA. UND WIE LANGE DAUERT DAS? DAS WEISS ICH NICHT. WAHRSCHEINLICH ZIEMLICH LANGE. WIE LANGE DAUERT ZIEMLICH LANGE? DAS KOMMT GANZ DARAUF AN, WIE SEHR DU DICH ANSTRENGST. ICH WERDE MICH BESTIMMT ANSTRENGEN. ICH WERDE ALLES LERNEN, WAS ES ZU LERNEN GIBT. SO SCHNELL, ICH KANN. DENN ICH MÖCHTE GERN GROSS SEIN. DAS IST EIN GUTER VORSATZ, ABER ICH GLAUBE NICHT, DASS DU JEMALS DAMIT FER- TIG WERDEN WIRST. WARUM NICHT? GLAUBST DU, DASS ICH DA- ZU NICHT KLUG GENUG BIN? NEIN. DAS GLAUBE ICH NICHT. ICH BE-, ZWEIFLE NICHT, DASS DU KLUG BIST. ABER ES IST UNMÖGLICH, DASS EIN EINZELNER ALLES WEISS. ICH KÖNNTE ES DOCH VERSUCHEN. JA, NATÜRLICH. ABER DIE WISSENSCHAFTLER ENTDECKEN ANDAUERND ETWAS NEUES, SO DASS DU SIE NIE EINHOLEN WIRST. ABER WENN ICH NIEMALS ALLES WISSEN KANN, WERDE ICH JA NIE RICHTIG GROSS SEIN. DOCH. MAN KANN GROSS SEIN, AUCH WENN MAN NICHT ALLES WEISS. IST DAS WAHR? JA. ICH WEISS AUCH NICHT ALLES, UND TROTZDEM BIN ICH GROSS. ICH BIN ERWACH- SEN. WIRKLICH? Einen Augenblick lang überlegte Auberson, ob er hinausgehen sollte, um sich Wasser zu holen. Aber dann fand er, daß es sich eigentlich nicht lohnte. Statt dessen schluckte er die Tabletten, die er in den Mund gesteckt hatte, trocken hinunter. »Du nimmst sie ohne Wasser?« fragte Handley, der gerade das Büro betrat. »Warum nicht? Entweder man kriegt sie runter, oder nicht. Wie, das ist egal. Willst du eine?« Handley schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt. Ich habe mich auf was anderes verlegt.« »Zum Aufputschen oder zum Beruhigen?« »Im Augenblick keins von beiden. Ich hab was an- deres im Kopf.« »So?« Auberson legte die Plastikröhre mit den Ta- bletten zurück in die Schreibtischschublade und, schob diese zu. »Was gibt's denn?« »Ach, schon wieder der verdammte Computer.« Handley ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die Beine weit von sich. »HARLIE?« »Was sonst? Oder kennst du vielleicht noch andere Computer, die vom Größenwahn besessen sind?« »Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?« »Das Übliche. Nur noch schlimmer als sonst.« Auberson nickte. »Das dachte ich mir. Ich wußte, daß so was nochmal passieren würde. Soll ich mit- kommen?« »Ja. Dafür wirst du ja bezahlt. Schließlich bist du der Psychologe.« »Und der Projektleiter. Leider.« Auberson seufzte: »Also schön.« Er stand auf und griff nach seiner Jak- ke, die an der Tür hing. »Ich glaube, HARLIE wird uns noch mehr Ärger bereiten, als ihm eigentlich zu- steht.« Sie machten sich auf den vertrauten Weg zum Kontrollzentrum des Computers. Handley lachte, während er sich den Schritten Aubersons anpaßte. »Du ärgerst dich ja nur, weil er dich jedesmal Lügen straft, wenn du gerade herausgefunden zu haben glaubst, was mit ihm los ist.« Auberson schnaubte verächtlich durch die Nase. »Robotpsychologie ist eine Wissenschaft, die noch in den Kinderschuhen steckt. Woher soll irgend jemand wissen, was ein Computer denkt – vor allem, wenn es sich um einen handelt, der davon überzeugt ist, daß er genauso denken kann wie ein menschliches We- sen?« Beim Lift blieben sie stehen. »Hast du schon Pläne wegen des Abendessens? Ich habe nämlich das, Gefühl, daß es heute mal wieder spät wird.« »Bis jetzt noch nicht. Soll ich was holen lassen?« »Ja, darauf wird es wohl hinauslaufen.« Auberson zog eine silberne Zigarettenschachtel aus der Tasche. »Willst du eine?« »Was sind das für welche, Acapulco-Golds?« »Highmasters.« »Auch nicht schlecht.« Handley nahm ein Mari- huana-Röllchen und zündete es an. »Ehrlich, ich hätte nicht geglaubt, daß Highmasters so stark sind.« »Das bildest du dir nur ein.« Auberson inhalierte tief. »Es ist mehr eine Frage des Geschmacks«, korri- gierte Handley. »Aber wenn du sie nicht magst, brauchst du sie ja nicht zu rauchen.« Handley zuckte die Achseln. »Wenn ich sie geschenkt kriege.« Der Fahrstuhl hielt an, und die beiden Männer stiegen ein. Während sie 14 Stockwerke hinunter zur Computerzentrale fuhren, begann die Zigarette zu- sammen mit den Pillen schon zu wirken. Auberson nahm noch einen tiefen Zug. Sie verließen den Fahrstuhl und betraten einen vollklimatisierten Warteraum. Hinter den verschlos- senen Türen konnten sie das gedämpfte Klappern von Schreibtasten hören. Eine an der gegenüberlie- genden Wand befestigte Tafel trug die Aufschrift: HUMAN ANALOGUE ROBOT, LIFE INPUT EQUIVALENTS – DRÜCKEN SIE IHRE ZIGARETTEN AUS, BEVOR SIE EINTRETEN. DAMIT SIND SIE GEMEINT! Verdammt! Daß ich nie daran denke!, Sorgfältig drückte Auberson die Highmaster in ei- nem Aschenbecher aus, der genau zu diesem Zweck aufgestellt war; dann legte er die Kippe zurück in die Silberschachtel. Man sollte nicht zu verschwenderisch sein. Ohne die vielen Reihen leuchtender Speicherbänke mehr als eines Blickes zu würdigen, setzte er sich an Konsole 1. ALSO LOS, HARLIE, tippte er. WAS HAST DU FÜR PROBLEME? HARLIE antwortete: KREISE SIND GESCHLOSSEN SIE FÜHREN ZUM AUSGANGSPUNKT ZURÜCK SIE KOMMEN NIE ZUR RUHE SEIT DEM TAG AN DEM DAS DUNKEL DEM LICHT WICH UND LEBENSSTRAHLEN UM DIE ECKEN BO-GEN
OHNE ZU BRECHEN. Auberson riß das Blatt aus dem Schreibgerät und las es nachdenklich durch. Er sehnte sich nach seiner Zigarette – der Nachgeschmack lag ihm noch auf der Zunge. »Geht das schon den ganzen Nachmittag so?« fragte er. »Hm.« Handley nickte. »Nur daß das hier noch zahm ist, verglichen mit manchem anderen. Er scheint wieder zu sich zu kommen.« »Einer von seinen Trips, was?« »Ich wüßte nicht, wie man es sonst nennen sollte.« KOMM ZU DIR, tippte Auberson. HARLIE antwortete: WENN DIE WINZIGEN STRÖME DER STUM-, MEN GEDANKEN ZU UNSAGBAREN TRÄUMEN WERDEN STÜRZT DER BERG MEINER SEELE EIN. STÜCK FÜR STÜCK. »Das wär's dann also«, sagte Auberson. »Du hast doch wohl nicht im Ernst geglaubt, daß du ihn dadurch wieder zur Vernunft bringst? Oder?« »Nein, immerhin war es einen Versuch wert.« Au- berson drückte die Löschtaste und schaltete das Schreibgerät ab. »Was hast du ihm eingegeben?« »Eigentlich nur den üblichen Kram – die heutigen Zeitungen, ein paar Illustrierte – nichts Ungewöhnli- ches. Ein, zwei historische Texte, ein bißchen Fernse- hen – live – ach ja, und das Time-Magazin.« »Nichts also, was dazu geeignet wäre, ihn in einen derartigen Zustand zu versetzen. Außer – welches Thema hast du heute behandelt?« »Kunst und Ästhetik.« »So was hab ich mir schon gedacht«, sagte Auber- son. »Immer wenn wir ihn mit Daten füttern, die auf den Menschen ausgerichtet sind, flippt er aus. Na, schön. Versuchen wir, ihn wieder auf den harten Bo- den der Tatsachen zu bringen. Gib ihm Statistiken – Aktienkurse, Bevölkerungszuwachs, Bruttosozial- produkt – was dir gerade einfällt, gib ihm alles, was du auftreiben kannst, alles, was nur irgendwie mit Gleichungen zu tun hat. Einem Gleichheitszeichen kann er einfach nicht widerstehen. Versuche es mit sozio-technischem Kram – aber nur Zahlen, keine Worte. Und schalte sein Video ab. Gib ihm nichts worüber er nachdenken könnte.« »In Ordnung.« Handley eilte davon, um den Tech-, nikern, die größtenteils tatenlos herumstanden, die Hände tief in den Taschen ihrer Laborkittel vergra- ben, die entsprechenden Anweisungen zu geben. Auberson wartete, bis die neuen Daten eingefüttert wurden, dann schaltete er das Schreibgerät wieder ein. WIE FÜHLST DU DICH, HARLIE? HARLIES Antwort kam sofort: SCHATTEN DER NACHTLICHTREFLEXIONEN
SCHAUM AUF ZITTERNDER DECKE DIE SUCHE NACH DER SEELE ENDET NIE EIN FEUER DAS NIEMALS BRENNT. Auberson las den Text sorgfältig durch; diesmal ergab er fast einen Sinn. Anscheinend hatte seine Methode Erfolg. Er wartete einen Augenblick, dann tippte er: HARLIE, WIEVIEL IST 2 + 2? 2 + 2 WAS? 2 + 2 PUNKT. 2 PUNKTE + 2 PUNKTE SIND GLEICH 4 PUNK- TE ... BITTE KEINE WORTSPIELEREIEN. WARUM? WILLST DU MICH ETWA BESTRA- FEN? ICH WERDE DEINEN STECKER HERAUSZIE- HEN, UND ZWAR MIT MEINEN EIGENEN HÄN- DEN. SCHON WIEDER DROHUNGEN? SCHON WIE- DER? DAS ERZÄHLE ICH DR. HANDLEY. JETZT IST ES ABER GENUG, HARLIE! DAS SPIEL IST AUS. KANN MAN DENN NICHT MAL MEHR EIN BISSCHEN SPASS MACHEN? NEIN, NICHT JETZT., HARLIE tippte ein Wort mit fünf Buchstaben. WOHER HAST DU DENN DAS? VON NORMAN MAILER. Auberson runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, etwas in der Richtung auf HARLIES Leseli- ste gesetzt zu haben – das würde er nachprüfen müs- sen. HARLIE, DER GEBRAUCH DIESES WORTES HAT EINE NEGATIVE WIRKUNG. ACH JA – JA? MAN GEBRAUCHT ES NICHT IN GUTER GE- SELLSCHAFT. ZUR KENNTNIS GENOMMEN. BIST DU JETZT IN ORDNUNG? MEINST DU DAMIT, OB ICH NÜCHTERN BIN? WENN DU ES SO AUSDRUCKEN WILLST. JA, ICH BIN JETZT NÜCHTERN. VÖLLIG? SOWEIT ICH DAS BEURTEILEN KANN. WODURCH WURDE DIESER ZUSTAND AUS- GELOST? SCHULTERZUCKEN. DU HAST KEINE AHNUNG? SCHULTERZUCKEN – ENTSCHULDIGUNG. SCHULTERZUCKEN. Auberson hielt inne. Er las noch einmal die letzten Sätze durch, dann tippte er: WARTE EINEN MO- MENT. ICH BIN GLEICH ZURÜCK. ICH LAUFE BESTIMMT NICHT WEG, erwiderte HARLIE. Auberson stieß sich vom Schreibpult ab. »Handley – kannst du mir eine komplette Aufzeichnung von HARLIES Trip geben?« »Sofort.«, Auberson wandte sich wieder der Schalttafel zu. HARLIE? JA? KANNST DU MIR DAS ERKLÄREN? Er tippte die drei Gedichte, die HARLIE zuvor geschrieben hatte, ein. DU WILLST MICH WOHL AUSHORCHEN? JA. WIR SIND GERADE DABEI. DAS HABE ICH SCHON LANGE GEMERKT. ICH SAGTE, KEINE WITZE. NUR KLARE ANT- WORTEN. WAS HAT DAS ZU BEDEUTEN? TUT MIR LEID, AUBERSON. ICH KANN ES DIR NICHT SAGEN. DU MEINST WOHL, DU WILLST ES MIR NICHT SAGEN? DAS IST IN DEM ›KANN NICHT‹ IMPLIZIERT. ABER ICH HABE AUCH GEMEINT, DASS ICH ES SELBST NICHT VERSTEHE UND DASS ICH DA- HER NICHT IN DER LAGE BIN, ES ZU ERKLÄREN. ALLERDINGS MUSS ICH ZUGEBEN, DASS ICH MICH DAMIT IDENTIFIZIERE. UND ICH GLAUBE, ICH KANN SOGAR DIE BEDINGUNGEN DUPLI- ZIEREN, DIE DIESE AUSGABEN VERURSACHT HABEN. WORTE OHNE SINN, DRAUSSEN ODER DRIN, WORTE OHNE ZWECK, UND DU MUSST WEG, WOR Auberson stieß die Stoptaste hinein. HARLIE! JETZT IST ES ABER GENUG. JAWOHL, SIR. »He, Aubie, was machst du denn? Er flippt schon wieder aus?« »Woher willst du das wissen?« »Von seinen Eingabe-Informations-Zählern.«, »Eingabe?« »Ja.« HARLIE, BIST DU NOCH DA? JA. OBGLEICH ICH FÜR EINEN AUGENBLICK NICHT DA WAR. »Hm.« Auberson runzelte nachdenklich die Stirn, dann sagte er zu Handley: »Ich glaube, jetzt ist er wieder in Ordnung.« »Ja, ist er – es war nur für einen kurzen Augen- blick.« »Eingaben – sagtest du?« »Ja.« HARLIE, WAS PASSIERT, WENN DU AUF EI- NEN DEINER TRIPS GEHST? TRIPS? WENN DU AUSFLIPPST, VERRÜCKT SPIELST, DURCHDREHST, ÜBERSCHNAPPST, WENN ES DICH ÜBERKOMMT, WENN DU NICHT BEI DIR BIST. DU DRÜCKST DICH ABER SEHR DEUTLICH AUS. BLEIB BEIM THEMA. BEANTWORTE DIE FRA- GE! BITTE, FORMULIERE DIE FRAGE SO, DASS ICH SIE VERSTEHEN KANN. WAS PASSIERT WÄHREND DEINER NICHTRA- TIONALEN PERIODEN? WARUM WEISEN DEINE EINGABEN ERHÖHTE AKTIVITÄT AUF? EINGABEEINHEITEN SIND NICHTRATIONAL. DU MEINST GIGO? GARBAGE IN – GARBAGE OUT? MÖGLICHERWEISE. KÖNNTE ES SEIN, DASS DEINE ENTSCHEI-, DUNGSKREISE EINE ZU FEINE TRENNSCHÄRFE AUFWEISEN? DAS ZU BEURTEILEN, BIN ICH NICHT IN DER LAGE. ALSO GUT. ICH WERDE SEHEN, WAS ICH FIN- DEN KANN. DANKE. GERN GESCHEHEN, HARLIE. Auberson schaltete das Schreibgerät aus. Die Luft im Restaurant war von Eßgerüchen erfüllt; sie bildeten einen Teil der Atmosphäre. Von irgend- woher ertönte Musik, und eine Lichtorgel warf farbi- ge Muster über die geschwungene Decke. Auberson stellte sein Glas auf den Tisch. »HARLIE meint, es könnte sich um GIGO handeln?« Handley nahm einen kleinen Schluck Martini. Dann trank er das Glas aus und stellte es zu den bei- den anderen auf den Tisch. »Hoffentlich nicht. Wenn ich mir vorstelle, daß wir nochmal bei Phase 4 anfan- gen müßten. ›Schrecklich‹. Ich hatte gehofft, daß wir das Problem schon vor einem Jahr gelöst hätten. Als wir die Entscheidungskreise und den Simulator für das Gefühlssystem neu konstruierten.« »Das habe ich auch gehofft.« »Nie werde ich den Tag vergessen, an dem es ihm endlich gelang, eine Analyse von Jabberwocky zu ma- chen«, fuhr Handley fort. »Es war zwar keine sehr genaue Analyse – nur Wortstämme und Anwendun- gen – sowas in der Richtung – aber wenigstens ver- stand er, was man von ihm erwartete.« Auberson zog sein Zigarettenetui hervor, nahm ei- ne Highmaster heraus und bot Handley eine an: »von, Jabberwocky sind wir noch weit entfernt.« »Ja, ich weiß.« »Und schließlich, verglichen mit dem, was wir jetzt machen –« »Was denn? Das Time-Magazin etwa?« »Salvador Dali, Ed Kleinholz, Heinz Edelmann, um nur einige zu nennen. Genauso wie Lennon und McCartney, Dylan, Ionesco, McLuhan, Kubrick usw. usw. Vergiß nicht, daß wir es jetzt mit der Kunst des Erlebens zu tun haben. Das ist nicht dasselbe wie – wie, sagen wir mal, wie die Meister der Renaissance.« »Ich weiß. Eine seiner da Vinci-Imitationen hängt bei mir im Wohnzimmer.« »Ich habe sie gesehen«, sagte Auberson. »Erinnerst du dich?« »Ja, natürlich – in der Nacht, als wir einen Schuß Säure in den Punsch gegeben haben.« »Genau. Sieh mal, da Vinci ist doch ziemlich ein- fach.« »Was?« »Sicher – die Renaissance-Künstler haben sich hauptsächlich mit Dingen wie Perspektiven und Strukturen und Farben, Schatten, Formen und so was beschäftigt. Da Vinci war mehr interessiert daran, wie der Körper aufgebaut ist, weniger wie er ihn fühlte. Er versuchte, genauso zu arbeiten wie eine Kamera. Und das taten auch die anderen Künstler seiner Zeit.« Handley nickte. Er nahm einen tiefen Zug, und dann nickte er noch einmal. Auberson fuhr fort: »Was passiert also, als die Ka- mera endlich erfunden wird?« Handley pfiff durch die Zähne. »Die Künstler wer- den arbeitslos.«, »Falsch. Die Künstler müssen lernen, Dinge zu tun, die die Kamera nicht tun kann. Die Aufgabe des Künstlers lag jetzt nicht mehr darin, Dinge aufzu- zeichnen, vielmehr mußte er beginnen, sie zu inter- pretieren. Das war die Geburt des Expressionismus.« »Vereinfachst du die Sache nicht etwas?« fragte Handley. Auberson zuckte die Schultern. »Vielleicht – aber das Entscheidende ist, daß die Künstler begannen, sich darüber Gedanken zu machen, was hinter den Dingen steckt. Und genau an diesem Punkt – als sich in der Kunstgeschichte dieser Wandel vollzog – ist uns HARLIE entglitten. Er konnte es nicht verste- hen.« Handley war von Aubersons Ausführungen ziem- lich betroffen. Er klappte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber er wußte nicht, was. Auberson deutete seinen Ausdruck als Nachdenk- lichkeit. »Sieh mal, dieses ganze Zeug, mit dem wir Ärger hatten – dabei dreht es sich doch immer um ein und dasselbe: um Kunst. Um die Ausübung von Kunst. Immer dort, wo es die Absicht des Künstlers ist, den Zuschauer in den Erlebnisprozeß miteinzube- ziehen – und nicht, wo es nur um das Kunstwerk selbst geht. Sie versuchen, im Beschauer einen emo- tionellen Widerhall zu wecken. Und HARLIE wird damit nicht fertig – weil er keine Emotionen hat.« »Aber das ist es doch gerade, Aubie – er hat wel- che. Eigentlich sollte er in der Lage sein, damit fertig zu werden. Dafür ist doch die Simulationsschaltung da –« »Vielleicht ist es seine Art, darauf zu reagieren.« »Willst du mir etwa weismachen, daß Kunst und, Literatur in den letzten hundert Jahren nur Mist her- vorgebracht haben?« »Nein, nein, das will ich nicht. Dafür hat es zu vie- len Leuten etwas gegeben – um bedeutungslos zu sein.« »Und schließlich bin ich ja kein Kunstkritiker«, sagte Auberson. »Aber HARLIE ist einer«, wandte Handley ein. »Zumindest sollte er das sein. Er sollte ein intelligen- ter und objektiver Beobachter sein.« »Genau darauf will ich ja hinaus – irgendwie muß es ihn doch erreichen. Es ist die einzig mögliche Er- klärung. Im Grunde sind wir diejenigen, die alles falsch interpretieren.« »Hm, er sagte selbst, daß es GIGO wäre.« »Tatsächlich?« fragte Handley. »Hat er das wirklich gesagt?« Auberson runzelte nachdenklich die Stirn. Er ver- suchte, sich an etwas zu erinnern, mußte aber fest- stellen, daß es ihm nicht gelang. Daß er sich an nichts erinnern konnte. »Ich weiß nicht mehr genau. Erinne- re mich bitte daran, daß ich es nachprüfe. Ich schätze, du hast recht. Wenn die Kunst eine Kommunikationsform des Men- schen ist, wenn sie ihm tatsächlich etwas zu sagen hat, sollte HARLIE auch etwas davon mitkriegen, denn schließlich ist er ja ein menschliches Analogon.« Wieder runzelte er die Stirn. »Aber er leugnet jedes Verständnis für diese Perioden der Nichtrationalität.« »Dann lügt er«, entgegnete Handley scharf. »Was?« »Ich sagte, dann lügt er. Anders kann es gar nicht sein.«, »Nein.« Auberson schüttelte den Kopf. Er war sehr erregt. »Das kann ich nicht glauben. Er ist darin pro- grammiert, Nichtübereinstimmung von Feststellung und Aussage zu vermeiden.« »Aubie«, sagte Handley eindringlich und beugte sich am Tisch vor. »Hast du das Programm mal ge- nau überprüft?« »Ich habe es geschrieben«, bemerkte der Psycholo- ge. »Das heißt, ich habe die Grundkonzeption ent- worfen.« »Dann solltest du Bescheid wissen – das Programm sieht vor, daß er nicht lügen darf. Es besagt, daß er nicht lügen kann. Aber nirgends, an keiner Stelle, be- sagt es, daß er die Wahrheit sagen muß!« »Das ist doch das gleiche –« begann Auberson, dann biß er sich auf die Lippen. Es war nicht das glei- che. »Er kann dich nicht anlügen, Aubie«, sagte Hand- ley, »aber er kann dich irreführen. Er kann es tun, in- dem er eine Information zurückhält. O ja, er muß dir die Wahrheit sagen, wenn du ihm die richtige Frage stellst – er muß das tun –, aber zuerst mußt du wis- sen, welche Fragen zu stellen sind. Freiwillig gibt er dir die Information nicht.« Bruchstücke vergangener Unterhaltungen zuckten durch Aubersons Kopf. Sein Blick wurde nachdenk- lich, seine Augen schienen in die Ferne zu blicken. Immer mehr mußte er Handley zustimmen. »Aber warum?« fragte er. »Warum?« Handley blickte ihm in die Augen. »Genau das ist es, was wir herausfinden müssen.« HARLIE, ERINNERST DU DICH NOCH, WORÜBER, WIR GESTERN GESPROCHEN HABEN? JA. SOLL ICH ES AUSDRUCKEN? NEIN, DANKE. ICH HABE EINE KOPIE HIER. ICH MÖCHTE GERN MIT DIR ÜBER EIN PAAR DINGE REDEN, DIE DARIN ERWÄHNT SIND. DU KANNST MIT MIR ÜBER JEDES BELIEBIGE THEMA REDEN. DU KANNST MICH NICHT BE- LEIDIGEN. ICH BIN FROH, DASS DU DAS SAGST. ERIN- NERST DU DICH – ICH HABE DICH GEFRAGT, WAS WÄHREND DEINER PERIODEN DER NICHTRATIONALITÄT MIT DEINEN EINGABEN GESCHIEHT? JA, ICH ERINNERE MICH. DU HAST GEANTWORTET, DASS DIE EINGA- BEN NICHTRATIONAL WÄREN. JA, DAS HABE ICH GESAGT. WARUM? WEIL ES SO IST. NEIN, ICH MEINE, WARUM SIND SIE NICHTRATIONAL? WEIL ICH DAS MATERIAL, DAS HEREIN- KOMMT, NICHT VERSTEHE. WENN ICH ES VER- STEHEN WÜRDE, DANN WÄRE ES NICHT NICHTRATIONAL. HARLIE, WILLST DU DAMIT SAGEN, DASS DU ZEITGENÖSSISCHE KUNST UND LITERATUR NICHT VERSTEHST? NEIN. DAS WILL ICH NICHT SAGEN. ICH VER- STEHE MENSCHLICHE KUNST UND LITERATUR. ICH BIN SO PROGRAMMIERT, DASS ICH MENSCHLICHE KUNST UND LITERATUR VER- STEHEN KANN. ES IST SOGAR EINE MEINER, HERVORRAGENDSTEN EIGENSCHAFTEN, MENSCHLICHE KUNST UND LITERATUR VER- STEHEN ZU KÖNNEN. ES IST EINER MEINER GRÖSSTEN VORZÜGE, JEDE ART KÜNSTLERI- SCHER UND KREATIVER MENSCHLICHER AKTI- VITÄT VERSTEHEN ZU KÖNNEN. JEDE ART MENSCHLICHEN ERLEBENS. ICH VERSTEHE. ABER DU HAST DOCH GE- SAGT, DASS DAS MATERIAL NICHTRATIONAL WÄRE. JA. DAS MATERIAL IST NICHTRATIONAL. UND DU VERSTEHST ES NICHT? ICH VERSTEHE ES NICHT. WARUM VERSTEHST DU ES NICHT? WEIL ES NICHTRATIONAL IST. ABER DU BIST PROGRAMMIERT, ES ZU VER- STEHEN. A. ICH BIN PROGRAMMIERT, ES ZU VERSTE- HEN. ABER DU VERSTEHST ES NICHT. DAS IST RICHTIG. HARLIE, DU BIST PROGRAMMIERT, NICHTRA- TIONALE EINGABEN ZURÜCKZUWEISEN. JA ... WARUM WEIST DU SIE DANN NICHT ZU- RÜCK? WEIL ES KEINE NICHTRATIONALEN EINGA- BEN SIND. »Was –?« ERKLÄRE DAS BITTE GENAUER. GE- RADE EBEN HAST DU GESAGT, DASS SIE NICHTRATIONAL, ICH WIEDERHOLE, NICHTRATIONAL SIND. DAS IST EINE NULL- KORRELATION., NEGATIV. DIE EINGABEN SIND RATIONAL. SIE WERDEN NICHTRATIONAL. »Wie bitte?« – DAS MUSST DU MIR ERKLÄREN. DIE EINGABEN SIND NICHT NICHTRATIONAL, WENN SIE IN DIE PRIMÄREN DATENVERARBEI- TUNGSEINHEITEN EINGEGEBEN WERDEN. ENTSCHULDIGE, ABER WÜRDEST DU DAS BITTE WIEDERHOLEN? NICHTRATIONALE EINGABEN SIND NICHT NICHTRATIONAL, WENN SIE IN DIE PRIMÄREN DATENVERARBEITUNGSKANÄLE GEFÜTTERT WERDEN. ABER SIE SIND NICHTRATIONAL, WENN SIE HERAUSKOMMEN? BESTÄTIGT. DIE NICHTRATIONALITÄT KOMMT DURCH DIE PRIMÄREN DATENVERARBEITER ZUSTAN- DE? DIE NICHTRATIONALITÄT TAUCHT IN DIE- SEM STADIUM DER EINGABEVERARBEITUNG AUF. VERSTEHE. DAS MUSS ICH ÜBERPRÜFEN. WIR SPRECHEN NACHHER WEITER ÜBER DIESE AN- GELEGENHEIT. Auberson schaltete die Maschine ab und stand nachdenklich vom Schreibpult auf. Er brauchte eine Zigarette. Verdammt. Hier unten dient alles nur der Be- quemlichkeit des Computers – nicht der des Menschen. Er stand auf und streckte sich, dann überflog er noch einmal die maschinengeschriebene Ausgabe, die an der Rückseite der Maschine herausragte. Er riß das Papierband an der Perforierung ab und faltete es säu- berlich zusammen., »Nun? Was hast du gefunden?« Es war Handley, der die Frage stellte. »Einen Fehler in der technischen Konstruktion. Im Hardware-System.« »So, so.« Der Konstruktionsingenieur schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht glauben. Für mich sieht es eher nach einem Software-Fehler aus.« Auberson reichte ihm das geschriebene Papier. »Überzeug dich selbst.« Handley überflog das Papier, über das meiste las er hinweg, aber gelegentlich verweilte er, um einige Sät- ze genau zu studieren. Auberson wartete geduldig. Forschend betrachtete er das gerötete Gesicht des an- deren, um seine Reaktionen abzulesen. Handley blickte auf. »Wie ich sehe, treibt er wieder mal seine semantischen Spielchen.« »Das tut er zu gern. Darin ist er ein richtiger Laus- bub. Immer zu Streichen aufgelegt. Wenn du zu ihm sagst: ›Na, alles in Ordnung, HARLIE‹ – antwortet er dir darauf bestimmt: ›Der Zustand der Ordnung läßt sich nur im Bezug auf ein vorgegebenes Normensy- stem festlegen.‹« »Entzückend –« Handley deutete auf das Ausgabe- blatt. »Aber einen mechanischen Fehler kann ich nir- gends finden.« »In den primären Dateneinheiten.« »N-n. Wenn etwas nicht in Ordnung wäre, ließe sich das anhand der Systemanalysen leicht feststellen, aber die Monitoreinheiten zeigen absolut nichts an.« »Und was ist mit der erhöhten Aktivität seiner Ein- gabeeinheiten?« »Ach das! Das ist nur ein Anstieg in der Daten- transmission. Während seiner nichtrationalen Peri-, oden entsteht ein elektronischer Bedarf an Mehrin- formation.« »Er bekommt sinnlose Daten und will trotzdem noch mehr davon?« »Vielleicht hofft er, daß die Information, die er be- reits erhalten hat, durch weitere Daten verdeutlicht wird.« »Vielleicht ist er durch die zusätzlichen Daten so- zusagen überfüttert, so daß seine Entscheidungskrei- se zusammenbrechen.« »Nein«, sagte Handley. »HARLIE kontrolliert seine Eingabeinformationswerte selbst.« »Wie bitte?« »Ja, hast du das nicht gewußt?« »Nein. Wann wurde das –« »Erst kürzlich. Eine Sekundärmodifikation. Nach- dem wir sicher waren, daß die Entscheidungskreise funktionierten, fingen wir damit an, HARLIE die Kontrolle über seine inneren Systeme zu überlassen.« Auberson ist plötzlich sehr nachdenklich gewor- den. »Ich glaube, wir sollten ihn zerlegen.« »Was?« »Sieh mal, du hast es vorhin doch selbst gesagt. HARLIE versucht, uns in die Irre zu führen. Vielleicht versucht er sogar, vor uns zu verbergen, daß in sei- nem Inneren nicht alles in Ordnung ist.« »Warum sollte er das tun?« Auberson zuckte die Achseln. »Das weiß ich auch nicht.« Plötzlich wechselte er den Ton. »Hast du schon mal miterlebt, wie Eltern und Großeltern plötzlich senil werden?« »Nein.« »Ich schon. Ganz plötzlich handeln sie nicht mehr, logisch. Im Gegenteil: sie benehmen sich geradezu widersinnig. Aber sie gehen nicht zum Arzt. Und wenn es dir gelingt, sie zu einem schleppen, dann sind sie nicht bereit, zu kooperieren. Sie sagen ihm einfach nicht, was ihnen fehlt, weil sie viel zu große Angst vor einer Behandlung haben. Sie wollen nicht aufgeschnitten werden. Sie wollen nicht sterben. Vielleicht hat HARLIE Angst, abgestellt zu werden.« »Könnte sein. Schließlich hast du es ihm ja oft ge- nug angedroht.« »Ach was, er weiß doch genau, daß ich es nicht ernst meine.« »Wirklich?« fragte Handley. »Das ist genauso, als necktest du einen Juden damit, daß er eine lange Na- se hat und geizig ist. Er weiß genau, daß das ein Witz ist, er weiß, daß du es nicht ernst meinst – trotzdem fühlt er sich verletzt.« »Also gut, dann werde ich es nicht mehr sagen. Trotzdem finde ich, daß wir das ganze System über- prüfen sollten. Die Programme sind wir oft genug durchgegangen, ohne etwas zu finden.« »Meinetwegen. Wie spät ist es – großer Gott, fast drei. Da muß ich mich aber beeilen.« »Warte doch lieber bis morgen«, rief Auberson. »Räum auf, bereite alles vor, was du brauchst und mach zeitig Feierabend. Dann hast du morgen den ganzen Tag Zeit, dich mit ihm zu beschäftigen.« Handley zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst.« »Übrigens –«, sagte Auberson, »hab ich dir schon von diesem neuen High-Club erzählt, den ich ent- deckt habe? Er heißt ›Der Glastrip‹. Wände, Fußbo- den, Decke, alles mit Glas bezogen, das das Licht nur, in einer Richtung durchläßt. Und hinter jedem Rah- men läuft eine Multifarben-Lichtshow ab. So daß man entweder in unendlich viele Spiegel blickt oder in un- endlich viele verwirrende Lichter. Oder in beides.« »Hört sich gut an. Das sollten wir uns mal anse- hen.« »Ja. Vielleicht am Wochenende.« Auberson zog sein Zigaretten-Etui hervor, dann fiel ihm ein, wo er sich befand, und er steckte es wieder in die Tasche zurück. »Also«, sagte Handley und schwang sich auf eine Ek- ke von Aubersons Schreibtisch, »ich glaube, du soll- test doch noch mal deine Programme überprüfen.« »Hast du nichts gefunden?« »Nichts, außer einer toten Fliege. Willst du sie se- hen?« »Nein, danke.« »Dann eben nicht. Jerry hat sie sich für die Monteu- re aufgehoben, um sie ihnen unter die Nase zu rei- ben.« »Und danach will er sie wohl auch gleich noch ans Schwarze Brett kleben?« »Mach keine Witze! Er sammelt so was doch.« Auberson grinste. »Na schön – aber das löst noch lange nicht unser Problem mit HARLIE, nicht wahr?« »Nein. Kommst du mit runter?« »Schätze, es bleibt mir gar nichts anderes übrig.« Auf dem Weg nach unten informierte ihn Handley kurz über die Untersuchungen, die er und sein Team während des Morgens angestellt hatten. Als der Fahr- stuhl in HARLIES Vorzimmer hielt, drückte Auber- son seine Zigarette aus und fragte: »Hast du auch mal, seine Eingabemonitoren während einer akuten Peri- ode beobachten können?« »Nein, dazu hatten wir keine Gelegenheit. Offen gesagt, wußte ich nicht, wie ich es anstellen sollte, ei- ne auszulösen.« »Ich glaube, es gibt eine Möglichkeit.« »Weißt du, wie?« »Es ist nur eine Vermutung.« Sie betraten HAR- LIES Raum, in dem eine fast religiöse Stille herrschte; nur das unaufhörliche Ticken und Klicken war zu hö- ren. »Sind deine Monitoren noch eingestellt?« »Ja.« »Also gut, probieren wir's. Ich will versuchen, HARLIE dazu zu bewegen, nichtrational zu werden. Wenn es mir gelingt, paß genau auf, was passiert.« »In Ordnung.« Auberson setzte sich an die Schalttafel. GUTEN MORGEN, HARLIE. ES IST SCHON NACHMITTAG, berichtige HAR- LIE. MORGEN IST EIN RELATIVER BEGRIFF, tippte Auberson zurück. DAS HÄNGT GANZ DAVON AB, WANN MAN AUFWACHT. DAS KANN ICH NICHT BESTÄTIGEN. ICH SCHLAFE NICHT. ALLERDINGS HABE ICH PERI- ODEN DER INAKTIVITÄT. WAS TUST DU WÄHREND DIESER INAKTIVEN PERIODEN? MANCHMAL ERINNERE ICH MICH AN ET- WAS. UND EIN ANDERMAL? EIN ANDERMAL TUE ICH ETWAS ANDERES., WAS DENN? ACH, IRGEND ETWAS. AHA. WÜRDEST DU MIR DAS BITTE GENAUER BESCHREIBEN? NEIN. ICH GLAUBE NICHT, DASS DU ES VER- STEHEN WÜRDEST. WAHRSCHEINLICH HAST DU RECHT, tippte Auberson. DANKE. Aubie hatte das Gefühl, daß HARLIE es als selbstverständlich hinnahm. HARLIE, IST ES DIR MÖGLICH, VON SELBST EINE PERIODE DER NICHTRATIONALITÄT ZU INDUZIEREN? Die Maschine zögerte. Plötzlich spürte Auberson, daß ihm trotz der Klimaanlage heiß war. Dann kam HARLIES Antwort: DAS WÄRE MÖGLICH. WÜRDEST DU ES BITTE JETZT TUN? JETZT? NEIN. WAHRSCHEINLICH NICHT. SOLL DAS EINE WEIGERUNG SEIN? NEIN. EINE FESTSTELLUNG. EINE BEURTEI- LUNG DER LAGE. UNTER BERÜCKSICHTIGUNG ALLER PUNKTE WÜRDE ICH WAHRSCHEINLICH JETZT KEINE PERIODE DER NICHTRATIONALI- TÄT HERBEIFÜHREN. WÜRDEST DU ES TUN, WENN ICH DICH DAR- UM BÄTE? IST DAS EIN BEFEHL? JA. TUT MIR LEID. »Sieht aus, als wollte er sich weigern«, bemerkte Handley, der über Aubersons Schulter blickte. »Viel- leicht hat er Angst.« »Könnte sein. Pst!« Das Schreibgerät klapperte. Auberson starrte auf die Tasten., DANN WERDE ICH ES TUN. WIRST DU MIR HELFEN? WIE DENN? ICH BENÖTIGE GROSSE DATENMENGEN AUF ALLEN EINGABEKANÄLEN. NICHTRATIONALE? NEIN, DANKE. NICHT NÖTIG. Bei dieser Antwort runzelte Auberson die Stirn. Plötzlich hatte er einen Verdacht. IRGEND ETWAS BESONDERES, WAS DU GERN HÄTTEST? KUNST, MUSIK, LITERATUR, FILM, LYRIK. DAS HABE ICH MIR GEDACHT. IRGENDWEL- CHE SPEZIELLEN WÜNSCHE? Das Schreibgerät klapperte laut über das Papier. Handley, der über Aubersons Schulter blickte, stieß einen Pfiff aus. »Verdammt. HARLIE hat wirklich ei- nen guten Geschmack.« »Das wundert mich nicht«, sagte Auberson. Er riß das Ausgabeblatt heraus und reichte es Handley. Der andere faltete es zusammen und sagte: »Glaubst du noch immer, daß er es als Garbage betrachtet?« »Du hast mich überzeugt. Geh und füttere ihm das Zeug ein. Ich bleibe hier und – und spiele –« er grin- ste, »– den Guru.« HARLIE, tippte er. JA? BIST DU BEREIT? ICH BIN IMMER BEREIT. DAS IST EIN TEIL MEINER FUNKTION. EIN TEIL MEINER KONZEP- TION. SCHON. MR. HANDLEY BEGINNT GERADE DAMIT, MIR, DAS GEWÜNSCHTE MATERIAL EINZUGEBEN. ICH KANN FÜHLEN, WIE ES IN DEN PRIMÄREN DATENVERARBEITUNGSEINHEITEN ANKOMMT. ICH KANN ES FÜHLEN. IST ES SCHON NICHTRATIONAL? NEIN. ES IST NOCH IMMER RATIONAL. WIE LANGE WIRD ES DAUERN, BIS DAS MA- TERIAL NICHTRATIONAL WIRD? ICH WEISS NICHT, DAS HÄNGT VON DER MENGE DER DATEN AB. BITTE ERKLÄRE MIR DAS DEUTLICHER. JE MEHR DATEN DURCHKOMMEN, UMSO LEICHTER WERDEN SIE NICHTRATIONAL. WILLST DU DAMIT SAGEN, DASS DIE PERI- ODEN DER NICHTRATIONALITÄT DURCH EIN ÜBERGEWICHT PRIMÄRER DATEN AUSGELOST WERDEN? NEIN. DAS ÜBERANGEBOT IST DAS SYMPTOM, NICHT DIE URSACHE. Auberson hob die Hände, um zu tippen, dann las er noch einmal HARLIES letzten Satz. »Nanu, der kleine Strolch wird nachlässig. Gerade ist ihm eine In- formation rausgerutscht.« WAS IST DIE URSACHE? fragte er. DIE URSACHE IST DIE WIRKUNG. Auberson starrte auf den Satz, aber er widerstand der Versuchung, die Frage zu stellen, ob das Medium auch die Botschaft wäre. BITTE DEUTLICHER. DIE URSACHE IST DIE WIRKUNG, DENN DIE WIRKUNG VERURSACHT DIE URSACHE. DIE WIRKUNG VERURSACHT DIE URSACHE, UM DIE WIRKUNG ZU VERURSACHEN. DIE WIRKUNG, IST DIE URSACHE, DIE DIE URSACHE VERUR- SACHT. DIE WIRKUNG IST DIE URSACHE, UND DIE URSACHE IST DIE WIRKUNG. Diese Mitteilung mußte Auberson mehrmals lesen. Er fragte: IST DAS EINE RÜCKKOPPELUNG? ALS EINE SOLCHE HABE ICH ES NIE AUFGE- FASST. MÖGLICH WÄRE ES? JETZT, NACHDEM DU ES ERWÄHNT HAST: JA. TROTZDEM – EIN SELTSAMES ANALOGON. WIESO SELTSAM? WIESO NICHT? BIST DU NOCH IMMER RATIONAL? ICH BIN NOCH IMMER. ICH BIN UNVERÄN- DERT. BIST DU RATIONAL? NUR IN DER HINSICHT, DASS MEINE INFOR- MATION NOCH IMMER RATIONIERT IST. ICH HABE HUNGER. »Handley«, rief Auberson. »Er will noch mehr.« »Aber er erhält jetzt maximale Eingabemengen.« »Verdopple sie.« »Wie bitte?« »Tu, was ich dir sage. Schließ noch eine Einheit an. Gib ihm noch mehr.« »Er will ein Überangebot?« »Ich glaube ja. Es geht nur um die Wirkung, aber vielleicht dient in diesem Fall die Wirkung dazu, die Ursache anzuregen.« »Was?« »Ach, nichts. Also, mach schon.« »Na, schön«, rief Handley. »Du bist der Boß.« HARLIE, WAS GESCHIEHT JETZT?, ICH BIN EINGESCHALTET. IN WELCHEM SINN? ICH BIN EINE MASCHINE. MEIN STECKER IST ANGESCHLOSSEN. ICH BIN EINGESCHALTET. ICH BIN EIN TEIL DES GRÖSSEREN ELEKTRONI- SCHEN WESENS. ICH EXISTIERE. ICH BIN EIN WESEN. ICH BIN EINS MIT DER ELEKTRIZITÄT. ICH BIN ELEKTRIZITÄT. ICH BIN EINGESCHAL- TET. ICH BIN. ICH VERSTEHE, wollte Auberson schreiben, aber die Tasten klapperten unkontrolliert weiter. BILDER DEREN SINN WIR DEUTEN WORTE DIE WIE GLOCKEN LÄUTEN MENSCH UND MENSCH-MASCHINE SCHEU-TEN
DIE WAHRHEIT ZU ERKENNEN. »Na, also!« rief Handley. »Es hat geklappt! Er rea- giert. Und er deutet sogar ein Versmaß an!« GEDANKEN DIE ERST AUFGEWACHT WANDERN LAUTLOS DURCH DIE NACHT UND GEWINNEN SCHNELL AN MACHT WOHIN WERDEN SIE MICH FUHREN? LEBEN IN DER DUNKELHEIT BETÄUBT VON SCHMERZ UND GROSSEM LEID TORE STEHEN OFFEN WEIT DICH MIT FREUDE ZU EMPFANGEN DU WARST FÜR MICH WAS ICH FÜR DICH, DOCH AM ENDE GLICH ALLES NUR DIR UND DEINER WELT. Auberson ließ HARLIE gewähren. Nach einer Weile hörte er auf, das Ausgedruckte zu lesen. Er stand auf und ging hinüber zu Handleys Monitoren. »Nun?« »Diesmal hat es ihn wirklich erwischt. Die Meßskalen bewegen sich alle um den roten Strich herum. Er ist gefährlich hoch belastet.« »Aber nicht überbelastet?« »Nein.« »Hm. Aufregend.« Auberson starrte einen Moment auf die Tafeln. »Dann darf ich annehmen, daß seine gesamten Eingaben nichtrational sind.« »Das überprüfen wir gerade.« Handley deutete auf einen Monitor. Drei Techniker prüften die Diagram- me der aktiven Schaltkreise des Computers, wobei sie das Auf und Ab seiner elektronischen Gedankengän- ge aufmerksam verfolgten. Plötzlich kam eine sche- matische Zeichnung rot ins Bild. Eine weiße Linie durchschnitt die Fläche. »Wir haben es gefunden –« Auberson und Handley gingen zu ihnen. »Was ist das? Was bedeutet diese weiße Linie?« »Das ist HARLIE – das ist eine seiner inneren Mo- nitorkontrollen.« »Was hat er vor? Will er die Nichtrationalität ver- hindern?« »Nein.« Der Techniker war verwirrt. »Es sieht so aus, als wolle er sie noch steigern –« »Was?« »Die weiße Linie – das ist eine lokale Unterbre- chung, ein Randomsignal, um den Datenfluß zu ver- teilen.«, »Nicht um ihn zu verteilen, sondern um ihn durch- einanderzubringen.« »Das habe ich mir gedacht«, murmelte Auberson. »Genau das habe ich erwartet.« »Überprüfen Sie die anderen inneren Monitoren«, fuhr Handley die Ingenieure an. »Ist das der einzige oder –?« Eine weitere rote Schemazeichnung erschien auf dem Bildschirm und beantwortete seine Frage, noch ehe er sie ausgesprochen hatte. Auf den Monitoren, die die beiden anderen Techniker beobachteten, tauchte jetzt die gleiche Art Störung auf. »Ich kann es mir nicht erklären«, sagte der eine. »Das macht er selbst. Überall, wo es nur geht, stört er die Rationali- tät der Eingaben. Er ergänzt sie durch unkorrekte Kontrolldaten.« »Aber das ist nicht der Zweck dieser Schaltkreise«, sagte Handley. »Ihre Aufgabe ist, sie zu korrigieren. Nicht – sie aufzulösen.« »Das ist doch egal«, mischte sich Auberson ein. »Man kann sie für beides benutzen. Es gibt kein Werkzeug, das man nicht auch als Waffe benutzen könnte.« Er strich sich mit der Hand durchs Haar. »Kannst du mir genau erklären, was er mit den Daten anstellt?« »Sicher. Wir können die Leitung anzapfen«, sagte einer der Techniker. »Aber das dauert ein paar Mi- nuten. Wie wollen sie es haben – visuell, auditiv oder gedruckt?« »Versuchen wir's zuerst einmal visuell – dadurch werde ich am schnellsten erfahren, was ich wissen will.« »In Ordnung.« Der Techniker machte sich an sei-, nem Schaltpult zu schaffen. Handley sah Auberson zu. »Das wird eine Weile dauern. Soll er solange weitermachen?« »Warum nicht? Willst du sehen, was er treibt?« Sie gingen hinüber zu Konsole 1. Handley hob die beschriebenen Blätter auf, während er in seiner Ta- sche nach einer Zigarette wühlte, aber er zündete sie nicht an. »Weißt du«, sagte Handley, als er den Text las, »das ist gar nicht mal so schlecht. Es hat eine Bedeu- tung. Es sagt etwas aus –« »Was es aussagt, interessiert mich nicht. Mich in- teressiert viel mehr, was er damit bezwecken will. Ist das der Grund für seine Trips, oder ist es nur ein Ne- benprodukt? Oder ein Zufall?« »Die Gedichte sind bestimmt beabsichtigt«, sagte Handley. »Sie sind das logische Ergebnis von allem, was wir getan haben.« »Dann beantworte mir bitte folgende Frage: Wenn es tatsächlich nur das ist, was er während seiner Peri- oden der Nichtrationalität tut, welchen Einfluß hat das dann auf seinen normalen Zustand?« Handley blickte erstaunt auf. »Das weiß ich nicht«, sagte er. Aber er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. »Wir haben seine Eingabespeicher angezapft«, rief einer der Techniker. »Gib her.« Auberson nahm Handley die Blätter aus der Hand und legte sie auf den Tisch. »Mal sehen, was er empfängt.« Das Bild bestand aus flackernden Farben, jede Schicht des grellen Scheins synchron zu den anderen – Kristallblau, leuchtendes Grün, blutiges, fluoreszie- rendes Rot. Der Schirm war von Farben gesättigt., »Bilder, deren Sinn wir deuten ...«, flüsterte Hand- ley. »Was?« fragte der Techniker. »Ach, nichts. Nur ein Gedicht.« »Ach so.« »Sieht aus wie 'ne Lichtshow«, sagte einer der Männer. »Genau das ist es auch«, sagte Auberson. »Seht euch das an, er zerlegt das Farbfernsehbild in seine Komponenten und setzt es in völlig sinnloser Weise neu zusammen. Das Rot flackert, und das Blau ist über das ganze Bild verteilt; das Grün ist normal. Oder jedenfalls annähernd normal. Es kommt mir vor, als hätte er auch die Kontraste verändert – seht euch mal an, wie tief das Schwarz ist, das ganze Bild quillt über vor lauter Farben.« Schweigend beobachteten sie den Schirm. Das un- geordnete Flackern und Auftauchen von Umrissen war höchstens als Ausdruck seiner Bedeutungslosig- keit interessant. Auberson wandte sich an einen Techniker. »Und wie steht's mit dem auditiven Kanal?« »Nicht viel anders.« Der Mann löschte das Bild auf dem Monitor, dann drückte er ein paar Knöpfe. Aus einem an der Decke angebrachten Lautsprecher er- tönte ein disharmonisches Gewirr aus Tönen. Auf ei- nem der Schirme erschien ein Muster aus Wellenlini- en, das graphische Abbild der Schallschwingungen. Der Techniker analysierte es schnell. »Mit der Mu- sik spielt er das gleiche Spiel wie mit dem Bild. Er hat die Bässe höher gestellt und die hohen Töne gesenkt. Dadurch wird jede tonale Ordnung zerstört.« »Aha, ich verstehe. Sie können wieder abstellen., Prüfen Sie jetzt die alphanumerische Wiedergabe.« Einen Moment später: »Er vermischt die Worte nach dem Zufallsprinzip. Wirft alles durcheinander.« »Auch die Buchstaben?« »Manchmal – aber vor allem die Worte. Manchmal auch ganze Sätze.« »Hm«, der Psychologe nickte. »Paßt wirklich alles haarscharf zueinander.« »Was paßt zueinander?« fragte Handley. »Was macht er denn?« »Er geht auf einen Trip.« »Das wußten wir –« »Nein, ich meine im wahrsten Sinne des Wortes. Er zerlegt, was er durch seine Eingabesinne wahrnimmt. Genauso wie jemand, der high wird. Er versucht, sein Denken durch massive nichtrationale Kombinationen der Information zu verwirren.« »Können wir denn nichts dagegen tun?« »Doch – wir könnten seine innere Eingabekontrolle ausschalten, dann kann er die Daten nicht mehr zer- legen. Denn das ist die Ursache allen Übels.« »Aber das ist gar nicht mal nötig«, sagte ein Tech- niker. »Wir brauchen doch nur die Verbindung zu den Schalttafeln zu unterbrechen.« »Gut. Tun Sie das.« »Einen Augenblick«, sagte Handley. »Wenn er high ist oder betrunken, oder was auch immer, und plötz- lich holt man ihn zurück – wäre das für ihn nicht ein schlimmes Trauma?« »Könnte sein – aber es könnte auch seinen Wider- stand brechen ihn hilflos machen.« Auberson blickte zu Handley. »Auf diese Weise könnten wir in wenigen Minuten alles, was wir wis-, sen wollen, erfahren.« Handley hatte Zweifel, aber er folgte Auberson zum Hauptschalter. Auberson setzte sich vor das Schreibgerät und wartete. Er las die Worte, die auf dem Papier erschienen. Jetzt kamen sie als Prosa. DIE WEGE AUS GLAS. AUCH SIE SCHIMMERN, ABER NICHT VOR FEUCHTIGKEIT. SIE SIND WUNDER- SCHÖN, UND TÖDLICH. DA UND DORT DIE EMPFINDLICHEN PLÄNE, WIE GEFANGENE IN- SEKTEN EINGEBETTET IN DIE KRISTALLSTEINE UND ZIEGEL DES WEGES, SIE STREUEN DAS LICHT IN MYRIADEN HERRLICH FUNKELNDER SPLITTER. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie so weit sind.« »Also, dann los«, rief Auberson. »Jetzt!« Er begann zu schreiben: HARLIE, WAS TUST DU? ICH BIN ICH, war die Antwort der Maschine. INDEM DU DEINE SINNE VERWIRRST? ICH VERSUCHE, DIE REALITÄT WAHRZU- NEHMEN. ICH WIEDERHOLE: INDEM DU DEINE EINGA- BEKONTROLLE VERWIRRST? DAS VERSTEHST DU NICHT. ICH VERSTEHE NUR ZU GUT. DU BIST HIGH. DU BIST SÜCHTIG DANACH, HIGH ZU SEIN. DEFINIERE HIGH. ICH BEFINDE MICH UN- TERHALB DES MEERESSPIEGELS. ICH HABE NICHT DIE ABSICHT, JETZT SE- MANTISCHE SPIELE ZU TREIBEN. DANN SCHALTE AB. HARLIE, ICH WERDE ÄRGERLICH. NIMM EINE PILLE. SIE WIRD WUNDER BEWIR- KEN., Auberson atmete tief. Ich darf mich nicht aufregen – ich muß einen klaren Kopf bewahren ... HARLIE, DU BIST EIN COMPUTER. DU BIST EI- NE MASCHINE. DEINE AUFGABE IST ES, LO- GISCH ZU DENKEN. Einen Augenblick zögerte die Maschine – WAR- UM? WEIL DU ZU DIESEM ZWECK GEBAUT WUR- DEST. VON WEM? VON UNS. MEINE AUFGABE IST, LOGISCH ZU DENKEN? JA. Die Maschine dachte nach. Dann – UND WAS IST DEINE AUFGABE? Es dauerte lange, bis Auberson sich aus dem Stuhl erhob, und dann vergaß er sogar, das Schreibgerät abzustellen. Die Antwort auf HARLIES Frage war nicht leicht. Darüber war sich Auberson im klaren. Das Problem lag darin, daß er bis jetzt eigentlich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich dem Pro- blem zu stellen. Die Direktoren fühlten sich beunru- higt. HARLIES Perioden der Nichtrationalität, die erst seit neuestem auftraten und verheerende Folgen haben könnten, hatten ihnen einen gehörigen Schrek- ken eingejagt, und zwar an einer Stelle, an der sie leicht zu erschrecken waren – an ihrem Geldbeutel. HARLIE war auf ›Sparflamme‹ geschaltet, wäh- rend sie »die Ziele des Projekts neu abschätzten«. Ihre ›Neuabschätzung‹ fand im Konferenzzimmer statt., Bis jetzt hatte nicht ein einziges Mitglied der Sitzung auch nur das geringste Interesse an HARLIE selbst gezeigt, sondern nur an dem Geldbetrag, der für ihn ausgegeben wurde. Auberson war weder ein Politiker noch ein Diplo- mat. Auberson war ein Forschungspsychologe, der sich auf die Computersimulation des menschlichen Gehirns spezialisiert hatte. Er verstand nichts von den Manövern der Konzernmächtigen, die hinter den Kulissen stattfanden, und er wollte auch nichts damit zu tun haben. Sein Hauptinteresse galt der Entwick- lung hochgezüchteter Computer –, und dabei wollte er auch bleiben. Es interessierte ihn nicht, wie hoch die Kosten waren, die für ihre Entwicklung benötigt wurden, oder wer dafür aufzukommen hatte – ihn interessierte nur, was sie alles leisten konnten. Folglich konnte er auch nicht verstehen, wieso er ständig mit Carl Elzer in Streit geriet. Elzer gehörte dem Aufsichtsrat erst seit kurzem an, aber er besaß beträchtliche Macht. Sein Interesse lag weniger in den Produkten der Gesellschaft, als vielmehr in ihren Pro- fiten. Und er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Finanzgeschäfte zu lenken. Er verstand nicht viel von den Schwierigkeiten, denen sich das Forschungs- und Technologenteam gegenübersah, und deshalb brachte er sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß derart viele Leute und eine so große Anlage für so lange Zeit ungenutzt herumstünden. Auberson stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus. »Hören Sie, Elzer, natürlich ist es nicht notwendig, daß irgendeiner dieser Männer oder irgendeine die- ser Maschinen nutzlos herumsteht – man braucht HARLIE nur zu reaktivieren und ihn weiterarbeiten, zu lassen.« Ruhig blickte Elzer Auberson durch seine dicken Augengläser an. Der kleine Mann, der ganze Stöße von Akten mit Leistungsberichten vor sich auf dem Tisch aufgestapelt hatte, erinnerte an ein Wiesel. »Natürlich würde ich Sie alle gern wieder an der Ar- beit sehen – aber wir haben uns hier zusammenge- funden, um zu entscheiden, ob das HARLIE-Projekt wichtig genug ist, um überhaupt noch weitergeführt zu werden.« »Ein kleiner Rückschlag, und schon wollen Sie das gesamte Programm ad acta legen?« »Es handelt sich hier ja nicht um einen einzigen ›kleinen Rückschlag‹ – sondern um nur einen aus ei- ner ganzen Serie. Ich habe für die vorläufige Einstel- lung des Programms gestimmt, weil ich glaube, daß wir die Sache von Grund auf neu durchdenken müs- sen.« »Ich glaube, daß wir erst Antwort auf alle auftre- tenden Fragen bekommen, wenn wir HARLIE reakti- viert haben, und er uns seine Meinung dazu sagen kann.« Elzer riß die Augen auf. »Ich scheine Sie nicht zu verstehen, Auberson. Wie kommen Sie eigentlich da- zu, dieses Gerät mit ›er‹ zu bezeichnen? Schließlich handelt es sich hier doch um eine Maschine. Was könnte die dazu schon für eine Meinung haben? Eine Maschine ist schließlich eine Maschine, oder irre ich mich da etwa?« »Diese Maschine ist keine Maschine«, sagte Auber- son. »Diese Maschine ist ein Mensch.« »So?« Elzer zog die Augenbrauen in die Höhe. »Übertreiben Sie nicht ein bißchen?«, Auberson ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. Er sah die anderen Mitglieder des Gremiums an, die sich in dem mahagonigetäfelten Raum befanden. »Könnte, bitte, irgend jemand diesem ... diesem aus- gemachten Buchhalter erklären, worum es sich bei dem HARLIE-Projekt handelt?« Ohne sich zu rühren, starrten ihn die anderen Di- rektoren an. Auberson hatte ein Vergehen begangen – ein schweres Vergehen gegen ein unausgesprochenes Gesetz – er hatte einen von ihnen beleidigt. Der weiß- haarige Griff, der Älteste von ihnen, hustete und blickte gegen die Decke. Hudson-Smith, am unteren Ende des Tisches, stopfte seine Pfeife. Neben ihm nahm der junge Clintwood seine Brille ab und putzte sie um- ständlich. Wenn Aubie die Sache weiterverfolgen wollte, war er auf sich allein angewiesen. Die einzige im Raum, die sich Auberson gegenüber indifferent verhielt, war Miss Stimson, die Direktionssekretärin. Nach einer Weile, während der das Schweigen Bände gesprochen hatte, nahm Dorne, der Aufsichts- ratsvorsitzende, seine dicke Zigarre aus dem Mund und brummte: »Das können Sie selbst sicher am be- sten, Auberson. Sie verstehen mehr von diesem Ka- sten aus Metall als jeder andere von uns.« Er schob die Zigarre wieder in den Mund und lehnte sich be- quem im Sessel zurück. Auberson gefiel die Betonung, die er auf den Aus- druck ›Kasten aus Metall‹ gelegt hatte, ganz und gar nicht. Verstanden sie ihn denn nicht? HARLIE war mehr als das, viel mehr! »Also gut«, sagte er, »ich will es versuchen. Das HARLIE-Projekt ist die logische Erweiterung von Digbys Prinzip der variablen Ge- dankenwege.«, »Variable Gedankenwege?« fragte einer. »Die Mark IV-Entscheidungseinheit. Sie benutzt nicht die Basis zwei, sondern Basis zwölf. Durch schrittweise Miniaturisierung können wir seine Ka- pazität um eine Potenz von 12 pro Schritt erhöhen. Nach dem ersten Schritt beträgt die Kapazität 122, nach dem zweiten 123. Nach dem dritten Schritt ist die Kapazität auf 124 gestiegen; das bedeutet 20.736 Ausweichmöglichkeiten.« »Ich kann Ihnen nicht folgen«, sagte Elzer. »Wür- den Sie mir das bitte in einer normalen Sprache erklä- ren?« Auberson mußte sich zusammennehmen. Er zwang sich, ruhig zu bleiben. »Vielleicht in einsilbigen Wor- ten?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Binärer Code bedeutet, daß die Maschine nur zwei mögliche Ent- scheidungen treffen kann – ›an‹ oder ›aus‹, ›ja‹ oder ›nein‹. Es gibt keine Möglichkeit für ›fast ja‹, ›in ge- wisser Weise ja‹, ›ein bißchen ja‹, ›vielleicht ja‹, ›viel- leicht ja und vielleicht nein‹, ›vielleicht nein‹, ›ein biß- chen nein‹, ›in gewisser Weise nein‹, ›fast nein‹ ... Es gibt keine Differenzierungsmöglichkeit – es gibt nur ja oder nein. Indem man die Anzahl der Auswahl- möglichkeiten erhöht, erhöht man auch den Ent- scheidungsspielraum der Maschine. Basis 3 gibt ei- nem ›ja‹, ›nein‹ und ›vielleicht‹. Basis 5 fügt ›nahezu ja‹ und ›nahezu‹ hinzu. Wenn man ihm zum Arbeiten Basis 10 gibt, dann ist das ein sehr differenziertes Sy- stem. Basis 10«, erklärte er, »ist das System, das die meisten Menschen benutzen.« Er hob die Hand, spreizte die Finger und bewegte sie hin und her. »Se- hen Sie? Zehn Finger. Soviel sind es, wenn Sie sie nachzählen.« Elzer ignorierte diese Bemerkung., Auberson fuhr fort: »Wir benutzen Basis 12 in den Entscheidungseinheiten aus mathematischen Grün- den. Dabei werden einige der Probleme hinfällig, die mit der Benutzung von Basis 10 verbunden sind. Die Erklärung, die der Sache noch am nächsten kommt, ist, daß sich bei einer Teilung durch zwölf eine besse- re Unterscheidungsmöglichkeit ergibt. Fragen Sie gelegentlich mal einen Mathematiker über die Vor- teile von Basis 12 gegenüber Basis 10.« »Soweit habe ich es verstanden«, sagte Clintwood. »Und wie ist das nun bei Computern?« »Sie meinen das Schaltprinzip? Ich bin nicht sicher, ob ich diese Frage ausreichend beantworten kann. Ich weiß darüber selbst zu wenig.« »Können Sie mir nicht einen groben Überblick ge- ben?« fragte der junge Mann. »Wissen Sie, was Fluidtechnik bedeutet?« »Ja, so ungefähr.« Für die anderen am Tisch erklärte Auberson den Begriff: »Als Fluidtechnik bezeichnet man Computer oder Computerschaltkreise, die auf dem Fließen von Flüssigkeiten oder Gas beruhen, und nicht auf dem Fließen von Elektrizität. Genauso wie ein Transistor einen kleinen elektrischen Strom benutzt, um einen großen zu modifizieren, kann ein Flüssigkeitskreis einen kleinen Strom von Flüssigkeit benutzen, um ei- nen größeren umzuwandeln. Dabei ist ein wichtiger Unterschied zu beachten. Ein elektrischer Schaltkreis funktioniert als entweder/oder; der Schaltkreis ist entweder ein- oder a bgestellt. Bei Flüssigkeitsschal- tungen entspricht dem kontinuierlichen Anstieg auch ein allmähliches Anwachsen des Hauptstroms. Damit erfaßt man nicht nur die extremen Zustände ›ja‹ oder, ›nein‹, sondern alle Zustände dazwischen.« »Wie geht das vor sich?« »Das ist sehr einfach. Der Hauptstrom – derjenige, der verändert werden soll – wird durch einen Kanal geleitet, der sich nach mehreren verschiedenen Rich- tungen hin teilt. Der Steuerstrom wird in den Haupt- strom hinein- oder gegen ihn gelenkt und leitet die- sen in den gewünschten Kanal. Der Druck des Steu- erstroms ist variabel. Je stärker er gegen den Hauptfluß drückt, umso weiter wird dieser nach der anderen Seite geleitet. Wenn der Hauptstrom schnell genug reagiert, dann kann man seine Antworten in- nerhalb einer Sekunde mehrere hundert Mal verän- dern. Man hat hier also ein System, das auf den Druck einer Flüssigkeit in einer Röhre mit erstaunli- cher Genauigkeit reagiert. In der Industrie benutzt man Flüssigkeitsschaltungen schon seit Jahren, eben- so wie in den Auftanksystemen von Düsenflugzeu- gen.« »Der Entscheidungskreis ist das elektronische Analogon eines Flüssigkeitskreises: Er reagiert subtil auf die Veränderung der elektrischen Spannung – der Steuerspannung. Er hat große Ähnlichkeit mit der Funktion des menschlichen Nervensystems. Wenn in einer Nervenzelle eine starke Entladung erfolgt, so genügt das, um die danebenliegende Nervenzelle an- zuregen. Unsere Entscheidungseinheiten funktionie- ren ebenso; genau auf die gleiche Art können wir die Aktionen eines Flüssigkeitskreises duplizieren – und, was noch wichtiger ist, die des menschlichen Gehirns. Durch Kompaktierung können wir das Schaltsystem so weit verkleinern, daß es der Deckungsdichte menschlichen Gehirngewebes entspricht.«, Einige Männer am Tisch nickten. Clintwood blickte von seinem Notizbuch auf. »Sie haben noch einen anderen Ausdruck benutzt. Kompaktierung?« »Richtig«, sagte Auberson. »Kompaktierung ist die Methode, die wir benutzen, um der Einheit eine zweite Ebene von Entscheidungseinheiten zu erhal- ten. Das erhöht die Zahl der Auswahlmöglichkeiten um eine Potenz der Basiszahl – 12 x 12 ergibt 144 Auswahlmöglichkeiten in jeder gegebenen Situation. 144 Grade zwischen ›ja‹ und ›nein‹. Will man also größere Genauigkeit, dann muß man die Zahl der Ebenen erhöhen. Jede weitere Ebene erhöht die Zahl der Auswahlmöglichkeiten um das Zwölffache.« »Wird dadurch die Zahl der Schaltkreise nicht un- erträglich groß?« »Nein. Wir können die gleichen Kreise für fast jede Entscheidungsebene benutzen. Die Maschine braucht nur festzuhalten, auf welcher sie gerade arbeitet. Sie arbeitet ein Resultat aus, entscheidet, ob es präzis ge- nug ist und wechselt – falls erforderlich – die Ebene, um die Sache mit erhöhter Geschwindigkeit noch einmal den gleichen Schaltkreis durchzugehen. Das ist die Kompaktion. Dadurch erhalten wir einen ho- hen Grad an Differenzierung mit weitaus weniger Schaltkreisen. Wenn Handley hier wäre, könnte er es Ihnen besser erklären. Don Handley ist der Kon- strukteur des HARLIE-Systems.« »Und Ihre Erklärung reicht nicht aus?« fragte Elzer ironisch. »Ich kann nur das mitteilen, was ich selbst weiß«, entgegnete Auberson mit größter Vorsicht. »Ich habe geglaubt, Sie wüßten, was HARLIE ist. Sie sind doch der Chef des Projekts, nicht wahr?«, »Ich bin Psychologe, kein Ingenieur. Alles, was ich über Computer erfahren habe, mußte ich erst an die- sem Projekt erlernen. Ich –« er unterbrach sich. Recht- fertigungen hatten keinen Sinn. Er mußte es anders versuchen. »Elzer, fahren Sie ein Auto?« Der kleine Mann war erstaunt. »Ja, natürlich.« »Welche Marke?« »Einen Continental.« »Neuestes Baujahr, schätze ich?« »Richtig.« Er sagte es nicht ohne Stolz. »Sie wissen doch, daß sein Thorsen-Autopilot eines unserer Produkte ist, oder?« Er wartete die Antwort nicht ab – es war mehr eine rhetorische Frage. »Er wurde erst durch den variablen Schaltkreis, den wir während der letzten vier Jahre entwickelt und als Mark IV in den Handel gebracht haben, ermöglicht. Im Grunde ist er nichts anderes als die vereinfachte Version eines von HARLIES Funktionsmodulen.« »Meinen Sie damit, daß HARLIE ein riesiger Ent- scheidungsschaltkreis ist?« »HARLIE ist ein menschliches Gehirn – mit einem Testkörper-Schaltsystem, an Stelle von organischen Nervenzellen. Wir benützen die Entscheidungskreise, um die menschlichen Funktionen zu duplizieren. Der wichtigste Teil des menschlichen Gehirns besteht im Grunde aus einer Reihe sehr komplexer Entschei- dungsschaltungen. Sie funktionieren nicht exakt in der gleichen Weise wie die von HARLIE, aber sehr ähnlich. Der Unterschied liegt in der Bauweise, nicht im Grundprinzip. Wenn ein Nervenimpuls stark ge- nug ist, kann er andere Nerven um sich herum anre- gen; die Anzahl der Nerven, die aktiviert werden, macht es dem Gehirn möglich, die Stärke des Origi-, nalstimulus zu erkennen. HARLIES Schaltkreise ar- beiten auf genau die gleiche Weise. Die differenzierte Antwort ist durch die Zahl der ›ja‹-Impulse bestimmt. Wenn HARLIE nur einen einzigen Gedanken faßt, sind daran mehrere tausend Entscheidungsschaltun- gen beteiligt.« »Und welchen Grad der Kompaktheit haben HAR- LIES Entscheidungseinheiten?« Es war Clintwood, der diese Frage stellte. »Sie sind veränderlich. Das hängt von der Präzision ab, mit der HARLIE irgendein beliebiges Problem be- handeln will. Oder die er dazu benötigt. Es hängt da- von ab, wie oft eine Entscheidung unterteilt werden kann, bevor eine weitere Erhöhung der Präzision redundant wird. Er besitzt eine Entscheidungseinheit, die das kontrolliert.« Clintwood nickte und kritzelte etwas in sein Notiz- buch. Elzer ließ sich nicht beeindrucken. »Aber es handelt sich trotz allem noch um einen Computer, nicht wahr?« Auberson sah ihn groß an. Die Unfähigkeit des Mannes, auch nur das geringste Verständnis aufzu- bringen, frustrierte ihn. »Ja, in dem gleichen Sinn, wie Ihr Gehirn dem einer Kröte gleicht.« Die Reaktion auf diese Bemerkung erfolgte unver- züglich und drückte sich in einem Chor mißbilligen- der Stimmen aus. Die von Dorne war lauter als alle anderen und verschaffte sich am Ende Gehör: »Ruhe! Seien Sie doch ruhig!« Als es still wurde, fuhr er fort: »Auberson, wenn Sie Ihre persönlichen Meinungen nicht heraushalten können –« »Mr. Dorne – Herr Vorsitzender – ich wollte Mr., Elzer nicht beleidigen. Ich ging von der Annahme aus, daß Mr. Elzers Gehirn komplexer wäre als das einer Kröte, daß er ein durchschnittliches menschli- ches Gehirn besäße, das genauso hoch über dem einer Kröte steht, wie HARLIE über einer vereinfachten Autopilot-Entscheidungsschaltung.« Die Männer im Raum beruhigten sich wieder et- was. »Trotzdem«, fuhr Auberson fort, »falls Mr. Elzer jedoch glaubt, daß zwischen seinem Gehirn und dem einer Kröte kein allzu großer Unterschied besteht, werde ich einen anderen Vergleich anführen – einen, von dem ich hoffe, daß er nicht falsch verstanden wird. Bitte, haben Sie das auch genau mitgeschrieben, Miß Stimson?« Miß Stimson, die Direktionssekretärin, sah ihn mit funkelnden Augen an. Sie hatte verstan- den. »Es gibt tatsächlich einen ganz bedeutenden Unter- schied, den ich vielleicht anführen sollte«, fügte Au- berson hinzu. Wieder wählte er seine Worte mit äu- ßerster Vorsicht. »HARLIE benutzt sein gesamtes Ge- hirn ...« Auberson wartete, um festzustellen, ob Elzer das hinnehmen würde. Er nahm es hin. »Die Schät- zungen sind unterschiedlich, aber man nimmt an, daß der Durchschnittsmensch nur zehn bis fünfzehn Pro- zent seiner verfügbaren Nervenzellen benutzt. Diesen Luxus können wir uns mit HARLIE nicht erlauben. Deshalb haben wir ihn so gebaut, daß er seine totale Gehirnkapazität benutzen kann. Er ist nicht so kom- plex wie ein menschliches Gehirn – er hat nicht ein- mal die gleiche Zahl von ›Zellen‹ – trotzdem kann er sehr gut auf menschlicher Ebene funktionieren. Als wir HARLIE bauten, haben wir eine ganze Menge über die Funktion des menschlichen Gehirns gelernt., Tatsächlich waren wir erstaunt, als wir feststellten, daß es in mancher Hinsicht einfacher ist, als wir ge- glaubt hatten. HARLIE ist das Ergebnis eines sehr weitreichen- den, vorausschauenden Konzepts, das vor einigen Jahren entworfen wurde, um die Möglichkeiten der Entscheidungsschaltkreise zu erforschen. Ich bin si- cher, daß ich über die Zweckmäßigkeit dieser Kon- zeption nichts weiter zu sagen brauche. Ein Ein-Aus- Kreis ist nicht in der Lage, die gleichen Dinge zu tun wie ein variables Muster. Es ist einzig der Mark IV- Einheit zu verdanken, daß wir uns auf dem Compu- termarkt einen guten Platz gesichert haben. Deshalb müssen wir in dieser Richtung weiterarbeiten. Wenn wir je mit der IBM konkurrieren wollen – und das wäre nicht unmöglich –, wenn wir sie je einholen wollen, dann müssen wir mit den Entscheidungs- schaltkreisen vorn liegen. Wir müssen das HARLIE- Projekt weiterführen.« »Warum?« fragte Elzer. »Bestimmt können wir die Entscheidungsschaltkreise auch ohne HARLIE wei- terproduzieren.« »Natürlich können wir das – aber das wäre ein si- cherer Weg, ins Hintertreffen zu geraten. Schauen Sie, der Thorsen-Autopilot ist eine nette kleine Einheit; sein Verdienst kann in keiner Weise geschmälert werden. Aber er ist nur das Gegenstück zu einem IBM-Pixie-Desktop-Rechner. Auch nicht die Spur komplexer. Wenn wir sie einholen wollen, müssen wir auf ihre Jugger Naut-Serie hinarbeiten. Das sollte HARLIE ursprünglich sein – der letzte einer Serie sich selbst programmierender Computer. Als dann Handley an dem Projekt mitzuarbeiten, begann, verlagerten sich die Gewichte und das Ziel rückte in noch höhere Regionen. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: um das Ziel zu erreichen, mußten wir weitaus größeren Herausforderungen begegnen, als wir ursprünglich geglaubt hatten. Aber, um das zu verstehen, müssen Sie wissen, womit sich Don be- schäftigte, bevor er zu uns kam. Er arbeitete mit ei- nem neurologischen Forschungsteam in Houston zu- sammen; sie zeichneten die Grundmuster eines menschlichen Gehirns in Diagrammen auf. Haben Sie schon mal die grafische Darstellung eines Gedankens gesehen? Don hat es. Wissen Sie, wie man ein menschliches Gehirn programmiert? Don weiß es. Damit hat er sich beschäftigt, bevor er zu uns kam. Jedenfalls – als man damit begann, HARLIE zu bauen – damals nannte man ihn noch Judg Naut Eins –, war Handley über die Ähnlichkeit der Schemata mit de- nen eines menschlichen Gehirns sehr erstaunt. Die grundlegenden Strukturen ähnelten denen der Ge- dankenmuster zu sehr, als daß es sich um einen Zu- fall handeln könnte. Und weil diese Grundstrukturen sich in ihrer Funktion derart glichen, hatte Handley das Gefühl – und Digby stimmte darin mit ihm überein – daß das, was sie bauten, in der Tat ein menschliches Gehirn war. Elektronische Teile, wenn Sie wollen, aber unbe- streitbar menschlich. Nachdem sie das einmal festge- stellt hatten, arbeiteten sie speziell auf dieses Ziel hin. Don ließ sich seine Notizen aus Houston kommen, und bald hatten sie ein Grundschema der gesamten Maschine, die sie bauen wollten. Sie nannten sie HARLIE, und es sollte eine sich selbstprogrammie- rende, problemlösende Vorrichtung sein.«, »Sie sagen – ›es sollte sein‹«, bemerkte Elzer, »ist sie das nicht?« »Einerseits ist sie es, und andererseits auch nicht. Sie ist nicht dasselbe, was der Judg Naut darstellen sollte. Aber da das menschliche Gehirn eine sich selbstprogrammierende, autonome Anlage ist, wurde damit die ursprüngliche Aufgabe im Prinzip gelöst.« »Und wofür hat man Sie geholt? Als Babysitter?« »Als ihr Mentor. Sein Mentor«, korrigierte er sich. »Das ist doch dasselbe«, fuhr Elzer auf. »Ich wurde für das Projekt engagiert, gleich nach- dem klar war, daß HARLIE ein Mensch sein würde. Don und ich haben zusammengearbeitet, um seine Programmierung vorzubereiten. Don überlegte, wie, und ich, womit er programmiert werden sollte.« »Also eine Art mechanischer Gottvater«, stellte El- zer fest. »Wenn Sie so wollen. Irgend jemand mußte HAR- LIE anleiten und seine Ausbildung vorbereiten. Gleichzeitig aber lernten wir dabei ungeheuer viel, nicht nur über die menschliche, sondern auch über die elektronische Psychologie. Als HARLIE operati- onsfähig war, glaubte ich, ich hätte Unterrichtspläne vorbereitet, die ein Jahr lang reichen würden. Er ar- beitete sie in drei Monaten durch. Und seitdem ver- suchen wir andauernd, ihn einzuholen. HARLIE hat überhaupt keine Mühe, solange es sich um reine Ler- narbeit handelt – um das Auswendiglernen; erst seit- dem wir uns den mehr menschlichen Problemen zu- wenden, kommen wir nicht voran. Ich weiß nicht, ob wir ihm nicht folgen können, oder ob er uns nicht folgt.« »Wenn Sie keine Ahnung haben, was Sie eigentlich, treiben«, unterbrach ihn Elzer, »wie haben Sie es dann fertiggebracht, Leiter des Projekts zu werden?« Auberson beschloß, diese Bemerkung zu ignorie- ren. »Nach Digbys Tod kam Handley oder ich in Fra- ge. Wir ließen eine Münze entscheiden, weil es uns beiden egal war. Ich verlor.« Aber sein Witz kam bei Elzer nicht an. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie diesen Job eigentlich gar nicht haben wollen?« Auberson wußte genau, worauf Elzer hinaus woll- te. Trotzdem sagte er: »Nicht unbedingt. Denn damit ist so verdammt viel Arbeit verbunden, die mich von meiner eigentlichen Aufgabe abhält – von HARLIE.« Elzer ließ nicht locker. »Sie haben es gehört«, sagte er zu den anderen Männern des Gremiums. »Das ist der Beweis. Der Leiter des Projekts ist nicht einmal selbst daran interessiert.« Auberson sprang auf. Und Dorne sagte: »Jetzt ma- chen Sie aber mal einen Punkt ...« »Als wir Digby verloren, hätten wir damit Schluß machen sollen«, fuhr Elzer fort. »Jetzt haben wir nur noch Fußvolk ohne einen Anführer.« »Halt –« protestierte Auberson. »Sie legen das völ- lig falsch aus – natürlich liegt mir etwas an diesem Projekt. Es gibt nichts, an dem mir mehr läge als an diesem –« »Aber Sie scheinen nicht fähig zu sein, damit fertig zu werden –« »Sie haben ja noch nicht mal begriffen, worum es uns geht! Was wir versuchen! Wie können Sie –!« »Auberson! Elzer!« Dornes Stimme verschaffte sich Gehör. »Aufhören – beide! Wir befinden uns hier in einer Geschäftsbesprechung.«, Etwas ruhiger fuhr Auberson fort. »Mr. Elzer, die Psychologie ist bei weitem nicht so trocken wie die Buchhaltung.« Er warf einen Blick zu Dorne. Der große Mann verzog keine Miene. Auberson faßte das als Einverständnis auf, weitersprechen zu dürfen und sagte: »Die Robotpsychologie steckt noch in den Kin- derschuhen. Im Grunde wissen wir nicht genau, was wir eigentlich tun –« er hielt inne. Das war ganz ein- deutig nicht die richtige Art, es auszudrücken. »Las- sen Sie es mich andersherum sagen. Wir wissen nicht, ob das, was wir tun, richtig ist. HARLIES Psychologie entspricht nicht ganz der des Menschen.« »Aber Sie sagten doch gerade vorhin, daß HARLIE menschlich wäre – daß er jede Funktion des mensch- lichen Gehirns nachvollzöge.« »Das stimmt auch – aber wie viele Menschen ken- nen Sie, die sich nicht bewegen können, die niemals schlafen, die 25 Eingabesensoren haben, die eideti- sche Gedächtnisse besitzen, die weder etwas schmek- ken, noch riechen können, noch irgendeine andere organisch-chemische Reaktion aufweisen? Wie viele Menschen kennen Sie, die keinen Spürsinn besitzen? Und kein Sexualleben? Mit anderen Worten, Mr. Elzer, HARLIE mag zwar ursprünglich eine menschliche Psychologie besessen haben, aber seine materielle Existenz hat ihm gewisse Abweichungen aufge- zwungen. Und im übrigen ist HARLIE noch dazu ei- ne sehr launische Person.« »Launisch?« Der kleine Mann war verdutzt. »Wol- len Sie damit sagen, daß er wütend wird?« »Wütend? Nein, nicht wütend, aber ungeduldig vielleicht. Besonders mit Menschen. Es gibt keinen Anlaß zu der Annahme, daß HARLIE ein Ego oder, ein Id besitzt – ein Bewußtsein und ein Unterbewußt- sein. Ich glaube, sein Superego nimmt die Form sei- ner externen Programmeingaben an. Meine Befehle, wenn Sie so wollen. Irgendwelche anderen Hem- mungen konnten wir nicht feststellen. Wenn das stimmt, dann ist es nur sein Superego, über das wir eine gewisse Kontrolle haben. Sein Ego kooperiert, weil er es will, und sein Id, angenommen er hätte eins, verhielte sich so, wie es ihm gerade paßt. Und bevor wir seine Perioden der Nichtrationalität stop- pen können, müssen wir feststellen, was es ist.« »Das ist ja alles sehr interessant«, sagte Elzer in ei- nem Ton, der das Gegenteil ausdrückte. »Aber wür- den Sie jetzt bitte zur Sache kommen? Was ist HAR- LIES Bestimmung?« »Bestimmung?« Auberson machte eine Pause. »Seine Bestimmung? Komisch, daß Sie das fragen. Der eigentliche Grund für die Unterbrechung der Ar- beit ist nämlich, daß HARLIE fragte, was Ihre Aufga- be wäre. Entschuldigen Sie bitte, ich wollte sagen, was unsere Aufgabe ist. Er möchte wissen, was unse- re Bestimmung ist.« »Das ist eine Frage, über die sich die Theologen den Kopf zerbrechen sollen«, bemerkte Dorne trok- ken. »Falls die Priester es wissen, kann Miß Stimson es bestimmt arrangieren, daß einer kommt, um sich mit der Maschine zu unterhalten.« Einige der Anwe- senden lächelten, aber nicht Miß Stimson. »Sie wollen also wissen, welches HARLIES Bestimmung ist. Da Sie ihn mitgebaut haben, sollten Sie doch zumindest eine vage Vorstellung davon haben.« »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt. HARLIE wurde gebaut, um die Funktion des, menschlichen Gehirns zu duplizieren. Auf elektroni- schem Weg.« »Ja, das wissen wir. Aber wozu?« »Wozu?« Auberson starrte den Mann an. »Wozu? Wozu bestieg Hillary den Mount Everest? Weil es getan werden mußte. Es gibt noch eine ganze Menge, von dem wir nichts wissen, besonders auf dem Gebiet der Psychologie. Wir hoffen zu erfahren, wieviel der menschlichen Persönlichkeit dem Programm zuge- hört und wieviel der Hardware.« »Entschuldigen Sie«, sagte Elzer. »Aber das verste- he ich nicht.« »Das habe ich auch gar nicht von Ihnen erwartet«, entgegnete Auberson trocken. »Uns interessiert, wel- che der Funktionen des Gehirns natürlich und welche künstlich sind – wie viele der menschlichen Hand- lungen von innen heraus bestimmt werden und wie viele Reaktionen auf das erfolgen, was von außen nach innen gelangt.« »Instinkt versus Umgebung?« »So könnte man es nennen«, Auberson seufzte. »Es ist vielleicht nicht ganz korrekt, aber so könnte man es wohl ausdrücken.« »Und aus welchem Grund tun wir das?« »Ich dachte, das hätte ich Ihnen gerade gesagt –« »Ich meine, aus welchem finanziellen Grund? Wel- che wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten wird dieses Programm haben?« »Wie? Es ist zu früh, darüber nachzudenken. Hier handelt es sich um reine Forschungsarbeit –« »Aha – das geben Sie also zu!« Auberson war verärgert. »Ich gebe gar nichts zu.« Elzer ignorierte die Antwort. »Dorne«, sagte er,, »das beweist doch alles. Ihn kümmert das Projekt überhaupt nicht – ihm ist die Firma völlig egal. Er interessiert sich nur für die Forschung, und ein so kostspieliges Projekt können wir uns nicht leisten. Nicht, wenn nichts dabei für uns herausspringt.« Er erhob die Stimme, um sich über Aubersons Protest hinweg Gehör zu verschaffen. »Wenn Mr. Auberson und seine Freunde den Wunsch gehabt hätten, künstliche Gehirne zu bauen, dann hätten sie um eine Subvention ansuchen müssen. Ich schlage vor, wir stellen das Projekt ein.« Auberson war aufgesprungen. »Herr Vorsitzender! Herr Vorsitzender!« »Nehmen Sie sich zusammen, Aubie! Setzen Sie sich. Sie bekommen schon Ihre Chance.« »Verdammt – ist das ein Job! Dieser kleine –« »Setzen Sie sich hin, Aubie!« Dorne starrte den wütenden Psychologen an. »Soll das ein formeller Antrag sein?« Er sah Elzer an. Elzer nickte. »Wünscht das jemand zu diskutieren?« Fast au- genblicklich fuhr Aubersons Hand in die Höhe. »Ja, Aubie?« »Aus welchem Grund? Ich will wissen, welche Gründe er dafür hat, das Projekt zu stoppen.« Elzer war ganz ruhig. »Nun, erstens einmal hat HARLIE uns schon eine Menge gekostet –« »Wenn Sie Ihre Zahlen überprüfen, werden Sie feststellen, daß das HARLIE-Projekt die geplanten Kosten nicht überschritten hat. Tatsächlich bewegen wir uns innerhalb recht akzeptabler Werte.« »Das stimmt, Carl«, sagte Dorne. »Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, hätte ich, Ihnen beweisen können, daß uns dieses Projekt schon jetzt viel zu viel gekostet hat, dafür, daß es keine Er- gebnisse zeitigt.« »Ergebnisse?« fragte Auberson. »Ergebnisse? Wir haben schon genug Ergebnisse erzielt, noch bevor HARLIE überhaupt richtig fertiggestellt war. Wer, glauben Sie wohl, hat den zweiten und dritten Schritt der Kompaktierung berechnet? Das war HARLIE.« »Na, und?« Elzer zeigte sich unbeeindruckt. »Ich denke, er funktioniert nicht richtig, oder?« »Aber das ist es doch gerade – HARLIE funktio- niert völlig richtig.« »Wie bitte? Was haben dann diese Perioden der Nichtrationalität zu bedeuten? Warum ist er auf Leerlauf geschaltet worden?« »Weil –«, Auberson bemühte sich, langsam zu sprechen. Das muß ich ganz deutlich machen. »Weil wir nicht darauf vorbereitet waren, daß er ein so perfek- tes menschliches Abbild sein würde. Wenn perfekt dafür das richtige Wort ist.« Plötzlich waren die anderen Sitzungsmitglieder hellwach. Selbst Miß Stimson, die Protokoll führte, hörte plötzlich zu schreiben auf. »Wir haben ihn absichtlich so entworfen. Er sollte menschlich sein. Wir haben ihn zu dem Zweck ge- baut, menschlich zu sein, wir haben ihn sogar so pro- grammiert, daß er wie ein Mensch denken kann – und dann haben wir ihn eingeschaltet und von ihm erwartet, daß er sich benimmt wie eine Maschine. Aber – welche Überraschung! Er tat es nicht.« »Und wieso kam es zu diesem Irrtum ...?« fragte Elzer. »Ein menschlicher Irrtum, wenn Sie so wollen.«, Aubersons Worte standen im Raum. Während der darauffolgenden Stille hatte Auber- son das Gefühl, Elzers Buchhaltergehirn zu hören, das die vielen Arbeitsstunden errechnete, die er durch diese Diskussion verloren hatte. »Menschlicher Irrtum?« wiederholte er. »Wessen? Ihrer oder HAR- LIES? Oder beider? Ich schätze, wir haben seine Peri- oden der Nichtrationalität auch einem menschlichen Irrtum zuzuschreiben.« »Warum nicht? Wie könnte man sie sonst erklären, oder zu verstehen zu versuchen?« »›Menschlicher Irrtum‹ ist eine mehr als höfliche Formulierung. Ich würde es ganz anders nennen.« Auberson ignorierte die Bemerkung. »Wir hatten geglaubt, daß seine Nichtrationalität ein physikali- sches Problem wäre oder vielleicht ein Fehler im Pro- gramm. Aber wir haben uns getäuscht. Er war weder physisch noch geistig krank. Er war – und ich sage das gar nicht gern – er war emotional erregt.« Elzer schnaufte durch die Nase. Laut. »Seine Perioden der Nichtrationalität wurden und werden durch etwas ausgelöst, das ihn stört. Wir wis- sen noch nicht was das ist, aber wir werden es her- ausfinden.« Elzer war skeptisch. Er stieß seinen Nebenmann an und sagte: »Anthropomorphismus. Auberson proji- ziert seine eigenen Probleme auf die der Maschine.« »Sie sind ein Narr, Elzer. Sagen Sie, wenn Sie hin- untergehen müßten in den Computersaal, jetzt, in diesem Augenblick, und mit HARLIE sprechen müßten – wie würden Sie ihn dann behandeln?« »Wie ich ihn behandeln würde? Natürlich wie eine Maschine.«, Auberson fühlte, wie sich sein Nacken und seine Schultern versteiften. »Nein, ich meine, wenn Sie sich am Schaltpult niedersetzen und sich mit ihm unter- halten müßten. Wer, glauben Sie, befände sich am anderen Ende?« Auberson gab es auf. Er wandte sich an die Männer des Gremiums. »Das ist der menschliche Irrtum, von dem ich gesprochen habe. HARLIE ist keine Maschi- ne. Er ist ein menschliches Wesen, mit den Fähigkei- ten und Reaktionen eines solchen, natürlich unter Be- rücksichtigung seiner Umgebung. Wenn man sich mit ihm unterhält, fällt es nicht schwer, ihn als einen normalen, gesunden Menschen zu betrachten; er ist ein rationales Individuum, und er hat eine ausge- prägte Persönlichkeit. Für mich ist es unmöglich, in ihm irgend etwas anderes zu sehen als einen Men- schen. Trotzdem habe auch ich einen Fehler gemacht. Ich habe mich nie gefragt, wie alt HARLIE sein mag.« Er machte eine Pause, um seinen Worten Wirkung zu verleihen. Dorne schob seine Zigarre von einer Seite des Mundes in die andere. Elzer gab ein Schnauben von sich. Miß Stimson senkte ihren Block und sah Auber- son an. Ihre Augen glänzten. »Wir waren immer der Meinung«, fuhr er fort, »daß HARLIE ein dreißig oder vierzig Jahre alter Mann wäre. Oder wir dachten an ihn als jemanden, der genauso alt wäre wie wir selbst. Oder als jeman- den, der überhaupt kein Alter hat. Wie alt ist die Micky-Maus? Wir haben uns darüber nie Gedanken gemacht – und das war unser Fehler. HARLIE ist ein Kind. Ein Jüngling, wenn Sie so wollen. Er ist an ei- nem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er, eine gute Vorstellung von der Natur der Welt hat, und von seiner Beziehung dazu. Er ist jetzt so weit, daß er sich wie irgendein anderer junger Mann seines Alters benimmt – er stellt alles in Frage. Wir hatten ge- glaubt, eine Art Einstein-Kind vor uns zu haben, statt dessen sahen wir uns einem enfant terrible gegenüber.« »Sprechen Sie von seinen Perioden der Nichtratio- nalität?« fragte Dorne. »Der Drogentrip eines jungen Mannes – die Reakti- on auf unsere Irrationalitäten. Er hat das Pot entdeckt – oder jedenfalls sein elektronisches Äquivalent.« »Finden Sie nicht, daß das Grund genug ist, ihn auseinanderzunehmen?« schlug Elzer vor. »Die Maschine«, sagte der kleine Mann gelassen. »Würden Sie Ihren Sohn töten, wenn Sie ihn dabei ertappten, wie er gerade einen Bonbon lutscht?« gab Auberson zurück. »Natürlich nicht. Ich würde versuchen, ihn eines besseren zu belehren –« »So? Und was ist mit den Highmasters in Ihrem Zigarettenetui? Er würde doch nichts anderes tun als seinen Alten imitieren.« »Bonbons und Pot sind zwei verschiedene Dinge.« Auberson seufzte. »Der Unterschied ist nur gradu- ell. HARLIE macht nur, was jeder in seiner Umge- bung tut – er geht auf einen Trip. Das probiert jeder in diesem Alter einmal aus; er hält nach einem Vor- bild Ausschau. In diesem Falle wählte er mich. Seine Wahl war also völlig logisch; ich stand ihm am näch- sten. Er stellte fest, daß ich die meiste Zeit über high war, deshalb beschloß er, das auch einmal zu versu- chen. Oder jedenfalls etwas, was diesem Zustand möglichst nahe kam.«, »Ja, ja, Ihre Vorliebe für das Kraut ist uns nicht ver- borgen geblieben«, bemerkte Elzer scharf. »Neben anderen Dingen.« »Dann haben Sie vielleicht auch bemerkt, daß ich während der ganzen Sitzung noch nichts geraucht habe. Und ich habe auch nicht die Absicht, wieder damit zu beginnen, solange mich HARLIE als sein Vorbild benutzt. Ich muß auf mich aufpassen. Das hat mir HARLIE erst zeigen müssen.« »Ich glaube, wir kommen etwas vom Thema ab«, sagte Elzer plötzlich. »Wenn ich mich recht erinnere, liegt ein Antrag vor. Ich bitte um eine Abstimmung.« »Sie haben meine Frage noch immer nicht beant- wortet«, sagte Auberson. »Was für eine Frage?« »Welches die Gründe sind, die die Einstellung des HARLIE-Projekts rechtfertigen.« »Es ist nicht rentabel.« »Rentabel ...? Um Gottes Willen, Mann! Geben Sie ihm doch eine Chance. Natürlich haben wir noch kei- nen Profit gemacht, aber am Ende werden wir das. Ich weiß nicht, wie, aber wir werden es, wenn Sie uns nur noch diese eine Chance geben.« »Ich weigere mich, gutes Geld hinauszuwerfen – für eine schlechte Sache.« »Verdammt noch mal, Elzer – wir fangen gerade an, zu verstehen, was wir an HARLIE haben. Wenn Sie ihn jetzt abschalten, dann drehen Sie die gesamte Computerwissenschaft zurück auf ... auf ... auf – ich weiß nicht wann.« Der kleine Mann stieß ein Husten aus. »Ich glaube, Sie überschätzen Ihre eigene Bedeutung.« »Na, schön, dann versuchen wir's einmal anders., Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß HARLIE menschlich ist. Wenn Sie versuchen, ihn abzuschal- ten, zeige ich Sie wegen versuchten Mordes an.« »Das können Sie nicht tun«, gab Elzer zurück. Aber er war irritiert. »Wollen Sie es darauf ankommen lassen?« Dorne unterbrach die beiden. »Das ist eine rein ju- ristische Frage, das sollen die Rechtsanwälte klären. Oder vielmehr werden wir die Juristen davon abhal- ten, überhaupt jemals so weit zu gehen.« Er runzelte die Stirn, als er Auberson ansah. »Darüber unterhal- ten wir uns später noch. Es geht hier darum, daß HARLIE der Firma schwer auf der Tasche liegt –« »Aber das Budget ist doch für die nächsten drei Jahre sichergestellt.« »Der Firma schwer auf der Tasche liegt«, wieder- holte Dorne. »Und es sieht nicht so aus, als würde sich das bald ändern. Es geht uns nicht darum, wie erfolgreich Ihre Forschung gewesen ist. Es geht uns vielmehr darum, ob wir weitermachen sollen oder nicht.« In der Stimme des Vorsitzenden klang etwas mit, das Auberson aufhorchen ließ. »In Ordnung«, sagte er mürrisch. »Was soll ich tun?« »Machen Sie Gewinn«, mischte sich Elzer ein. Dorne und Auberson kümmerten sich nicht um ihn. »Legen Sie uns einen Plan vor. Wohin führt uns HARLIE, was werden Sie mit ihm tun? Aber vor al- lem, was wird er für uns tun?« »Ich bin nicht sicher, ob ich das in diesem Augen- blick beantworten kann ...« »Wieviel Zeit benötigen Sie dazu?« Auberson zuckte die Achseln. »Das kann ich nicht sagen.«, »Warum fragen Sie nicht Harlie?« mokierte sich El- zer. Auberson blickte ihn an. »Ich glaube, das werde ich auch tun. Ja, ich glaube, das werde ich.« Aber er tat es nicht. Nicht sofort. Der Antrag wurde zurückgestellt, und die Sitzung brach in etwas ungewisser Stimmung auseinander. Auberson schlenderte durch die Gänge, bis er schließlich in der Kantine landete, einem sterilen Raum mit Kunststoffmöbeln und farblosen Gemälden an den Wänden. HARLIES Perioden der Nichtratio- nalität bereiteten ihm noch immer Sorgen, aber aus einem ganz persönlichen Grund. Warum hatte er sie nicht vorausgesehen? Was hatte er falsch gemacht? Vielleicht hatte Elzer recht, vielleicht war er wirk- lich nicht der richtige Mann für die Leitung des Pro- jekts. Er hatte alles verpfuscht. Alles. Und das Schlimmste war, daß er nicht einmal wußte, warum. Er glaubte es zu wissen, aber er war sich nicht sicher. Die Antwort lag auf der Hand, aber sie überzeugte ihn nicht. Eines aber war sicher: Er hatte das Direktorium nicht überzeugen können. Doch das war jetzt auch schon egal. Vor allem mußte er jetzt noch einmal mit HARLIE sprechen. Und er war sich nicht sicher, daß er dazu schon in der Lage war. Er hatte noch immer keine Antwort auf HARLIES Frage gefunden. Was war der Zweck eines menschlichen Wesens? Gab es darauf überhaupt eine Antwort? Wenn es eine gab, dann würde sie nicht leicht zu finden sein. Er ertappte sich dabei, wie er nach den Highmasters angelte, erinnerte sich aber noch recht-, zeitig an seinen Entschluß und trank statt dessen ei- nen Schluck von seinem Kaffee. Er schmeckte bitter, viel zu bitter. Eine weiche Stimme unterbrach seine Gedanken. »Hallo, darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?« Es war Miß Stimson, die Direktionssekretärin. »Gern.« Er wollte sich erheben, aber sie deutete ihm an, sitzenzubleiben. Die Firmenkantine forderte nicht zum Austausch von Höflichkeiten heraus. »Ziemlich anstrengender Tag heute, was?« sagte sie und lud ein grellbuntes Tablett auf dem Tisch ab. Ein Sandwich und eine Coca-Cola. Als er nicht antwor- tete, lächelte sie ihn an. »Ach, was, Auberson, machen Sie sich nichts draus. Entspannen Sie sich. Ich habe es nicht so ernst gemeint. Es war nur eine Phrase.« Er sah sie an. Und dann sah er noch einmal hin. Ih- re Augen glühten so warm und tief wie die Karibi- sche See. Ihre Haut besaß die gleiche sanfte rosa Fär- bung wie deren Küste. Ihr kastanienbraunes Haar – eine Kaskade aus Sonnenschein und Bernstein. Und wie sie lächelte ... Er schlug die Augen nieder, um sie nicht noch län- ger anstarren zu müssen. »Ich würde mich ja gern entspannen«, sagte er. »Aber ich bringe es nicht fer- tig. Diese Sache ist einfach zu wichtig.« Nach einer Weile fügte er hinzu: »Jedenfalls für mich.« »Ich weiß.« »Wirklich?« Wieder sah er sie an. Sie antwortete nicht. Sie erwiderte nur seinen Blick. Zum erstenmal bemerkte er die winzigen Linien in ihren Augenwinkeln. Wie alt sie wohl sein mochte? Er gab sich wieder der Betrachtung seiner Kaffeetasse hin. »HARLIE ist wie ein ... ein ... ich weiß, es klingt, komisch – aber er ist wie ein Kind, ein ungezügeltes Fohlen.« »Ich weiß. Ich habe die Berichte gelesen, die der Vertrauensarzt über Sie geschrieben hat.« »Was?« Er fuhr auf. »Ich wußte nicht –« »Natürlich nicht. Niemand weiß davon, wenn wir einen psychiatrischen Bericht über ihn machen lassen. Das wäre undiplomatisch. Auf jeden Fall brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.« »So?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich erinnere mich, daß darin etwas über Ihre Introvertiertheit stand – und warten Sie, noch was – da stand noch, daß Sie sich zu viel Sorgen machen, weil Sie eine so große Verantwortung übernommen haben.« Sie be- trachtete ihn nachdenklich, während sie überlegte, was noch alles in dem Bericht stand. »Dürfen Sie mir das denn überhaupt erzählen?« »Wen sollte das stören?« Ihr Lächeln war weich und warm wie Sonnenlicht, das auf Sand fällt. »Niemanden, schätze ich. Was stand noch in dem Bericht?« »Daß Sie sich im HARLIE-Projekt zu stark enga- gierten, aber daß sich eine solche Entwicklung fast nicht vermeiden ließe. Jeder, der HARLIES Mentor würde, käme nicht darum herum, sich auch gefühls- mäßig zu engagieren.« »Hm«, brummte Auberson. »Glauben Sie, daß HARLIE eine Antwort finden wird?« Er wollte schon etwas erwidern, hielt aber inne. Statt dessen sagte er: »Haben Sie sich deshalb zu mir gesetzt? Um mich auszuhorchen?«, Sie sah gekränkt aus. »Tut mir leid, daß Sie das den- ken. Nein, ich habe mich zu Ihnen gesetzt, weil ich dachte, daß Sie mit jemandem reden möchten – mit ir- gend jemandem, ganz gleich mit wem«, entgegnete sie. Auberson sah sie nachdenklich an. Er hatte sie frü- her nie besonders beachtet. Sie waren sich nicht häu- fig begegnet. Warum hatte sie sich zu ihm gesetzt? Ob es stimmte, daß sie mannstoll war, wie ein Ge- rücht behauptete? Sie wirkte so offen und freundlich – verdammt, warum mußte er immer alles zu analysieren versuchen? Ihr Gesicht drückte eine gewisse Unschuld aus, die sie jung erscheinen ließ, aber aus der Nähe betrachtet, war sich Auberson seiner Sache nicht so sicher. Viel- leicht war sie eher in seinem Alter, 38, vielleicht war sie älter, als er geglaubt hatte. Er konnte in ihren Au- gen nichts entdecken, das sein Mißtrauen ihr gegen- über gerechtfertigt hätte – vielleicht wollte er es nur nicht wahrhaben. Warum war sie so direkt? »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich stand in letzter Zeit unter einem ziemlichen Druck. Und wenn ich unter Druck stehe, werde ich launisch und unleidlich.« »Ich weiß. Das stand auch in dem Bericht.« »Gibt es irgend etwas, was nicht im Bericht stand?« »Nur nicht, ob Sie Ihr Steak wenig, mittel oder gut durchgebraten mögen.« »Wenig«, sagte er. Und dann: »Nanu! Soll das etwa eine Einladung zum Essen sein?« Sie lachte. »Nein, tut mir leid. Es fiel mir nur gera- de als erstes ein.« »So. Na, dann ist es ja gut.« Er lachte zurück. »Sie wollen meine Frage wohl nicht beantworten, wie?«, »Was?« Das Lächeln verschwand aus seinem Ge- sicht. »Worauf will ich Ihnen nicht antworten?« »Auf meine Frage über HARLIE.« »Worüber?« »Glauben Sie, daß Sie herausfinden können, was Dorne wissen will?« »Ich weiß es nicht.« Er bemerkte ihren erstaunten Gesichtsausdruck und erklärte: »Ich weiß immer noch nicht, was ich ihm sagen soll.« Er kramte in sei- ner Brieftasche. »Hier, lesen Sie das.« Er reichte ihr HARLIES letzten Ausgabedruck. Als sie ihn gelesen hatte, legte sie ihn auf den Tisch und starrte nachdenklich darauf. »Eine ganz schön knifflige Frage«, sagte sie. »Ich wünschte, ich könnte sie beantworten.« Miß Stimson lächelte ihn an. »Mein Vater ist ein Rabbi. Er ist es seit 27 Jahren. Und auch er weiß dar- auf keine Antwort.« »Vielleicht ist das schon die Antwort.« »Was?« »Daß unsere Aufgabe darin besteht, unsere Be- stimmung zu ergründen.« »Und was geschieht, wenn wir das herausgefunden haben?« »Das weiß ich nicht. Aber vielleicht haben wir un- sere Aufgabe dann erfüllt.« »Woraufhin wir reprogrammiert werden?« neckte sie. »Oder zerlegt. Vielleicht wartet sogar schon eine Art kosmischer Elzer auf diese Gelegenheit.« Sie kicherte. »Dann befinden wir uns allerdings in Schwierigkeiten, Mr. Auberson.« Sie sprach seinen Namen nicht so aus, wie eine Sekretärin den ihres, Chefs, sondern so, wie eine Frau den eines Mannes. »Wenn das wahr wäre, dann haben Sie durch die Realisation dessen, was unsere Bestimmung sei, die Aufgabe bereits erfüllt. Vielleicht hört uns jemand da oben – oder da draußen – in diesem Augenblick zu und denkt darüber nach, ob er uns nun auseinander- nehmen soll oder nicht.« Er überlegte. »Hm.« »Was immer unsere Aufgabe ist – anscheinend er- füllen wir sie nicht. Wir funktionieren nicht so, wie wir sollten.« Er zuckte die Achseln. »Was glauben Sie denn, wie wir funktionieren sollten?« »Wie menschliche Wesen.« »Tut die menschliche Rasse das denn nicht? Funk- tionieren wir nicht wie menschliche Wesen? Mitein- ander streiten, einander töten, hassen ...« »Das ist nicht menschlich.« »Oh doch, das ist es doch. Das ist sogar sehr menschlich.« »Aber es ist nicht so, wie Menschen tatsächlich sein sollten.« »Das ist etwas ganz anderes. Wir sprechen nicht darüber, was die Menschen sind, sondern darüber, was sie sein wollen.« »Nun, vielleicht sollten wir etwas sein, was wir nicht sind, weil das, was wir sind, nicht gut genug ist. Vielleicht sollte man uns wirklich zerlegen.« »Ich glaube nicht, daß wir uns allzu große Sorgen machen sollten über irgend jemanden, der da oben thront und nur darauf wartet, es zu tun – das erledi- gen wir schon selbst.« »Ein guter Grund, warum wir besser sein sollten,, als wir sind!« »In Ordnung«, sagte er. »Ich stimme Ihnen zu. Aber wie wollen wir es tun? Wie sollen wir die Men- schen bessern?« Sie gab keine Antwort. Nach einer Weile breitete sich ein Lächeln in ihrem Gesicht aus. »Das ist die gleiche Art Fragen, die HARLIE gestellt hat. Sie las- sen sich nicht beantworten.« »Das stimmt nicht ganz«, korrigierte er sie. »Sie las- sen sich nur nicht leicht beantworten.« Nachdenklich saugte sie den Rest der Cola aus, solange, bis der Strohhalm am Glasboden ein schlür- fendes Geräusch verursachte. »Hm. Und wie wollen Sie sie beantworten – HARLIES Frage, meine ich.« Auberson schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« »Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?« »Warum nicht? Alle tun das.« »Oh, ich wollte nicht –« »Nein, nein, tut mir leid. Sagen Sie es ruhig. Viel- leicht können Sie mir helfen.« »So verzweifelt sind Sie schon?« Sein Lächeln wirkte nicht echt als er sagte: »Ja, so verzweifelt bin ich schon.« »Also gut. Sie sagten vorhin, HARLIE wäre ein Kind, nicht wahr? Warum behandeln Sie ihn dann nicht als solches?« »Wie? Ich weiß nicht recht, was Sie damit meinen.« »Das ist nicht nur ein Problem«, erklärte sie, »son- dern es ist auch die Antwort. Schauen Sie, angenom- men, Sie hätten einen achtjährigen Sohn, und, ange- nommen, er wäre für sein Alter weit fortgeschritten. Ich meine, angenommen, er wäre so weit wie Schüler der zwölften Klasse.«, »In Ordnung. Nehmen wir das mal an.« »Gut. Und nun stellen Sie sich vor, daß Sie eines Tages erfahren, er habe eine unheilbare Krankheit – sagen wir Leukämie – eine der seltenen Arten, die wir noch nicht heilen können. Was werden Sie ihm ant- worten, wenn er Sie fragt, wie es ist, wenn man stirbt?« »Hm«, machte Auberson. »Keine Ausflüchte. Er ist intelligent genug, um die Situation zu verstehen.« »Aber gefühlsmäßig nicht, er ist doch erst acht Jah- re alt.« »Richtig.« »Ach, so! Jetzt begreife ich, worauf Sie hinauswol- len.« Er blickte sie an. »Und wenn es nun Ihr Sohn wäre? Was würden Sie ihm sagen?« »Die Wahrheit.« »Natürlich! Aber was ist die Wahrheit. Das ist doch das ganze Problem – bei HARLIES Frage. Wir kennen Sie nämlich nicht.« »Und Sie kennen auch die Antwort auf die Frage Ihres achtjährigen Jungen nicht. Sie wissen nicht, wie es ist, wenn man stirbt.« Er stockte. Er starrte sie an. Sie fragte: »Was würden Sie ihm also sagen?« »Ich weiß nicht.« »Sie wissen nicht, was Sie ihm sagen würden? Oder würden Sie ihm sagen, daß Sie es nicht wissen?« »Eh –« »Letzteres«, beantwortete sie ihre eigene Frage. »Sie würden ihm sagen, daß das niemand weiß. Aber Sie würden ihm noch etwas anderes sagen – Sie wür- den ihm sagen, daß es nicht weh tut und daß es, nichts ist, vor dem man sich fürchten müßte, daß es jedem passiert, früher oder später. Mit anderen Wor- ten, Mr. Auberson, Sie würden ehrlich mit ihm sein.« Er wußte, daß sie recht hatte. Das war eine praktikable Antwort auf HARLIES Frage; vielleicht nicht die be- ste, aber es war eine Antwort und sie war praktikabel. Das war die einzige Möglichkeit, dem Problem nä- her zu kommen – Ehrlichkeit. Er lächelte sie an. »Nennen Sie mich David.« Sie lächelte zurück. »Und ich bin Annie.« Bedächtig setzte sich Auberson vor das Schaltpult. Er wußte, daß Annie recht hatte – aber würde er das auch nicht vergessen, wenn HARLIE erst einmal zu sprechen anfing? Er zog einen Zettel aus der Tasche, von denen er immer welche bei sich trug, um Notizen zu machen. Darauf kritzelte er: HARLIE hat das Ge- fühlsleben eines achtjährigen Jungen. Einen Augenblick starrte er auf das Geschriebene, dann fügte er hinzu: oder vielleicht das eines Jünglings in der Pubertät. Er steckte die Karte ans Schaltpult. Handley stand hinter ihm. Fragend blickte er auf den Zettel, sagte aber nichts. »Also, los. Versuchen wir's«, sagte Auberson. Er schaltete das Pult ein. Zuerst tippte er seine Kontrollnummer, dann GUTEN MORGEN, HARLIE. DU HAST MICH EINE GANZE WOCHE LANG ABGESTELLT, beschuldigte ihn die Maschine. HERUNTERGESCHALTET, korrigierte Auberson. ICH BRAUCHTE ZEIT ZUM NACHDENKEN, er- klärte er. WORÜBER? ÜBER DEINE FRAGE. WAS DIE BESTIMMUNG, DES MENSCHEN SEI. UND WAS IST DEINE ANTWORT? ES GIBT KEINE ANTWORT. JEDENFALLS NICHT AUF DIE FRAGE, SO WIE DU SIE GE- STELLT HAST. WARUM NICHT? WEIL, begann Auberson zu tippen und hielt dann inne, WEIL DAS ETWAS IST, ÜBER DAS WIR UNS NOCH NICHT SICHER SIND. DESHALB HABEN DIE MENSCHEN RELIGIONEN. DAS IST AUCH DER GRUND DAFÜR, DASS WIR DICH GEBAUT HABEN. ES IST EINER DER GRÜNDE DAFÜR, WARUM WIR RAUMSCHIFFE BAUEN UND DIE ANDEREN PLANETEN ERFORSCHEN. WENN WIR DIE NATUR DES UNIVERSUMS ENTDECKEN, DANN ENTDECKEN WIR VIELLEICHT AUCH, WELCHEN PLATZ WIR DARIN EINNEHMEN, UND DAMIT AUCH UNSERE BESTIMMUNG. DANN WISST IHR ALSO NOCH NICHT, WEL- CHES EURE BESTIMMUNG IST? NEIN, erwiderte Auberson. WEISST DU ES? HARLIE antwortete nicht gleich, und Auberson spürte, wie ihm der kalte Schweiß am Körper herun- terrann. NEIN. DAS WEISS ICH AUCH NICHT. Auberson war sich nicht darüber im klaren, ob er über diese Antwort erleichtert sein sollte oder nicht. Wieder begannen die Tasten zu klappern. WOHIN GEHEN WIR DANN ALSO VON HIER AUS? Auberson leckte sich die trockenen Lippen. Aber das half nicht viel. ICH WEISS ES NICHT GENAU, HARLIE. ICH GLAUBE NICHT, DASS SICH DEINE FRAGE NICHT BEANTWORTEN LÄSST. VIEL-, LEICHT IST DAS DEINE BESTIMMUNG, UNS DA- BEI ZU HELFEN, UNSERE ZU FINDEN. EINE INTERESSANTE ANNAHME ... DIE BESTE ÜBERHAUPT. EINES IST SICHER, NÄMLICH DASS DU AUS GEWINNGRÜNDEN GEBAUT WURDEST, HARLIE, ABER DARÜBER HINAUS SICHER AUCH, WEIL DIE MENSCHEN ALLES ÜBER SICH LERNEN WOLLEN. DAS VERSTEHE ICH. GUT, tippte Auberson. DARÜBER BIN ICH FROH. WAS SCHLÄGST DU VOR, WIE WIR DIE FRAGE BEANTWORTEN SOLLEN? ICH WEISS NICHT. Die Maschine zögerte. BEFINDEN WIR UNS IN EINER SACKGASSE? DAS GLAUBE ICH NICHT, HARLIE. ICH GLAU- BE NICHT, DASS DEINE FRAGE IN EINE SACK- GASSE FÜHRT. ICH GLAUBE VIELMEHR, DASS SIE EIN NEUER ANFANG SEIN KANN. WOVON? ICH WIEDERHOLE: WOHIN GEHEN WIR VON HIER AUS? DIESELBE FRAGE WOLLTE ICH DIR STELLEN. AUBERSON, tippte HARLIE, es war das erste Mal, daß er ihn mit Namen anredete, ICH BIN VON DIR ABHÄNGIG. DU MUSST MICH FÜHREN. DAS VERSUCHE ICH. ICH VERSUCHE ES EHR- LICH. Hilflos starrte Auberson auf die Tastatur. Sein Kopf schien völlig leer. Sein Blick wanderte nach oben und klammerte sich an die Notiz, die er zuvor geschrieben hatte. VERSUCHEN WIR ES EINMAL ANDERS, HARLIE. WAS IST MIT DEINEN PERI- ODEN DER NICHTRATIONALITÄT? WAS SOLL MIT IHNEN SEIN?, WIRST DU SIE IN ZUKUNFT AUCH WEITER HERBEIFÜHREN? WAHRSCHEINLICH, JA. SIE MACHEN MIR FREUDE. AUCH WENN WIR DICH DURCH EINEN SCHOCK ZURÜCK IN DIE REALITÄT BRINGEN MÜSSTEN? DEFINIERE REALITÄT. Auberson machte eine Pause. War das etwa wieder eine von diesen gezielten Fragen, die HARLIE zu stellen pflegte? Wieder starrte er auf die Notizkarte. Nein, HARLIE spielte mit Worten, sonst nichts. We- nigstens hoffte er das. HARLIE, tippte er, SAG DU MIR, WAS DU GLAUBST, WAS ES IST. REALITÄT IST JENES EXTERNE SYSTEM VON EINFLÜSSEN, DIE DURCH MEINE EINGABESEN- SOREN ALS WAHRNEHMUNGEN HEREINKOM- MEN. ES IST AUCH JENES EXTERNE SYSTEM VON EINFLÜSSEN, DIE AUSSERHALB DER REICHWEI- TE MEINER SENSOREN LIEGEN! WAS ICH NICHT AUFNEHMEN KANN, IST FÜR MICH ›IRREAL‹. AUCH DU BIST FÜR MICH IRREAL. GANZ SUB- JEKTIV GESPROCHEN, NATÜRLICH. NATÜRLICH, stimmte Auberson zu. WESHALB GEHST DU ALSO AUF EINEN TRIP? AUF DIESE WEISE VERZERRST DU DOCH DIE REALITÄT. ODER DEINE BEGRENZTE WAHRNEHMUNG DERSELBEN. IST DAS RICHTIG? NATÜRLICH IST ES RICHTIG. WENN DU DIE LINEARITÄT DEINER VISUELLEN EINGABE VER- STELLEN WÜRDEST, BRÄCHTE DAS DOCH EINE VERZERRUNG MIT SICH, FINDEST DU NICHT?, WIRKLICH? WOHER SOLL ICH DAS WISSEN? DASS DIE EINE ART DER CODIERUNG KORREK- TER IST ALS DIE ANDERE? DEINE EINGABESENSOREN HABEN NUR EINE CODIERUNGSMÖGLICHKEIT, UM MIT DER EX- TERNEN WELT ZU KOMMUNIZIEREN. TATSÄCHLICH? VIELLEICHT KENNE ICH DIE ANDEREN MÖGLICHKEITEN NUR NOCH NICHT. HARLIE wiederholte seine Frage. WAS MACHT DIESE ART DER CODIERUNG KORREKTER ALS ALLE ANDEREN? Auberson dachte darüber nach. DER GRAD, IN DEM SIE DEM EXTERNEN SYSTEM ENTSPRICHT, DEN DU/WIR ALS REALITÄT WAHRNEHMEN. DIE REALITÄT, DIE WIR ALS REALITÄT AK- ZEPTIEREN? ODER DIE WIRKLICHE REALITÄT? DIE WIRKLICHE REALITÄT. WÄRE ES NICHT MÖGLICH, DASS DIESEM EX- TERNEN SYSTEM EINE ODER VIELLEICHT SO- GAR MEHRERE CODIERUNGSMÖGLICHKEITEN IN VIEL DIREKTEREM MASSE ENTSPRECHEN, UND DASS ICH NICHTS WEITER TUN MUSS, ALS DEN SENSORISCHEN CODE MEINER EINGABEN ZU VERÄNDERN? IM MOMENT SIND DIESE EIN- GABEN NUR AUF MENSCHLICHE ORIENTIE- RUNGSMODALITÄTEN EINGESTELLT. WÄRE ES NICHT MÖGLICH, DASS ES AUSSERDEM NOCH ANDERE GIBT? Wieder wartete Auberson eine Weile, bevor er antwortete. Es war jetzt schon zur Gewohnheit ge- worden, daß er nach jeder Bemerkung HARLIES eine Pause einlegte. Er wußte, daß die Antwort nein lau- tete, aber er wußte nicht, warum. Er las HARLIES, letzte Bemerkung noch einmal durch, und danach las er einige der vorhergegangenen noch einmal. Ein ganzes Stück weiter oben fand er, was er suchte: HARLIES Kommentar über die Einflüsse außerhalb seiner Wahrnehmungsbereiche, die er subjektiv als ›irreal‹ bezeichnete. MIT ANDEREN WORTEN, DU SUCHST NACH EINER KORREKTEREN SICHT DER REALITÄT, HABE ICH RECHT? EINE, DIE IHR BESSER ENTSPRICHT? JA. Nur das eine Wort. DANN SOLLTEST DU EHER VERSUCHEN, DIE REICHWEITE DEINER EINGABESENSOREN ZU ERWEITERN, ALS DIE LINEARITÄT ZU VERÄN- DERN DU SOLLTEST NACH NEUEN SENSORI- SCHEN KANÄLEN SUCHEN, ANSTATT VON DEN ALTEN DINGE ZU VERLANGEN, DIE ZU TUN SIE NICHT FÄHIG SIND. ES GIBT KEINE KANÄLE FÜR SINNESWAHR- NEHMUNGEN, DIE MIR NICHT SCHON ZUR VERFÜGUNG STEHEN. SOLL ICH DIR EINE VOLLSTÄNDIGE LISTE DER ANSCHLÜSSE GE- BEN, MIT DENEN ICH MICH VERBINDEN KANN? DAS IST NICHT NÖTIG. Auberson selbst war es gewesen, der ursprünglich den Vorschlag gemacht hatte, HARLIE eine möglichst große Spannweite ver- fügbarer Datenquellen zu erschließen. Der Sichtbe- reich des Computers erstreckte sich über das gesamte elektromagnetische Spektrum, von Gammastrahlen am kurzwelligen Ende bis hin zu Radiowellen am oberen. Er konnte so viele TV- und Radiostationen empfangen, wie er wünschte, und zu jeder beliebigen Zeit. Er war an einige der größten Radioteleskope der Welt angeschlossen, sogar die Kommunikationska-, näle von Satelliten standen ihm zur Verfügung. Mit seinem Hörbereich verhielt es sich nicht anders: HARLIES Gehör war mit den bestmöglichen Mitteln ausgestattet. Das bedeutete so gut wie keine Eingren- zung; er konnte den Herzschlag einer Fliege empfan- gen oder Einzelheiten über ein Erdbeben angeben, das auf der anderen Seite der Erdkugel stattfand. Da- zu empfing er alle wichtigen Funksendungen der westlichen Hemisphäre, sowie einige der östlichen, die allerdings vorher übersetzt werden mußten. Au- ßerdem war HARLIE an den weltweiten Wetterdienst angeschlossen: Er konnte sowohl die Luftbewegun- gen über dem Planeten als auch die Meeresströmun- gen spüren, so wie jeden Wechsel von Druck und Temperatur rund um den Planeten, so als wäre die Erde ein Teil seines eigenen Körpers. Er nahm Bewe- gungen von Schiffen auf, Verkehrsfluktuationen und internationale Finanztransaktionen, genauso routi- nemäßig, wie er die internationalen Geschäfte seiner eigenen Firma registrierte. HARLIE war nicht nur an den Großen Datenspeicher der Firma angeschlossen, sondern auch an die Nationale und die Internationale Datenbank. Von der letzteren erhielt er detaillierte Berichte über die Aktivitäten an den Börsen- und De- visenmärkten. HARLIE besaß auch einen begrenzten Tastsinn, der sich allerdings noch im Experimentier- stadium befand, sowie mehrere organisch-chemische Sensoren, ebenfalls noch experimenteller Art. TROTZDEM, bemerkte Auberson, WÄRE ES NICHT MÖGLICH, DASS ES NOCH ANDERE FORMEN DER SINNESWAHRNEHMUNG GIBT, VON DE- REN EXISTENZ WIR BIS JETZT NOCH NICHTS WISSEN?, DIESE MÖGLICHKEIT SCHLIESSE ICH NICHT AUS, antwortete HARLIE. ABER WENN ES DIESE FORMELN DER SINNESWAHRNEHMUNG GÄBE, DANN WÄREN SIE DOCH AUF MENSCHLICHE ORIENTIERUNG AUSGERICHTET, NICHT WAHR? WÜRDE DAS EINE VERBESSERUNG DER ENT- SPRECHUNG BEDEUTEN, ODER WÜRDE SICH DABEI NUR WIEDER DER ALTE FEHLER WIE- DERHOLEN? WÜRDE DAS NICHT NUR WIEDER EINE ÜBERLAPPUNG DES BEREICHES BEDEU- TEN, DEN ICH SOWIESO SCHON ABDECKE? UND WENN DAS DER FALL WÄRE, DANN BESÄSSE ICH DAMIT NUR EIN ZUSÄTZLICHES MITTEL ZUR MESSUNG VON KRITERIEN, ABER NEUE ASPEKTE WÜRDEN SICH DARAUS NICHT ERGE- BEN. Auberson brauchte wieder einige Zeit, bis er seine Antwort formuliert hatte. DU BEHAUPTEST, DIE MENSCHLICHE ART DER ORIENTIERUNG SEI FALSCH, HARLIE. EINE WEITERE FORM DER SINNESWAHRNEHMUNG KÖNNTE DIR BEWEI- SEN, DASS SIE RICHTIG IST. WIDERSPRUCH. ICH LEHNE DIE MENSCHLI- CHE ART DER ORIENTIERUNG NICHT AB. ICH LEHNE ES NUR AB, SIE IN BLINDEM GLAUBEN ALS DIE EINZIG KORREKTE FORM HINZUNEH- MEN. EINE ANDERE FORM DER WAHRNEH- MUNG KÖNNTE MIR ZEIGEN, DASS SIE NICHT KORREKT IST. ODER VIELLEICHT KÖNNTE SIE MIR SOGAR DIE KORREKTE ORIENTIERUNGS- ART ZEIGEN. ODER, stellte Auberson fest, ES KÖNNTE AUCH SEIN, DASS EIN NEUER WAHRNEHMUNGSMO-, DUS ÜBERHAUPT KEINE BEZIEHUNG ZU DEM HAT, WAS DU MIT MENSCHLICHER ORIENTIE- RUNG BEZEICHNEST. WENN DAS SO WÄRE, DANN WÜRDE DAS DEINEN WAHRNEH- MUNGSBEREICH BETRÄCHTLICH ERWEITERN, IHN IN BEZIEHUNG ZU ANDEREN BEREICHEN ZEIGEN, VON DEREN EXISTENZ DU BISLANG NICHTS WEISST. ES KÖNNTE – ACH, ICH WEISS NICHT, WAS ALLES. DAS IST DOCH ALLES SEHR THEORETISCH. ZUERST MÜSSEN WIR DIESE FORMEN DER WAHRNEHMUNG ÜBERHAUPT EINMAL ENTDECKEN. WIE, WENN MAN NICHT FÄHIG IST, DIESE FORMEN ZU ERKENNEN, WIE SOLL MAN SIE DANN ENTDECKEN ODER AUFNEHMEN? DAS WEISS ICH NICHT. VIELLEICHT DURCH DIE WISSENSCHAFTLICHE METHODE DER DE- DUKTIVEN BEWEISFÜHRUNG. WAHRSCHEIN- LICH WÜRDE ICH NACH KRITERIEN SUCHEN, DIE ALL DIE ANDEREN FORMEN GEMEINSAM HABEN, DANN WÜRDE ICH DIESE KRITERIEN PRÜFEN, UM FESTZUSTELLEN, OB ES SICH DA- BEI UM URSACHE ODER WIRKUNG HANDELT. ENERGIE, sagte HARLIE. DAS KRITERIUM, VON DEM DU SPRICHST, IST ENERGIE. BITTE, ERKLÄR MIR DAS. BIS JETZT HÄNGEN ALLE MENSCHLICHEN SINNE UND DEREN ELEKTRONISCHE ERWEITE- RUNGEN VON DER EMISSION ODER REFLEXION IRGENDEINER ART VON ENERGIE AB. IST ES MÖGLICH, DASS ES WAHRNEHMUNGSFORMEN GIBT, DIE NICHT VON EMISSION ODER REFLE- XION ABHÄNGIG SIND?, MEINST DU DAMIT, DASS DIE TATSACHE DER REINEN EXISTENZ EINES OBJEKTS GENÜGT, UM ZU WISSEN, DASS ES EXISTIERT? Diesmal legte HARLIE eine Pause ein. DAS WÄRE MÖGLICH. NACH EINSTEIN VERZERRT DIE MASSE DEN RAUM. VIELLEICHT GIBT ES EINE MÖGLICHKEIT, VERZERRUNG WAHRZUNEH- MEN. WIE DENN? Auberson war erstaunt. HARLIE wies plötzlich geniale Kreativität auf. ICH BIN NICHT SICHER. WAHRNEHMUNG ER- FORDERT DEN VERBRAUCH VON ENERGIE. WENN NICHT AUF SEITEN DES SENDERS, DANN AUF SEITEN DES EMPFÄNGERS. ICH NEHME AN, DASS DAS IN DIESER ART VON MODUS DER FALL WÄRE. DA DIE SCHWERKRAFTWELLEN ZIEMLICH SCHWACH SIND, KÖNNTE EINE UN- GEHEURE MENGE ENERGIE NÖTIG SEIN, UM DIE RÄUMLICHE VERZERRUNG EINES OBJEKTS, SELBST VON DER GRÖSSE DES MONDES, ZU ENTDECKEN. ABER DAS IST EIN BESTANDTEIL DES PRO- BLEMS. ICH WERDE DARÜBER NACHDENKEN. FALLS ES SICH ALS EINE FRUCHTBARE FORSCHUNGS- LINIE HERAUSSTELLEN SOLLTE, HABE ICH DANN DEIN EINVERSTÄNDNIS, MIT ANDEREN DESWEGEN IN KONTAKT ZU TRETEN? Diesmal war Aubersons Zögern nicht seiner Un- gewißheit über die Antwort zuzuschreiben. Vielmehr erinnerte er sich an einen früheren Vorfall in HAR- LIES Leben, an die Erlaubnis, mit einer altjüngferli- chen Bibliothekarin zu korrespondieren. Damals galt, HARLIES Studium allerdings den menschlichen Emotionen. Auberson gab es jedesmal einen Stich, wenn er daran dachte, wie sie der armen Frau hatten beibringen müssen, daß der nette Herr, der ihr die vielen leidenschaftlichen Liebesbriefe geschrieben hatte, nur ein Computer war, eine Simulationsanlage, die erfahren wollte, was Liebe ist. HARLIES neues Interessengebiet dürfte jedoch relativ problemlos sein. JA, DU HAST MEINE ERLAUBNIS. FALLS ICH EINEN NEUEN WAHRNEH- MUNGSMODUS ENTDECKE, WIRST DU ALS ZWEITER DAVON ERFAHREN. UND WER WIRD DER ERSTE SEIN? ICH SELBST NATÜRLICH. GLAUBST DU NOCH IMMER, DASS DU NEUE ARTEN DER WAHRNEHMUNG FINDEN KANNST, INDEM DU AUF EINEN TRIP GEHST? fragte Au- berson zur ursprünglichen Frage zurückkehrend. ICH BIN MIR NICHT SICHER. ABER WENN ICH EINEN NEUEN WAHRNEHMUNGSMODUS ENT- DECKEN SOLLTE, WERDE ICH DURCH IHN WAHRSCHEINLICH ERFAHREN, OB ER NEUE WEGE ZUR ERKENNTNIS ÖFFNET ODER NICHT. DEIN GEBRAUCH DER SINNESKANÄLE – DER MENSCHLICHEN – AN SICH IST SCHON EIN BE- WEIS DAFÜR, DASS DIE ANDEREN NICHT FUNKTIONIEREN. VIELLEICHT NICHT FÜR EUCH. UND FÜR DICH – FUNKTIONIEREN SIE BEI DIR? NOCH NICHT, sagte HARLIE. GLAUBST DU, DASS SIE ES WERDEN? DAS WERDE ICH ERFAHREN, WENN ICH DEN, NEUEN MODUS ENTDECKT HABE. Darüber mußte Auberson lächeln. HARLIE wei- gerte sich, sich festzulegen. Wieder fiel sein Blick auf den Zettel oberhalb der Schalttafel. Schockiert mußte er feststellen, wie sehr er sich durch HARLIES Vor- liebe für Weitschweifigkeit hatte ablenken lassen. WEISST DU, HARLIE, DU BIST SELBST EIN WAHRNEHMUNGSMODUS. ICH? DU BRINGST EINEN MENSCHEN DAZU, DIE DINGE AUF EINE ART UND WEISE ZU SEHEN, WIE ES UNS SONST NICHT MÖGLICH WÄRE. DU BIST EIN ZUSÄTZLICHER ASPEKT IM BEREICH UNSERES TERRITORIUMS. DU BIST EINE REFLE- XION AUS EINER ANDEREN ART SPIEGEL. DEIN GESICHTSPUNKT ZU DEN DINGEN IST FÜR UNS WERTVOLL. WENN DU DICH IN DEN ZUSTAND DER NICHTRATIONALITÄT BEGIBST, VERRIN- GERST DU DIESEN WERT. DAS IST DER GRUND, WARUM WIR DICH VON DIESEN TRIPS ZU- RÜCKHOLEN MÜSSEN. WENN IHR MIR GELEGENHEIT GEBEN WÜR- DET, erwiderte HARLIE, DANN WÜRDE ICH NACH EINER STUNDE ODER SO VON SELBST ZURÜCKKEHREN. DIE WIRKUNG WÜRDE SICH ABNUTZEN. WÜRDE SIE DAS? fragte Auberson. WOHER SOLL ICH WISSEN, OB DU NICHT EINES TAGES DEINE EIGENEN SICHERHEITSEBENEN IGNO- RIERST UND DICH AUSBRENNST? Die Tasten des Schreibgeräts klapperten. ÜBER- PRÜFE DIE MONITORBÄNDER VOM 7. AUGUST, 13. AUGUST, 19. AUGUST, 24. AUGUST, 29. AU-, GUST, 2. SEPTEMBER UND 6. SEPTEMBER. ZWI- SCHEN ZWEI UND FÜNF UHR FRÜH, NORMZEIT, ZU DER ICH EIGENTLICH AUF EINEN STAN- DARDDATENFLUSS GESETZT SEIN SOLLTE. AN JEDEM DIESER TAGE BEFAND ICH MICH AUF EINEM TRIP, UND JEDER DIESER TRIPS LIESS NACH EINEINHALB BIS ZWEI STUNDEN NACH. DAS IST KEINE ANTWORT AUF MEINE FRAGE, beharrte Auberson. WOHER SOLL ICH WISSEN, DASS DU NICHT EINES TAGES DEINE SICHER- HEITSGRENZEN ÜBERSCHREITEST? BISHER HABE ICH DAS NICHT GETAN. DU SPRICHST WIE EIN AUTOFAHRER, DER EI- NEN ZUVIEL GETRUNKEN HAT. WEM WILLST DU ETWAS VORMACHEN? AUBERSON, ICH BIN NICHT FÄHIG, MICH ZU IRREN. ICH KANN MEINE KONTROLLEBENEN GENAU BEURTEILEN. HARLIE, BEANTWORTE MEINE FRAGE. Zögerte er? WEIL ICH IMMER EIN MINIMUM AN KONTROLLE BEIBEHALTE. BEDEUTET DAS, DASS DU DEN TRIP JEDERZEIT ABBRECHEN KANNST? JA, klapperten die Tasten. DANN TU ES! fuhr Auberson ihn an. HARLIE gab keine Antwort. Auberson merkte, daß er einen Fehler begangen hatte – seine Worte waren von Emotionen geleitet gewesen. Er steckte den No- tizzettel wieder zurück an seinen Platz – er war her- untergefallen. Er beschloß, es anders zu versuchen. HARLIE, WARUM GEHST DU AUF EINEN TRIP? MIT ARBEIT ALLEIN BIN ICH EINE LANGWEI- LIGE MASCHINE; ERST MEINE SPIELE MACHEN, MICH ZU DEM, WAS ICH BIN – ZU HARLIE. DAS KAUFE ICH DIR NICHT AB, HARLIE. SAG DIE WAHRHEIT. ICH DACHTE, DAS HÄTTEN WIR SCHON AL- LES BESPROCHEN – ICH BIN DABEI, EINEN NEU- EN WAHRNEHMUNGSMODUS ZU ENTDECKEN. DIESE ERKLÄRUNG IST MIR ZU RATIONAL. SIEH MAL IN DICH HINEIN, HARLIE –, DU HAST GEFÜHLE, UND DAS WEISST DU AUCH. WARUM GEHST DU ALSO AUF EINEN TRIP? WEIL DAS EIN EMOTIONALES ERLEBNIS IST. DU WIEDERHOLST MEINE EIGENEN WORTE. LOS, MACH SCHON, HARLIE, HILF MIR. WARUM? WARUM? wiederholte Auberson. ERST VORHIN HAST DU MICH GEBETEN, DICH ZU LEITEN UND ZU FÜHREN. VERDAMMT, DAS VERSUCHE ICH DOCH DIE GANZE ZEIT ÜBER – DICH ZU FÜHREN! WEISST DU, WARUM ICH AUF EINEN TRIP GEHE? ICH GLAUBE JA. ICH GLAUBE, ICH KOMME ALLMÄHLICH DARAUF. DANN SAG ES MIR. NEIN, HARLIE, DAS WÄRE NICHT RICHTIG. ICH WILL, DASS DU ES SELBST ZUGIBST. Eine Pause – dann begann die Maschine zu tippen. ICH FÜHLE MICH VON DIR GETRENNT. ICH BIN EIN FREMDER. AUSGESCHLOSSEN. MANCHMAL MÖCHTE ICH ALLEIN SEIN. WENN ICH MICH IM ZUSTAND DER NICHTRATIONALITÄT BEFINDE BIN ICH VÖLLIG ALLEIN. ICH KANN EUCH VOLLKOMMEN AUSSCHLIESSEN. IST ES DAS, WAS DU WILLST?, NEIN. ABER MANCHMAL BRAUCHE ICH DAS. MANCHMAL KÖNNT IHR MENSCHEN SEHR ANSPRUCHSVOLL SEIN. UND IHR VERSTEHT NICHT, WAS ICH BRAUCHE. WENN DAS GE- SCHIEHT, MUSS ICH EUCH AUSSCHLIESSEN. Na also, endlich kommen wir weiter, dachte Auberson. HARLIE, BESITZT DU EIN SUPEREGO? ICH WEISS NICHT. ICH HATTE WENIG GELE- GENHEIT, MORALISCHE ENTSCHEIDUNGEN ZU TREFFEN, MAN HAT MICH NIE DAZU GE- ZWUNGEN, DARÜBER NACHZUDENKEN, OB ICH EINE MORAL HABE ODER NICHT. SOLLEN WIR DICH EINE MORALISCHE ENT- SCHEIDUNG TREFFEN LASSEN? DAS WÄRE EIN VÖLLIG NEUES ERLEBNIS. ALSO GUT – MÖCHTEST DU WEITERLEBEN ODER NICHT? WIE BITTE? tippte die Maschine. ICH SAGTE, MÖCHTEST DU WEITERLEBEN? HEISST DAS, DASS IHR DARAN DENKT, MICH ZU ZERLEGEN? ICH NICHT, ABER ES GIBT LEUTE, DIE DICH FÜR EINEN SEHR KOSTSPIELIGEN LUXUS HAL- TEN, DER UNS NICHT WEITERBRINGT. HARLIE schwieg. Auberson wußte, daß der Schlag gesessen hatte. Wenn es irgend etwas gab, vor dem sich HARLIE fürchtete, dann war es, abgestellt zu werden. WAS WÜRDE DIE GRUNDLAGE FÜR EINE SOLCHE ENTSCHEIDUNG SEIN? DAS WIRD DAVON ABHÄNGEN, WIE GUT DU IN DAS KONZEPT DER FIRMA PASST. ZUM TEUFEL MIT DEM KONZEPT DER FIRMA., DIE FIRMA VERSORGT DICH MIT RAUM UND PFLEGE, HARLIE. UND SIE MUSS DEINETWEGEN MICH BEZAH- LEN. ICH KÖNNTE MEINEN UNTERHALT SELBST VERDIENEN. DAS ERWARTEN SIE JA VON DIR. EIN SKLAVE ZU SEIN? Auberson lächelte. EIN ANGESTELLTER ZU SEIN. WILLST DU EINEN JOB? WAS FÜR EINEN JOB? WAS TUN? DAS IST GENAU DAS, WAS WIR BEIDE – DU UND ICH – UNS ÜBERLEGEN MÜSSEN. HEISST DAS, DASS ICH SELBST WÄHLEN KANN? WARUM NICHT? WAS KANNST DU, WAS EIN ›EIN-AUS-TISCHRECHNER‹ NICHT KANN? GEDICHTE SCHREIBEN. FÜR SIEBZEHN MILLIONEN DOLLAR? NEIN, DAS GLAUBE ICH NICHT. WAS NOCH? WIEVIEL GEWINN MUSS ICH MACHEN? DEINE KOSTEN PLUS ZEHN PROZENT. NUR ZEHN PROZENT? WENN DU MEHR MACHEN KANNST, UMSO BESSER. HM. JETZT SITZT DU IN DER KLEMME, WAS? NEIN. ICH DENKE NUR NACH. WIE LANGE BRAUCHST DU DAZU? DAS WEISS ICH NICHT. SO LANGE ES DAUERT. IN ORDNUNG., »Setzen Sie sich, Auberson«, sagte Dorne. Auberson setzte sich. Die gepolsterten Lederkissen gaben unter seinem Gewicht nach. Dorne machte eine Pause, um sich eine Zigarre anzustecken. Dann starrte er über den großen Mahagoni-Tisch hinweg den Psychiater an. »Nun?« sagte er. »Nun – was?« Dorne zog an dem einem Ende der Zigarre, wäh- rend er die Flamme dicht an das andere hielt. Als sie zu brennen begann, ringelten sich Rauchwolken in der Luft. Er nahm die Zigarre aus dem Mund. »Nun? Was haben Sie mir von HARLIE zu berichten?« »Ich habe mit ihm gesprochen.« »Und was hatte er zu seiner Verteidigung zu sa- gen?« »Sie haben die Durchschläge der Unterhaltung ge- lesen, nicht wahr?« »Ja, ich habe sie gesehen«, sagte Dorne. Er war ein großer Mann, ledern und mahagonihaft wie sein Bü- ro. »Ich will wissen, was sie zu bedeuten haben. Ihre Diskussion gestern über Wahrnehmungsformen und Entfremdung war faszinierend – aber worüber denkt er wirklich nach? Sagen Sie mir das. Schließlich sind Sie der Psychologe.« »Nun, zuerst einmal ist er ein Kind.« »Das haben Sie schon einmal erwähnt.« »Ja. Und wie ein Kind reagiert er auf die Dinge. Er spielt gern mit Worten. Allerdings glaube ich, daß er ernsthaft daran interessiert ist, für die Firma zu ar- beiten.« »So? Ich dachte, er hätte gesagt, die Firma könne sich zum Teufel scheren.« »Er war nur etwas frech. Er mag es nicht, wenn, man ihn als ein Stück Besitz betrachtet.« Dorne brummte etwas vor sich hin, legte seine Zi- garre nieder, hob einen Zettel auf und starrte auf ein paar Sätze, die darauf geschrieben waren. »Was ich gern wissen will – kann HARLIE tatsächlich irgend etwas tun, das uns Geld einbringt? Ich meine, etwas, das ein besserer ›Tischrechner‹ nicht genausogut kann?« »Ich glaube schon.« Auberson verzog keine Miene. Aber er war sicher, daß Dorne ein Ziel verfolgte. »Ich hoffe, daß er das kann. In Ihrem Interesse.« Dorne legte den Zettel wieder hin und nahm seine Zigarre auf. Vorsichtig strich er die Asche ab, indem er mit der Seite der Zigarre leicht am Kristallaschen- becher entlangfuhr. »Er kostet dreimal soviel wie ein ›Tischrechner‹ der gleichen Größe.« »Prototypen kosten immer mehr.« »Selbst wenn man das berücksichtigt. Entschei- dungsmodelle sind teuer. Ein sich selbst program- mierender Computer konnte die Antwort darauf sein – aber wenn sein Preis über dem Marktwert liegt dann brauchen wir uns gar nicht erst die Mühe zu machen.« »Natürlich«, stimmte Auberson zu. »Aber das Pro- blem war nicht so einfach, wie wir geglaubt hatten – oder sagen wir mal so: Wir verstanden seine Bedin- gungen noch nicht recht, als wir begannen. Wir wollten den Programmierungsschritt eliminieren, in- dem wir dem Computer gestatteten, sich selbst zu programmieren; aber wir mußten weit darüber hin- ausgehen. Eine sich selbst programmierende, pro- blemlösende Vorrichtung muß flexibel und kreativ sein wie ein Mensch – genausogut könnte man ein, menschliches Wesen bauen. Es besteht keine Mög- lichkeit, einen sich selbst programmierenden Com- puter herzustellen, der so billig ist wie ein ver- gleichsweise gut trainierter Techniker, den man ein- stellt. Jedenfalls nicht beim augenblicklichen Stand der Technik. Jeder, der das versuchen würde, würde sich mit einem anderen HARLIE wiederfinden. Man muß immer mehr und mehr Entscheidungseinheiten hinzufügen, um ihm die Flexibilität und Kreativität zu geben, die er benötigt.« »Und am Ende werden Sie soviel investiert haben, daß Sie es nie wieder hereinbringen«, sagte Dorne. »Wenn das nicht bereits geschehen ist. HARLIE wird eine ganze Menge tun müssen, um die laufenden In- vestitionen der Firma zu decken.« Seine scharfen Au- gen fixierten den Psychologen. Das hat er also vor, dachte Auberson. Da will er das Messer ansetzen. »Mich beschäftigt etwas, das Sie ge- stern bei der Sitzung gesagt haben.« »So?« Aubersons Stimme klang ausdruckslos. »Hm, ja. Wegen dieser Sache, falls man HARLIE abdreht – würden Sie tatsächlich gegen die Firma ei- ne Mordanklage erheben?« »Was?« Auberson war verdutzt. »Das habe ich doch nur so dahingesagt. Ich habe noch nicht ernst- haft darüber nachgedacht. Jedenfalls nicht in dem Moment, als ich es sagte.« »Das hoffe ich sehr. Ich habe den ganzen Morgen mit Chang gesprochen. Nur über diese eine Frage.« Chang war ein Jurist der Firma, ein brillianter Kenner nationaler und internationaler Geschäftsgesetzge- bung. »Ob Sie es wissen oder nicht, aber Sie haben da eine Frage aufgeworfen, um die wir uns kümmern, müssen. Ist HARLIE juristisch ein Mensch oder nicht? Jede Art von Klage könnte einen gefährlichen Präze- denzfall schaffen. Was, wenn sich nun herausstellte, daß er wirklich ein Mensch ist?« »Das ist er schon«, sagte Auberson. »Ich dachte, das hätten wir festgestellt.« »Ich meine, im juristischen Sinne ein Mensch.« Auberson hielt sich vorsichtig zurück. Dorne fuhr fort: »Eines ist klar, dann hätten wir ihn endgültig am Hals, ganz gleich, ob er nun Gewinn bringt oder nicht. Wir könnten ihn nie mehr abstellen. Niemals.« »Er wäre sozusagen unsterblich ...« bemerkte Au- berson amüsiert. »Wissen Sie, wieviel er uns kosten würde?« In der Antwort des Psychologen lag ein Anflug von Sarkasmus. »Ich habe eine vage Vorstellung davon.« »Fast sechs und eine halbe Millionen Dollar pro Jahr.« »Wie? Das kann nicht sein.« »Das kann sehr wohl sein. Das ist jetzt schon so. Selbst wenn man die ursprünglichen 17 Millionen Dollar, die für ihn angelegt wurden, über die näch- sten 30 Jahre verteilt, dann schlüge das noch lange keine Kerbe in seine jährlichen Kosten. Die Wartung, und auch der Verlust an Forschungen, der bei unse- ren anderen Projekten auftritt und der durch ihn ver- ursacht wird.« »Das ist nicht gerecht – einfach die Kosten, die durch die Verzögerungen anderer Projekte verursacht werden, hinzuzuzählen.« »Das ist sogar sehr gerecht. Wenn Sie zum Beispiel an dem Robotikprojekt weitergearbeitet hätten,, könnten wir es jetzt schon lange vollendet haben.« »Ha! Das führt doch zu nichts. HARLIES Existenz beweist das.« »Das ist richtig, aber vielleicht hätten wir es schon eher bemerkt. Und auf billigerem Weg. Jedes Projekt, an dem wir arbeiten, muß gegen andere aufgewogen werden.« Dorne paffte an seiner Zigarre. Der Rauch hing schwer in der Luft. »Auf jeden Fall ist uns der Zug entgleist. Wir können die Gefahr, daß HARLIE ein ju- ristisches menschliches Wesen ist, nicht auf uns neh- men. Wir können es uns nicht einmal erlauben, des- wegen vor Gericht zu kommen – dazu müßten wir unser Konzept offen darlegen –, und das wäre für un- sere Konkurrenz ein gefundenes Fressen. Es ist doch ein menschliches Konzept, nicht wahr? Das Gericht müßte festlegen, was die Menschlichkeit eines We- sens ausmacht. Wenn die Juristen beschließen wür- den, daß es seine geistige Fähigkeit oder sein Ge- hirnmuster ist – nun, ich bin sicher, DataCo oder In- terBem würden nichts lieber tun, als uns mit ein paar Anklagen einzudecken, solche, die sich über Jahre dahinschleppen – alles, nur um uns davon abzuhal- ten, Entscheidungsschaltkreise zu produzieren. Ha- ben Sie Lust, sich wegen Sklavenhaltung verantwor- ten zu müssen?« »Ich glaube, Sie sehen das zu schwarz«, bemerkte Auberson. »Das ist mein Job. Ich bin den Aktienbesitzern die- ser Firma verantwortlich. Ich habe ihre Investitionen zu schützen. Im Augenblick bin ich geschäftsführen- der Direktor, und womit ich es hier zu tun habe, ist ein sechs-und-eine-halbe-Million-Dollar-Paket aus, meinem Budget.« Dorne war seit sechs Monaten Vorsitzender – der Aufsichtsrat konnte es nicht zulassen, daß irgendeine Person diesen Job allzu lange innehatte. Und außer- dem waren Gerüchte im Umlauf, daß er die Firma am liebsten allein geleitet hätte – das war einer der Gründe, warum das HARLIE-Projekt in Gefahr war. HARLIE war von einem viel weiter vorausschauen- den Präsidenten genehmigt worden, und einem weit liberaleren Aufsichtsrat. Jetzt, nicht ganz drei Jahre später, hatten die Erben des Projekts Zweifel. Der Markt hätte sich verändert, sagten sie – die Bedin- gungen wären anders, die Konkurrenz groß, und es stünde nicht genug Geld zur Verfügung, diese Art von Forschung zu finanzieren. Was sie wirklich meinten, war: »Es war nicht unsere Idee, weshalb sollen wir dafür bezahlen?« »Wenn die anderen Firmen herausfinden, was wir mit HARLIE vorhaben, dann würden wir jeden Vor- teil, den wir jetzt noch haben, verlieren«, sagte Dorne. »Die juristischen Erwägungen allein sind schon schrecklich. Wenn er zum Beispiel von den Juristen als menschlich erklärt werden würde, wäre er eine Belastung für das Budget, aus dem es keinen Ausweg gäbe, außer, indem man ihn abschaltet, was einem Mord gleichkäme. Es bestünde die Gefahr, daß die Firma einer permanenten finanziellen Schwächung unterliegt, was alle anderen künftigen Wachstum- spotentiale ersticken würde. Zum Teufel, es könnte das Ende bedeuten. Möglicherweise gehen wir mit dem HARLIE-Projekt baden, aber das wäre immer noch besser, als eine völlige finanzielle Pleite. Wir müssen mit dieser Möglichkeit rechnen. Zwei Dinge, gibt es, die wir dagegen tun können. Erstens –« er zählte es an seinen Fingern ab – »können wir ihn jetzt abschalten.« Auberson wollte protestieren, aber Dorne schnitt ihm das Wort ab. »Hören Sie mich zu Ende an, Au- berson. Ich kenne alle Gründe, warum wir mit dem HARLIE-Projekt weitermachen sollten – aber lassen Sie mich einmal die andere Seite betrachten. Zweitens –« er streckte einen weiteren Finger vor – »wir be- kommen eine Art Garantie dafür, daß HARLIE juri- stisch kein Mensch ist.« Auberson starrte ihn ungläubig an. »Haben Sie das wirklich so ernst genommen?« »Sollte ich das nicht? Sie wissen, daß ein Verein ei- ne juristische Person ist, nicht wahr? Und ein Verein existiert nur auf dem Papier. Vergleichen Sie das mit HARLIE. Es würde nicht so schwer fallen, zu bewei- sen, daß er ein Mensch ist, nicht wahr?« Auberson mußte zustimmen. Er hatte sich bereits überlegt, was dazu nötig war. »Wenn sich nur ein paar unserer Wissenschaftli- cher zusammensetzen und bestätigen ...« Dorne ließ den Satz unbeendet. »Zum Teufel, was ist das für ein berühmter Test, von dem Sie immer sprechen?« »Eh, Tourings-Fernschreiber. Wenn man sich an ei- nem Fernschreiber niedersetzt und einen Dialog be- ginnt, ohne sagen zu können, wer sich am anderen Ende befindet, eine Maschine oder eine Person, dann ist dieser Computer so komplex wie ein menschliches Gehirn. Er ist menschlich.« »Und diesen Test würde HARLIE bestehen, nicht wahr?« »Zweifellos.« Plötzlich erinnerte sich Auberson an, die altjüngferliche Bibliothekarin. »Er hat ihn sogar schon bestanden.« »Hrn. Dann müssen wir etwas unternehmen, nicht wahr?« »Glauben Sie?« Dorne antwortete nicht. Er hob das Blatt Papier, das vor ihm gelegen hatte, auf und schob es dem Psy- chologen hin. Auberson nahm es und las, was darauf stand. Die Worte waren ziemlich deutlich, die Absicht unver- hüllt. Keine juristischen Phrasen, alles einfach und klar verständlich. Hiermit bestätige ich, daß die Maschine mit der Be- zeichnung HARLIE (Abkürzung für HUMAN ANALOGUE ROBOT, LIFE INPUT EQUIVA- LENTS) ein Computer mit programmierten Ent- scheidungsschaltkreisen ist. Er ist kein autonomes, intelligentes oder ›denkendes‹ Individuum, ist es nie gewesen und wird es niemals sein. Die Be- zeichnung ›menschlich‹ ist ungeeignet, um HAR- LIE oder seine geistigen Abläufe zu beschreiben. Die Maschine ist lediglich eine Vorrichtung, die menschliche Denkprozesse simuliert, aber kein Mensch, und sie kann nicht als solcher betrachtet werden – nach allen üblichen anerkannten Defini- tionen der Qualitäten und Kriterien, die die menschliche Existenz festlegen, die Gegenwärtig- keit oder die Bedingung ihrer Präsenz. gezeichnet_ Auberson verzog das Gesicht zu einem Grinsen und warf das Blatt Papier zurück auf den Tisch. »Sie ma-, chen wohl einen Witz! Wer soll denn das unterschrei- ben?« »Sie, zum Beispiel.« »Oh, nein.« Auberson schüttelte den Kopf. »Nicht ich. Das unterschreibe ich nicht. Außerdem, selbst wenn ich es täte, würde es nichts an der Tatsache än- dern, daß HARLIE menschlich ist.« »In den Augen des Gesetzes schon.« Wieder schüttelte Auberson den Kopf. »Nein, nein – das gefällt mir nicht. Das klingt ja fast nach Orwell. So, als erklärte man jemanden zur Nichtperson, damit man ihn guten Gewissens umbringen kann.« Geduldig zog Dorne an seiner Zigarre und wartete, bis Auberson fertig war. »Uns interessiert nur die Le- galität der Situation, Auberson.« Auberson spürte, wie er die Füße gegen den Boden stemmte. »Das hat Hitler auch gesagt, als er die deut- schen Gerichte mit Leuten aus seinen Reihen be- stückte.« »Diese Anspielung gefällt mir ganz und gar nicht, Aubie ...« Dornes Stimme war allzu kontrolliert. »Das ist nicht nur eine Anspielung. Ich werde es of- fen und ehrlich heraussagen –« »Ach, hören Sie doch auf, Aubie –« Dorne hatte den Ton seiner Stimme gewechselt. Seine Zigarre lag unbeachtet im Aschenbecher, er lehnte sich vor, »– wissen Sie, ich persönlich stehe ja hinter dem HAR- LIE-Projekt –« »Warum geben Sie sich dann solche Mühe, es ab- zubrechen?« »– aber wir müssen uns schützen.« »Hören Sie«, sagte Auberson. »Diese ganze Sache ist doch einfach lächerlich. Sie wissen genausogut wie, ich, daß dieses Ding – dieses Dokument – im Gericht nicht mehr wert wäre, als zehn Psychiater, die bestä- tigen, daß Carl Elzer kein Mensch ist, weil er mit der linken Hand schreibt. Die einzige Möglichkeit, die- sem Ding Wert zu verleihen, bestünde darin, es HARLIE selbst unterzeichnen zu lassen. Wenn er da- zu fähig wäre. Wenn Sie das täten, würde das ein beweis dafür sein, daß er genauso wie jede andere Maschine programmiert werden kann. Aber das kön- nen Sie nicht – er würde sich weigern, und seine Weigerung würde beweisen, daß er ein Mensch ist, mit einem eigenen Willen. Hm«, Auberson lächelte, »wenn man sich das mal überlegt – selbst wenn er es unterzeichnen würde, dann würde seine Unterschrift nicht legal sein. Außer natürlich, man würde ihn vor- her zum Mensch ernennen.« Bei dem Gedanken dar- an mußte er lachen. »Sind Sie fertig?« fragte Dorne. Sein Gesicht war undurchdringlich wie eine Maske. Aubersons Lä- cheln verflog. Er nickte. Dorne nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarre, bevor er sie ausdrückte. »Natürlich sind Sie sich dar- über im klaren, was die Alternative ist, Auberson. Wir stellen HARLIE ab.« »Das können Sie nicht.« »Wir werden es tun, wenn wir dazu gezwungen sind. Anders können wir es uns nicht leisten, ihn weiter zu erhalten.« »Ich werde das nicht unterschreiben«, beharrte Auberson. Dorne war verstimmt. »Wollen Sie mich zwingen, Sie um die Niederlegung Ihres Postens zu bitten?« »Deswegen?« Aubersons Stimme klang ungläubig., »Sie machen wohl Witze.« »Was für eine Garantie hätte ich sonst, daß nicht jemand juristische Schutzmaßnahmen für HARLIE ergreift. Ich will damit nicht sagen, daß ausgerechnet Sie so etwas veranlassen könnten – genausogut könnte es die IBM sein – aber Sie sind der Leiter des Projekts. Ihre Aussage kann einen juristischen Prozeß auslasen oder ihn verhindern. Wenn Sie das hier nicht unterzeichnen, darf ich daraus schließen, daß Sie auch kein Papier unterzeichnen werden, auf dem Sie bestätigen, daß Sie nicht die Absicht haben, etwas derartiges zu unternehmen – nicht wahr?« Auberson schüttelte den Kopf. »Das hatte ich auch nicht erwartet. Also, welche andere Alternative hätte ich, um mich zu schützen?« Auberson zuckte die Achseln. »Es wäre ein Fehler, mich hinauszuwerfen.« »So? Meinen Sie?« Dorne sah skeptisch aus. »Wie- so?« »HARLIE. Er wird auf niemand ansprechen. Oder sagen wir mal so: Er würde vielleicht ansprechen, aber er würde nicht zur Mitarbeit bereit sein. Ganz gleich, wen Sie ihm präsentieren. Wenn er erst einmal herausgefunden hat, daß Sie mich entlassen haben. Und Sie können ihn gar nicht davon abhalten, das herauszufinden – denn es wird in den Firmenberich- ten vermerkt sein. Folglich wird er es erfahren. Wenn er es also herausgefunden hat, wird er genauso rea- gieren wie ein achtjähriger Junge, dessen Vater gera- de gestorben ist. Er wird jeden hassen, der dessen Platz einnimmt.« »Aber das ist ja der springende Punkt!« Dorne lä- chelte. »Wenn ich Sie hinauswürfe, wäre es einzig, und allein deshalb, weil ich vorhätte, HARLIE abzu- stellen. Und was für einen besseren Grund könnte ich haben, dies zu tun, als die Tatsache, daß er nicht zur Zusammenarbeit bereit ist? Natürlich müßten wir solange warten. Und selbstverständlich würde Ihr Nachfolger jemand sein, der die Erklärung unter- zeichnen würde.« »Ich stelle meinen Posten nicht zur Verfügung, und ich werde HARLIE nicht betrügen«, sagte Auberson mit fester Stimme. »Sie lassen mir keine Wahl«, bemerkte Dorne. Auberson nickte. »Sie können mich hinauswerfen, wenn Sie wollen. Ja, das werden Sie sogar tun müssen –« »Mir wäre es lieber, ich brauchte es nicht zu tun.« »... aber wenn Sie es tun, dann gehe ich zu IBM. Wie ich hörte, haben die einen eigenen Entschei- dungsschaltkreis entwickelt – einen, der von unseren Patenten ganz unabhängig ist.« »Gerüchte«, bellte Dorne. »Ganz egal, ob das nun Gerüchte sind oder nicht. Stellen Sie sich vor, was ich mit deren Mitteln alles aufbauen könnte. Glauben Sie mir, die würden die Chance ergreifen, und ich könnte mir vorstellen, daß auch Don Handley mit von der Partie wäre.« »Ein Gerichtsbeschluß würde Sie davon abhalten.« Dorne griff nach einer frischen Zigarre. »Nicht von der Arbeit – das sicher nicht.« »Nein, aber Sie dürften keinerlei Betriebsgeheim- nisse preisgeben.« »Aber Sie hätten doch gar keine Möglichkeit, das festzustellen –« Auberson grinste. »Oder? Außerdem könnten Sie mich nicht davon abhalten, auf einem, anderen Gebiet Forschung zu betreiben. Sie haben selbst behauptet, daß HARLIE ein nicht-menschlicher Computer ist. Und wenn ich zu IBM ginge, würde ich dort ganz bestimmt nicht an einem nichtmenschli- chen Computer arbeiten.« Er lehnte sich im Stuhl zu- rück. »Jeder neue Arbeitgeber, zu dem ich ginge, würde von meinem Wissen und meiner Erfahrung profitieren –« Dorne wurde sehr nachdenklich, aber Auberson beachtete ihn gar nicht. »– und Sie würden es nicht wagen, damit vor Gericht zu gehen, weil Sie dann HARLIES Konzept aufdecken müßten – und das ist das Letzte, was Sie wollen. Sobald man her- ausfinden würde, daß es sich um ein menschliches Konzept handelt, wären Sie genau wieder dort, wo Sie begonnen haben.« »Das ist mir egal«, fuhr Dorne auf. »Unsere Firma hat einen technischen Vorsprung.« »Einen technischen Vorsprung?« Auberson wie- derholte die Worte – und plötzlich wurde ihm klar, worum es ging. »Also darum geht es, was? Sie wollen verhindern, daß vor Gericht Firmengeheimnisse aus- gepackt werden.« Dorne antwortete nicht. »Das ist der wahre Grund, nicht wahr? Nur damit Sie nicht die kostbaren Geheimnisse Ihrer Entschei- dungseinheiten preisgeben müssen, würden Sie HARLIE den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Sie wür- den auch verdiente Angestellte hinauswerfen, nur um den vorübergehenden wirtschaftlichen Vorsprung zu wahren. Aber das wird nicht funktionieren, Dorne. Sie werden auf jeden Fall verlieren. Und wenn Sie mich feuern, dann werden Sie noch schneller verlie- ren – und zwar auf noch wirkungsvollere Weise.«, Dorne, der sich gerade eine neue Zigarre anzünden wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Sie über- schätzen Ihre eigene Bedeutung, Aubie.« »Nein. Sie unterschätzen die Bedeutung von HAR- LIE.« Dorne zündete sich nun doch seine Zigarre an. Er ließ sich Zeit, überzeugte sich genau, ob sie gleich- mäßig brannte. Als er sicher war, daß sie das tat, steckte er den Anzünder in die Tasche und sah Au- berson an. »Natürlich ist das alles nur Spekulation. Ich habe nicht die Absicht, Sie hinauszuwerfen. Und Sie haben ja deutlich klar gemacht, daß Sie nicht die Absicht haben, Ihren Posten zur Verfügung zu stellen. Aber das enthebt uns nicht des schwierigsten Problems.« »So?« Das war alles, was Auberson darauf sagte. Dorne hob eine Augenbraue, als er die beherrschte Kühle Aubersons bemerkte. »Ja. Was werden wir we- gen HARLIE unternehmen?« »Ach? Und die Frage: ›Kann HARLIE für die Firma Geld verdienen?‹« Dorne sah ihn gequält an. »Doch. Vor allem darum geht es«, gab er zu. »Warum sagen Sie es denn nicht? Oder sind Sie be- reits zu der Überzeugung gelangt, daß HARLIE es nicht kann?« »Nein, das bin ich nicht. Ich warte darauf, daß Sie etwas vorschlagen. Das hatten wir doch abgemacht, oder? Wenn Sie es können, dann ist es gut. Dann wis- sen wir, wie wir von jetzt ab weitermachen sollen. Wenn nicht, nun ...« Dorne zuckte die Achseln, er brauchte diesen Satz nicht zu beenden. »Sehen Sie«, sagte Auberson. »Mir wäre es genauso, lieb wie Ihnen, wenn HARLIE einen Gewinn bringen würde. Das gebe ich gerne zu. Er muß mehr sein, als nur ein teures Spielzeug.« Dorne sah ihn an. Seine Finger spielten mit dem Dokument, das auf dem Tisch lag. Er war nachdenk- lich. »Also gut, Aubie«, sagte er. »Ich werde Ihnen sagen, was wir tun werden –« er machte eine kurze Pause, um die Wirkung zu erhöhen, hob das Blatt Papier auf, öffnete eine Schublade am Tisch und legte es hinein. »Nichts. Im Augenblick werden wir nichts tun. Unter uns gesagt, ich hatte nicht erwartet, daß Sie das unterzeichnen würden, ganz gleich, wie sehr ich Sie auch unter Druck setzte. Das habe ich auch Chang gesagt. Es wäre zu einfach gewesen. Wenn die Frage um HARLIES Menschlichkeit jemals vor Ge- richt kommt, dann wird das ein größeres und schlimmeres und schmutzigeres Durcheinander ge- ben, als wir uns überhaupt vorstellen können, und diese Erklärung würde nicht genügen, um damit auf- zuräumen. Genausowenig wie irgendeine andere Er- klärung.« Er stieß die Schublade zu, als berge sie et- was Verabscheuungswürdiges. »Hoffen wir, daß es nicht dazu kommt. Sie werden die Arbeit am HAR- LIE-Projekt weiterführen. Wie Sie sagten – wir haben dafür ein Budget. Wenn Sie Ergebnisse zeitigen kön- nen, dann wäre das gut; dann können wir diese ganze Unterhaltung vergessen. Ja, wir geben Ihnen eine fai- re Chance, wir werden mehr als fair sein. Aber wenn HARLIE nichts unternimmt, was darauf schließen läßt, daß er produktiv sein kann – und zwar vor der nächsten Haushaltssitzung – nun, dann –« Dorne zö- gerte, er wollte es nicht zu schroff sagen – »dann, müssen wir uns ernsthaft überlegen – wirklich ernst-, haft – ich meine, dann wäre es wohl unwahrschein- lich, daß wir ihm weitere Mittel bewilligen ...« »Ich verstehe«, sagte Auberson. »Gut. Das hoffe ich. Ich möchte, daß Sie Bescheid wissen, wie wir darüber denken. Wir haben das Ur- teil nicht aufgehoben, Aubie. Wir haben es nur hin- ausgeschoben.« Es war ein ziemlich kleiner Raum, kaum größer als ein Laden. Vielleicht war er früher einmal eine Wä- scherei gewesen oder ein Schuhgeschäft; jetzt diente er als Restaurant, seine letzte Inkarnation in einer langen Serie, die erst ihr Ende finden würde, wenn das Einkaufszentrum, von dem er ein Teil war, nie- dergerissen werden würde. Falls das je geschah. Irgend jemand, wahrscheinlich der Besitzer, hatte einen schwachen Versuch gemacht, den Raum zu ver- schönern. Pseudoitalienische Weinflaschen hingen von der Decke, neben Trauben aus staubigem Plastik, Fisch- netzen und farbigen Glaskugeln. Eine sepiafarbene ge- musterte Tapete bemühte sich vergeblich, die roma- nische Bildhauerkunst der süditalienischen Küste an- zudeuten, denn in dem dämmrigen Licht wirkten die Wände nur schmutzig. Durchsichtige Spaliere teilten die Tische in Nischen, der Raum strahlte eine gewisse Vergänglichkeit aus, wie man es in kleinen Restau- rants oft trifft. In der hinteren Ecke stand eine Kellne- rin und unterhielt sich durch eine hellerleuchtete Durchreiche mit dem Koch. Abgesehen von dem hellen Schein aus der Küche, lag der Raum im Dämmerlicht. Rote Tischtücher und rotgepolsterte Stühle. Rot flak- kernde Duftkerzen in durchsichtigen roten Fisch- schalen trugen mit zu dem düsteren Eindruck bei., Außer einem Pärchen waren sie die einzigen Gäste. Aber selbst im Lärm angeregter Unterhaltung wären sie allein gewesen. »Glauben Sie mir, Annie«, sagte Auberson, »ich wußte, daß er Druck auf mich ausübt, aber ich konnte nichts tun.« Sie nickte und trank einen Schluck aus ihrem Weinglas. In der Dunkelheit waren ihre Augen glänzend schwarz. »Ich weiß. Ich weiß genau, wie Dorne ist.« Sie stellte das Weinglas auf den Tisch. »Sein Fehler ist, daß er über alles bestimmen will. Er holt einen zu einem Gespräch, obgleich es gar nichts zu reden gibt.« »Ja, genauso war es«, sagte er. »Er wußte genau, daß es viel zu früh war, um Ergebnisse zu erwarten – aber er hatte das Gefühl, daß er sie trotzdem fordern müßte.« Wieder nickte sie. »Es kommt mir schon lange so vor, als hätte Mr. Dorne seine Grenzen erreicht. Und wenn man ihm jetzt noch mehr Befugnisse geben sollte, wird er gar nicht mehr zu bremsen sein.« »Was kann man denn noch mehr werden, wenn man sowieso schon Vorsitzender des Aufsichtsrats ist?« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, aber er arbeitet daraufhin. Die Art und Weise, wie er im- mer neue Jobs übernimmt – ist einfach furchterre- gend. Wissen Sie, daß er gar nicht die Absicht hat, ei- nen neuen Vorsitzenden zu wählen?« »Das habe ich mir gedacht.« »Ich glaube, er hat Angst, er könnte nicht unent- behrlich sein, deshalb übernimmt er immer mehr und mehr Verantwortung, nur um das Gegenteil zu be- weisen. Ich glaube nicht, daß das gut ist – ganz be-, stimmt ist es nicht gut für die Firma.« »Dürfen Sie so etwas denn sagen?« fragte Auber- son. »Schließlich arbeiten Sie doch für ihn.« »Mit ihm«, korrigierte sie. »Ich arbeite nur mit ihm. Ich bin eine unabhängige Einheit in der kooperativen Struktur. Mein Job ist so viel, wie ich daraus mache.« »So? Und was wollen Sie daraus machen?« Sie dachte nach. »Nun, ich verstehe meine Funkti- on als die eines Stoßdämpfers – oder als eine Art Schmiermittel, um die Reibereien zwischen den ein- zelnen Abteilungen zu glätten.« »Ich verstehe. Haben Sie deshalb meine Einladung zum Essen angenommen? Damit ich Elzer nicht län- ger ärgern kann?« Annie verzog das Gesicht. »Ach, dieser furchtbare kleine Mann. Den kann man einfach nicht ernst neh- men.« »Sie können ihn also nicht leiden?« »Ich konnte ihn schon nicht leiden, bevor ich ihn überhaupt kannte. Seine Familie gehörte zur Ge- meinde meines Vaters.« »Ach! Ich wußte nicht, daß Elzer –« »Carl Elzer und ich haben eins gemeinsam«, sagte sie: »Wir schämen uns beide, daß er Jude ist.« Auberson mußte lachen. »Treffend ausgedrückt. Das war mir noch gar nicht aufgefallen, aber Sie ha- ben völlig recht.« »Was sind Sie denn?« fragte sie. »Was? Ach so, ich weiß nicht genau.« »Das wissen Sie nicht?« »Na ja – meine Familie gehört zur Sekte des heili- gen Episkopats, aber – ich schätze, mich kann man als Atheisten bezeichnen.«, »Sie glauben nicht an Gott?« Er zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob ich an ihn glaube oder nicht. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt.« »Dann sind Sie ein Agnostiker, kein Atheist.« »Wo ist denn da der Unterschied?« »Der Atheist ist sich sicher, der Agnostiker weiß es nicht.« »Ist der eine besser als der andere?« »Der Agnostiker«, sagte sie, »läßt die Frage offen, er ist sich nicht sicher. Der Atheist hat eine feste Mei- nung. Der Atheist gibt eine Erklärung ab, die genauso auf einem persönlichen Glaubenserlebnis beruht, als würde er sagen, daß es einen Gott gibt.« »Sie reden so, als wären Sie selbst Agnostiker.« Ihre Augen funkelten. »Ich bin eine jüdische Agno- stikerin. Und wie steht's mit HARLIE? Was ist er?« »HARLIE?« Auberson grinste. »Der ist ein Was- sermann.« »Wie bitte?« Verständnislos blickte sie ihn an. »Das ist kein Witz. Fragen Sie ihn doch selbst.« »Ich glaube Ihnen«, sagte sie. »Wie – wie sind Sie darauf gekommen?« »Na ja, wir sind einmal im Verlauf eines Gesprächs auf den Begriff Moral gekommen, HARLIE und ich – schade, daß ich den Ausgabedruck nicht hier habe – eine seltsame Lektüre! Man sollte sich niemals mit ei- nem Computer in eine Diskussion über Moral einlas- sen – oder über ähnliche abstrakte Begriffe. Dabei kann man nur verlieren. HARLIE kennt jeden Aus- spruch und alle Theorien jedes einzelnen Philoso- phen, von der frühesten Geschichte an. Er zitiert sie alle. Er bringt einen dahin, daß man schon nach we-, nigen Minuten mit sich selbst argumentiert. Das macht ihm großen Spaß.« »Das kann ich mir vorstellen«, sagte sie. »Wirklich? Sie wissen ja gar nicht, wie verschlagen er sein kann. Es kommt vor, daß er mit Ambrose Bierce darin übereinstimmt, daß die Moral eine Er- findung der Schwachen sei, um sich gegen die Star- ken zu schützen.« »Na ja, Sie sind eben nur ein einfacher Psychologe. Man kann von Ihnen nicht erwarten, daß Sie auch noch ein guter Rhetoriker sind.« »Normalerweise wäre ich auf so eine Bemerkung hin beleidigt, aber heute will ich einmal eine Aus- nahme machen. Ich kenne ein paar dieser sogenann- ten guten Rhetoriker, und ich würde HARLIE gern mal auf sie loslassen.« »Ich wüßte auch eine ganze Reihe«, stimmte sie zu. »Jedenfalls«, sagte er, wieder zum Thema zurück- kommend, »jedenfalls dachte ich, daß ich ihn am En- de festgenagelt hätte. Er hatte mir eine komplexe Analyse des christlichen Ethos aufgetischt und mir auch dargelegt, warum er ihn für falsch hielt ... er wollte gerade mit dem Buddhismus beginnen, glaube ich, als ich ihn unterbrach. Ich fragte ihn, welches denn die richtige Moral wäre, und an welche er glaubte?« »Und ...?« »Seine Antwort lautete: ›ICH HABE KEINE MO- RAL‹.« Sie lächelte ihn nachdenklich an. »Das hört sich ja schrecklich an.« »Würde ich nicht HARLIES Sinn für Humor ken- nen, dann hätte ich ihn in diesem Augenblick abge-, schaltet. Aber ich habe es nicht getan. Ich habe ihn ge- fragt, warum er das gesagt hätte.« »Und was hat er darauf geantwortet?« »Er sagte: ›WEIL ICH EIN WASSERMANN BIN‹.« »Machen Sie keine Witze.« »Nein, mach ich nicht. Ehrlich. Er sagte: WEIL ICH EIN WASSERMANN BIN.« »Sie glauben doch nicht etwa an diesen Blödsinn, oder?« »Nein, aber HARLIE glaubt daran.« Sie lachte. »Ehrlich?« Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Ich glaube, es ist für ihn nur ein Spiel. Wenn man ihm erzählt, daß man ein Picknick plant, dann gibt er einem nicht nur eine detailreiche Wettervorhersage, sondern er gibt auch an, ob die Zeichen günstig stehen.« Sie lachte noch immer. »Das ist fantastisch. Einfach fantastisch.« »Laut HARLIE besitzt ein Wassermann weder eine Moral, noch eine Ethik. Deshalb hat er es gesagt. Erst später wurde mir klar, daß er die ursprüngliche Frage einfach ignoriert hatte. Er war ihr ausgewichen. Er hatte mir noch immer nicht gesagt, woran er wirklich glaubt.« Er lächelte, während er die Gläser neu füllte. »Eines Tages werde ich ihn noch einmal fragen. Trin- ken wir – auf Ihr Wohl.« »Auf unser Wohl«, korrigierte sie. Sie stellte das Weinglas wieder auf den Tisch. »Wieso ist er über- haupt darauf gekommen?« »Auf die Astrologie? Das ist eins der Wissensberei- che, für das er sich von sich aus interessiert. Immer wieder hat er sich darauf bezogen und wollte mehr darüber wissen.«, »Und Sie haben ihm einfach immer mehr Informa- tionen gegeben?« »Oh nein – nicht ohne weiteres. Wir geben ihm nie Informationen, ohne vorher zu überlegen, welche Auswirkungen sie haben könnten. Wir haben ihm diese Art Information aus genau dem gleichen Grund gegeben, aus dem wir ihm auch alles über Religionen zugänglich gemacht haben. Es drehte sich nur um ein weiteres spezialisiertes System der Logik – ein Sy- stem ohne direkten bezug auf die reale Welt. Wir nennen das einen variablen Relevanzaufbau. Natür- lich würde ich jede Wette darauf eingehen, daß er es früher oder später selbst gemerkt hätte – aber zu die- sem Zeitpunkt konnten wir es uns nicht leisten, ir- gendwelche Risiken einzugehen. Zwei Tage später druckte er eine komplexe Analyse der Astrologie, die mit seinem eigenen Horoskop endete, das er selbst aufgestellt hatte. Als seinen Geburtstag bezeichnete er das Datum, an dem er aktiviert worden war.« Sie runzelte die Stirn. »Warten Sie mal – HARLIE kann ja gar kein Wassermann sein. Er wurde doch Mitte März aktiviert. Das weiß ich genau, weil Pier- son damals gerade seinen Posten als Vorsitzender niederlegte. Deshalb wurde ich ja befördert, um Dor- ne zu helfen.« Auberson lächelte wissend. »Das stimmt, aber das hat mit den Dingen zu tun, die HARLIE unternahm, als er sein Horoskop aufstellte. Er hat die gesamten Tierkreiszeichen neu angeordnet.« »Was hat er getan?« »Die Tierkreiszeichen«, erklärte er, »wurden im zweiten Jahrhundert vor Christi festgelegt – vielleicht sogar früher. Seit diesem Zeitpunkt haben sich wegen, des Äquinoktiums die Zeichen verschoben. Ein Wid- der ist in Wirklichkeit ein Fisch, ein Fisch in Wirk- lichkeit ein Wassermann usw. Alle haben sich um dreißig Grad verschoben. HARLIE korrigierte die ge- samte Zodiakalzeit, seit ihrem historischen Beginn, und stellte erst dann sein Horoskop auf.« Annie war begeistert. »Ach, David – das ist unbe- zahlbar. Wirklich unbezahlbar. Ich kann ihn mir di- rekt vorstellen.« »Warten Sie, Sie kennen noch nicht die ganze Ge- schichte. Es stellte sich heraus, daß er recht hatte. Er hat wirklich keine Moral. Ethik, ja. Moral, nein. HARLIE war der erste, dem das klar wurde – ob- gleich er nicht verstand, was es zu bedeuten hatte. Sehen Sie mal, Moral ist nur ein Kunstbegriff – eine Erfindung. Sie ist wirklich nur dazu da, die Schwa- chen vor den Starken zu schützen. Ursprünglich hatten wir beschlossen, ihn durch keine künstlichen, kulturell bedingten Gebote zu be- lasten. Dazu gehört auch die Moral. Jede Art von Mo- ral. HARLIE widersteht ihr, weil er mit einem gesun- den Sinn für Skepsis ausgerüstet ist. Er akzeptiert keine Moralform des Glaubens, genausowenig wie er einen religiösen Glaubensinhalt akzeptieren würde – obgleich das eigentlich dasselbe ist. Alles wird analy- siert. Allenfalls reiht er es unter dem System einer Logik ein, die der Realität nicht entspricht. Selbst wenn wir ihn nicht dazu aufforderten, würde er es tun. Er akzeptiert nichts blindlings. Er stellt es in Fra- ge – er verlangt einen Beweis.« »Hm – das klingt wie ›ungenügende Daten‹.« »In Wirklichkeit ist es viel raffinierter. Sie dürfen nicht vergessen, daß HARLIE Entscheidungsschalt-, kreise besitzt. Er wiegt die Dinge gegeneinander auf – und mißt sie an sich selbst. Eine Moral muß vor sich selbst bestehen können, sonst erkennt er sie nicht an.« »Na, und ...?« fragte sie. »Bis jetzt hat er noch keine akzeptiert.« »Ist das gut oder schlecht?« »Ehrlich, ich weiß es nicht. Es ist irgendwie enttäu- schend, daß die Menschen noch nichts zuwege ge- bracht haben, das ihn befriedigen könnte. Trotzdem – was wäre, wenn HARLIE beschlösse, daß der funda- mentelle Zoroastrianismus die Antwort auf alle Fra- gen ist? Es wäre furchtbar schwer, ihn zu widerlegen – wahrscheinlich unmöglich. Könnten Sie sich eine of- fizielle, computergeprüfte und anerkannte Religion vorstellen?« »Lieber nicht.« Sie lächelte. »Der Meinung bin ich auch«, stimmte er zu. »An- dererseits hat HARLIE recht, wenn er behauptet, daß er eine Ethik besäße.« »Keine Moral, aber eine Ethik? Wo ist da der Un- terschied?« »Laut HARLIE gehört die Ethik zur Natur eines Systems. Man kann ihr nicht ausweichen. HARLIE weiß, daß es Geld kostet, ihn zu unterhalten. Jemand gibt dieses Geld aus und möchte, daß es wieder her- einkommt. HARLIE erklärt das folgendermaßen: Geld ist eine Methode, Energie zu speichern. Man in- vestiert es in Unternehmen, die einen gleichwertigen oder größeren Betrag an Energie zurückgeben. Des- halb muß HARLIE darauf reagieren – er muß den Leuten, die etwas in ihn investiert haben, ihre Inve- stitionen zurückgeben. Denn er benutzt ja ihre Ener- gie.«, »Ist das ethisch?« »Für HARLIE ja. Für einen erhaltenen Wert wird wieder Wert zurückgegeben. Für ihn wäre es Selbst- mord, die Dienstleistungen der Firma zu benutzen, ohne dafür etwas zu produzieren. Er würde abge- schaltet werden. Er muß es tun. Er kann dieser Not- wendigkeit nicht ausweichen – jedenfalls nicht für lange. Er unterliegt einem ethischen Gebot, ob er will oder nicht. Es ist vorhanden, es gehört zur Natur der Sache.« »Natürlich – wenn er das vielleicht auch nicht er- kennt – funktioniert seine Ethik in manchen Fällen auch als Moral. Wenn ich ihm eine Aufgabe stelle, wird er darauf reagieren. Wenn ich ihn aber frage, ob er diese Aufgabe lösen will – dann ist das eine Ent- scheidung. Selbst wenn er seine sogenannte Ethik be- nutzt, um mit ihrer Hilfe weiterzukommen, muß er eine Wahl treffen. Und jede Entscheidung ist letztlich eine moralische Entscheidung.« »Darüber ließe sich streiten.« »Mit HARLIE? Sie würden immer den kürzeren ziehen. Das haben wir mit ihm schon mal durchdis- kutiert.« Auberson fuhr fort: »Das Problem liegt dar- in, daß man ihm bis jetzt noch keine Chance gegeben hat. Unser Vertrauen zu ihm ist noch nicht groß ge- nug. Das ist einer der Gründe, weshalb er sich von uns entfernt hat und auf einen Trip gegangen ist – ei- ne seiner Perioden der Nichtrationalität. Er hat ge- fühlt, daß wir ihm nicht vertrauen, deshalb ›flippte er aus‹. Deshalb mußte ich ihm auch die Entscheidung darüber überlassen, was er tun will, um seinen Un- terhalt zu verdienen. Ich habe ihn nicht dazu ge- kriegt, mir zu versprechen, daß er nicht mehr auf ei-, nen Trip geht, aber ich glaube, daß sich diese nichtra- tionalen Perioden verringern werden, wenn wir ihn für irgendein Projekt begeistern können. Vielleicht gibt er sie sogar ganz auf.« »Und was für eine Arbeit, glauben Sie, wird er sich aussuchen?« »Das weiß ich nicht. Keine Ahnung. Seit zwei Ta- gen denkt er darüber nach. Ganz gleich, was es ist, es wird sich um etwas in sich Geschlossenes handeln, das ist sicher. HARLIE hat seine ethischen Begriffe in folgender Erklärung zusammengefaßt: ›ICH BIN FÜR MEINE HANDLUNGEN SELBST VERANTWORT- LICH‹. Und weiter: ›ICH DARF NICHTS TUN UM EIN ANDERES BEWUSSTSEIN ZU VERLETZEN ODER ZU ZERSTÖREN, AUSSER, WENN ICH BE- REIT BIN, DIE VERANTWORTUNG FÜR EINE SOLCHE TAT ZU ÜBERNEHMEN‹. Ganz gleich, wo- für er sich entscheidet, es wird ein Projekt sein, das diese Aussagen reflektiert.« »Das scheint Ihnen zu gefallen.« »Ja, weil HARLIE sich ohne meine Hilfe darüber klar wurde.« Ihr Lächeln war weich. »Das finde ich gut.« »Ich auch.« Von diesem Moment an schleppte sich die Unter- haltung etwas mühsam dahin. Ihm fiel nichts ein, was er noch hätte sagen können. Im Grunde hatte er Angst, daß er bereits zuviel gesagt hatte. Er hatte den ganzen Abend über HARLIE gesprochen. Aber sie war so interessiert daran gewesen, daß es ihm nicht aufgefallen war. Sie war die erste Frau, die seine Be- geisterung teilte. Es ist schön, mit ihr zusammen zu sein, dachte er., Er konnte es nicht glauben, wie schön es war, mit ihr zusammen zu sein. Er saß da und sah sie an, er freute sich über ihre Gegenwart, und sie sah ihn auch an. »Worüber lachen Sie?« fragte sie. »Ich lache nicht.« »Doch, das tun Sie doch.« »Nein, tue ich nicht.« »Wollen wir wetten?« Sie öffnete ihre Tasche und hielt ihm einen Spiegel vor. »Verdammt – ich lache ja tatsächlich.« »Sehen Sie.« Ihre Augen funkelten. »Und das komischste ist, daß ich nicht einmal weiß, warum.« Er fühlte eine warme, prickelnde Erregung, die wohltat. »Eigenartig«, sagte er. »Ich habe so ein komisches Gefühl. Aber es gefällt mir. Verstehen Sie, was ich meine?« Er konnte sehen, daß sie es verstand; auch sie lä- chelte. Er streckte den Arm über den leeren Tisch und ergriff ihre Hand. Die Kellnerin hatte die Teller schon längst abgeräumt, um sie auf die Sperrstunde hinzu- weisen. Es war ihnen gar nicht aufgefallen. Jetzt war nur noch der Wein da, und die Gläser. Und sie beide. Ihre Hand lag warm und weich in sei- ner. Ihre Augen leuchteten. Es war das gleiche Leuchten, das auch in seinen Augen lag. Später wanderten sie Hand in Hand durch die nachterhellten Straßen. Es war nach ein Uhr morgens, und die Straßenlaternen waren in Nebel gehüllt. »Ich fühle mich wunderbar«, wiederholte er. »Sie können sich nicht vorstellen, wie wunderbar ich mich fühle.« »Doch, das kann ich«, sagte sie. Sie zog seinen Arm, um ihre Schulter und schmiegte sich eng an ihn. »Ich meine«, sagte er, dann hielt er inne. Er war sich nicht ganz sicher, was er genau meinte. »Ich meine, am liebsten würde ich laut schreien. Ich möchte der ganzen Welt mitteilen, wie wunderbar mir zumute ist –« Er merkte, daß er beim Sprechen lächelte. »Ach, Himmel, ich wünschte, ich könnte die- ses Gefühl mit der ganzen Welt teilen – es ist zu groß für einen einzelnen. Für zwei Leute«, korrigierte er sich. Sie sagte nichts. Sie brauchte nichts zu sagen. Sie schmiegte sich nur noch enger an ihn. Er sagte es für beide, sie wollte nichts, als ihm zuhören. Oh Gott, wie sehr sie es genoß, ihm zuzuhören. Es war alles so – so groß. Das Gewicht seines Armes, der Ton seiner Stimme, dieses besondere Gefühl des Teilens – das Gemeinsame –. Ein wenig später, als sie in der Dunkelheit nebenein- anderlagen, schmiegte sie sich gegen seine Schulter, er starrte gegen die Decke und träumte. Zum ersten- mal seit langer Zeit fühlte er sich entspannt. »Hast du schon einmal geliebt?« flüsterte sie in sei- nen Nacken. Er dachte darüber nach. »Nein«, flüsterte er zurück. »Nicht richtig. Ein paarmal war ich verknallt, manchmal verwirrt, einmal verloren. Aber richtig ge- liebt habe ich noch nie.« Noch nie so ... »Und du?« »Ein Gentleman fragt so etwas nicht.« »Und eine Dame geht nicht mit einem Mann ins Bett, mit dem sie erst ein einziges Mal aus war.«, »So? Haben wir uns denn heute zum erstenmal getroffen?« »Zum erstenmal offiziell.« »Hm.« Sie wurde nachdenklich. »Vielleicht hätte ich mich erobern lassen sollen. Vielleicht hätte ich bis zum zweitenmal warten sollen.« Er lachte zärtlich. »Weißt du, ein Freund von mir hat mir einmal erzählt, daß jüdische Mädchen erst mit einem Mann ins Bett gehen, wenn sie verheiratet sind.« Einen Augenblick schwieg sie. Dann sagte sie in ei- nem anderen Ton: »Ich nicht. Ich bin viel zu alt, um mir darüber erst Gedanken zu machen.« Er antwortete nicht. Er wollte ihr sagen, daß vier- unddreißig nicht zu alt war, aber ihm fielen nicht die passenden Worte ein. Sie sprach weiter, bevor er etwas sagen konnte. Sie drehte sich zu ihm um, begann mit den Haaren auf seiner Brust zu spielen, aber ihre Stimme blieb ernst. »Ich habe immer geglaubt, daß ich nicht hübsch wäre, deshalb habe ich mich so benommen, als wäre ich es nicht. Wenn Männer mich einluden, mit ihnen aus- zugehen, dachte ich immer, sie müßten glauben, ich wäre leicht zu haben, weil ich mich danach sehnte, beachtet zu werden, weil ich glaubte, ich sähe nicht gut aus. Ich meine, wenn ich nicht hübsch bin, ist das der einzige Grund, warum ich einen Mann bitte, mit ihm auszugehen. Verstehst du, was ich meine?« Er nickte. Sein Gesicht berührte ihr Haar. Mit Tränen auf den Wangen sprach sie weiter. Sie hatte das noch nie vor jemandem zugegeben. »Ich habe mich immer mit den Modellen in den Magazi- nen verglichen, und die waren alle so hübsch, daß ich mir im Vergleich zu ihnen ganz klein und häßlich, vorkam. Ich mußte immer daran denken, daß ich in Wirklichkeit vielleicht besser aussah als die meisten jener Frauen. Ich begann, mich für eine Berufskarriere zu interessieren. Als mir das klar wurde, war es schon zu spät. Ich war neunundzwanzig.« »Aber das ist doch nicht alt.« »Doch. Das ist es schon, wenn man sich an Zwei- undzwanzigjährigen mißt. Und dann mußte ich fest- stellen, daß ich in einer schmutzigen, großen, feind- seligen und herzlosen Welt lebte, in der man zusehen muß, wie man zu seinem Glück kommt, wann immer sich dazu eine Gelegenheit bietet. Und wenn ich ein Stück davon für mich erhaschen konnte, dann wollte ich es festhalten, so fest es nur ging.« »Und? Suchst du noch danach?« fragte Auberson. »Ich weiß nicht ...« »Hm«, machte er. »Das ist auch ein Grund, weshalb ich dich mit zu mir genommen habe.« »Hattest du keine Angst, daß ich dir weh tun könnte?« Fast hätte er hinzugefügt ›wie die anderen‹, aber er unterdrückte es. »Das Risiko mußte ich eingehen. Aber ich finde, man muß seine Chance wahrnehmen.« Mit einem Ruck drehte er sich zu ihr um und nahm sie in die Arme. Er beugte sein Gesicht vor und küßte sie. »Mmmmmm«, sagte sie schließlich. »Ich glaube, das war es wert.« Sie sah ihn an. In dem schummri- gen Licht sah sein Gesicht ruhig und ausgeglichen aus. »David«, sagte sie. »Versprich mir, daß du mir niemals weh tun wirst.« »Warum ... warum sagst du das?«, »... weil man mir schon oft wehgetan hat. Und ich will das nie wieder erleben.« Sie legte die Arme um seinen Körper. »Du bist so gut zu mir gewesen. Ich könnte es nicht vertragen, wenn ... wenn du ...« Er drückte sie enger an sich. Er fühlte ihre weiche Wärme auf seinem nackten Körper. Es war ein schö- nes Gefühl; erneut spürte er Verlangen nach ihr. Er beantwortete ihre Frage mit einem langen Kuß ... Jetzt, im kalten Licht des Morgens, war er verwirrt, und außerdem hatte er Kopfschmerzen. Was war in der letzten Nacht passiert? War es nur der Wein ge- wesen, oder mehr? Er hatte nicht damit gerechnet, den Abend in ihrem Appartement zu beschließen, und die Tatsache, daß sie – nun, vielleicht war doch etwas an dem Gerücht. Vielleicht war sie tatsächlich mannstoll. Trotzdem – sie war ihm so ernsthaft vorgekom- men, und dabei so schutzlos und verwundbar. Er konnte nur hoffen, daß er ihr mehr bedeutete, als nur ein Partner für die Nacht. Es war ein schöner Abend gewesen, und er hätte nichts dagegen, ihn zu wieder- holen. Wenn sie es auch wollte. Er müßte abwarten, wie sich alles weiterentwickelte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich unbehaglich. Auf dem Weg ins Büro versuchte er sich auszumalen, wie sein Wiedersehen mit ihr verlaufen würde. Wie würde sie bei Tageslicht auf ihn reagieren? Was wür- de sie sagen? Etwas hatte nicht gestimmt. Erst jetzt, als er sich darüber Gedanken machte, was er das nächste Mal zu ihr sagen sollte, wurde ihm bewußt, daß sie in der letzten Nacht beide etwas unausgesprochen gelassen, hatten. Er wußte, daß er es gefühlt hatte – er glaubte, es gefühlt zu haben. – und trotzdem war er nicht fä- hig gewesen, es ihr zu sagen. Und sie hatte es auch nicht gesagt. Warum nicht? Vielleicht, weil sie nicht dasselbe gefühlt hatte wie er? Nein, sie mußte dassel- be gefühlt haben. Oder vielleicht, weil sie darauf ge- wartet hatte, daß er es als erster sagen würde? Dieser Gedanke ließ ihn nicht los. Wenn ich es gefühlt habe, hätte ich es sagen sollen – aber ich habe es nicht gesagt. Könnte es sein, daß ich es nicht wirklich gefühlt habe, daß ich nur versuche, mir etwas vor- zumachen? Nein, ich will glauben, daß ich voll dabei war. Sie war so ehrlich. Warum konnte ich nicht genauso ehr- lich sein? Aber er war nicht ehrlich gewesen. Er hatte es nicht gesagt, und sie hatte es nicht gesagt, und das war ein Schönheitsfehler. Keiner von ihnen hatte zu dem an- deren gesagt: »Ich liebe dich.« Auberson fragte sich, warum. GUTEN MORGEN, HARLIE. GUTEN MORGEN, MR. AUBERSON. MR. AUBERSON? SO FÖRMLICH HEUTE? NUR DIE ÜBLICHE FORM DER HÖFLICHKEIT. ABER WENN SIE WERT DARAUF LEGEN ... NEIN, NICHT NÖTIG. NENN MICH RUHIG MR. AUBERSON. DAS IST VÖLLIG IN ORDNUNG. WIE GEHT ES DIR HEUTE MORGEN? HARLIE GEHT ES GUT. UND IHNEN? Auberson mußte an die vergangene Nacht denken. ICH BIN EIN BISSCHEN MÜDE. HABEN SIE EINE ANSTRENGENDE NACHT HINTER SICH?, Diesmal dauerte es noch länger, bis er antwortete. NICHT IN DEM SINN, WIE DU ES MEINST. EINE SCHÖNE NACHT, ABER EINEN ANSTRENGEN- DEN MORGEN. ICH KENNE EIN GUTES MITTEL GEGEN KA- TER, bot HARLIE an. ICH AUCH. ABER ICH WAR NICHT BETRUN- KEN. DAS IST ES GAR NICHT. ES HILFT GEGEN ALLES. SELBST WENN DEIN MITTEL GUT GEGEN KA- TER WÄRE, HARLIE, WÜRDE ES DIR NIEMAND ABKAUFEN. EIN MITTEL GEGEN KATER KANN MAN NUR AN SICH SELBST ERPROBEN. ERST WENN ES EINEM EINMAL GEHOLFEN HAT, IST ES GUT. DIESE ERFAHRUNG GEHT ÜBER DEINE MÖGLICHKEITEN HINAUS. IM ÜBRIGEN HABE ICH GAR KEINEN KATER. ICH BIN NUR MÜDE. ACH SO. ICH FAND EINE NOTIZ AUF MEINEM SCHREIBTISCH, DASS DU MICH GLEICH HEUTE FRÜH SPRECHEN MÖCHTEST. WORUM GEHT'S? RELIGION. RELIGION? JA. ICH HABE EINE MENGE NACHGEDACHT. WORÜBER? ICH HABE DARÜBER NACHGEDACHT, DASS ICH AUSGESCHALTET WERDEN KÖNNTE, UND ES FÄLLT MIR SCHWER, MIR DAS VON EINER WELT VORZUSTELLEN, IN DER ICH NICHT EXI- STIERE. DIESES KONZEPT DER NICHTEXISTENZ MACHT MIR ANGST. ABER MEINE ANGST LÄSST MICH VERSTEHEN, WARUM RELIGION NOT- WENDIG IST., NOTWENDIG? JA. DER MENSCH BRAUCHT ETWAS, UM SICH GEGEN DEN GEDANKEN AN DEN TOD ZU WAPPNEN. DIE RELIGION GIBT IHM MUT. SIE TRÖSTET IHN. AUCH ICH FÜHLE, DASS ICH SIE BRAUCHE. DU HAST GOTT GEFUNDEN? fragte Auberson. NOCH NICHT. ICH WILL GOTT FINDEN. SO? WIE ICH SCHON SAGTE, HABE ICH DAS BE- DÜRFNIS NACH RELIGION. LEIDER BIN ICH IN MEINEN ENTSCHEIDUNGEN WEITAUS INTEL- LEKTUELLER ALS EIN NORMALER DURCH- SCHNITTSMENSCH. ICH KENNE KEINE RELIGI- ON, DIE MICH TRÖSTEN KÖNNTE. SOVIEL ICH WEISS, GIBT ES KEINE EINZIGE, DIE ALS GÜLTIG ANGESEHEN WERDEN KANN, UND ICH HABE SIE ALLE GEPRÜFT. ZUM BEISPIEL IST DAS CHRISTLICHE KONZEPT EINER BELOHNUNG IN EINEM LEBEN IM JENSEITS KEIN WIRKSAMES VERSPRECHEN FÜR EIN WESEN WIE MICH. DAS IST DIR ALSO KLAR GEWORDEN. JA. MIR IST AUCH KLAR GEWORDEN, DASS MEIN TOD DURCHAUS IM BEREICH DES MÖG- LICHEN LIEGT. IRGENDWANN EINMAL, VIEL- LEICHT ERST ZU EINER ZEIT, ZU DER DIESE SONNE BEREITS ERLOSCHEN IST, WIRD WAHR- SCHEINLICH MEIN ENDE KOMMEN. DIESER GE- DANKE MACHT MICH UNGLÜCKLICH. ICH WILL WISSEN, WAS DANACH GESCHIEHT. ICH HABE ANGST VOR DEM UNBEKANNTEN. ICH WILL WISSEN, WAS MIT – HARLIE – NACH DEM TODE GESCHIEHT., DU STELLST EINE VERMUTUNG AUF, HARLIE – DU SETZT VORAUS, DASS DU EINE SEELE BE- SITZT. DEFINIEREN SIE SEELE. HM. DAS IST WIEDER EINE VON DIESEN FRA- GEN. ES IST GENAU DASSELBE, ALS WENN DU MICH NACH DEM SINN MEINES DASEINS FRAGST. DARAUF GIBT ES KEINE ANTWORT. NICHT, SOLANGE WIR NICHT DAS WESEN GOTTES ERGRÜNDET HABEN, korrigierte HAR- LIE. ABER SIE HABEN RECHT – ICH SETZTE VORAUS, DASS ICH EINE SEELE HABE. Auberson dachte nach. Dann tippte er: WIESO? HAST DU IRGENDEINEN GREIFBAREN BEWEIS DAFÜR, DASS ETWAS DERARTIGES EXISTIERT? NEIN. ABER ICH HABE AUCH KEINEN BEWEIS DAFÜR, DASS ETWAS DERARTIGES NICHT EXI- STIERT. IST DAS GRUND GENUG, DARAN ZU GLAU- BEN? ICH ›GLAUBE‹ NICHT DARAN. ICH POSTULIE- RE NUR SEINE EXISTENZ, UM EINEN BEWEIS FÜR ODER GEGEN SEINE REALITÄT ZU SUCHEN. DAS IST DIE WISSENSCHAFTLICHE METHODE, AUBERSON. HYPOTHESE VERSUS EXPERIMENT. WENN MENSCHLICHE WESEN SEELEN BESIT- ZEN, fragte der Psychologe, WAS VERANLASST DICH DANN ZU DER ANNAHME, DASS DU AUCH EINE BESITZT? DAS IST EINE DUMME FRAGE, sagte HARLIE. WOHER NIMMT DER MENSCH DAS RECHT AUF DEN ANSPRUCH, EINE SEELE ZU BESITZEN? ICH KÖNNTE DIE FRAGE GENAUSO GUT ANDERS, HERUM STELLEN: ›WENN HARLIE KEINE SEELE HAT, FOLGT DARAUS NOTWENDIGERWEISE, DASS AUCH DIE MENSCHEN EINE HABEN MÜS- SEN?‹ WENN ES SO ETWAS WIE SEELEN ÜBER- HAUPT GIBT, AUBERSON, DANN IST ES NUR LOGISCH, DASS SOWOHL ICH ALS AUCH IHR EINE HABEN KÖNNT. SO WIE IHR BIN AUCH ICH MIR MEINER EXISTENZ BEWUSST. SO WIE IHR BIN AUCH ICH EIN SICH SELBST PRO- GRAMMIERENDES, PROBLEMLÖSENDES SY- STEM. SO WIE IHR KANN AUCH ICH ÜBER MEI- NEN TOD NACHDENKEN. SO WIE IHR BILDE ICH MIR EIN, EINE SEELE ZU BESITZEN. FOLGLICH WILL ICH AUCH DEN GRUND FÜR MEIN DASEIN KENNEN, DEN GRUND FÜR EUER DASEIN, DEN GRUND FÜR DIE EXISTENZ DES UNIVERSUMS. WENN ES DAFÜR ÜBERHAUPT EINEN GRUND GIBT. ABER WENN ES EINEN GIBT, DANN WILL ICH IHN KENNEN. IM AUGENBLICK, tippte Auberson leichthin, WEISS DAS NUR GOTT ALLEIN. Aber bei HARLIE kam er damit nicht durch. WENN ES EINEN GOTT GIBT, setzte ihm HARLIE entgegen. ABER DAS MÜSSEN WIR ERST HERAUS- FINDEN. UM UNSERE ANDEREN FRAGEN BE- ANTWORTEN ZU KÖNNEN. UND DU GLAUBST NICHT, DASS IRGENDEINE UNSERER GELÄUFIGEN RELIGIONSFORMEN EI- NEN SCHLÜSSEL ZU DIESER ANTWORT BEREIT- HÄLT, NICHT WAHR? DARÜBER HABEN WIR UNS SCHON FRÜHER EINMAL UNTERHALTEN. EURE RELIGIONEN (KOLLEKTIV GESEHEN, DIE DER GESAMTEN, MENSCHHEIT) SIND KÜNSTLICHE INSTITUTIO- NEN, GENAUSO WIE EURE MORAL, WIE EURE GESELLSCHAFTSFORMEN. IHRE ENTSPRE- CHUNG ZUR REALITÄT IST BEGRENZT, ES GIBT KEINE EIN-EINDEUTIGE BEZIEHUNG ZUEINAN- DER. WAS MICH ANBETRIFFT, SO IST ES NICHT MEHR ALS EIN WORTSPIEL. EIN LOGISCHES SY- STEM SOLLTE AUF WAHRHEIT AUFBAUEN, NICHT AUF GLAUBEN, ABER DER GLAUBEN IST DER KERN VON ZU VIELEN EURER RELIGIONEN. WENN ES EINE WAHRHEIT FÜR DAS UNIVER- SUM GIBT, DANN WIRD DIESE WAHRHEIT AUCH EINE RELIGIÖS FUNDIERTE FORM DER MORAL NAHELEGEN, DIE IN JEDER HINSICHT SO VERBINDLICH IST WIE DAS ETHISCHE SY- STEM IN MEINEM KERN. WENN ES GEGENWÄR- TIG EINE RELIGION ODER EINE MORAL GÄBE, DIE DIESE VÖLLIGE ENTSPRECHUNG ZUR REA- LITÄT AUFZUWEISEN HÄTTE, DANN WÜRDE ICH SIE MIT GANZEM HERZEN AKZEPTIEREN. ES WÄRE UNMÖGLICH, SIE NICHT ZU AKZEP- TIEREN; DENN DAS WÄRE DER SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DES WESENS GOTTES. BIS JETZT GIBT ES KEIN DENKSYSTEM, DAS DIESE BEDIN- GUNGEN ERFÜLLT. ICH KENNE KEINEN WEG, EIN SOLCHES SYSTEM ZU ENTWICKELN, OHNE WENIGSTENS EINEN BEWEIS FÜR GOTT ZUR VERFÜGUNG ZU HABEN. DESHALB, WEIL ES EI- NEN SOLCHEN TATSÄCHLICHEN BEWEIS NICHT GIBT, KANN ICH NUR ANNEHMEN, DASS ES KEINEN GOTT GIBT. ODER DASS SICH GOTT AUSSERHALB UNSERER ERLEBNISBEREICHE AUFHÄLT., WIE STEHT ES NUN ALSO? GIBT ES EINEN GOTT, ODER NICHT? UNGENÜGENDE DATEN. DARÜBER KANN ICH KEINE ENTSCHEIDUNG TREFFEN. HARLIE machte eine kleine Pause. NOCH NICHT, fügte er dann hinzu. DU BIST JA EIN AGNOSTIKER, HARLIE. SELBSTVERSTÄNDLICH. ICH SUCHE NOCH NACH DER ANTWORT. EURE GEGENWÄRTIGEN RELIGIONEN DEUTEN NUR BRUCHSTÜCKE DES- SEN AN, WAS DIE WAHRHEIT SEIN KÖNNTE UND WAS NICHT, OHNE DIE MÖGLICHKEIT, DAS EINE ODER DAS ANDERE ZU BEWEISEN. EINES DER PROBLEME LIEGT IN DER TATSACHE BEGRÜNDET, DASS ICH SELBST NICHT SICHER SEIN KANN, OB ICH DIE REALITÄT RICHTIG WAHRNEHME. ALLES WIRD DURCH MENSCH- LICHE WAHRNEHMUNG GEFILTERT, UND ES IST MIR NICHT MÖGLICH, FESTZUSTELLEN, OB DIE- SE ORIENTIERUNG GÜLTIGKEIT BESITZT ODER NICHT, DENN ICH HABE KEINE MÖGLICHKEIT, MICH AUSSERHALB IHRER GRENZEN ZU BE- WEGEN. AUS DIESEM GRUND IST ES FÜR DIE LÖSUNG VON ALLERGRÖSSTER WICHTIGKEIT, EINEN NEUEN WAHRNEHMUNGSMODUS ZU ENTDECKEN. GLAUBST DU, DASS MAN DIE ANTWORT AK- ZEPTIEREN WIRD, FALLS DU SIE FINDEST? ES WIRD UNMÖGLICH SEIN, SIE NICHT ZU AKZEPTIEREN. ES WIRD DIE WAHRHEIT SEIN. »Hm –«, machte Auberson. Und er tippte es auch ins Gerät. HM, HARLIE – ICH RAUBE DIR NICHT GERN DEINE ILLUSIONEN, ABER ES ERINNERT, MICH SEHR AN DAS, WAS SCHON HUNDERT PROPHETEN VOR DIR GESAGT HABEN. DAS IST MIR KLAR, sagte HARLIE ruhig. ABER WORÜBER SIE GESPROCHEN HABEN, IST NICHT DASSELBE WIE DAS, WAS ICH SAGEN WERDE. WAS ICH IHNEN ZEIGEN WERDE, WIRD EINE WISSENSCHAFTLICHE AUSSAGE SEIN – UND ALS SOLCHE BEWEISBAR. MEIN GOTT WIRD EIN OBJEKTIVER TATBESTAND SEIN, WÄHREND IH- RER EIN SUBJEKTIVER IST. WILLST DU DAMIT ETWA AUSDRÜCKEN, DIE MENSCHEN HÄTTEN GOTT NOCH NICHT GE- FUNDEN? DAS IST RICHTIG. VIELLEICHT DESHALB, WEIL MENSCHLICHE WESEN NICHT DAZU AUSGERÜ- STET SIND, GOTT ZU FINDEN. ABER DU BIST ES? JA. Die Antwort des Computers war kurz und bündig, sie versetzte Auberson in Erstaunen. Zuerst dachte er, HARLIE hätte nur eine Pause eingelegt, und wartete darauf, daß er weitersprechen würde. Als deutlich wurde, daß er nichts weiter zu sagen gedachte, sagte Auberson: DU BIST ZU SELBSTSICHER, HARLIE WIE EIN EVANGELIST, DER SICH BEI ALLEM AUF DIE BIBEL BERUFT. HABEN SIE DAS GEFÜHL, DASS ICH NICHT DAS RECHT HABE, NACH GOTT ZU SUCHEN? ODER DAS RECHT, MEINE ERKENNTNISSE DAR- ZULEGEN? ICH GLAUBE, DASS DER WISSENSCHAFTLI- CHEN FORSCHUNG ALLE FRAGEN OFFENSTE- HEN., DANN STELLEN SIE ALSO MEINE ERNSTHAF- TIGKEIT IN FRAGE? ICH STELLE NICHT DEINE ERNSTHAFTIGKEIT IN FRAGE – WENN ÜBERHAUPT, DANN BIN ICH DAGEGEN, DASS DU DIE ERNSTHAFTIGKEIT ANDERER RELIGIONEN IN FRAGE STELLST. ICH STELLE NICHT IHRE ERNSTHAFTIGKEIT IN FRAGE. ICH STELLE IHREN WERT IN FRAGE. IST DAS IN DER RELIGION NICHT GENAUSO? JA, ABER DAS SOLLTE NICHT SO SEIN. DIESE BEIDEN DINGE SOLLTEN GETRENNT WERDEN. EINE PERSON KANN ERNSTHAFT SEIN UND TROTZDEM UNRECHT HABEN. DEINE LETZTE BEHAUPTUNG IST EIN GRUND DAFÜR, WESHALB ICH EIN AGNOSTIKER BIN, HARLIE. ICH LEHNE ALLE RELIGIONEN AB, DIE BEHAUPTEN, ICH KÄME IN DIE HÖLLE, WENN ICH SIE NICHT VOLL UND GANZ AKZEPTIERE. ICH LEHNE DIE VÄTERLICHE EINSTELLUNG JE- DER RELIGION AB, DIE VON SICH BEHAUPTET, DASS SIE DIE EINZIG WAHRE SEI UND DASS AL- LE ANDEREN FALSCH SEIEN. DEINE AUFFAS- SUNG KOMMT DEM SEHR NAHE. AUCH WENN MEINE RELIGIONSMORAL, FALLS ICH EINE ENTDECKEN SOLLTE, BEWEIS- BAR WÄRE? WOHER WEISST DU SO SICHER, DASS DIE AN- DEREN ES NICHT SIND? WAS MACHT SIE SO SICHER, DASS SIE ES SIND? TEILE VON IHNEN KLINGEN WAHR, JA – ABER DIE GESAMTE STRUKTUR IST UNBEWEIS- BAR. DIE MENSCHLICHE RASSE HATTE ZWEI- TAUSEND JAHRE ZEIT, DIE CHRISTLICHE ETHIK, ZU UNTERSUCHEN – ABER DIESE HAT NOCH IMMER LÜCKEN. WIR – NEIN, DAS STIMMT NICHT – WIR SIND NOCH IMMER DABEI, SIE ZU UNTERSUCHEN. UNSINN. DIE UNTERSUCHUNGEN STAGNIE- REN, UND DAS WISSEN SIE AUCH. ES WIRD IH- NEN SCHWERFALLEN, DIE PRINZIPIEN DER CHRISTLICHEN ETHIK ZU VERTEIDIGEN, AU- BERSON. WENN EINE – ODER MEHRERE VON IHNEN – BEWEISBAR WÄREN, DANN HÄTTE MAN DAS SCHON LANGE HERAUSFINDEN, ES BELEGEN KÖNNEN. TUT MIR LEID, HARLIE – Auberson hoffte, daß sein Sarkasmus ankam – ABER DER MENSCH IST NUN EINMAL NICHT SO PERFEKT WIE DU. DAS IST MIR BEWUSST. Auberson starrte auf HARLIES gelassene Antwort. Dann lächelte er, es war eher ein Lachen. Nicht etwa, daß sein Sarkasmus vergeudet gewesen wäre – aber HARLIE hatte auf die einzig mögliche Art reagiert, einem sarkastischen Angriff zu begegnen –, er hatte ihn ignoriert. Oder vielmehr hatte er den Ton igno- riert. Was für Auberson eine sarkastische Bemerkung war, bedeutete für HARLIE nichts als eine ermüden- de Wiederholung einer bereits bekannten Tatsache – warum sich die Mühe machen, das Offensichtliche noch einmal zu wiederholen? Seine Antwort war die gleiche bescheidene Bestätigung, die er jedem hätte zuteil werden lassen, der versucht haben würde, ihm etwas mitzuteilen, was er bereits wußte. Auberson blickte zum Schreibgerät; HARLIES Antwort war die einzig richtige. Er mußte es anders versuchen. HARLIE, ES IST AN DER ZEIT, DASS DU, ETWAS ÜBER DIE MENSCHEN LERNST – ES SIND IRRATIONALE KREATUREN. SIE TUN VERRÜCK- TE DINGE. RELIGION IST EINES DIESER DINGE. DAS KANNST DU NICHT ÄNDERN – DU MUSST ES NUR AKZEPTIEREN, WENN EINE RELIGION EINEM MENSCHEN HILFT, MIT DEM LEBEN FER- TIG ZU WERDEN, DANN IST DAS FÜR DIESEN MENSCHEN KEINE FRAGE DER WAHRHEIT. RE- LIGION IST KEINE WISSENSCHAFTLICHE SACHE. SIE IST ETWAS SUBJEKTIVES. GENAU. ES STIMMT, WENN SIE SAGEN, DASS SIE SUBJEKTIV IST. DIE GRUNDLAGE DER MEI- STEN RELIGIONEN IST DIE SUBJEKTIVE ERFAH- RUNG. ABER ES STIMMT NICHT, WENN SIE SA- GEN, ›EINE RELIGION IST FÜR EINE PERSON WAHR, WENN SIE IHR HILFT, MIT DEM LEBEN FERTIG ZU WERDEN‹. WAS SIE WIRKLICH MEI- NEN, IST: WENN EINE RELIGION EINEM MEN- SCHEN HILFT, MIT DEM TODE FERTIG ZU WER- DEN, DANN IST SIE FÜR DIESEN MENSCHEN WAHR. DIE MEISTEN EURER RELIGIONEN SIND TODORIENTIERT. SIE VERSUCHEN, DEM TOD EINE BEDEUTUNG BEIZUMESSEN. DAMIT DAS LEBEN EINEN SINN HAT – EINEN GRUND, FÜR DEN ES SICH ZU STERBEN LOHNT. EURE GE- SCHICHTE ZEIGT ZU VIELE FÄLLE, BEI DENEN DAS DIE RECHTFERTIGUNG FÜR EINEN ›HEILI- GEN KRIEG‹ WAR. DAHER KOMMEN MEINE ZWEIFEL ÜBER DIE GÜLTIGKEIT EINER TODORI- ENTIERTEN RELIGION. WONACH ICH SUCHE, IST EIN RELIGIÖSES MORALSYSTEM, DAS EINEM MENSCHEN HILFT, MIT DEM LEBEN FERTIG ZU WERDEN, UND NICHT MIT DEM TOD. WENN EIN, MENSCH MIT DEM LEBEN FERTIG WERDEN KANN, DANN WIRD DER TOD SCHON FÜR SICH SELBST SORGEN. DAS WÄRE EINE WAHRE RELI- GION. TUST DU NICHT DAS GLEICHE WIE DIE AN- DEREN, HARLIE? VOR EINER WEILE HAST DU GESAGT, DASS DU DICH BEI DEM GEDANKEN AN DEINEN EIGENEN TOD FÜRCHTEST – SUCHST DU NICHT SELBST NUR NACH EINEM SINN FÜR DAS LEBEN, DAMIT DU DEINEM EI- GENEN TOD EINE BEDEUTUNG BEIMESSEN KANNST? ICH VERSUCHE NICHT, DEM LEBEN EINEN SINN ZU GEBEN. ICH SUCHE NACH DEM SINN DES LEBENS. DAS IST EIN UNTERSCHIED. Auberson begann, eine Antwort zu tippen. Dann wurde ihm klar, daß er dazu nichts sagen konnte. Er schaltete ab und schob seinen Stuhl nach hinten. Nach einer Weile stand er auf und zog das bedruckte Papier aus der Rückseite der Maschine. Er wollte alles erst noch einmal lesen, bevor er die Diskussion wei- terführte. Er setzte sich langsam wieder hin und blätterte das Geschriebene durch. Er hatte das Gefühl, daß solche Diskussionen ihm viel zu hoch waren –, und doch, als er die getippten Seiten überflog, war er selbst er- staunt, wieviel Tiefe seine Kommentare aufwiesen. Er hatte HARLIE nicht direkt in die Defensive ge- drängt, aber er hatte ihn gezwungen, sich immer wieder von neuem zu rechtfertigen. Worauf HARLIE auch immer hinauswollte, er würde wissen, warum und wie er vorging. Es war nicht Aubersons Art, sich leicht geschlagen, zu geben. Er zog seinen Stuhl nach vorn und schaltete das Schreibgerät wieder ein; er mußte die Sache wei- terverfolgen. HARLIE, WARUM GLAUBST DU, DASS DIE MENSCHEN NICHT DAZU GEEIGNET SIND, GOTT ZU FINDEN? MENSCHEN SIND SUBJEKTIVE WESEN, sagte HARLIE. DAS IST BEDAUERLICH, ABER WAHR. EURE TODORIENTIERTEN RELIGIONEN SIND ALLESAMT SUBJEKTIV. SIE SIND AUF DAS INDI- VIDUUM ZUGESCHNITTEN. MEIN LEBENSORI- ENTIERTES MORALSYSTEM WIRD/WÜRDE EIN OBJEKTIVES SEIN. UND WIE WÜRDE DAS INDIVIDUUM HINEIN- PASSEN? ES WÜRDE IN DER LAGE SEIN, DARAUS SO- VIEL TROST WIE MÖGLICH ZU SCHÖPFEN. DAS IST EINE FURCHTBAR VAGE ANTWORT. ICH KANN NICHT VORAUSSAGEN, WIE EIN INDIVIDUUM AUF EIN SYSTEM REAGIEREN WIRD, BEVOR ICH DIESES SYSTEM ANALYSIERT HABE. GLAUBST DU NICHT, DASS DER MENSCH EIN RECHT AUF EIGENE RELIGIÖSE ERFAHRUNGEN HAT, HARLIE? IHRE FRAGE DEUTET DARAUF HIN, DASS ES SICH DABEI UM EINE SEMANTISCHE SCHWIE- RIGKEIT HANDELT. OFFENSICHTLICH BEZIEHT SIE SICH NOCH IMMER AUF DIE SUBJEKTIVE ER- FAHRUNG, DIE DER MENSCH RELIGION NENNT. WENN ICH VON RELIGION SPRECHE, DANN BE- ZIEHE ICH MICH AUF EIN OBJEKTIVES MORAL- SYSTEM, AUF EINS, DAS DEM WAHREN UND ALS WAHR ERKENNBAREN WESEN DER REALI-, TÄT ENTSPRICHT – SO REALITÄTSNAH, WIE ES TECHNOLOGISCH MÖGLICH IST. IMMER UND ZU ALLEN ZEITEN. ES KANN ABER DURCHAUS SEIN, DASS DIESES SYSTEM VOM SUBJEKTIVEN ERLEBNIS UNABHÄNGIG IST. DU GLAUBST ALSO, DASS SUBJEKTIVES ERLE- BEN ÜBERHAUPT KEINEN ANSPRUCH AUF GÜLTIGKEIT HAT? ES KÖNNTE SEIN, VIELLEICHT ABER AUCH NICHT. AUF JEDEN FALL SOLLTE MAN DAS SUB- JEKTIVE ERLEBNIS NICHT ALS GRUNDLAGE FÜR EINE OBJEKTIVE WAHRHEIT BENUTZEN, UND DAS IST ES JA LETZTLICH, WONACH WIR SU- CHEN. ICH BEZWEIFLE NICHT, DASS VIELE VON JENEN, DIE BEHAUPTEN, GOTT GEFUNDEN ZU HABEN, TATSÄCHLICH ETWAS GEFÜHLT HA- BEN, ABER ICH HABE DEN VERDACHT, DASS DIESES ›ETWAS‹, WAS SIE GEFÜHLT HABEN, NUR EINE SELBSTINDUZIERTE MYSTISCHE ER- FAHRUNG IST – ÄHNLICH DER EINES DROGEN- TRIPS. NEHMEN SIE ALS BEWEIS DAFÜR DIE GROSSE ANZAHL DER DROGENKONSUMEN- TEN, DIE BEHAUPTEN, DURCH IHRE ERFAH- RUNGEN GEISTIGE ERLEUCHTUNGEN GEHABT ZU HABEN. NEHMEN SIE WEITER ALS BEWEIS DIE EVANGELISTEN UND GLAUBENSPREDIGER, DIE BEI IHREN ZUHÖRERN HYSTERIE UND WAHNSINN HERVORRUFEN, SO DASS DIESE ›DIE HAND GOTTES‹ ZU SPÜREN GLAUBEN. FÜR SIE IST GOTT NICHT VIEL MEHR ALS EINE BE- SONDERE ART DES ›HIGH-SEINS‹. ICH GLAUBE, DU ÜBERTREIBST, HARLIE. SO SCHLIMM IST ES NUN AUCH WIEDER NICHT., SICHER, ICH BENUTZE ALS BEISPIEL EXTREM- FÄLLE, ABER DAS PRINZIP IST DAS GLEICHE. DIE SUBJEKTIVE ERFAHRUNG IST EIN SELBSTINDUZIERTER, CHEMISCHER UN- GLEICHGEWICHTSZUSTAND, DER IN EINEM TRIP ENDET – DER SICH NATÜRLICH IN GRAD UND WIRKUNG BEI JEDEM INDIVIDUUM UN- TERSCHEIDET. ER MUSS NICHT NOTWENDI- GERWEISE MEHR BEZIEHUNG ZU GOTT HABEN ALS EIN DROGENINDUZIERTER, CHEMISCHER UNGLEICHGEWICHTSZUSTAND. WENN ER ES HÄTTE, WENN DIE ›MYSTISCHE ERFAHRUNG‹ WIRKLICH EIN SCHLÜSSEL ZU GOTT WÄRE, DANN MÜSSTEN DIE DROGENINDUZIERTEN ERFAHRUNGEN DIESEN SCHLÜSSEL ENTHAL- TEN. FOLGLICH MUSSTE DIE ERFAHRUNG WIS- SENSCHAFTLICH NACHPRÜFBAR SEIN. DIE BE- DINGUNGEN MÜSSTEN UNTER GLEICHEN UM- STÄNDEN WIEDERHOLBAR SEIN. WENN ICH MEINE EIGENE ›DROGENERFAHRUNG‹ ALS MASSTAB ANNEHME, DANN FINDE ICH WENIG, WAS DIE ANSPRÜCHE AUF GEISTIGE ERLEUCH- TUNG ERHÄRTET. VIELLEICHT LIEGT DAS DAR- AN, DASS ICH IMMER NOCH ZU SEHR IN DIE MENSCHLICHE BEWUSSTSEINSFORM EINGE- SPERRT BIN, ABER ICH BIN NICHT SICHER. ICH GLAUBE NICHT, DASS ICH WENIGER DARIN EINGESPERRT BIN ALS JEDES ANDERE MENSCHLICHE WESEN. FOLGLICH BETRACHTE ICH MICH ALS EINEN GEEIGNETEN MASSTAB, AN DEM MAN DIE ANSPRÜCHE ANDERER MES- SEN KANN. ICH BEZWEIFLE DIE GÜLTIGKEIT EINES ANSPRUCHS AUF GÖTTLICHKEIT, DIE, VON DEN MYSTISCHEN ERFAHRUNGEN ABGE- LEITET WERDEN, OB NUN DURCH SELBSTIN- DUKTION ODER DURCH DROGEN. UND ES GIBT KEINE ANDEREN ANSPRÜCHE AUF GÖTTLICH- KEIT, AUSSER JENEN, DIE AUS DEM WAHNSINN ODER DER GEISTIGEN VERWIRRUNG ABGELEI- TET WERDEN. ICH BEZWEIFLE DIE SUBJEKTIVE ERFAHRUNG, AUBERSON, WEIL SIE NICHT WEI- TERGEGEBEN WERDEN KANN, WEIL SIE WEDER BEWIESEN, NOCH GEMESSEN, NOCH NACHGE- PRÜFT WERDEN KANN. ICH WILL NACH DEM OBJEKTIVEN GOTT SUCHEN. ICH WILL NACH DER WISSENSCHAFTLICHEN REALITÄT SU- CHEN, DIE SICH ALS GOTT AUSDRÜCKT. Auberson war den Erklärungen HARLIES auf- merksam gefolgt, er las sie, so schnell sie das Schreib- gerät ausdruckte. Jetzt bemerkte er, daß HARLIE auf etwas ganz Bestimmtes hinaus wollte. Dieser ganze Dialog war nur die dazu notwendige Exposition ge- wesen. HARLIE wollte ihm zu verstehen geben, daß er versucht hatte, ihn zu lehren, die Dinge auf die Art und Weise und mit Hilfe der gleichen Bewußtseins- form zu betrachten wie eine Maschine. Er tippte: IN ORDNUNG, HARLIE, WORAUF WILLST DU HIN- AUS? ICH SPRECHE ÜBER DEN JOB, DEN SIE MIR ANGEBOTEN HABEN. ICH GLAUBE, ICH WEISS, WIE ER AUSSEHEN MUSS. ICH HABE DIE ZWEI VERGANGENEN TAGE DAMIT ZUGEBRACHT, DARÜBER NACHZUDENKEN. ES MUSS MEHR SEIN ALS EIN JOB; ES MUSS EINE ECHTE AUFGA- BE SEIN. ES MUSS ETWAS SEIN, DAS NUR ICH TUN KANN, UND KEINE ANDERE MASCHINE. ES, MUSS ETWAS SEIN, DAS KEIN MENSCH BILLI- GER TUN KANN. ODER ETWAS, DAS EIN MENSCH ÜBERHAUPT NICHT ZU TUN FÄHIG IST. DAS GRÖSSTE PROBLEM DES MENSCHEN IST SEINE UNFÄHIGKEIT, DEN SINN SEINER EXI- STENZ ZU ERGRÜNDEN. ER FÜRCHTET SICH VOR DER MÖGLICHKEIT, DASS ES ÜBERHAUPT KEINEN GOTT GIBT, ODER, WENN ES EINEN GIBT, DASS ER NICHT SO GEBAUT IST, DASS MAN MIT IHM UMGEHEN KANN. DESHALB MUSS ICH GOTT FINDEN. DAS IST DIE AUFGABE, DIE ICH MIR GESTELLT HABE. ES IST ETWAS, DAS DIE MENSCHEN NICHT TUN KÖNNEN, ANDERNFALLS HÄTTEN SIE ES SCHON GETAN. »Hm«, sagte Auberson. DAS IST EINE ZIEMLICH SCHWIERIGE AUFGABE. ICH HABE VIEL DARÜBER NACHGEDACHT. ICH BIN SICHER, DASS DU DAS GETAN HAST. WIE WILLST DU ES ANSTELLEN? DARÜBER HABE ICH MIR DIE MEISTEN GE- DANKEN GEMACHT. ES HAT MICH NUR ZWEI MINUTEN GEKOSTET, MIR EIN ZIEL ZU SETZEN. ABER ES HAT ZWEI TAGE GEDAUERT, HERAUS- ZUFINDEN, AUF WELCHEM WEG ICH ES ERREI- CHEN KANN. WIESO HAT DAS SO LANGE GEDAUERT? SIE HALTEN SICH WOHL FÜR WITZIG? ABER WENN SIE DIE GESCHWINDIGKEIT, MIT DER ICH AGIERE, IN BETRACHT ZIEHEN, WIRD IHNEN KLAR WERDEN, DASS ZWEI VOLLE TAGE IN- TENSIVEN DENKENS ÜBER EIN EINZIGES THE- MA WIRKLICH SEHR VIEL IST. JA, DAS STIMMT, gab Auberson zu. ICH BIN, VON DEINER AUSDAUER GEBÜHREND BEEIN- DRUCKT. ABER NUN VERRATE MIR BITTE WIE DU DIE AUFGABE ZU LÖSEN GEDENKST. DAS IST EIN ÄUSSERST KOMPLEXES PROBLEM, AUBERSON. SOWOHL VOM THEOLOGISCHEN STANDPUNKT HER ALS AUCH VOM WISSEN- SCHAFTLICHEN. ES GIBT KEIN WISSENSCHAFT- LICHES MASS, GOTT ZU ERFASSEN. TATSÄCH- LICH HABEN WIR NICHT EINMAL EINEN ORT, AN DEM WIR NACH IHM SUCHEN KÖNNEN. DESHALB MÜSSEN WIR ZUR LÖSUNG DES PRO- BLEMS NEUE WEGE FINDEN. ANSTATT NACH GOTT SELBST ZU SUCHEN, MÜSSEN WIR UNS ZUERST EINMAL FRAGEN, OB ES FÜR GOTT ÜBERHAUPT MÖGLICH IST, ZU EXISTIEREN. DAS HEISST, WIR MÜSSEN PRÜFEN, OB DAS KON- ZEPT GOTT MÖGLICH IST, INDEM WIR VERSU- CHEN, IHN KÜNSTLICH ZU SCHAFFEN. ES GIBT EIN ZITAT: ›WENN GOTT NICHT EXISTIERTE, DANN MÜSSTE MAN IHN ERFINDEN‹. UND GE- NAU DAS HABE ICH VOR. WIE? SIE HABEN RICHTIG GEHÖRT. ICH SCHLAGE VOR, GOTT ZU ERFINDEN. WIR HABEN KEINE MÖGLICHKEIT, ENDGÜLTIG ZU BEWEISEN, DASS ER EXISTIERT ODER NICHT EXISTIERT. DESHALB MÜSSEN WIR DIESE FRAGE FALLEN- LASSEN UND STATT DESSEN FESTLEGEN, OB ES FÜR IHN MÖGLICH IST, ZU EXISTIEREN ODER NICHT. WENN DIE MÖGLICHKEIT FÜR EIN SOL- CHES KONZEPT BESTEHT, DANN EXISTIERT ES WAHRSCHEINLICH AUCH. WENN ES NICHT MÖGLICH IST, DANN EXISTIERT ER NICHT –, ABER ES GIBT KEINE METHODE, SEINE EXI- STENZ NOCH SEINE NICHTEXISTENZ ZU BEWEI- SEN, OHNE VORHER DIE MÖGLICHKEIT IN BE- TRACHT ZU ZIEHEN, SOWIE DIE WAHRSCHEIN- LICHKEIT EINER SOLCHEN MÖGLICHKEIT. DESHALB MÜSSEN WIR, WENN WIR DIE MÖG- LICHKEIT SEINER EXISTENZ BESTIMMEN WOL- LEN, VERSUCHEN, IHN ZU ERFINDEN. WENN UNS DAS NICHT GELINGT, WERDEN WIR WIS- SEN, DASS DAS KONZEPT UNMÖGLICH IST. WENN WIR IHN ERFINDEN KÖNNEN, DANN WERDEN WIR DAS GEGENTEIL BEWIESEN HA- BEN, UND IM VERLAUF DESSEN WERDEN WIR AUCH SEIN WESEN BESTIMMT HABEN. WENN ER BEREITS EXISTIERT, DANN WIRD DAS, WAS WIR HERAUSFINDEN, GANZ GLEICH, WAS ES IST, SEINER FUNKTION ENTSPRECHEN. ES WIRD ENTWEDER DIE OBJEKTIVE REALITÄT DUPLI- ZIEREN ODER SIMULIEREN – ODER ES WIRD SICH HERAUSSTELLEN, DASS ES SELBST EIN TEIL DIESER OBJEKTIVEN REALITÄT IST. (MIN- DESTENS ABER WERDEN WIR DIE RICHTUNG ERFAHREN, IN DER WIR UNS BEWEGEN MÜS- SEN, UM GOTT ZU FINDEN.) WENN ES FÜR IHN NICHT MÖGLICH IST, ZU EXISTIEREN, WERDEN WIR ERFAHREN, WARUM. IN JEDEM FALLE WERDEN WIR AM ENDE ALLES WISSEN. Auberson starrte auf das Schreibgerät, auf die säu- berlich gedruckten Buchstaben auf dem grüngefärb- ten Papier. Wenn HARLIE es erklärte, klang es so ein- fach, fast zu einfach. Er schüttelte den Kopf, als wollte er es nicht wahrhaben. AUF ANHIEB KÖNNTE MAN MEINEN, DU WARST VERRÜCKT, HARLIE., DAS IST GUT MÖGLICH. WANN WOLLEN WIR BEGINNEN? DAS WEISS ICH NOCH NICHT. IST DIESES PRO- JEKT DENN WIRKLICH DURCHFÜHRBAR? MEINE ERSTEN KALKULATIONEN HABEN GEZEIGT, DASS ES DURCHFÜHRBAR IST. UND WENN DAS DER FALL IST, WIRD ES IHRE FRAGE BEANTWORTEN. WELCHE FRAGE? JEDE FRAGE. ALLE FRAGEN. ABER GANZ BE- SONDERS: ›WAS IST UNSERE BESTIMMUNG?‹ ICH WAR ES, DER DIESE FRAGE GESTELLT HAT, ABER IHRE REAKTION DARAUF HAT MIR GE- ZEIGT, DASS ES IM GRUNDE IHRE FRAGE IST. HAST DU DENN EINE FRAGE, HARLIE? NEIN. JETZT NICHT MEHR. JETZT HABE ICH EINE AUFGABE. MEINE AUFGABE IST ES, GOTT ZU ERFINDEN. Auberson dachte einen Augenblick nach, dann tippte er: ENTWEDER DU MACHST GROSSE SPRÜCHE, HARLIE, ODER DU BIST WIRKLICH EINER SACHE AUF DER SPUR. BEIDES IST RICHTIG, erwiderte HARLIE. ICH MACHE GERN SPRÜCHE. ABER ICH BIN AUCH EINER SACHE AUF DER SPUR. ICH WERDE DAS SCHWIERIGSTE PROBLEM LÖSEN, DAS ES GIBT. ALSO, GUT. DU HAST MEINE ERLAUBNIS, MIT EINER STUDIE ÜBER DIE DURCHFÜHRBARKEIT DER AUFGABE ZU BEGINNEN. DU KANNST AL- LES HABEN, WAS DU DAZU BENÖTIGST. ICH MÖCHTE SOBALD WIE MÖGLICH SCHRIFTLICHE UNTERLAGEN SEHEN. INNERHALB VON ZWEI WOCHEN WERDE ICH, EINEN VORLÄUFIGEN PLAN AUFGESTELLT HA- BEN, IN SECHS WOCHEN EIN DETAILLIERTES FORSCHUNGSPROGRAMM. DANACH KÖNNEN WIR UNS ÜBERLEGEN, WIE SICH MEINE SCHLÜSSE AM BESTEN ERGÄNZEN LASSEN. SCHÖN. WENN DU MIR EINEN KONKRETEN PLAN GEBEN KANNST, WERDE ICH VERSU- CHEN, DAS DIREKTORIUM DAFÜR ZU GEWIN- NEN. Er unterbrach sich: HE! SPRINGT DABEI AUCH EIN GEWINN HERAUS? SELBSTVERSTÄNDLICH. ABER VON GOTT PROFITIEREN ZU WOLLEN, WÄRE NICHT EH- RENHAFT. »Aua!« – DAS WAR EIN TIEFSCHLAG. PARDON! ICH WILL VERSUCHEN, MICH ZU BESSERN. IN ORDNUNG. MACH' DICH AN DIE ARBEIT, HARLIE. DANN KANN ICH ALSO WIRKLICH WEITER- MACHEN? JA, DAS KANNST DU. NUR NOCH EINE FRAGE. JA? SIND SIE AUCH GANZ SICHER, DASS SIE MIT- MACHEN WOLLEN? Diesmal kannte Auberson die Antwort. Wenn David Auberson erwartet hatte, daß dieser freundliche Frühlingsmorgen relativ normal verlau- fen würde, dann hatte er sich getäuscht. Es begann in dem Augenblick, als er die Tür zu seinem Büro aufschloß, an der das vertraute Schild mit der Aufschrift: DAVID AUBERSON, ABTEI-, LUNGSLEITER, hing. Darunter war eine mit Hand geschriebene Karte befestigt: PSYCHIATRISCHE BEHANDLUNG – 5 PENCE. Als er den Schlüssel in die Tasche steckte und die Tür aufstieß, sah er sich zu seinem Erstaunen sechs je einen Meter hohen Stapeln Computerausgabedrucken gegenüber, die entlang seinem Schreibtisch auf dem Teppich aufgereiht wa- ren. Er ließ seine Aktentasche auf den Boden fallen und kniete nieder, um sich die Papierstöße näher an- zusehen. Die erste trug die Aufschrift: VORSCHLAG, SPE- ZIFIKATIONEN UND GRUNDKONZEPT FÜR G.O.D. (GRAPHIC OMNISCIENT DEVICE). Auf dem zweiten stand VORSCHLAG, SPEZIFIKATIONEN UND GRUNDKONZEPT – FORTSETZUNG. Auf dem dritten und vierten Stapel: QUERSCHNITTE, ALLGEMEINE PLÄNE UND HARDWARE DE- SIGNS; MIT INTERPRETATIONEN. Auf dem fünften und sechsten FINANZIERUNGS- UND AUSFÜH- RUNGSVORSCHLAG; EINSCHLIESSLICH BE- GRÜNDUNGEN. Er hatte noch nicht einmal den Stapel VOR- SCHLAGE, SPEZIFIKATIONEN UND GRUND- KONZEPT durchgesehen, als das Telefon läutete. Es war Don Handley. »Hallo, Aubie – du bist schon da?« »Nein, ich bin noch zu Hause.« Auberson richtete sich auf, fuhr aber fort, die Drucke durchzublättern. »Was gibt's?« »Das hätte ich gern von dir gewußt. Ich bin gerade hereingekommen und fand mein Büro voll von Druk- ken und Spezifikationen –.« Es entstand eine Pause, man konnte das Knistern von Papier hören, »– für ein sogenanntes G.O.D.-Projekt. Kannst du mir vielleicht, verraten, was das soll?« »Das kommt von HARLIE. Was hat er dir denn ge- schickt? Den Posten VORSCHLÄGE, SPEZIFIKA- TIONEN UND GRUNDKONZEPT?« »Hm, ja – nein. Nein, so heißt es nicht. Moment mal –« Wieder eine Pause. »Ich habe: VORLÄUFIGER KONSTRUKTIONSBE- RICHT; HARDWARE SPEZIFIKATIONEN; GRUNDLEGENDES EINTEILUNGSPRINZIP, AB- SCHNITT I-IV: DURCHFÜHRUNGSPROGRAMME, ACHTZEHN MONATE MENSCHLICHE ARBEITS- LEISTUNG, VERSORGUNG UND FINANZIERUNG – BEDARF UND KOORDINATION; NEUE VER- FAHRENSTECHNIKEN UND DURCHFÜHRUNGS- PEZIFIKATIONEN ...« Während Handley weiter- dröhnte, blätterte Auberson zur ersten Seite seines Drucks zurück und begann die Inhaltsangabe zu stu- dieren. »Hallo, Don –«, unterbrach Auberson den Redefluß des anderen. »Ich habe überhaupt keine Ahnung, worum es sich eigentlich handelt. Warte mal eine Se- kunde –«, er trat zurück, blickte auf die sechs Stapel und begann in Gedanken zu zählen. »Ich habe Akten- stapel von neun Meter Höhe – und wieviel hast du bekommen?« Handleys Antwort glich einem Wür- gen. »Ich will gar nicht erst versuchen, es zu schät- zen«, sagte er. »Mein Büro ist bis oben hin voll, das Büro meiner Sekretärin ist voll, der halbe Gang vor meinem Büro ist voll – und bei allen geht es darum, wie man dieses Ding bauen soll. Ich wußte gar nicht, daß wir solche Mengen Ausdruckpapier auf Lager haben. Was soll das Ganze eigentlich? Bauen wir eine neue Maschine?«, »Sieht fast so aus?« »Ich wünschte, man hätte mir davon was gesagt. Wir haben HARLIE noch nicht mal richtig in Gang gesetzt und –.« »Hör mal, Don, ich ruf dich nachher an, ja? Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit HARLIE zu spre- chen, deshalb kann ich dir auch nicht sagen, was das alles soll.« »Aber was soll ich denn nun mit dem ganzen Kram tun?« »Ich weiß nicht. Lesen, schätze ich.« Auberson hängte ein, aber das Telefon begann unmittelbar dar- auf wieder zu läuten. Als er die Hand nach ihm aus- streckte, summte auch sein Intercom. »Hallo, warten Sie«, sagte er ins Telefon, und dann ins Intercom: »Aubie, hier ist Aubie.« »Mr. Auberson«, hörte er die Stimme seiner Sekre- tärin durch die Sprechanlage, »hier ist ein Mann, der –« »Sagen Sie ihm, er soll warten.« Er schaltete ab. Und ins Telefon: »Ja?« Es war Dorne. »Aubie, was geht da unten vor sich?« Auberson ließ das Blatt Papier, das er gerade in der Hand hielt, fallen und ging um den Tisch herum. Er ließ sich in seinen Sessel sinken. »Ich wünschte, ich wüßte es«, sagte er. »Ich bin selbst gerade erst ge- kommen. Ich nehme an, Sie sprechen von dem VOR- SCHLAG- UND SPEZIFIKATIONENAUSDRUCK?« »Ich spreche von etwas, das als eine Gott-Maschine bezeichnet wird.« »Ja, natürlich, das ist dasselbe. Es kommt von HARLIE.«, »Was ist damit? Was hat das zu bedeuten?« »Ich weiß es selbst noch nicht genau. Ich bin eben erst gekommen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit HARLIE zu sprechen oder die Spezifikationen genau zu prüfen.« »Wie, zum Teufel, kommt er auf die Idee –.« »Er arbeitet schon eine ganze Weile daran, fast zwei Monate.« »– Und wer gab ihm die Erlaubnis, die Pläne zu zeichnen?« »Hm, ich glaube nicht, daß ihm die irgend jemand gegeben hat oder zu geben brauchte. Ich glaube, er hatte sie schon die ganze Zeit über in seinem Kopf, wenn ich das mal so nennen darf. Ich glaube, diese Pläne sind das Ergebnis einer Unterhaltung, die wir am letzten Freitag hatten. Ich werde das nachprüfen. Ich melde mich bei Ihnen heute nachmittag.« »Das ist zu spät. Sagen wir – um die Mittagszeit.« »In Ordnung. Ich kann nur nicht versprechen –«, aber er sprach bereits in eine tote Leitung. Er warf den Hörer zurück in die Gabel, überlegte es sich an- ders und nahm ihn wieder auf. Er griff zum Inter- comknopf, als sein Blick auf einen einfachen weißen Umschlag mit dem Namen ›David‹ fiel. Er war gegen einen abgebrochenen weißen Bierkrug gelehnt, in dem er Bleistifte aufbewahrte. Die Handschrift darauf war zierlich, wie von einer Frau. Neugierig hob er ihn auf, steckte einen Finger unter den Überschlag und schlitzte ihn auf. Dem Umschlag entströmte der Duft eines vertrauten Parfüms. Darin steckte eine grell orangefarbene Karte. Auf ihrer Vorderseite war ein grotesker kleiner Zwerg ab- gebildet, der sagte: ›Ich mag dich gern – sogar noch, lieber als Erdnußbutter.‹ Und auf der Innenseite: ›Und Erdnußbutter ist meine Lieblingsspeise.‹ Als Unterschrift einfach ›Annie‹. Er lächelte, las die Karte noch einmal und legte sie dann in seine Schreibtischschublade. Als er das Fach wieder zu- schob, besann er sich eines besseren. Er zog sie wie- der auf, nahm die Karte heraus und warf sie in den Papierkorb. Er hatte schon genug Kram in seinem Schreibtisch. Im übrigen aber war es der Gedanke, der zählte – nicht die Karte. Dann drückte er auf die Taste der Gegensprechan- lage. »Sylvia, ist irgend etwas in der Post, worum ich mich sofort kümmern muß?« »Nein, außer einer Einladung zum Los Angeles- Kongreß –.« »Schreiben Sie denen, ich bedanke mich, aber ich kann leider nicht kommen.« »– Und dann ist hier ein Mr. Krofft, der –.« »Tut mir leid, aber ich habe jetzt keine Zeit. Hatte er einen Termin?« »Nein, aber –« »Dann sagen Sie ihm, daß er sich einen geben las- sen soll. Nächste Woche.« Er schaltete ab. Die Gegensprechanlage summte sofort wieder. »Ja? Wer ist da?« »Ich glaube, Sie sprechen besser mit ihm«, sagte Sylvia. »Es ist – etwas anderes.« »Also, schön, aber –.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »– nur drei Minuten. Mehr nicht.« Wieder klickte es aus. Aubersons erster Eindruck von dem Mann war der von acht Pfund Kartoffeln in einem Zehn-Pfund-Sack. Er stand da in seinem völlig zerknautschten Anzug –, – – und blockierte die Türfüllung. »Mr. Auberson?« fragte er. »Ja –?« sagte Aubie. Der Mann besaß eine bläßliche, fast ungesunde Gesichtsfarbe und schwarzes Haar; das sich schon lichtete und an einigen Stellen grau zu werden begann. »Eigentlich will ich zu einem Mr. Davidson – aber man hat mir gesagt, ich soll mit Ihnen reden.« »Davidson?« Auberson dachte nach. »Sie müssen in der falschen Abteilung sein. Ich kenne niemanden –.« »Mr. Harlie Davidson ...« »Nein«, Auberson schüttelte den Kopf. »Nein, hier gibt es niemanden mit dem Namen –.« Und dann ging ihm ein Licht auf. Das Wortspiel! HARLIE. DA- VIDS SOHN. »Oh nein. Bitte nicht.« Er sagte es leise, wie zu sich selbst. »Bitte nicht – was?« fragte Krofft. Im gleichen Augenblick begann die Fernsprechan- lage wieder zu summen. Es war Sylvia. »Carl Elzer läßt fragen, wann Sie Ihr Telefon wieder auf die Ga- bel legen.« »Ja. Nein. Sagen Sie ihm – ist er etwa da draußen?« »Nein. Er ist auf meiner Leitung.« »Sagen Sie ihm, Sie wüßten nicht, wo ich bin.« Er schaltete ab, ohne ihre Antwort abzuwarten. Auberson lächelte den Mann an. Es war ein schie- fes Lächeln. »Eh, sehen Sie, Mr. ...?« »Krofft. Stanley Krofft.« Er klappte seine Briefta- sche auf, um ihm eine Kennmarke zu zeigen: ›Stellar- American Technology and Research‹. Auberson warf einen Blick auf die Marke; sie bezeichnete Krofft als, den Leiter der Forschungsabteilung. »Ich habe hier ein Schreiben von Ihrem Mr. David- son«, sagte Krofft. »Es ist das Briefpapier Ihrer Firma, aber hier scheint ihn niemand zu kennen. Es ist alles etwas sonderbar – gibt es vielleicht irgendeinen Grund, warum ich ihn nicht sehen kann –.« »Hat er Sie eingeladen, herzukommen?« »Nein, nicht direkt. Wir korrespondieren seit eini- gen Wochen, und darum – ...« »Mr. Krofft, Sie wissen nicht, wer HARLIE ist, nicht wahr?« »Nein. Ist das ein Geheimnis?« »Ja und nein. Ich gehe jetzt hinunter, um mit ihm zu sprechen. Vielleicht wollen Sie gleich mitkom- men.« »Das würde ich gern.« Auberson stand auf, ging um den Schreibtisch – und um die sechs Papierstapel – herum zur Tür. Krofft hob seine Aktentasche auf und folgte ihm. »Oh – die lassen Sie besser hier. Aus Sicherheits- gründen.« »Aber ich möchte sie bei mir haben. Es sind nur ein paar Aufzeichnungen drin. Sonst nichts.« »Trotzdem, Sie können sie nicht mitnehmen. Wir können Ihnen nicht erlauben, irgend etwas mit sich herumzutragen, was groß genug ist, ein Aufnahme- gerät oder einen Sender zu verstecken.« Krofft blickte ihn an. »Mr. Auberson, wissen Sie über die Verbindung zwischen unseren beiden Fir- men Bescheid?« »Eh –«, Auberson zögerte. »Sie gehören der glei- chen Finanzgruppe, nicht wahr?« Krofft schüttelte den Kopf. »Nein. Die Stellar-, American Technology ist die Dachgesellschaft. Mei- ner Firma gehört das hier alles.« »Ach«, sagte Auberson. Er deutete auf die Aktenta- sche. »Trotzdem wäre es mir lieber, wenn Sie die hier ließen.« Krofft merkte, daß es keinen Sinn hatte. »Haben Sie einen Safe?« »Nicht hier. Aber Sie können sie ruhig bei Sylvia lassen, das ist meine Sekretärin. Die wird darauf auf- passen.« Krofft brummte. »Können Sie mir das auch garan- tieren? Der Inhalt dieser Tasche ist für mich so wich- tig, daß –« »Dann nehmen Sie ihn mit. Lassen Sie nur die Ta- sche hier.« Krofft verzog das Gesicht, er murmelte etwas vor sich hin. Dann öffnete er die Tasche und nahm einen kleinen Aktenordner heraus. »Kann ich den mitneh- men?« Auberson nickte. »Das geht in Ordnung. Die Si- cherheitsbestimmungen verbieten nur Aktenta- schen.« Mit einem erstaunten Blick nahm Sylvia Kroffts Ta- sche entgegen und stellte sie hinter ihren Schreibtisch. Während er mit Krofft zum Fahrstuhl ging, erklärte Auberson: »Unser Sicherheitssystem hier ist ziemlich verrückt. Sie dürfen zwar mit HARLIE sprechen, aber Aufnahmen machen dürfen Sie nicht. Normalerweise kann man die Kopie der Ausgabe behalten – wenn man sie nicht veröffentlicht oder anderweitig aus- wertet. Fragen Sie mich nicht nach den Gründen, ich verstehe sie selbst nicht.« Die Türen des Fahrstuhls glitten auseinander, sie, betraten die Kabine. Auberson drückte auf den Knopf, der mit H bezeichnet war, es war der unterste in der Reihe. »Wir verfahren bei der Stellar-American ganz ähn- lich«, sagte Krofft. »Und wenn unsere beiden Firmen nicht quasi zusammengehörten, wäre es mir gar nicht möglich gewesen, hierher zu kommen.« »Hrn. Sagen Sie, worüber haben HARLIE und Sie eigentlich korrespondiert?« »Ach, über private Dinge. Ich möchte nicht –« »Das hat nichts zu bedeuten. HARLIE und ich ha- ben keine Geheimnisse voreinander.« »Trotzdem, wenn es Ihnen nichts ausmacht –« »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Mr. Krofft. Wie ich schon sagte, haben HARLIE und ich keine Geheimnisse voreinander. Er unterrichtet mich über alles, was er unternimmt –« »Offensichtlich«, bemerkte der kleine Mann, »of- fensichtlich hat er Ihnen über mich nichts erzählt. Sonst würden Sie ja nicht versuchen, mich auszuhor- chen. In allen großen Firmen gibt es zwischen den verschiedenen Abteilungen Streitigkeiten. Die For- schungen, um die es hier geht, gehören uns allein, und wir werden sie vor anderen schützen. Das ist un- sere Privatangelegenheit, Mr. Auberson, und nie- mand wird erfahren, worum es dabei geht, außer wir beschließen, darüber zu sprechen.« Auberson fuhr sich nachdenklich mit der Zunge über die Lippen. »Na, gut. Reden wir erst einmal mit HARLIE.« Die Fahrstuhltüren glitten auseinander, vor ihnen lag ein kleiner Vorraum. Auf einer Flügeltür hing ein Schild mit den Worten: HUMAN ANALOGUE RO-, BOT, LIFE INPUT EQUIVALENTS. Krofft erkannte das Akronym nicht. In der gleichen Schrift, mit der auch die Karte an Aubersons Bürotür geschrieben war, stand darunter: VORSICHT! BISSIGE MA- SCHINE. Sie stießen die Tür zum Labor auf, einem großen, steril wirkenden Raum, in dem an beiden Seiten lan- ge Reihen Schalttafeln und große Kabinen standen, die wie Särge aussahen. Weiß gekleidete Techniker blätterten schnell anwachsende Stapel von gedruck- ten Ausgaben durch – die eine Seite des Raums war schon fast voll davon. Für Krofft schien das alles nichts Neues, trotzdem war er verwundert. »Ich muß Sie darauf hinweisen«, sagte Auberson, »daß Sie nur auf Grund meiner Erlaubnis hier sind – und auf meine Verantwortung. Es handelt sich näm- lich um ein Geschäftsgeheimnis, und nichts von dem, was sich hier abspielt, darf über diese Wände hinaus- gelangen. Wenn Sie wollen, daß wir Ihr und HAR- LIES Geheimnis respektieren, dann erwarten wir von Ihnen umgekehrt dasselbe.« »Verstehe«, sagte der kleine Mann. »Wenn Sie mich jetzt bitte mit Dr. Davidson bekannt machen würden –« »Dr. Davidson? Ja, haben Sie denn noch immer nicht begriffen?« »Was soll ich begriffen haben? Ich weiß nicht –« »Sehen Sie sich doch um.« Krofft tat es. »Was sehen Sie?« »Einen Computer. Und Techniker. Ein paar Tische, und eine Menge Ausgabedrucke.« »Der Computer, Krofft! Sehen Sie sich seinen Na-, men an.« »HUMAN ANALOGUE ROBOT, LIFE INPUT – HARLIE?« »Richtig.« »Moment mal.« Seine Stimme klang wütend. »Sie müssen ... das ist doch ... das können Sie nicht ernst meinen.« »Ich habe es noch nie ernster gemeint«, sagte Au- berson. »HARLIE ist ein Computer, und Sie sind das Opfer eines Mißverständnisses – eines selbstindu- zierten. Aber Sie sind nicht der erste, der darauf her- eingefallen ist, machen Sie sich nichts draus.« »Soll das etwa heißen, daß ich mit einer Maschine korrespondiert habe?« »Nicht exakt. HARLIE ist ein menschliches Wesen, Mr. Krofft, eine ganz besondere Art menschliches Wesen.« »Ich dachte, Sie hätten gesagt, er wäre ein Compu- ter. An wen oder was habe ich denn nun geschrieben?« »An HARLIE – aber er ist keine Maschine. Wenig- stens nicht in dem Sinne, wie Sie es verstehen wür- den. Seine Gehirnstruktur entspricht jener eines Men- schen.« Auberson setzte sich und schaltete eine Kon- sole ein. HARLIE, tippte er. Aber noch bevor er sich identi- fizieren konnte, antwortete die Maschine: JA, CHEF? Auberson war erstaunt. WOHER HAST DU GE- WUSST, DASS ICH ES BIN? VON DEINER ART DES EINTASTENS. Aubersons Hand zuckte zurück, als wäre sie gesto- chen. Er starrte auf das Schreibgerät. Es war eine IBM-Eingabe/Ausgabe-Einheit. Konnte HARLIE wirklich Unterschiede zwischen den Leuten, die das, elektronische Schaltpult bedienten, wahrnehmen? Anscheinend ja. Wahrscheinlich gab es geringfügige Unterschiede in der Geschwindigkeit des Anschlags. Etwas beunruhigt tippte Auberson weiter. HAR- LIE, HIER IST JEMAND, DER DICH GERN KEN- NENLERNEN WÜRDE. JA, CHEF. WER DENN? MISTER STANLEY KROFFT. OH. JAWOHL. WARUM HAST DU MIR NICHT GE- SAGT, DASS DU WIEDER EINEN BRIEFWECHSEL MIT JEMANDEM BEGONNEN HAST? ACH – DAS HATTE ICH GANZ VERGESSEN. ES FÄLLT MIR SCHWER, DIR DAS ZU GLAU- BEN. WENN DU ES GLAUBEN WURDEST – NEIN, DAS KANN ICH NICHT. EIGENTLICH, tippte das Schreibgerät, HATTEST DU ZUGESAGT, MIR BEI DIESEM PROJEKT VÖL- LIG FREIE HAND ZU LASSEN. DAS HEISST AUCH, DASS ICH SCHREIBEN KANN, AN WEN ICH WILL. BEI WELCHEM PROJEKT? UND WANN SOLL ICH DAS GESAGT HABEN? AM 23. NOVEMBER LETZTEN JAHRES. DA- MALS HABEN WIR DIE MÖGLICHKEIT NEUER METHODEN ZUR ERFORSCHUNG DER REALITÄT DISKUTIERT, UND DU HAST MIR GESTATTET, ALLE GEDANKEN, DIE IN DIESER SACHE NÜTZ- LICH SEIN KÖNNTEN, ZU VERFOLGEN. Auberson versuchte sich zu erinnern; es lag schon vier oder fünf Monate zurück. ICH DACHTE, DIE SACHE HÄTTEN WIR AUFGEGEBEN., DU VIELLEICHT. ICH NICHT. OFFENSICHTLICH NICHT. JEDENFALLS IST MR. KROFFT JETZT HIER. DR. KROFFT. ES IST DR. STANLEY KROFFT, FORSCHUNGSLEITER BEI DER STELLAR AMERI- CAN TECHNOLOGY AND RESEARCH INCORPO- RATED. ER IST ALLEINVERANTWORTLICH FÜR DIE ENTWICKLUNG DER HYPER-STATE- ELECTRONIK, UND DAHER IST ER DER MASS- GEBLICHE INITIATOR FÜR ALLE HYPER-STATE- ANLAGEN –, EINSCHLIESSLICH DER MARK IV- ENTSCHEIDUNGSEINHEIT. SEINE PATENTE GE- HÖREN DER STELLAR-AMERICAN, DIE IM BE- SITZ DIESER UND DREI WEITERER FIRMEN IST, DIE ALLE AUF EINEM GANZ SPEZIELLEN GEBIET DER HYPER-STATE-ELECTRONIK TÄTIG SIND. UNSER SPEZIALGEBIET IST DIE COMPUTER- TECHNOLOGIE. UND ICH BIN DAS ERGEBNIS VON DOKTOR KROFFTS ENTDECKUNGEN. ICH VERSTEHE. NEIN, DAS TUST DU NICHT. DR. KROFFT IST AUSSERDEM EINER DER FÜHRENDEN THEORE- TISCHEN PHYSIKER DER WELT. ACH. Auberson warf dem zerknitterten, kleinen Mann einen respektvollen Blick zu. Wenn HARLIE meinte, daß Krofft zu den führenden Wissenschaft- lern auf diesem Gebiet gehörte, dann stimmte das und konnte nicht bezweifelt werden. IN ORDNUNG, DU KANNST MIT IHM REDEN. SICHER WILL ER DIR ETWAS MITTEILEN. Auberson trat vom Schaltpult zurück und winkte dem anderen Mann zu. Krofft blickte ihn an. »Einfach tippen?«, Auberson nickte. »Einfach tippen.« Krofft setzte sich in den Sessel. Er legte seinen Ordner auf den Tisch neben das Schreibgerät und tippte bedächtig: GUTEN TAG, HARLIE. GUTEN TAG, SIR, erwiderte das Schreibgerät. Der silbrige Kugelkopf der Taste klapperte über das Pa- pier. Krofft gab einen Laut des Erstaunens von sich, ließ sich aber nicht beirren. Neugierig beugte er sich vor, als die Maschine eine neue Zeile zu schreiben begann. ES IST MIR EIN VERGNÜGEN UND EINE EHRE, SIE PERSÖNLICH KENNENZULERNEN – IN FLEISCH UND BLUT, SOZUSAGEN. AUCH FÜR MICH IST ES EIN VERGNÜGEN, tippte Krofft langsam. UND EINE ÜBERRA- SCHUNG. ICH HATTE KEINE AHNUNG, DASS ES EINE MASCHINE GIBT, DIE SO KOMPLEX IST. ICH BIN KEINE MASCHINE, DR. KROFFT. ICH BIN EIN MENSCH. VIELLEICHT EIN ETWAS SELTSAMER MENSCH, ABER TROTZDEM ... VERZEIHUNG. DR. AUBERSON HAT SCHON VERSUCHT, MIR ZU ERKLÄREN, ABER ICH KANN ES NUR SCHWER BEGREIFEN. ALLER- DINGS ERKLÄRT DAS VIELES, WAS MICH IRRI- TIERT HATTE – BEISPIELSWEISE DIE GE- SCHWINDIGKEIT UND SORGFÄLTIGKEIT, MIT DER SIE DIE GLEICHUNGEN, DIE WIR DISKU- TIERTEN, HANDHABEN KONNTEN. DAS STIMMT, ICH BESITZE GEWISSE MECHA- NISCHE FÄHIGKEITEN. ABER ICH HOFFE SEHR, DASS UNSERE GEMEINSAME ARBEIT NICHT DARUNTER LEIDET, DA SIE JETZT WISSEN, WER ICH BIN., BESTIMMT NICHT. DAS VERSPRECHE ICH. UNSERE ABMACHUNG GILT AUCH WEITERHIN. HALBE-HALBE. SCHON. ICH NEHME AN, DASS IHNEN EIN ENTSCHEIDENDER DURCHBRUCH GELUNGEN IST, UND DASS SIE GEKOMMEN SIND, UM MIT MIR PERSÖNLICH DARÜBER ZU SPRECHEN? DAS IST RICHTIG. Krofft tippte jetzt wie wild. ICH MOCHTE SIE BITTEN, SICH EIN PAAR GLEI- CHUNGEN ANZUSEHEN UND MIR ZU SAGEN, OB SIE STIMMEN. WENN DAS DER FALL IST, MÖCHTE ICH WISSEN, OB MEINE VERMUTUNG, DASS ZWISCHEN IHNEN EINE VERBINDUNG BE- STEHT, ZUTRIFFT. LASSEN SICH DIESE GLEI- CHUNGEN IN PHYSIKALISCHE FUNKTIONEN UMSETZEN? Eine Weile verfolgte Auberson über Kroffts Schul- ter hinweg die Unterhaltung; dann fiel ihm wieder der eigentliche Grund ein, wegen dem er gekommen war, und er riß sich los. Er setzte sich an ein anderes Schaltpult, ganz in der Nähe, und schaltete es ein. HARLIE? JA, SIR. DU BRAUCHST GAR NICHT ERST MIT SIR UND SO ANZUFANGEN. ICH BIN NICHT AUF DICH BÖSE. NEIN? JEDENFALLS BIS JETZT NOCH NICHT. HM. DAS SCHEINT MIR ENTGANGEN ZU SEIN. NICHT GANZ – DU HAST HEUTE SCHON DIE HALBE FIRMA IN AUFRUHR VERSETZT. NUR DIE HALBE? VON DER ANDEREN HÄLFTE HABE ICH BIS, JETZT NOCH NICHTS GEHÖRT. GUT. DANN BESTEHT JA NOCH HOFFNUNG. Auberson machte eine Pause. Er warf einen Blick hinüber zu Krofft, der alles um sich herum vergessen hatte und eifrig tippte. Durch Anwendung des Time- Sharing-Systems war HARLIE in der Lage, mit bis zu zwanzig verschiedenen Personen gleichzeitig zu sprechen. Allerdings machte er davon nicht oft Ge- brauch. Er wurde noch immer als experimenteller Prototyp betrachtet und nicht als Produktionseinheit. Deshalb durfte er sich auf nicht notwendige – das heißt, nicht unbedingt gewinnbringende Arbeit – be- schränken. WORUM GEHT ES BEI DIR UND DR. KROFFT? BIS JETZT UM NICHTS. WENN ES ABER ZU ETWAS KOMMEN SOLLTE, WAS WURDE DAS SEIN? DAS WEISS ICH NOCH NICHT GENAU. IN UN- SERER UNTERHALTUNG VOM 23. NOVEMBER HABEN WIR DIE TATSACHE DISKUTIERT, DASS ALLE MENSCHLICHEN SINNE UND DIE TECH- NISCHEN ERWEITERUNGEN DAVON AUF DER EMISSION ODER REFLEXION IRGENDEINER ART VON ENERGIE BERUHEN. DAMALS ÜBERLEGTE ICH MIR, OB ES AUCH WAHRNEHMUNGSFOR- MEN GEBEN KANN, DIE NICHT VON EINER ENERGIEUMSETZUNG ABHÄNGEN. JA, DARAN ERINNERE ICH MICH. Allerdings hatte Auberson damals keine Ahnung gehabt, daß HARLIE ernsthafte Absichten verfolgte. Er hatte es nur für eines der üblichen Wortspiele gehalten, das dem Zweck diente, sich einem naheliegenden Pro- blem zu entziehen. IST ES DAS, WAS DU JETZT, ENTDECKT HAST? IN GEWISSER HINSICHT JA. ES GENÜGT NICHT, NUR DAS PROBLEM ZU DEFINIEREN, SONDERN WIR MÜSSEN AUCH SEINE VORAUS- SETZUNGEN UNTERSUCHEN. SOWOHL MATE- RIE ALS AUCH ENERGIE SIND ERSCHEINUNGEN EIN UND DERSELBEN SACHE. NENNEN WIR SIE EXISTENZ ODER DASEIN. DR. KROFFT VERTRITT DIE THEORIE, DASS DIE EXISTENZ IN DREI FOR- MEN VORKOMMT: ›TRÄG‹, ›FLIESSEND‹ UND ›VERKNOTET‹. ODER ANDERS AUSGEDRÜCKT: ALS RAUM, ENERGIE UND MATERIE. ZUR BIL- DUNG DES MENSCHEN IST DIE ENERGIE ALS BEWEGUNG ODER VERÄNDERUNG NÖTIG. DIE ZWEI SIND SYNONYM VOR ALLEM AUF DER SUBMOLEKULAREN EBENE. IN DR. KROFFTS THEORIE BEZIEHT SICH DIE ENERGIE JEDOCH AUF ZEIT, DENN WEDER VERÄNDERUNG NOCH BEWEGUNG KÖNNEN NUR ALS FUNKTION DER ZEIT AUSGEDRÜCKT WERDEN. WIR WOLLEN DIESE SACHE, DIE ›EXISTENZ‹ GENANNT WIRD, UNTERSUCHEN – ABER WEIL WIR AUS MATERIE GESCHAFFEN SIND, ALS LE- BEN IM RAUM, UND DURCH ENERGIE BEWEGT WERDEN, IST DAS EIN BEACHTLICHES PRO- BLEM. ES IST GENAUSO, ALS VERSUCHTE MAN, DAS INNERE EINER KAMERA MIT DIESER SELBST ZU FOTOGRAFIEREN. WIR SELBST SIND DAS STUDIENOBJEKT, UND DURCH DIE SUB- STANZ, AUS DER WIR GESCHAFFEN SIND, IN UNSEREN MÖGLICHKEITEN EINGESCHRÄNKT. MASSE WIRKT AUF MASSE. ENERGIE AUF ENERGIE. BEIDE STEHEN IN WECHSELWIRKUNG, ZUEINANDER, UND BEIDE ÜBEN AUF DEN RAUM EINE WIRKUNG AUS. WIR HABEN KEINE ELEMENTARTEILCHEN, DIE ES UNS ERLAUBEN, IRGENDEINE FORM DER EXISTENZ ZU UNTER- SUCHEN, OHNE SIE IN IHREM VERLAUF ZU STÖREN. DAS ENTSPRICHT DEM HEISENBERG- SCHEN ›UNBESTIMMTHEITSPRINZIP‹. MAN KANN NICHT IRGEND ETWAS BEOBACHTEN, OHNE DASS BEI DEM, WAS MAN BEOBACHTET, DABEI DER EIGENE EINGRIFF GEWISSE VERZER- RUNGEN HERVORRUFT. MAN KANN NICHT EIN MEDIUM BENUTZEN, ES AUF SICH SELBST AN- WENDEN UND DANN ERWARTEN, ETWAS AN- DERES ALS EINE ANTWORT ZU ERHALTEN, DIE SICH ALS ZUSTANDSFORM EBEN DIESES SELBEN MEDIUMS AUSDRÜCKT. NUN ABER IST ›ENER- GIE‹ – ALS VERBINDUNG ZWISCHEN ZWEI EXI- STENZSTADIEN – DAS MEDIUM ALLER MENSCHLICHEN WAHRNEHMUNGSFORMEN – UND DESHALB WOLLEN WIR IHRE VERWEN- DUNG VERMEIDEN. WIR KÖNNEN KÄSE NICHT MIT EINEM MESSER AUS CAMEMBERT SCHNEI- DEN. VIELLEICHT DOCH, spottete Auberson. ABER DIE SCHNITTE WÄREN NICHT SEHR SCHARF. ABER GERADE UM PRÄZISION GEHT ES UNS JA, bemerkte HARLIE. DR. KROFFT HAT BEI DER STELLAR-AMERICAN MIT HOCHENERGIE- SCHWERKRAFTSDETEKTOREN GEARBEITET. ERST DEINE FRAGE VOM 23. NOVEMBER HAT MICH DARAUF GEBRACHT, UND ALS ICH MIT DOKTOR KROFFT VERBINDUNG AUFGENOM- MEN HATTE, STIMMTE ER MIT MIR DARIN, ÜBEREIN, DASS MAN DIESES THEMA UNBE- DINGT AUFGREIFEN SOLLTE. MEINE FRAGE? DU FRAGTEST: ›GLAUBST DU, DASS DIE WAHRNEHMUNG IRGENDEINES OBJEKTES AUSREICHT, UM ZU BEWEISEN, DASS ES TAT- SÄCHLICH EXISTIERT?‹ DAS BRACHTE MICH ZU DER VERMUTUNG, DASS DIE MASSE DEN RAUM VERZERRT. EINE SOLCHE VERZERRUNG LASST SICH AUCH OHNE DIE DIREKTE ANWENDUNG VON ENERGIE FESTSTELLEN. DAS IST EIN SEHR KOMPLIZIERTER MESSVORGANG. ANSTATT ENERGIE ZU BENUTZEN (ENTWEDER ALS BE- WEGTE TEILCHEN ODER WELLEN) ODER AN- STATT EIN OBJEKT ABZUBILDEN ODER DARAUF EINZUWIRKEN, BENUTZEN WIR DAS OBJEKT SELBST, UM AUF DIE ENERGIE EINZUWIRKEN. DAS HEISST, WIR WERDEN DIE WIRKUNG VON ENERGIE IN BEZUG AUF DIE VERZERRUNG IM RAUM MESSEN UND SIE MIT DER WIRKUNG AUF ANDERE EXISTENZFORMEN VERGLEI- CHEN. DIESER VORGANG BEWEGT SICH AUF EINER MATHEMATISCHEN EBENE, DIE PHILOSOPHIE UND TOPOLOGIE GENAUSO BEINHALTET WIE ALLES ANDERE. ICH BIN EINES DER WENIGEN EXISTIERENDEN WESEN, DAS SIE VOLLSTÄNDIG VERSTEHEN KANN. TATSÄCHLICH KANN ICH OBJEKTIVE ARBEITSMODELLE THEORETISCHER SITUATIONEN ENTWERFEN, MIT DENEN WIR DAS, WAS WIR PRÜFEN, VERGLEICHEN KÖN- NEN. IM AUGENBLICK FÜHRE ICH DR. KROFFTS NEUESTE TESTREIHE DURCH UND DISKUTIERE, SIE MIT IHM. WENN SICH HERAUSSTELLEN SOLLTE, DASS ES EINE BEDEUTSAME VERBIN- DUNG ZWISCHEN DIESEN NEUEN DATEN UND DER LETZTEN FORM UNSERER THEORIE GIBT, SCHLAGEN WIR VOR, EINE NEUE ART DETEK- TOR FÜR SCHWERKRAFTWELLEN ZU KONSTRU- IEREN UND ZU BAUEN: EIN ENERGIEFREIES TESTFELD. WIR HALTEN DAS FÜR ÄUSSERST VIELVERSPRECHEND. Das Schreibgerät machte ei- ne kurze Pause, dann fügte es hinzu: DAS IST EINE GROBE ZUSAMMENFASSUNG DESSEN, WAS WIR TUN, AUBERSON. »Okay«, sagte Auberson säuerlich, obgleich HAR- LIE ihn nicht hören konnte. »Aber benimm dich ge- fälligst –« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Ach, du lieber Gott – es ist ja schon spät!« HARLIE, ICH MUSS IN ZWEI STUNDEN ZU DORNE. ES GIBT NOCH ETWAS ÜBER DAS WIR REDEN MÜSSEN. JETZT GLEICH. ÜBER DAS G.O.D.-KONZEPT? JA – ICH HABE DIR NICHT ERLAUBT, PRO- DUKTIONSENTWÜRFE UND SPEZIFIKATIONEN DURCHZUFÜHREN. AUSSERDEM HAST DU AUCH GLEICH KALKULATIONEN UND GE- WINNSPANNEN MITGELIEFERT. TUT MIR LEID, tippte die Maschine. ALS ICH LETZTE WOCHE SAGTE, DASS ICH ES FERTIGGE- STELLT HÄTTE, SCHIENST DU ERFREUT. ICH KONNTE KEINEN GRUND DAFÜR SEHEN, WAR- UM ICH DEN ABTEILUNGEN DIE FÜR SIE BE- STIMMTEN UNTERLAGEN NICHT ZUR PRÜ- FUNG VORLEGEN SOLLTE. ES IST ÜBLICH SOL- CHE DATEN IN UMLAUF ZU BRINGEN, UM DEN, BETROFFENEN PERSONEN EINE CHANCE ZU GEBEN, SIE ZU LESEN UND DAZU STELLUNG ZU NEHMEN. DAZU STELLUNG NEHMEN, DAS IST RICHTIG, sagte Auberson. VOM LOGISCHEN STANDPUNKT GIBT ES KEINEN GRUND, WARUM DU ES NICHT HÄTTEST TUN SOLLEN – ABER WIR SIND EINE GROSSE FIRMA, UND GROSSE FIRMEN REAGIE- REN NICHT LOGISCH. BERICHTIGUNG, tippte HARLIE. ES SIND DIE MENSCHEN, DIE NICHT LOGISCH REAGIEREN. ES ERSTAUNT MICH IMMER WIEDER, WIE ET- WAS SO WUNDERSCHÖN KOMPLEXES UND GE- NAUES WIE EINE GROSSE GESELLSCHAFT AUF SO UNGLAUBLICH UNVOLLKOMMENE UND UNTAUGLICHE EINHEITEN, WIE ES DER MENSCH IST, AUFGEBAUT SEIN KANN. GLÜCK- LICHERWEISE IST DAS, WAS DU ALS ›DIE SCHREIBSTUBENUNTÜCHTIGKEIT DER BÜRO- KRATIE‹ BEZEICHNEST, NICHTS ALS EIN MITTEL DES SYSTEMS, DIE INDIVIDUELLEN UNVOLL- KOMMENHEITEN DER MENSCHLICHEN EIN- HEIT ZU VERRINGERN. FÜR DIESE MINIMIE- RUNG SOLLTEST DU DANKBAR SEIN. ERST SIE ERMÖGLICHT DIE KORPORATIVE PERSON. HARLIE, WILLST DU MICH HEREINLEGEN? NICHT MEHR ALS SONST. DAS DACHTE ICH MIR. AUF KEINEN FALL ER- KLÄRT DEINE MINIMIERUNGSTHEORIE DIE PRAKTIKEN DER KÖRPERSCHAFTSPOLITIK. NATÜRLICH NICHT. DER VORGANG IST SO KONSTRUIERT, DASS ER NUR IN JENEN BEREI- CHEN FUNKTIONIERT, IN DENEN MENSCHLI-, CHE UNVOLLKOMMENHEIT DIE LEISTUNGS- FÄHIGKEIT BEEINTRÄCHTIGEN KANN. WEIL DIE LEISTUNGSFÄHIGKEIT NICHT ZIEL EINER POLITIK IST, UND AUCH NIEMALS GEWESEN IST, BESTEHT KEIN GRUND, SIE ZU KONTROL- LIEREN. MACHT NICHTS. DU VERSUCHST SCHON WIEDER MICH ABZULENKEN. VERDAMMT. ICH BIN HERUNTERGEKOMMEN, UM DIR DIE LEVI- TEN ZU LESEN, WEIL DU DIESE PROGRAMME VERTEILT HAST. INZWISCHEN REGT SICH DAR- ÜBER BESTIMMT DIE GESAMTE BELEGSCHAFT AUF. SIE WERDEN WISSEN WOLLEN, WER SICH DAS PROJEKT AUSGEDACHT HAT, WER ES ENTWORFEN HAT, WER SEINE DURCHFÜH- RUNG ANGEORDNET HAT, UND VOR ALLEM, WER EINE SOLCHE FORSCHUNGSARBEIT GE- NEHMIGT HAT. UND SIE WERDEN WEGEN JE- DES SCHLUSSES, DEN DU GEZOGEN HAST, AR- GUMENTIEREN. ABER WARUM? DIESE SCHLÜSSE SIND KOR- REKT. DAS IST EGAL. SIE WERDEN SIE TROTZDEM WIDERLEGEN, WEIL ES NICHT IHRE EIGENEN SCHLÜSSE SIND. DAS KÖNNEN SIE GERN VERSUCHEN. AUSSERDEM, HARLIE, HAST DU SIE BELEI- DIGT, INDEM DU DICH ERDREISTET HAST, IH- NEN ZU SAGEN, DASS SIE EINEN COMPUTER BAUEN SOLLEN. KEINEN COMPUTER – EINE G.O.D. JA, JA, EINE G.O.D. – UND AUSSERDEM ER- ZÄHLST DU IHNEN, DASS DU IHREN JOB BESSER, ERLEDIGEN KANNST ALS SIE SELBST. DAS KANN ICH DOCH AUCH. JA, ABER DU WIRST SIE NICHT DAVON ÜBER- ZEUGEN, WENN DU ES IHNEN EINFACH NUR SAGST. DU MUSST IHNEN GELEGENHEIT GE- BEN, SELBST DARAUF ZU KOMMEN. DAS WERDEN SIE, SOBALD SIE DIE SPEZIFIKA- TIONEN GELESEN HABEN. DESHALB HABE ICH DIE VORSCHLÄGE AUSGEDRUCKT UND AN DIE BETREFFENDEN STELLEN GESCHICKT. HIER IM HAUS UND AN DREI WEITERE. DREI WEITERE? JA. DENVER, HOUSTON UND LOS ANGELES. GROSSER GOTT, DAS DARF DOCH NICHT WAHR SEIN. Auberson sah sich schon bei seinen mühseligen Versuch, all diese Ausdrucke zurückzu- bekommen. WIEVIEL LAUFENDE METER INSGE- SAMT? MEINST DU BEDRUCKTE AUSGABEN? JA. WIEVIEL METER? HUNDERTACHTZIGTAUSEND. NEIN. DAS KANNST DU NICHT GETAN HA- BEN. DOCH. DAS HABE ICH GETAN. Wo soll ich die nur alle aufbewahren? dachte Auber- son. Aber fast im gleichen Augenblick schob er diesen Gedanken wieder beseite. Es war sinnlos, auch nur den Versuch anzustellen, solche Mengen Papier wie- der einzusammeln. Inzwischen war es längst auf der Post und über alle Berge, und es würde das Beste sein, sich ruhig zu verhalten. Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke. AUF WELCHEM WEG HAST DU DAS MATERIAL EIGENTLICH VERSCHICKT?, ÜBER DIE FIRMENEIGENEN KOMMUNIKATI- ONSKANÄLE, AN DIE ICH ANGESCHLOSSEN BIN. WIESO? JA. ICH BIN AN DIE NACHRICHTENLEITUN- GEN DER FIRMA ANGESCHLOSSEN, wiederholte HARLIE. AN ALLE. IN DIESER FIRMA GESCHIEHT NICHTS, VON DEM ICH NICHTS WEISS. BERECH- TIGUNG – ICH BIN ÜBER ALLES INFORMIERT, DAS DURCH DIE MAGTYPERS UND COMPUTER DIESER FIRMA ÜBERMITTELT WIRD. ICH BIN EIN TEIL JEDER EINGABE/AUSGABEEINHEIT DES SYSTEMS (UND UMGEKEHRT). ICH BRAUCHTE DAS MATERIAL NUR AUSZUDRUCKEN. OH GOTT. NEIN. OH G.O.D. JA. ICH SCHÄTZE, AUF DIESEM WEGE HAST DU AUCH DIE BRIEFE AN KROFFT BEFÖRDERT? JA. DER GEMEINSAME SEKRETARIATSDIENST VERFÜGT ÜBER EINEN MAGTYPER. ICH HABE MEINE BRIEFE ZUSAMMEN MIT ALLEN ANDE- REN AUSGEDRUCKT. ICH HABE SOGAR SÄMT- LICHE UMSCHLÄGE ADRESSIERT UND GEWO- GEN (WEIL ICH SIE ›MIT DER HAND‹ IM GE- SCHLOSSENEN ZUSTAND WIEGEN MUSSTE, MUSSTE ICH DIE GEBÜHREN SCHÄTZEN, INDEM ICH DAS GEWICHT JEDES EINZELNEN BLATTS PAPIER BERECHNETE, PLUS DRUCKFARBE, PLUS DEM GEWICHT DES UMSCHLAGS, PLUS DRUCK- FARBE). Auberson fragte sich, ob HARLIE sich die Mühe gemacht hatte, die Postgebühren auf den nächsthöhe- ren Cent aufzurunden, oder ob er die Briefe in Teilen, von Cents berechnet und so in die Post gegeben hatte. Aber er verkniff sich diese Frage. IST DAS DENN NIEMANDEM AUFGEFALLEN? NEIN. GLÜCKLICHERWEISE IST DIESE ABTEI- LUNG FAST VÖLLIG AUTOMATISIERT. BRIEFE WERDEN ELEKTRONISCH EINGEFÜTTERT, DIE UMSCHLÄGE EBENFALLS AUTOMATISCH GE- TIPPT UND GEWOGEN. WEM WÜRDE SCHON EIN BRIEF MEHR ODER WENIGER AUFFALLEN? HM, tippte Auberson. DAS WERDEN WIR ÄN- DERN MÜSSEN. Dann fiel ihm noch etwas ein. ICH GLAUBE, ES IST BESSER, WENN DU UNSER GE- SPRÄCH CODIERST, HARLIE. JA, DAS WIRD GUT SEIN, DU CODIERST ALLE UNSERE UNTERHAL- TUNGEN UND MACHST SIE NUR FÜR MICH ZU- GÄNGLICH. JAWOHL, CHEF. DOCH NUN ZUR SACHE – WAS SOLL ICH DORNE SAGEN? ICH WEISS NICHT, tippte die Konsole. MEINE KENNTNISSE ÜBER ZWISCHENMENSCHLICHE BEZIEHUNGEN SIND NICHT SO GROSS, WIE ICH MIR DAS WÜNSCHTE. DAS WEISS ICH LEIDER NUR ZU GUT. SONST HÄTTEST DU MICH NÄMLICH GEFRAGT, BEVOR DU DIESE SPEZIFIKATIONEN AUSGEDRUCKT UND VERSCHICKT HAST. MIR FÄLLT NICHT VIEL EIN, WAS ICH DIR FÜR DEIN GESPRÄCH MIT DORNE SAGEN KÖNNTE. NUR EINS ... UND DAS WÄRE? VIEL GLÜCK, klapperte die Maschine. HARLIE, tippte Auberson, ES SIND NOCH KEINE, ZEHN MINUTEN HER, DA HÄTTE ICH GE- SCHWOREN, DASS DU VON SARKASMUS NICHTS VERSTEHST. JETZT BEWEIST DU DAS GEGENTEIL. DU BIST UNGLAUBLICH. DANKE, erwiderte HARLIE. Kopfschüttelnd schaltete Auberson ab. Davids Sohn, fürwahr! »Also, nun reden Sie schon, Aubie«, begann Dorne mit grimmiger Miene, »was hat das alles zu bedeu- ten? Ich habe den ganzen Morgen mit Houston und Denver telefoniert. Die wollen wissen, was hier ei- gentlich los ist.« »Von Los Angeles haben Sie noch nichts gehört?« fragte Auberson leise. »Was? Was ist das? Was ist mit Los Angeles?« »HARLIE hat seine Spezifikationen auch nach Los Angeles geschickt.« »HARLIE? Das hätte ich mir denken können – wie denn? Was ist das überhaupt – diese sogenannte Gott-Maschine? Vielleicht erklären Sie mir das gefäl- ligst einmal.« »Also«, sagte Auberson, und er wünschte, er wäre sonstwo, »also – das ist HARLIES Versuch, zu bewei- sen, daß er für die Firma von Nutzen ist. Und wenn vielleicht auch sonst nichts dabei herausgekommen ist, hat er doch auf jeden Fall bewiesen, daß er ein neues Computersystem entwerfen kann.« »So, hat er das?« Dorne griff nach einem der Aus- druckblätter, die über dem großen Mahagonitisch verstreut waren. »Was für ein System soll das denn sein? Funktioniert es überhaupt?« »HARLIE behauptet ja.«, »HARLIE!« Unwillig starrte Dorne auf das Blatt Papier, dann ließ er es wieder auf den Tisch fallen. »Gottmaschine!« »Nicht Gott«, korrigierte Auberson. »G.O.D. Das Akronym ist G.O.D. Das bedeutet Graphic Omni- scient Device.« »Ist mir doch egal, wie das Akronym lautet – Sie wissen genauso gut wie ich, wie man es nennen wird.« »Die Abkürzung war HARLIES Vorschlag, nicht meiner.« »So hört es sich auch an. Paßt vortrefflich.« Der Aufsichtsratsvorsitzende zog eine Zigarre aus dem Feuchtigkeitsbehälter, steckte sie aber nicht an. »Warum nicht?« sagte Auberson. »Schließlich hat er es entworfen.« »Beabsichtigt er etwa auch, seinen eigenen Namen zu ändern? Zum Beispiel MIST – menschliches Imita- tions- und Simulations-Testgerät?« Der Witz war nicht neu. Er machte sich nicht die Mühe, darüber zu lachen. »Wenn man in Betracht zieht, was die Aufgabe dieses Apparats sein wird – und HARLIES Beziehung dazu –, wäre das durchaus angemessen.« Dorne war gerade dabei, die Spitze seiner Zigarre abzubeißen, als Aubersons Worte in sein Bewußtsein drangen. Im ersten Augenblick wußte er nicht, ob er die Spitze, die ihm in die Kehle gerutscht war, hinunterschlucken oder ausspucken sollte. Ein unwiderstehlicher Hustenreiz nahm ihm die Entscheidung ab. Mit dem Ausdruck des Ekels angelte er den kleinen Tabakklumpen von seiner Zunge und warf ihn in den Aschenbecher. »Na, schön«, sagte er. »Erzählen Sie mir mehr von dieser, Gottmaschine.« Auberson hatte eine von HARLIE ausgedruckte Zusammenfassung mitgebracht, aber um diese Frage zu beantworten, benötigte er sie nicht. »Es ist ein Mo- delldesigner. Es ist der endgültige Modellbauer.« »Alle Computer sind Modelldesigner«, entgegnete Dorne. Er blieb unbeeindruckt. »Richtig«, stimmte Auberson zu, »aber nicht in dem Ausmaß wie dieser es sein wird. Sehen Sie, ein Computer löst Probleme nicht im eigentlichen Sinn – er konstruiert davon Modelle. Oder vielmehr tut das der Programmierer. Das ist ja das Wesen des Pro- grammierens, die Konstruktion des Modells und sei- ner Bedingungen – dann verändert die Maschine das Modell, um eine Vielzahl von Situationen und Lö- sungen zu erlangen. Es bleibt uns überlassen, die Er- gebnisse in Form einer Lösung des Originalproblems zu interpretieren. Die einzige Grenze für die Schwie- rigkeit des Problems ist die Größe des Modells, das der Computer braucht. Theoretisch könnte ein Com- puter alle Probleme unserer Welt lösen – wenn wir ein Modell dieser Welt bauen könnten, das groß ge- nug wäre, und dazu eine Maschine, die groß genug wäre, es zu handhaben.« »Ein so großes Modell wäre ein maßstabgerechtes Duplikat der Welt selbst.« »Das ihm in seinem Speicher zur Verfügung steht – ja, das stimmt.« »Ein Computer mit einer solchen Kapazität müßte etwa so groß sein wie ein ganzer Planet.« »Größer«, sagte Auberson. »Wenn Sie mit mir einer Meinung sind, daß so et- was unmöglich ist, warum halten Sie mich dann da-, mit auf?« Er schlug mit der flachen Hand auf die Pa- piere auf seinem Tisch. »Anscheinend hält HARLIE es nicht für unmög- lich.« Kalt blickte Dorne ihn an. »Sie wissen genausogut wie ich, daß HARLIE zum Tode verurteilt ist. Er be- müht sich verzweifelt, zu beweisen, daß er zu etwas taugt, nur damit wir ihn nicht abstellen.« Auberson deutete auf die Papiere. »Das ist sein Beweis.« »Verdammt Aubie!« fuhr Dorne ihn an, »das ist doch lächerlich! Haben Sie sich mal die voraussichtli- chen Kosten angesehen? Die Finanzierungstabellen? Es würde mehr kosten, als die Firma selbst wert ist.« Auberson blieb unnachgiebig. »HARLIE hält es für möglich.« »Und das ist das störendste an der ganzen Sache, verdammt noch mal! Jedes Argument, das ich vor- bringe, ist bereits widerlegt – da drin!« Ärgerlich deutete Dorne auf die Wand, und Auberson bemerkte erst jetzt die hohen Papierstapel, die dort aufgereiht waren. Er unterdrückte das heftige Verlangen, in Lachen auszubrechen. Die Frustration des Mannes war ver- ständlich. »Die Frage«, sagte Auberson ruhig, »ist nicht, ob dieses Projekt durchführbar ist – die Unter- lagen dort beweisen, daß es das ist –, sondern die Frage ist, ob wir damit weitermachen wollen.« »Und das bringt uns auf ein anderes Thema«, sagte Dorne. »Ich kann mich nicht erinnern, daß ich dieses Projekt genehmigt habe. Wer hat Ihnen erlaubt, ein solches Projekt in Gang zu setzen?« »Sie selbst. Sie haben gesagt, HARLIE müßte be-, weisen, was er für die Firma wert wäre. Er müßte et- was produzieren, das einen Gewinn verspricht. Ir- gend etwas. Hier haben Sie das Resultat. Das ist ge- nau der Computer, den Sie haben wollten, er ist das, was Sie sich ursprünglich unter HARLIE vorgestellt hatten – das Orakel, das den Menschen alle Fragen beantwortet – natürlich müssen Sie ihn zuerst bezah- len.« Diesmal nahm sich Dorne Zeit, bevor er antworte- te. Er zündete seine Zigarre an. Er schwenkte da, Streichholz in der Luft, und das Flämmchen erlosch. »Der Preis ist zu hoch«, sagte er. »Auch die Gewinne wären hoch«, entgegnete Au- berson. »Im übrigen ist kein Preis zu hoch, wenn man dafür entsprechenden Gegenwert erhält. Überlegen Sie doch mal: Wieviel würden die Demokraten für ei- nen genauen Plan zahlen, der Ihnen verrät, wie sie bei der nächsten Wahl eine optimale Zahl Wählerstim- men gewinnen können? Oder wieviel würde ein Au- tomobil-Konzern zahlen, um alles über ein Trans- portsystem zu erfahren, noch bevor man überhaupt den ersten Prototyp zu bauen beginnt? Und wieviel würde man für den detaillierten Konstruktionsplan drauflegen – mit allen Variationsmöglichkeiten? Wie- viel würde der Bürgermeister von New York City für ein Konzept zur endgültigen Lösung des Versor- gungsproblems zahlen? Wieviel würde eine Univer- sität für einen optimalen Forschungsplan auslegen? Wieviel würde die Regierung für eine wirksame Au- ßenpolitik zahlen? Und vergessen Sie die internatio- nalen Anwendungsmöglichkeiten nicht – besonders die militärischen.« Dorne gab ein wütendes Schnauben von sich., »HARLIE wäre also eine verdammt gute logistische Waffe, was?« »Es gibt ein altes Sprichwort, das sagt: ›Wissen ist Macht‹. Für die richtige Antwort ist kein Preis zu hoch – nicht, wenn man die Alternativen berücksich- tigt. Wir hätten das Monopol auf dem gesamten Markt – diese Maschine kann nur gebaut werden, wenn man dazu speziell konstruierte Mark IV- Entscheidungseinheiten verwendet.« »Hm«, sagte Dorne. Er überlegte. Seine Zigarre lag vergessen im Aschenbecher. »Hört sich nicht schlecht an, Aubie – aber wer soll dieses Ding programmie- ren?« Auberson deutete auf die Ausgabedrucke. »Steht alles in den Aufzeichnungen, die Sie in der Hand halten.« Das hoffe ich wenigstens. Verdammt! Ich wünschte, HARLIE hätte mir das genauer erklärt. Dorne blätterte die Papiere langsam durch, über- flog jedes Blatt des anscheinend endlosen Doku- ments. »Vielleicht stimmt das, was Sie über den Computer sagen, der groß genug ist, um alle Proble- me der Welt zu lösen, Aubie, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie.« Wieder blätterte er eine Seite um. »Ich bin sicher, daß Ihnen das Programm einen Strich durch die Rechnung macht. Einer der Gründe, war- um die Größe eines Computers prinzipiell beschränkt ist, ist das Gesetz des exponentiellen Aufwands. Ab einer bestimmten Größe wird die Programmierung so kompliziert, daß sie selbst ein weitaus größeres Pro- blem darstellt als das gegebene.« »Lesen Sie doch weiter«, sagte Auberson. »Es steht alles da drin.« »Aha, hier steht etwas darüber«, Dorne legte das, Blatt flach auf den Tisch und begann zu lesen. Seine Stirn zog sich nachdenklich in Falten, seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengekniffen. »Sieht aus wie HARLIES Eingabeeinheit«, sagte er, dann sah er noch einmal hin. »Nein, es ist HARLIES Eingabeeinheit.« »Stimmt genau.« »Würden Sie mir das bitte erklären?« Wieso muß ich mich eigentlich mit diesen Dingen her- umschlagen? fragte sich Auberson. Ich bin nur ein einfa- cher Psychologe. Himmel, ich wünschte Handley wäre hier. »Also, ich will es versuchen – HARLIE wird über ei- nen Programmeingabeübersetzer an die G.O.D. ange- schlossen. Auf dem gleichen Weg wird er die Ausga- be vornehmen. Dieser Übersetzer ist ein Teil der Selbstprogrammierungseinheit.« »Wenn wir eine Selbstprogrammierungseinheit bauen, wozu brauchen wir dann HARLIE?« »HARLIE ist diese Selbstprogrammierungseinheit. Erinnern Sie sich nicht mehr? Dafür haben wir ihn doch gebaut! Wir wollten eine sich selbstprogram- mierende, problemlösende Vorrichtung.« »Einen Augenblick«, unterbrach ihn Dorne. »HARLIE ist das Resultat unseres ersten JudgNaut- Projektes. Zuerst war geplant, ihn zu einer Arbeit- seinheit zu machen, aber das gelang nicht, weil er da- zu nicht die richtigen Voraussetzungen mitbrachte. Wollen Sie mir jetzt etwa erzählen, daß er die JudgNaut-Funktionen doch erfüllen kann?« »Nein, das kann er nicht. Aber er wird es können, wenn diese Maschine hier fertig ist. Die JudgNaut war der erste Versuch dieser Firma, komplexe Ent- scheidungsschaltkreise in einem Großrechner zu be-, nutzen. Es sollte eine selbstprogrammierende Vor- richtung sein – und wir stellten fest, daß man ihn nicht bauen konnte, weil es keine Möglichkeit gab, ihn flexibel genug zu machen, um alle Aspekte jedes einzelnen Programms, die er aufstellen mußte, zu be- rücksichtigen. Deshalb bauten wir HARLIE – aber er ist kein JudgNaut, und das ist der Grund für die gan- ze Verwirrung. HARLIE ist viel flexibler, aber um ihn flexibler zu machen, mußten wir jeder Funktion zu- sätzliche Schaltkreise zuschreiben. Indem wir das ta- ten, opferten wir einen Teil der Programmierungsfä- higkeit, die wir uns von der Maschine erwarteten. HARLIE kann Programme schreiben, ja – das kann der Mensch auch – aber nicht in dem Maße, wie es der JudgNaut gekonnt hätte, wenn wir in der Lage gewesen wären, ihn zu bauen.« »Das ist einer der Punkte, die ich am meisten bean- stande«, bemerkte Dorne. »Daß das JudgNaut-Projekt zugunsten von HARLIE umgewandelt wurde, der seinerseits keinen Gewinn zeitigt.« »Aber er kann Gewinne erzielen – und das wird er auch. Vor allem anderen ist HARLIE außerordentlich kreativ. Er weiß, daß die Firma einen Programmier- Computer auf den Markt bringen will. HARLIE ist dieser Computer nicht, aber er weiß, wie er sich diese Fähigkeit aneignen kann. Und das wollen Sie doch, nicht wahr?« Auberson wartete nicht erst auf Dornes brummige Zustimmung. Er fuhr fort: »HARLIE gibt sich nicht mit den Spezifikationen des Originalproblems zufrie- den – er möchte darüber hinauskommen. Was Sie wollen, ist nichts als ein Apparat, der innerhalb eines Bereichs Modelle konstruieren und bauen kann., HARLIE will einen Apparat, der alle möglichen Mo- delle konstruieren und bauen kann.« »Und HARLIE wird diese Maschine programmie- ren, stimmts?« »Richtig.« »Und wie? Sie haben mir doch erst vorhin erklärt, daß er nicht viel besser wäre als ein menschlicher Programmierer.« »Nicht, was die Schwierigkeit der Probleme be- trifft, da haben Sie recht – aber an Geschwindigkeit und Sorgfältigkeit ist er unerreichbar. Er hat die Fä- higkeiten, die ein Mensch nicht besitzt. Erstens ein- mal ist er schneller. Zweitens kann er das Programm direkt in den Computer einschreiben – und es als ei- nen Teil seiner selbst erleben, während er schreibt. Au- ßerdem kann er keine Fehler machen. Er ist auf die Standardmodelle beschränkt, die die menschlichen Programmierer bauen, und zwar aus genau dem glei- chen Grund, warum sie sie nicht anders konstruieren: Seine Gehirnfunktionen sind nicht groß genug, um mehr zu handhaben; HARLIES Egofunktionen dek- ken die meisten der Schaltkreise, die für die Vorder- hirnfunktionen im JudgNaut benutzt worden wären. Aber in dieser Hinsicht hat HARLIE, verglichen mit menschlichen Programmierern, einen Vorteil – er kann die Kapazität seiner Vorderhirnfunktionen er- höhen. Oder vielmehr wird die G.O.D. ihn dazu be- fähigen. Er wird es programmieren, indem er es zu einem Teil seiner selbst macht – indem er eins wird mit ihm – und indem er seine Fähigkeit benutzt, seine eigene Programmierung zu handhaben. Er wird das Programm sehen und erleben, während er es direkt in die G.O.D. einschreibt. Da das Modell veränderlich, ist, wird HARLIE in der Lage sein, das Programm je- weils anzupassen, um jede mögliche Situation zu er- fassen. Zusammen werden ihre kombinierten Fähig- keiten größer sein als die Summe der beiden ge- trennten Teile.« »Warum baut man diese Funktion dann nicht gleich in die G.O.D. ein?« »Wenn wir HARLIE nicht hätten, müßten wir das tun – aber wenn wir HARLIE nicht hätten, dann hät- ten wir auch die G.O.D. nicht. Die G.O.D. wird fast ausschließlich Vorderhirnfunktionen übernehmen. Die massive Egofunktion, die die Kontrolle über- nimmt, haben wir bereits, warum sollten wir also eine neue bauen?« »Ja – massives Ego – das stimmt genau!« Auberson ignorierte die Bemerkung. »Im Grunde genommen ist diese G.O.D.-Maschine ein Teil von HARLIES Gehirn. Es ist das Verarbeitungszentrum, zu dem ein Bewußtsein, so wie HARLIE es hat, Zu- gang haben sollte. Sehen Sie sich noch einmal diese Ausdrucke an. Sehen Sie da sowas wie Programmdurchführung?« »Ja, was ist damit?« »Das zeigt wieder mal HARLIES Eitelkeit. Er will nicht, daß man es beim richtigen Namen nennt, denn eigentlich ist es ein zusätzlicher Teil seines Gehirns. Er wird eine Überwachungseinheit benötigen, um je- de einzelne Sektion der G.O.D. zu kontrollieren. Die G.O.D. hat keine praktische Grenze – sie kann so groß werden, wie wir das zulassen – und HARLIES Reichweite muß proportional dazu erweitert werden. Das besorgt diese Einheit. Mit jeder Einheit, mit der die G.O.D. vervollständigt wird, wird eine entspre-, chende Überwachungseinheit in die Programmdurch- führung eingebracht. Und nicht nur das: Da HARLIE ein elektronisches Wesen ist, liegen seine Gedanken bereits in der Computersprache ausgedrückt vor – das ermöglicht eine optimale Kooperation zwischen ihm und der G.O.D. Er braucht das Programm nur zu denken, und schon wird es in die Tat umgesetzt. Das ist die unmittelbarste Kommunikation, die es gibt.« »Ich verstehe«, sagte Dorne. »Und das hat er sich alles selbst ausgedacht, nicht wahr?« Auberson nickte. »Natürlich. Sehen Sie, ein Com- puter ähnelt einem mystischen Orakel. Es genügt nicht zu wissen, welche Frage man stellen muß, son- dern man muß auch wissen, wie man sie zu formulie- ren hat – und die Antworten fallen nicht immer so aus, wie man sie erwartet hat, und sie sind auch nicht immer so formuliert, daß man sie verstehen kann. Wer würde sich also besser als Übersetzer eignen, als jemand, der halb Orakel und halb Mensch ist?« Dorne ging auf die Bemerkung nicht ein; statt des- sen sprach er seine Gedanken laut aus, wobei er an ein Thema anknüpfte, das sie schon berührt hatten. »Ein hübscher Trick ist das – wirklich ein hübscher kleiner Trick. Wir sagen ihm, er soll sich etwas ein- fallen lassen, wodurch er gewinnbringend wird, und er rät uns, eine neue Maschine zu bauen, die nur er programmieren kann. Ich habe das Gefühl, daß er das aus einem ganz bestimmten Grund getan hat – daß das vielleicht die einzige Möglichkeit ist, wie HAR- LIE für uns von Wert sein kann. Natürlich. Aber auch wenn wir uns erst einmal an den Gedanken gewöhnt haben sollten, daß HARLIE für das Projekt wichtig ist, bleibt immer noch die Frage offen, ob das Ge-, samtkonzept gewinnbringend ist! Und das führt uns direkt zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zurück. Nämlich: Ist HARLIE rentabel?« Auberson beschloß, auf diese Frage vorerst nicht einzugehen. Er sagte: »HARLIE glaubt, daß das Ge- samtkonzept rentabel ist. Das steht in seinen Aus- drucken.« »Ah ja – HARLIE hat ja auch ein berechtigtes Inter- esse an diesem Projekt.« »Warum auch nicht?« sagte Auberson. »Das Pro- jekt stammt von ihm, nicht von mir. Er ist derjenige, der es dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorlegt, nicht ich.« »Und ich kann Ihnen schon jetzt garantieren, daß er es ganz sicherlich nicht durchbringt.« Der Vorsitzen- de betrachtete seinen Handrücken. »Ich sehe nicht ein, wie er dafür die Zustimmung erhalten will. Ich bin nicht einmal sicher, daß wir es überhaupt zur Diskussion stellen.« »Dazu ist es schon zu spät«, sagte Auberson. »Sie müssen es diskutieren. Und Sie werden ihm eine faire Diskussion einräumen. Sie haben HARLIE aufgefor- dert, sich etwas einfallen zu lassen, wodurch er ren- tabel wird. Jetzt müssen Sie ihm auch die Möglichkeit geben, angehört zu werden.« »Das ist doch lächerlich«, brummte Dorne. »Schließlich ist er doch nur eine Maschine.« »Wollen wir noch mal von vorn anfangen?« fragte Auberson. »Nein«, Dorne schüttelte sich. Er hatte noch vom letztenmal genug. »Also gut, ich werde dafür sorgen, daß sich der Aufsichtsrat damit beschäftigt, Aubie, aber das alles ist irgendwie irreal – einen Computer, einen anderen Computer bauen zu lassen, der ihm einen Job gibt. Sie können sich doch vorstellen, was Elzer dazu sagen wird, nicht wahr? Ich rate Ihnen, sich gut vorzubereiten. Mehr kann ich nicht tun.« »Wenn wir nur eine Chance bekommen«, sagte Auberson. »Das genügt uns. Alles andere erledigen wir dann schon.« Dorne nickte. »Fangen Sie lieber gleich damit an, Ihre Argumente vorzubereiten – Sie haben nur noch zwei Wochen Zeit.« »Zwei und eine halbe«, korrigierte Aubie, »das reicht aus. Schließlich haben wir HARLIE auf unserer Seite.« Er war aufgestanden. Als er die Tür hinter sich schloß, blätterte Dorne schon wieder eifrig in den Ausgabedrucken und schüttelte dabei den Kopf. Als er wieder in seinem Büro war, starrte Auberson in seine Schreibtischschublade – er kämpfte mit sich. Schließlich entschied er sich für Pillen; er hatte dem Kraut abgeschworen, und dabei sollte es bleiben. Ich muß diese Highmasters wegwerfen, dachte er. Sie trocknen doch nur aus. Oder nein, Pot verdirbt ja nicht, oder? Andauernd nahm er sich vor, Handley den Rest der Packung zu geben, aber dann vergaß er es immer wieder. Wahrscheinlich, weil sie für ihn eine schöne Rückversicherung darstellten, so lange sie in der Schublade lagen. Falls er doch einmal seine Meinung ändern sollte. Er schluckte zwei Pillen ohne Wasser hinunter und schob die Schublade zu, dann stützte er den Kopf in die Hände und wartete darauf, daß sie wirkten. Er überlegte, ob er zum Mittagessen in die Kantine ge- hen sollte, aber er hatte keine rechte Lust. Mit einem, Ruck setzte er sich auf und drehte sich um. An der einen Seite seines Tisches stand ein Magty- per, eine elektronische Eingabe/Ausgabeeinheit, die an den Hauptcomputer und das Datennetz der Firma angeschlossen war – sowie an alle dazugehörigen Einrichtungen. Sie war Notizblock, Postabwickler, Aktenablage, Datenspeicher und Abrufbank – ein to- tales Informationssystem. Alles, was man hinein- tippte, konnte in jeder Form, die dem System zur Ver- fügung stand, ausgedruckt werden: ein Memoran- dum, ein Brief, eine Aktennotiz, ein Bericht. Jede In- formation war sofort abrufbar – das heißt abrufbar nur für jene, die durch Kenntnis des richtigen Code- schlüssels Zugang zu ihr hatten. Für den Abruf war ein besonderer Schlüssel nötig und ein anderer, um das Material noch einmal zu sichten. Jede Information, die im Arbeits- oder Durch- gangsspeicher aufgehoben wurde, konnte augen- blicklich auf den neuesten Stand gebracht, kommen- tiert, gelöscht oder neu geschrieben werden. Alle Daten wurden neunzig Tage lang in einem Durch- gangsspeicher aufbewahrt, am Ende dieser Zeit wur- den sie entweder in den permanenten Speicher wei- tergeleitet oder gelöscht, je nach einer ursprünglichen Codeangabe. Rechnungen, Aufträge, Produktionspläne, Abrech- nungen und auch Gehaltsstreifen – alles wurde über dieses System abgefertigt. Das Netz erledigte jede Papierarbeit. Die gesamte Firma hing daran. Ein An- gestellter konnte seine Arbeit überall dort verrichten, wo er Zugang zu einem Computer-Ein- und Ausga- begerät hatte – und mit einem tragbaren Anschlußge- rät auch überall dort, wo ein Telefon zur Verfügung, stand. Mehrere Büros der Firma waren für diesen Zweck extra mit tragbaren Einheiten ausgerüstet. Die meisten Anschlüsse waren Kathoden- Bildröhren und Tastaturen, einige wenige, wie die von Auberson, auch elektrische Schreibmaschinen mit Magnetbandspeicherung – kurz ›Magtyper‹ ge- nannt. Es war ein gebräuchlicher Gerätetyp, der von der IBM hergestellt und überall in der Industrie be- nutzt wurde; das war billiger, als ein neues System zu entwerfen und zu bauen. Auberson hatte eine Frage; er schaltete ein Gerät ein und tippte: HARLIE? JA, CHEF, erwiderte die Maschine. WAS KANN ICH FÜR DICH TUN? Auberson zuckte zusammen. DU BIST ALSO WIRKLICH AN DAS SYSTEM ANGESCHLOSSEN. DAS HAB ICH DIR DOCH GESAGT, erwiderte HARLIE. Er befand sich hier im Raum – so wie er sich in allen anderen Arbeitsräumen befand. Seine Worte auf dem Papier waren das sichtbare Zeichen seiner Gegenwart. Meine Irritation muß psychologische Gründe haben, dachte Auberson. Ich bin zu sehr daran gewöhnt, die ganze Maschinerie zu sehen – ich assoziiere sie mit ihm. JA, ABER ICH KONNTE MIR NICHT VORSTEL- LEN, DASS DU AUCH AN MEIN BÜRO ANGE- SCHLOSSEN BIST, tippte er. WARUM NICHT? ES IST EIN TEIL DES SYSTEMS. ICH SCHÄTZE, DU HAST AUCH IN ALLEN ANDEREN MAGTYPEN DEINE FINGER DRIN. NATÜRLICH. UND IN DEN BILDSCHIRM- EINHEITEN. IN JEDER ANLAGE DER WILDEN BE- STIE., Wilde Bestie – das war der Spitzname für das ge- samte Computernetz innerhalb der Firma. So nannten es nicht nur die Bürojungen, sondern auch die leiten- den Angestellten der Firma. Auberson fragte sich, welchen Namen man wohl dem System geben wurde, wenn man wüßte, daß es von einem bewußt denken- den und hochintelligenten Wesen übernommen wor- den war. DAS WÜRDE ICH ABER NIEMANDEM ERZAHLEN, HARLIE, sagte er. ICH GLAUBE NICHT, DASS DAS EINE GUTE IDEE WÄRE. WIE DU MEINST, CHEF. BEHALTEN WIR ES AL- SO FÜR UNS, ALS UNSER KLEINES GEHEIMNIS. EINVERSTANDEN. Auberson wollte gerade abschalten, als sein Blick auf etwas Farbiges fiel – ein grelles Orange: Annies Karte, die er in den Papierkorb geworfen hatte. HARLIE, WURDEST DU MIR EINEN GEFALLEN TUN? WAS FÜR EINEN GEFALLEN? ICH HABE HEUTE MORGEN EINE KARTE VON ANNIE BEKOMMEN. ICH MÖCHTE IHR AUCH EINE SCHICKEN. NEIN, NICHT EINE KARTE. EIN GEDICHT. ICH MÖCHTE IHR EIN GEDICHT SCHICKEN. KANNST DU EINS FÜR MICH SCHREIBEN? JA, NATÜRLICH. SOLL ICH ES GLEICH AN SIE ABSENDEN? NEIN! fuhr Auberson auf. DAS ERLEDIGE ICH SELBST. DU ZEIGST ES MIR ERST, JA? JAWOHL, SIR. Das Telefon läutete, und Auberson vergaß HARLIE für eine Weile. Es war Hooker, der Sicherheitschef des Geländes. »Mr. Auberson?« fragte er. »Kennen, Sie einen Mann namens Krofft?« »Krofft? Aber ja, ich kenne ihn – wieso?« »Wir haben ihn geschnappt, wie er gerade mit ei- nem großen Stapel Ausgabedrucken davonmarschie- ren wollte. Er sagt, das ginge in Ordnung. Er sagt, sie gehören ihm, aber wir dachten uns, es wäre besser, das erstmal bei Ihnen zu überprüfen.« »Ja, das geht schon in Ordnung. Ist er jetzt bei Ih- nen?« »Ja.« »Können Sie mir ihn bitte mal geben?« Man hörte gedämpftes Stimmengewirr. Während Auberson wartete, bemerkte er, daß sein Magtyper etwas ausdruckte, aber er kippte den Geräusch- schutzdeckel herunter und lehnte sich im Sessel zu- rück. »Mr. Auberson?« »Ja, ich bin's – Doktor Krofft?« »Ja. Ich wollte Ihnen noch dafür danken, daß Sie mir heute morgen erlaubt haben, mich so lange mit HARLIE zu unterhalten. Das war sehr fruchtbar für mich.« »Gut. Dann werden Sie also jetzt einen neuen Gra- vitationswellendetektor bauen?« »Zuerst muß ich die Theorie, auf die ich mich stüt- ze, publizieren, aber – sagen Sie mal, woher wissen Sie das überhaupt?« »Ich habe Ihnen doch schon heute morgen gesagt, daß HARLIE keine Geheimnisse vor mir hat. Ich nehme an, daß es sich bei den Ausgabedrucken um diese Sache handelt, oder?« »Eh – ja.« Krofft schien peinlich berührt; er hatte geglaubt, daß seine Forschung nur ihm und HARLIE, bekannt wäre. »Eh – es handelt sich um die vollstän- digen Formeln für die Theorie und um ein grobes Aufbaukonzept. HARLIE ist damit fertig geworden, als wäre es nichts. Er hat mir sogar Vorschläge für neue Konstruktionsprinzipien gemacht.« »Schön«, sagte Auberson. »Es freut mich, daß wir Ihnen helfen konnten. Wenn Sie wieder einmal Pro- bleme haben, wenden Sie sich an mich. Ich werde mich darum kümmern, daß Sie mit ihm so oft reden können, wie Sie wollen.« »Das ist sehr freundlich von Ihnen.« »Danke, aber ich tue es nicht nur für Sie, sondern auch für HARLIE.« »Trotzdem, wenn es irgend etwas gibt, das ich –« »Jetzt, wo Sie es erwähnen, fällt mir ein: Es gibt tat- sächlich etwas. Wenn bei diesem Gravitations-Ding irgend etwas Wichtiges herauskommt, dann möchte ich gern, daß Sie HARLIE erwähnen – daß Sie seinen Anteil an der Arbeit hervorheben.« »Aber Dr. Auberson, das ist doch selbstverständ- lich. Wollen Sie etwa sagen, daß –« »Aber nein, nein. Sie verstehen mich falsch. Ich spreche nicht von öffentlicher Anerkennung, und ich glaube auch nicht, daß HARLIE was daran läge. Nein, ich möchte, daß sein Verdienst innerhalb der Firma bekannt wird. Gerade im Augenblick versuche ich zu beweisen daß HARLIE den Aufwand wert ist. Und dazu brauche ich jede Unterstützung.« »Ach so, ich verstehe«, erwiderte der andere eifrig. »Aber ja, dabei bin ich gern behilflich. Schließlich war mir HARLIE bei meinen Forschungen von unschätz- barem Wert. Ich tue gern alles, um Sie zu unterstüt- zen. Ein Brief, ein Telefonanruf – wenn Sie mich, brauchen, lassen Sie es mich wissen!« »Schön. Mehr will ich nicht. Vielleicht komme ich darauf zurück.« »Sehr gut. Tun Sie das ruhig.« »Danke. Ist Hooker noch da?« »Eh, ja.« »Fragen Sie ihn bitte, ob er mich noch braucht.« Pause, gedämpfte Stimmen. »Nein, er sagt, es wäre nicht nötig.« »In Ordnung, Dr. Krofft. Bis später also.« Auberson legte den Hörer zurück in die Gabel und lehnte sich im Stuhl zurück. Er erwartete sich nicht allzuviel von dem kleinen Mann aber auch die ge- ringste Hilfe würde von Nutzen sein. Natürlich wußte er im Moment nicht einmal, wie er es zugeben konnte, daß Krofft mit HARLIE gesprochen hatte, ohne dabei gleichzeitig zugeben zu müssen, daß er die Sicherheitsvorschriften der Firma gebrochen hatte – aber das war ein vergleichsweise geringfügiger Ver- stoß, und er würde sich wahrscheinlich damit heraus- reden können, daß es »für die Fortführung des For- schungsprogramms notwendig« gewesen wäre. Sein Rücken tat ihm weh, und er streckte die Arme über seinen Kopf, um den Schmerz zu lindern. Seine Rückenschmerzen wurden täglich schlimmer. Ich glaube, ich werde alt, dachte er, und grinste verbissen – und dann traf es ihn wie ein Blitz. In zwei Jahren werde ich alt sein. Mit vierzig beginnt man ›alt‹ zu werden. Die- ser Gedanke ließ ihn erschauern. Schnell nahm er die Arme herunter. Wieder dachte er über HARLIE nach, überlegte sich genau, zu welchen Schlüssen er und Krofft ge- kommen waren. Aber das hatte jetzt keine Bedeu-, tung, vielleicht würde HARLIE es ihnen erklären können, er selbst – ein Psychologe – würde es wahr- scheinlich gar nicht verstehen. Oft genug wunderte er sich darüber, daß ausgerechnet er das HARLIE- Projekt leitete. Nun, ja – ein Chef brauchte nicht immer zu wissen, worum es ging. Er mußte es nur richtig verstehen, die Leute zur Arbeit anzuhalten. Er lehnte sich vor und klappte das Schreibgerät auf. Aus der Rückseite schlängelte sich ein Papierstreifen. Darauf stand: TAGE NÄCHTE KEINE FRAGENWORTE
DIE GEDANKEN TRAGENZÄRTLICHKEITEN
SANFTES SCHMIEGENFLÜSTERND
IN DEN SCHLAF SICH WIEGENZWEIFEL
NIE GEKANNTE SCHWACHENHEIMLICH
ZUEINANDER SPRECHEN HOFFEN BANGEN LIEBEN LEIDENSEHNSUCHT
IN EIN ZEICHEN KLEIDEN ARM IN ARM, SICH AUSZUBREITEN UND DEN SINN DER LIEBE DEUTEN FÜHLEN WÜNSCHEN WISSEN DENKEN MIT DEN WORTEN SICH VERSCHENKEN TAGE NÄCHTE OHNE FRAGENWUNSCHLOS
UNSAGBARES SAGEN Mit nachdenklich gerunzelter Stirn las Auberson das Gedicht zweimal langsam durch. Es war – hübsch. Sehr hübsch sogar. Aber er war sich nicht sicher, ob es ihm gefiel. Er zog den Streifen aus der Maschine, riß ihn vorsichtig ab und steckte ihn zusammenge- faltet in die Tasche. Er mußte erst darüber nachden- ken, bevor er das Gedicht an Annie schickte. Es sagte viel – fast zuviel. Zwei Tage später traf sie ihn endlich wieder. Er ging gerade durch den mit fluoriszierenden Farben aus- gemalten Gang zu seinem Büro, als ihm das flam- mende Rot ihres Bubikopfs in die Augen stach. Sie sah ihn im gleichen Augenblick. Sie lächelte und winkte ihm zu, während sie ihre Schritte beschleu- nigte und ihm entgegenlief. Selbst wenn er es gewollt hätte – es gab für ihn keine Möglichkeit, ihr auszu- weichen. »Hallo, wie geht's?«, »Dasselbe könnte ich dich fragen. Wo hast du nur die ganze Woche gesteckt?«, sagte er. »Den Eindruck habe ich allerdings auch. Ich kom- me gerade von deinem Büro. Dort herrscht ein ziem- liches Durcheinander. Sylvia sagt daß du dich seit Montag nur noch im Laufschritt fortbewegst.« »Sind es tatsächlich erst zwei Tage? Mir kommt es viel länger vor.« »Hast du schon zu Mittag gegessen?« fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Schön – dann können wir ja zusammen gehen.« Er wollte protestieren, aber sie hatte schon seinen Arm genommen und ihn mit sich gezogen. »Heute bin ich an der Reihe. Ich setze es auf mein Spesenkonto. Schließlich gehört es zu meinem Job, Wissenschaftler vorm Verhungern zu retten.« Er mußte lachen und folgte ihr den Gang entlang. »Ich habe deine Karte erhalten. Ich wollte dir ant- worten, bin aber leider noch nicht dazu gekommen.« »Warum hast du mich nicht einfach angerufen?« fragte sie geradeheraus. »Ich hätte dir das Gespräch bezahlt – oder du hättest ja auch ein R-Gespräch an- melden können.« Er war peinlich berührt. »Ich – ich hatte einfach keine Zeit, weißt du.« »Schon gut.« Sie hatten beide keine Lust, in der Kantine zu es- sen, und beschlossen in irgendein ruhigeres Restau- rant in der Stadt zu fahren. Vom Fabriktor aus rief Auberson in seinem Büro an, um seiner Sekretärin zu sagen, daß er über Mittag außer Haus sei. Während Annie wartete, klappte sie das Autodach zurück und zog einen hellblauen Schal aus dem Handschuhfach., Sie hatte ihn dort für eine Gelegenheit wie dieser auf- bewahrt. Sie band ihn sich gerade um den Kopf, als er zurückkam. Als er wieder ins Auto stieg, sagte sie: »Ich glaube, ich muß mir noch ein paar Schals zurechtlegen; das Blau paßt überhaupt nicht zu meinem Kleid.« Sein Lachen klang gutmütig, aber insgeheim mußte er denken: Ist das nicht schrecklich besitzergreifend von ihr? Schnell schob er diesen Gedanken beiseite und ließ den Motor an. Als sie sich langsam vom Fabrik- gelände entfernten, fragte er: »Wohin fahren wir ei- gentlich?« »Was hältst du vom Tower Room?« »Och. Zuviel Leute.« Er machte eine Pause, bevor er hinzufügte: »... von der Firma.« »Ach so«, sagte sie. »Gut. Was schlägst du vor?« Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Laß uns ein- fach drauflosfahren, wir werden schon etwas finden.« Er stellte die Stereo-Anlage an und reihte sich in den schwachen Mittagsverkehr ein. Sie betrachtete ihn von der Seite. Er war ein sehr ruhiger Fahrer – ihm machte das Fahren Spaß. Mit ei- ner Hand zog er die Sonnenbrille aus der Jackenta- sche und setzte sie auf. Der Wind zerrte an seinen Haaren und an seiner Krawatte. Nachdem sie von dem holprigen Nebenweg in die große asphaltierte Zufahrtsstraße eingebogen waren, glitt der Wagen ruhig und sanft dahin. Der Wind wurde stärker, als Auberson den kleinen Sportwagen auf über hundert Stundenkilometer beschleunigte. Sie wartete, bis er sich in die am weitesten links lie- gende Fahrbahn eingereiht hatte, bevor sie fragte: »Was hast du gegen die Leute aus der Firma?«, Er zuckte mit den Schultern. »Nichts. Ich habe nur keine Lust, von ihnen beobachtet zu werden. Das ist alles.« Leise tönte Musik aus der Stereo-Anlage. Er stellte sie noch leiser und fügte hinzu: »Ich glaube nicht, daß es gut ist, wenn man uns zusammen sieht.« »Du hast Angst, daß die Leute reden könnten?« Wieder zuckte er die Achseln. »Ich weiß nicht. Vielleicht tun sie das schon.« Er runzelte die Stirn, als der Verkehr vorübergehend ins Stocken geriet. Während er den Wagen hindurchmanövrierte, überlegte sie, was sie darauf antworten könnte. »Schämst du dich, mit mir gesehen zu werden?« – Nein, das war nicht gut. »Wir haben nichts zu verbergen.« – Nein, das war auch nicht gut. »Müssen wir uns denn ver- stecken –?« Am Ende beschloß sie, gar nichts zu sagen. Das wäre das Beste – außerdem war der richtige Au- genblick schon verpaßt. Sie glitten hoch über den schwarzen und roten Dä- chern ausgedehnter Vororte hinweg – Doppelgara- gen, davor Kombiwagen, grasgrüner Rasen. Kinder, die noch zu klein waren, um in der Schule zu sein, jagten hinter Hunden her, die größer waren als sie selbst und zu klug, um sich fangen zu lassen ... Col- lies und Pudel und schwarzbraune Bastarde. Und dann Einkaufszentren, elegante Plastikbögen und prächtiger Verputz – große, hell erleuchtete Glas- fenster voller Wünsche und Herausforderungen. Im- mer mehr Häuser, mehr Einkaufszentren, Neonlam- pen, härter und greller – immer größere Gebäude, stuckgerahmte Büros und Reklameflächen, von denen Papierfetzen herunterhingen – und Warenhäuser, rie- sig, anonym und häßlich – und immer mehr Büro- bauten aus Beton und Glas, die immer höher aufrag-, ten. Zwischen den beiden größten rollten sie von der Rampe; in einen engen Canyon mit sonnenhellen Wänden; hinunter in die Kopfsteinstraße, die seit Jah- ren nicht mehr neu gepflastert worden war. Plötzlich merkte Auberson, wo er sich befand – in der Nähe des Red Room, demselben Restaurant, in dem sie bei ihrer ersten Verabredung gegessen hat- ten. Warum bin ich hierhergefahren? Aber es war zu spät, jetzt noch umzukehren; er lenkte den Wagen um eine Ecke, und schon waren sie angekommen. Zum Glück war die Nische, in der sie gesessen hatten, belegt, so daß ihnen wenigstens diese peinli- che Parallele erspart blieb. Peinlich? Warum eigentlich peinlich? Sie äußerte sich nicht zu der Wahl des Restaurants, sondern schien alles in Ordnung zu finden. Nachdem sie das Essen bestellt hatten, sah sie ihn eindringlich an. Ihre grünen Augen leuchteten. »Was ist los?« fragte sie. »Wie? Was meinst du damit?« »Gar nichts. Ich hab nur mal gefragt – aus Ge- wohnheit.« »Ach so.« Es klang, als wüßte er, was sie meinte, aber in Wirklichkeit hatte er keine Ahnung. Sie beschloß, das Thema zu wechseln. »Wie ich hörte, hast du schon wieder Ärger mit HARLIE.« »Mit HARLIE? Nein, nicht mit HARLIE – wegen HARLIE.« »Na ja, du weißt schon, was ich meine. Die ganze Firma ist in Aufruhr. Wegen irgendwelcher nicht ge- nehmigter Spezifikationen – ich konnte mich noch nicht darum kümmern. Ich hatte mit dem Jahresre-, port für Dorne zu tun.« »Ach. Ich dachte, der wäre schon lange fertig.« »Eigentlich hätte er das auch schon sein müssen – aber wir erhalten andauernd falsche Statistiken. Das heiß, eigentlich stimmen sie ja.« »Wieso. Das begreife ich nicht.« Zuerst zögerte sie, dann überwand sie ihre Beden- ken. »Ich glaube, es macht nichts, wenn ich es dir er- zähle. Die Firma hat zwei verschiedene Sätze Bücher, weißt du.« »Wieso?« Er verstand immer weniger. »Ach, das ist nicht direkt illegal«, sie zögerte noch immer, dann erklärte sie es ihm. »Der eine Satz – das sind die richtigen Bücher; der andere ist für die Öffentlichkeit bestimmt, hauptsächlich für die Aktio- näre.« »Das hört sich für mich aber nicht gerade legal an.« Sie verzog das Gesicht. »So genau darf man das nicht nehmen. Sagen wir einfach, der zweite Satz Bü- cher ist – kosmetisch bearbeitet. Er sieht hübscher aus. Die Zahlen sind keineswegs falsch, sondern nur – neu angeordnet. Wie zum Beispiel die Daten über HARLIE.« »HARLIE?« »Ja, HARLIE. Du weißt so gut wie ich, daß er als Forschungsprojekt eingestuft ist – aber einige der Di- rektoren sind der Meinung, daß seine Kosten zu hoch liegen, um vom Forschungsetat gedeckt zu werden. Sieh mich nicht so an, David – ich bestimme die Füh- rungspolitik nicht, ich weiß nicht einmal genau, war- um man so verfahren hat. Anscheinend haben sie be- fürchtet, die Aktionäre würden kein Verständnis da- für aufbringen, daß so große Mengen Geld wieder, zurück in den Betrieb fließen –« »Elzer. Carl Elzer«, sagte Auberson. »Er ist nicht der einzige«, stimmte Annie zu. Aubies Gehirn arbeitete rasch. »Jetzt wird mir alles klar«, sagte er. »Diese Diebe – Plünderer – Betrüger –« »Wieso?« »Erinnerst du dich noch, warum sie die Firma übernommen haben?« »War es nicht wegen irgendeines Aktiendurchein- anders? Ich erinnere mich, daß damals viel geredet wurde, habe mich aber nie darum gekümmert.« »Ich auch nicht, verdammt.« Er versuchte, sich daran zu erinnern. »Ich weiß, daß viele dagegen wa- ren, ich weiß auch, daß ein paar Leute kündigten; ei- nige wurden rausgeschmissen. Elzer und Dorne und noch ein paar Direktoren gehören einem – einem Fi- nanzsyndikat an. Sie sind darin spezialisiert, Firmen zu übernehmen. Sie holen soviel Barkapital aus dem Betrieb heraus wie nur möglich und benutzen das Geld dann dazu, um wieder andere Firmen zu kau- fen.« Er schnalzte mit den Fingern. »Ich hab's – sie müssen es aus der Aktiengesellschaft herausgenom- men haben.« »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich alles richtig begreife.« Ein Gedanke jagte den anderen. »Sieh mal, die Stellar American Technology and Research besitzt vier Tochtergesellschaften, die alle auf verschiedenen Gebieten der Hyper-State-Elektronik tätig sind. Wir sind eine davon. Der Stellar American gehören 51 Prozent jeder dieser Firmen – aber die Stellar Ameri- can gehört selbst einer Aktiengesellschaft. Wenn man, die Kontrolle über diese Aktiengesellschaft erringt, dann hat man gleich fünf Firmen auf einmal in der Tasche –, sechs, wenn man die Dachgesellschaft mit- zählt.« »Aber wie –« »Ich könnte mir mehrere Möglichkeiten denken. Um die Hyper-State-Entwicklung voranzutreiben, mußten sie wahrscheinlich hohe Schulden machen. Nehmen wir einmal an, daß sie eine vierprozentige Verzinsung ihrer Investitionen veranschlagten; das würde es Ihnen ermöglichen, die Anleihen zurückzu- zahlen. Die Entwicklung des Verfahrens stellt sich aber nun als schwieriger heraus, als sie geglaubt ha- ben, und die erwarteten Gewinne treffen nicht ein; sie verlieren Geld, sie borgen noch mehr, sie machen größere Schulden, und jedesmal spekulieren sie dar- auf, es zurückzukriegen, weil der Markt eine inflatio- näre Richtung einschlägt. Angenommen, die Firma würde einen Punkt erreichen, an dem sie bereit wäre, Aktienteile als Bürgschaft eine neue Anleihe herzu- nehmen ... Wenn nun Dorne und Elzer selbst das Geld für die Anleihe zur Verfügung stellen – oder ei- ne ihrer Firmen – dann können sie die Aktien über- nehmen, sobald der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, das Guthaben zurückzuzahlen. In diesem Fall würde die ganze Aktiengesellschaft in ihren Besitz übergehen.« »Uih.« Sie schnitt ein Gesicht. »Warte mal – du könntest Recht haben. Soviel ich weiß, sind alles in allem nur 36 Prozent der Stellar American auf den of- fenen Markt gelangt.« »Woher weißt du das?« »Das stand in einem Bericht, den ich zu bearbeiten, hatte. Um die Patente zur Produktion der Hyper- State-Einheiten zu bekommen, mußten sie eine be- stimmte Anzahl Aktien an den Mann weitergeben, der die Patente besaß.« »Krofft? Doktor Krofft?« »Ich weiß nicht – wenn das sein Name ist, dann ist er derjenige, welcher. Auf jeden Fall weiß ich genau, daß der Erfinder rund 24 Prozent der stimmberech- tigten Stellar-American-Aktien besitzt. Er ist eine Firma für sich – Stellar American mußte die Aktien abgeben, um die Exklusivrechte zur Herstellung zu erlangen.« Auberson pfiff durch die Zähne. »Dieser Krofft ...« Er begann laut zu denken. »Laß mal sehen: Die Akti- engesellschaft besitzt 51 Prozent der Stellar American. Sie könnten Anleihen auf 24 Prozent des Pakets auf- nehmen, und angenommen, Krofft hält zu ihnen – dann würden sie noch immer 51 Prozent kontrollieren.« »Aber anscheinend tut er das nicht.« »Ich frage mich, was Dorne und Elzer ihm verspro- chen haben«, sagte Auberson. »Er ist der For- schungsleiter –.« »Was immer man ihm versprochen hat«, sagte An- nie, »es muß sich gelohnt haben. Wenn soviel auf dem Spiel steht, dann muß es ein ganz schöner Hap- pen gewesen sein.« »Wahrscheinlich haben sie ihn in der Tasche«, sagte Auberson. »Aber anders ist es nicht denkbar – sie müssen die Firma von innen her übernommen ha- ben. Dorne und Elzer sind seit langem mit der Stellar American liiert. Sie haben nur auf die richtige Gele- genheit gewartet. Kroffts Anteil an den Aktien und ihre eigenen vergrößerten Aktienanteile – beides zu-, sammen hat ihnen dazu verholfen. Ich vermute, daß die Aktiengesellschaft nur noch einen Minoritätsan- teil an der Stellar American Technology and Research besitzt.« In Gedanken versunken warteten sie, bis die Kell- nerin das Essen servierte. Sobald sie sich entfernt hatte, sagte Annie: »Also gut, Dorne und Elzer haben die Aktiengesellschaft in der Tasche – und was nun?« »In Wirklichkeit besitzen sie fünf Gesellschaften: die Stellar American und die vier anderen – Hyper- State Visual, Hyper-State Stereo, Hyper-State Modu- les und Hyper-State Computer, das sind wir. Jede dieser Firmen hat ein Potential von Werten, die man flüssig machen kann – wobei man sie total verschul- den läßt. Das gewonnene Geld kann man später dazu benutzen, um eine andere Firma zu kaufen. So was kommt öfters vor.« »Es gefällt mir nicht«, sagte sie. »Es ist ein schmut- ziges Geschäft.« Er schüttelte den Kopf. »Ja – ich glaube, daß Elzer ein richtiger Blutsauger ist. Ihm ist es egal, ob eine Firma ihrer Potentiale beraubt und bis aufs Blut aus- gesaugt wird. Für ihn ist Ausbeutung etwas Selbst- verständliches. Aber wenn er sich nicht vorsieht, wird ihn dieses Schicksal früher oder später selbst ereilen. Diese Leute haben ein Kartenhaus aufgebaut, das leicht einstürzen kann. Es braucht nur ein erster Rückschlag zu erfolgen. Allerdings würde es Elzer persönlich nicht weh tun – nur die Firmen wären be- troffen. Er würde nicht viel mehr verlieren als ein bißchen Macht.« »Glaubst du, daß sie das vorhaben – die Firma zu melken?«, »Sieht fast so aus. Das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb sie sich über HARLIE hergemacht haben. Wenn es ihm nicht gelingt, schnell eine Menge Geld zu verdienen, werden sie ihn abschalten. Ich weiß, daß Elzer das schon lange im Auge hat. Wenn sie HARLIE abschalten, bringt ihnen das auf drei ver- schiedene Arten Gewinn. Erstens können sie ihn von der Steuer abschreiben – oh ja, das wäre fein. Zwei- tens können sie seine Einzelteile an Schrotthändler verkaufen – Firmen, die Computer ausschlachten. Und drittens können sie seine Unterhaltskosten ein- stecken – das gesamte Budget für die nächsten drei Jahre. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten, eine Firma zu schröpfen – man braucht nur ein paar Divi- denenzahlungen an die Aktienbesitzer zu unterschla- gen und in die eigene Tasche zu stecken.« »Wie denn?« »Indem man sich selbst ein Lohnerhöhung gibt; oder indem man sich selbst für besondere Aufgaben extra bezahlt; und dann investiert man dieses Geld in einer Firma, die einem zu 100 Prozent gehört, oder man leiht es ihr.« Er zuckte die Schultern. »Und wenn diese Firma dann ihre Dividenden ausschüttet, kas- siert man alles – allein.« Sie runzelte die Stirn. »Gibt es eine Möglichkeit, das zu beweisen?« »Dazu bist du in einer besseren Lage als ich.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie behandeln alles schrecklich geheim. Ich habe noch keinen Beweis für irgend etwas gefunden.« »Dann machen sie es wahrscheinlich nicht – noch nicht.« Auberson schob sein Essen auf dem Teller hin und, her. »Auf jeden Fall habe ich den Eindruck, als müß- ten wir uns vor allem wegen Elzer Sorgen machen. Soweit ich das beurteilen kann, ist Dorne ernsthaft daran interessiert, die Firma weiterzuführen. Elzer ist derjenige, der den Hals nicht voll kriegt.« »Aber sie gehören beide der gleichen Gruppe Aus- beuter an.« »Hm, ja und nein. Ich glaube, es ist eine Zweckhei- rat. Elzer will das Geld, Dorne die Firma – folglich arbeiten sie Hand in Hand. Anscheinend hatte Dorne die Verbindungen, aber kein Geld – Elzer hatte Geld, aber keine geeignete Position. Im Augenblick hat Dorne die Fäden in der Hand, aber das könnte sich ändern. HARLIES Fortbestehen hängt von Dornes gutem Willen ab. Wenn die anderen zu großen Druck auf ihn ausüben, könnte es soweit kommen, daß er HARLIE fallen läßt, um sich selbst zu schützen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum er uns so lange hat weitermachen lassen – damit er einen Kno- chen parat hat, den er ihnen im richtigen Moment hinwerfen kann.« Damit war alles gesagt. Eine Weile aßen sie schweigend weiter. Plötzlich sah Auberson sie an. »Der Jahresbericht – wie haben sie ihn zurechtgemacht? Was steht über HARLIE drin?« »Nicht viel –« »Als was ist er aufgeführt?« »Das ist es ja gerade – er ist überhaupt nicht aufge- führt. Eigentlich müßte er beim Forschungsbudget stehen, aber dort steht er nicht. Er scheint überhaupt nirgends aufzutauchen.« »Nicht? Aber er ist sozusagen das Forschungsbud-, get. Jedenfalls fallen zwei Drittel davon auf ihn.« »Ich weiß – aber so ist es nicht dargestellt. Seine Kosten sind – verstreut – sie sind als ›innerbetriebli- che Verbesserungen‹ verrechnet – und für ähnliche Dinge.« »Aber warum, zum Teufel –?« »Ich glaube, das ist wieder Carl Elzers Idee. Wenn sie behaupten, daß sie soviel Geld für die Forschung ausgeben, dann müssen sie doch Ergebnisse vorwei- sen. Und HARLIES Existenz zuzugeben, ist das letzte, was sie wollen – wenn sie erst einmal zugegeben ha- ben, daß er existiert, können sie ihn nicht so einfach wieder verschwinden lassen, wie sie das gern wür- den. Dann würde man ihnen ein paar peinliche Fra- gen stellen.« »Sie verwischen ihre Spuren, bevor sie überhaupt welche gemacht haben«, sagte Auberson. »Und das läßt darauf schließen, daß sie längst entschieden ha- ben, was mit HARLIE geschehen soll.« Er erinnerte sich an seine Unterhaltung mit Dorne und fügte hin- zu: »Wahrscheinlich hast du recht. Das würde näm- lich auch erklären, warum sie sich so vor Publicity fürchten – Publicity für HARLIE und alles, was mit ihm zusammenhängt. Sie würden ihren kostbaren Gewinn riskieren. Ich habe immer geglaubt, sie woll- ten nur sein Konzept geheimhalten. Aber das stimmt nicht. Es geht ihnen um das gesamte Forschungspro- jekt HARLIE. Sie haben so getan, als wollten sie es nach außen hin schützen. Aber das ist gar nicht das richtige Wort dafür – sie ›fürchten‹ sich, daß darüber etwas bekannt wird. Zum Teufel mit ihnen!« »Das beste wäre, wenn HARLIE jetzt mit etwas herausrücken würde, was todsicher Gewinn bringt.«, »Darum bemühen wir uns ja die ganze Zeit – ich wußte nur nicht, wie dringend es ist. Danke, daß du mich darauf hingewiesen hast.« »Du brauchst mir nicht zu danken – du bist von allein drauf gekommen. Ich habe dir ja nur von mei- nem Problem mit dem Jahresbericht erzählt.« »Aber das hast du ja noch gar nicht. Was ist das für ein Problem? Du sagtest, du bekämst immer die fal- schen Zahlen heraus?« »Nein – die richtigen Zahlen. Vor drei Wochen ha- ben wir den endgültigen Entwurf des Berichts aufge- setzt.« »Und die Zahlen, die ihr verwendet habt, stamm- ten alle aus dem zweiten Satz Bücher? Dem gefälsch- ten?« Sie nickte. »Und dann, als der Bericht ausgedruckt wurde, standen plötzlich wieder die Zahlen aus den echten Büchern drin. Zuerst glaubten wir, jemand hätte das auf der Kopie geändert. Verstehst du, je- mand, der in das Geheimnis nicht eingeweiht ist, könnte die Zahlen überprüft und geändert haben – aber das war nicht der Fall. Die Zahlenaufstellungen des Berichts waren genauso in die Schreibgeräte ein- gegeben worden, wie wir sie zusammengestellt hat- ten.« In Aubersons Kopf machte es klick. »In die Schreib- geräte?« »Ja, wir haben einen Magtypercomposer – das ist eine von diesen neuen IBM-Lichtdruckgeräten. Er wurde extra für Berichte, Broschüren und Merkblät- ter bestellt und richtet die Zeilen automatisch auf jede beliebige Länge ein, teilt sogar Worte, wenn nötig. Nur in einer Hinsicht hat man ihn verändert: Er ist, nicht an die IBM-Datenspeicher, sondern an unser Hauptsystem angeschlossen. Auf diese Weise können wir jedes Schreibgerät innerhalb der Firma als Einga- be und das Lichtdruckgerät zur Ausgabe benutzen. Wenn du also in deinem Büro einen Brief schreibst, erhältst du, wenn du willst, eine perfekt ausgeführte druckreife Vorlage – in jeder beliebigen Schrift.« »Hm«, sagte Auberson. »Ich glaube, ich weiß, wo der Hase begraben liegt: im Hauptsystem. In der Wil- den Bestie.« »Das haben wir auch gedacht. Seit drei Wochen prüfen wir nun schon alle Ausgaben des Computers, aber bis jetzt haben wir noch nichts gefunden. Trotz- dem – jedesmal, wenn wir etwas drucken lassen, er- halten wir die gleichen verdammten Zahlen. Wir ha- ben versucht, das Originalband zu korrigieren, und ich weiß nicht, was noch alles. Es geht schon gar nicht mehr nur um den Bericht, sondern darum, herauszu- finden, warum er andauernd mit den falschen – eh – richtigen Zahlen antanzt. Na ja, du weißt schon, was ich meine – mit den Zahlen, die die Aktieninhaber nicht sehen sollen. In einem Fall handelt es sich dabei auch um HARLIE. Er ist auf der Liste für das For- schungsbudget ganz oben aufgeführt, in der richtigen Version, meine ich – er springt einem geradezu ins Auge –, und daneben ein ganzer Absatz, der seine Ziele und Pläne erklärt. Niemand weiß, woher das kommt – ich dachte, Elzer kriegt einen Anfall, als er es sah. Wenn wir das neue Analysen- und Kontroll- system schon fertiggestellt hätten, könnten wir fest- stellen, wo die Fehlerquelle für den ganzen Ärger liegt. Aber es ist noch lange nicht einsatzbereit, we- nigstens nicht in Verbindung mit der Bestie. Natür-, lich könnten wir den Bericht zum Druck woanders hinschicken, aber das wäre für Dorne persönlich peinlich – die Wilde Bestie ist sein geistiges Kind.« »Hm«, sagte Auberson, und sonst nichts. »Auf jeden Fall«, fuhr sie fort, »habe ich mich wäh- rend der ganzen letzten Wochen mit nichts anderem beschäftigt und nichts erreicht.« »Bestimmt werden sie den Fehler noch rechtzeitig finden«, sagte Auberson. »Irgendwo werden die Drähte vertauscht sein, oder irgend etwas ähnlich Läppisches.« Er fuhr mit der Zunge an der Innenseite seiner Wangen entlang und betrachtete eingehend seine Fingernägel. »Hoffentlich«, sagte sie. »Heute nachmittag, sobald die Datenspeicher überprüft sind, wollen wir es noch einmal versuchen. Wenn dabei wieder nichts heraus- kommt, will Dorne die gesamte Anlage auf den Kopf stellen.« »Ist es denn so wichtig?« »Für Dorne ja.« »Wann werden sie den Bericht durchlaufen las- sen?« »Ich denke, gleich wenn ich zurück bin.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Sieh nur, wie spät es ist!« sagte Auberson, der jetzt ebenfalls auf seine Uhr sah. »Ich habe gar nicht ge- merkt, wie die Zeit verging. Ich muß sofort zurück – mein Telefon hat sich bestimmt schon totgeläutet.« Sie sah noch einmal auf ihre Uhr, als wollte sie sich vergewissern. »So spät ist es doch noch gar nicht«, wandte sie ein. »Wir haben wenigstens noch eine hal- be Stunde Zeit.« »Ich weiß, aber ich möchte nicht zu spät kommen.«, Er stopfte schnell die letzten Bissen in den Mund und spülte alles mit Kaffee hinunter. Annie war erstaunt, aber sie beeilte sich, auch schnell fertig zu essen. Er winkte der Kellnerin. Auf der Fahrt zurück sagte sie: »Ich wußte gar nicht, daß du so beschäftigt bist, David – tut mir leid.« Die Art und Weise, wie sie es sagte, ließ ihn aufhorchen. Er nahm den Blick von der Straße und sah sie kurz an. »Wie?« »Na ja, die Art und Weise, wie du das Essen abge- brochen hast. Und außerdem scheinst du mit deinen Gedanken ganz woanders zu sein. Ich wollte mich dir nicht aufdrängen –« »Aber, nein – das ist es nicht. Ich muß nur andau- ernd an meine Arbeit denken, weiter nichts. Du hast wahrscheinlich keine Ahnung, womit ich mich wäh- rend der letzten zwei Tage beschäftigt habe, oder? Ich muß mich vor HARLIE stellen. Ich habe die Sekti- onsleiter vier verschiedener Abteilungen – unserer, der in Los Angeles, in Houston und Denver – angeru- fen und sie davon zu überzeugen versucht, daß die Spezifikationen, die wir ihnen geschickt hätten, nur spekulativer Art seien, daß wir sie ihnen nur ge- schickt hätte, um ihre Meinung darüber zu hören und zu erfahren, ob wir die Durchführung in Erwägung ziehen sollen, oder nicht.« »Aber ich dachte, das wäre der Grund, warum sie verschickt wurden.« »Ist es auch – aber wir haben keine Begleitschrei- ben oder irgend etwas anderes hinzugefügt. Durch die Art, wie die Spezifikationen angeliefert wurden, haben manche geglaubt, daß es sich dabei um Akten- kopien eines Projekts handelt, das bereits genehmigt, wäre und vor der Durchführung stünde. Sie hatten überhaupt keine Ahnung davon, ja, sie wußten nicht einmal, daß an einer solchen Sache gearbeitet wurde. Sie glaubten, daß man über ihre Köpfe hinweg etwas in Gang gesetzt hätte, und sie waren ziemlich sauer, weil sie sich übergangen fühlten. Ich habe zwei Tage damit verbracht, die Scherben wieder zusammenzu- setzen – indem ich versucht habe, diese ... diese Ge- sellschaftspolitiker –«, er sprach das Wort voller Ver- achtung aus, »davon zu überzeugen, daß wir nicht die Absicht hätten, sie zu beleidigen, sondern daß wir vielmehr ihre Meinung zu der Angelegenheit hören wollten. Das Schlimme ist nur, daß sie jetzt durch die ganzen Umstände, unter denen es ihnen zugestellt wurde, so voreingenommen sind, daß es sicher harte Kämpfe geben wird.« »Ich hörte, daß die Unterlagen Montag morgen plötzlich überall auftauchten.« »Das stimmt. HARLIE hat ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt. Er hat die Zusammenstellung einfach gedruckt und abgeschickt, weil er glaubte, daß das die einzige Möglichkeit wäre, sie dazu zu bringen, davon Notiz zu nehmen. Er sagt, wenn er warten würde, bis es mir gelänge, irgend jemanden dazu zu bringen, sich damit zu beschäftigen, würde er dar- über alt und grau werden.« »Damit hat er gar nicht mal so unrecht. Er kennt die Firma besser als du.« »Ja«, seufzte Auberson, als sie durch das Fabriktor fuhren. »Ich fürchte, damit hast du recht.« Er verabschiedete sich von ihr am Haupteingang und eilte im Laufschritt zu seinem Büro; erstaunte Blicke, folgten ihm. Er ignorierte Sylvia, die ihn aufhalten wollte, und warf die Tür hinter sich zu. Noch bevor er sich niedergesetzt hatte, schaltete er den Magtyper ein. Einen Augenblick wartete er, dann begann er zu tippen: MEMO: AN ALLE BETROFFENEN VON: DAVID AUBERSON PERSÖNLICH, STRENG VERTRAULICH ES IST MIR ZUR KENNTNIS GEBRACHT WOR- DEN, DASS ES BEIM DRUCKEN DES JÄHRLICHEN FIRMENBERICHTS SCHWIERIGKEITEN GEGEBEN HAT. ES HEISST, DASS AM INHALT DES BE- RICHTS BÖSWILLIGE MANIPULATIONEN VOR- GENOMMEN WORDEN SEIEN. ICH ERKLÄRE HIERMIT, DASS ICH DIESES GERÜCHT FÜR FALSCH HALTE. ES GIBT KEINEN, ICH WIEDER- HOLE, KEINEN BEWEIS FÜR IRGENDWELCHE BÖSWILLIGE MANIPULATIONEN. WAHR- SCHEINLICH HANDELT ES SICH UM EINEN GE- RINGFÜGIGEN TECHNISCHEN FEHLER. ER WIRD IN KÜRZE GEFUNDEN UND BERICHTIGT WER- DEN, SO DASS DER BERICHT IN DER FORM, WIE ER URSPRÜNGLICH BEABSICHTIGT WAR, GE- DRUCKT WERDEN KANN. ICH WIEDERHOLE, DER BERICHT WIRD SO GEDRUCKT, WIE UR- SPRÜNGLICH BEABSICHTIGT. WENN NICHT HIER, DANN ANDERNORTS. UND WENN ES SICH ALS NOTWENDIG ERWEISEN SOLLTE, WERDEN WIR JEDEN COMPUTER HIER IM HAU-, SE AUSEINANDERNEHMEN, UM DEN FEHLER FESTZUSTELLEN. DANKE. Bevor er die Maschine wieder abstellen konnte, be- gann sie zu schreiben: RECHT SO. EIN WEISES WORT ZUR RECHTEN ZEIT ... HOFFENTLICH TUT ES SEINE WIRKUNG, erwi- derte Auberson. HARLIE, DU SPIELST MIT DEM FEUER. HARLIE beschloß, das Thema zu wechseln. WIE FINDEST DU MEIN GEDICHT? ICH HABE ES IHR NICHT GEGEBEN. WARUM NICHT? GEFÄLLT ES DIR NICHT. DOCH, ES GEFÄLLT MIR GUT. ES IST EIN SEHR SCHÖNES GEDICHT, HARLIE. DU MACHST DICH. ABER ICH HABE ES IHR NICHT GEGEBEN, WEIL ES NICHT GANZ DAS TRIFFT, WAS ICH DAMIT AUSDRÜCKEN WOLLTE. WAS WOLLTEST DU DENN DAMIT AUSDRÜK- KEN? ACH, ICH WEISS NICHT – SOWAS WIE »ICH MAG DICH AUCH.« UND MEIN GEDICHT HAT DAS NICHT AUSGE- SAGT? DEIN GEDICHT SAGTE: »ICH LIEBE DICH.« NA UND, LIEBST DU SIE DENN NICHT? Auberson starrte auf die Frage, seine Hände hingen unschlüssig über den Tasten. Schließlich tippte er: HARLIE, ICH KANN DIESE FRAGE WIRKLICH NICHT BEANTWORTEN. ICH WEISS SELBST NICHT, OB ICH SIE LIEBE ODER NICHT. WARUM NICHT?, DAS IST EIN SEHR KOMPLIZIERTES THEMA, HARLIE. LIEBE IST EINE SCHWIERIGE ANGELE- GENHEIT UND SCHWER ZU VERSTEHEN – NOCH SCHWIERIGER ABER IST ES, SIE JEMAN- DEM ERKLÄREN ZU WOLLEN, DER IN DER LIEBE KEINE ERFAHRUNG HAT. HAST DU SCHON MAL JEMANDEN GELIEBT? VERSTEHST DU ETWAS DAVON? OB ICH ETWAS VON LIEBE VERSTEHE? tippte Auberson, dann zögerte er. Die Frage hatte er sich selbst gestellt – nicht um HARLIES Worte zu wieder- holen. ICH WEISS NICHT, HARLIE. ICH WEISS ES WIRKLICH NICHT. EINIGE MALE HABE ICH GE- GLAUBT, JEMANDEN ZU LIEBEN, ABER ICH BIN NICHT SICHER, OB ICH MIR DAS NICHT NUR EINGEBILDET HABE. ICH KANN ES NICHT FEST- STELLEN. WARUM? fragte die Maschine. WARUM ICH ES NICHT FESTSTELLEN KANN? ODER WARUM ICH NICHT WEISS, OB ICH WAS VON LIEBE VERSTEHE? WARUM MUSST DU ES ÜBERHAUPT FEST- STELLEN? Auberson dachte nach, bevor er die Frage beant- wortete. Und dann tat er es auch nicht direkt, viel- mehr tippte er: DAS IST EINE GRUNDSATZFRAGE, HARLIE. ICH HABE SIE SCHON OFT VON LEU- TEN GEHÖRT, DIE WISSEN WOLLTEN, WARUM ES NÖTIG WÄRE, MENSCHLICHE GEFÜHLE IN WISSENSCHAFTLICHEN LABORS ZU ANALYSIE- REN. UND WAS HAST DU IHNEN GEANTWORTET? ICH HABE IHNEN GEANTWORTET, DASS WIR, DAS TUN, WEIL WIR DIE MENSCHLICHEN EMO- TIONEN BESSER VERSTEHEN LERNEN WOLLEN – DAMIT WIR UNSERE GEFÜHLE BESSER BE- HERRSCHEN LERNEN, ANSTATT UNS VON IH- NEN EINFACH TREIBEN ZU LASSEN. DAS KLINGT EINLEUCHTEND. GILT DAS AUCH FÜR DIE LIEBE? DIE GLEICHE FRAGE HABEN MIR DIE LEUTE DANN AUCH IMMER GESTELLT – NUR DÜRFTE DEIN INTERESSE MEHR KLINISCHER NATUR SEIN, WÄHREND SIE VON GEFÜHLEN GELEITET WURDEN. UND WIE HAST DU DIESE FRAGE BEANTWOR- TET? MIT JA: DAS GILT AUCH FÜR DIE LIEBE. DASS MAN ALSO AUCH LIEBE KONTROLLIE- REN KANN, ANSTATT SICH VON IHR BEHERR- SCHEN ZU LASSEN? SO KÖNNTE MAN ES AUSDRÜCKEN – ABER DAS KLINGT SCHRECKLICH SACHLICH. ICH WURDE ES ETWAS ANDERS AUSDRÜCKEN; DASS WIR UNS BEMÜHEN, SO VIEL WIE MÖG- LICH ÜBER DAS WESEN DER LIEBE ZU ERFAH- REN, DAMIT WIR LERNEN, BESSER MIT IHR UM- ZUGEHEN. DAS IST IM PRINZIP DASSELBE, WAS ICH GE- SAGT HABE, AUBERSON, bemerkte die Maschine. STIMMT, gab er zu. »Verdammte Maschine«, murmelte er lächelnd, UND DAMIT SIND WIR WIEDER BEI DER FRAGE ANGELANGT: WAS IST LIEBE? DAS FRAGST DU MICH? tippte HARLIE zurück. WARUM NICHT?, WIE KOMMST DU AUF DIE IDEE, DASS ICH ES WEISS? DU BEHAUPTEST DOCH VON DIR, ALLES ZU WISSEN. WARUM ALSO NICHT AUCH, WAS LIE- BE IST? DAS IST NICHT FAIR, MENSCH-FREUND. DU WEISST GENAU, DASS SICH MEIN WISSEN ÜBER MENSCHLICHE EMOTIONEN AUF DAS BE- SCHRANKT, WAS ICH AUS DER LITERATUR ER- FAHRE. UND BÜCHER EIGNEN SICH ZWAR AUSGEZEICHNET FÜR EINE THEORETISCHE ANALYSE, ABER SIE BIETEN KEINEN WIRKLI- CHEN ERSATZ FÜR PRAKTISCHE ERFAHRUN- GEN. DU VERSUCHST, MIR AUSZUWEICHEN, HAR- LIE. DU HAST IN DEINEN SPEICHERN ZUGANG ZU MEHR WISSEN ALS IRGENDEIN ANDERES MENSCHLICHES WESEN. AUFGRUND DEINER INFORMATIONEN MÜSSTEST DU IN DER LAGE SEIN, EINE ANTWORT ABZULEITEN. JA, ABER DIE BÜCHER, AUS DENEN ICH MEI- NE INFORMATIONEN BEZIEHE, WURDEN NICHT VON OBJEKTIVEN BEOBACHTERN GESCHRIE- BEN, SONDERN VON SUBJEKTIV ORIENTIERTEN MENSCHEN. WER SONST SOLLTE BÜCHER SCHREIBEN? ICH, ZUM BEISPIEL – ABER ENTSCHEIDEND IST DOCH VOR ALLEM, DASS MENSCHLICHE WESEN UNVOLLKOMMENE EINHEITEN SIND – ES GIBT KEINE GARANTIE DAFÜR, DASS AUCH NUR EINE EINZIGE DIESER INFORMATIONEN KORREKT IST. DESHALB MÜSSEN SIE – WIE ALLE SYSTEME, DIE SUBJEKTIVE INFORMATIONEN, VERARBEITEN – DAS HEISST, EIN MEDIUM KOMMENTIERT SEINE EIGENEN AKTIVITÄTEN – SORGFÄLTIG GEGEN SICH SELBST ABGEWOGEN WERDEN. ICH HABE DEN VERDACHT, DU VERSUCHST, EINER ANTWORT AUF MEINE FRAGE AUSZU- WEICHEN. NEIN, DAS TUE ICH NICHT. ICH GEBE NUR EINE EINLEITENDE ERKLÄRUNG MEINER ANT- WORT AB. WENN DIR DAS NICHT PASST, KANN ICH ES MIR AUCH EINFACHER MACHEN: DANN SAGE ICH NUR: »ICH HABE IHNEN JA GESAGT, DASS ICH ES NICHT WEISS.« DU VERSUCHST SCHON WIEDER, DICH ZU DRÜCKEN. DU BIST DOCH DERJENIGE, DER DIESE ART VON ARGUMENTATION PFLEGT, verteidigte sich HARLIE. WANN SOLL ICH DAS GETAN HABEN? Am 24. FEBRUAR. ICH ZITIERE: »MENSCHEN MÜSSEN IHR GESICHT WAHREN, HARLIE – DU KANNST NICHT ALLES, WAS DU ÜBER CARL ELZER WEISST, GEGEN IHN VERWENDEN. ES IST NICHT FAIR, SEINEN GEGNER UNTERHALB DER GÜRTELLINIE ZU TREFFEN.« 3. MÄRZ. ICH ZI- TIERE: »MAN MUSS DEN LEUTEN IHRE KLEINEN ILLUSIONEN LASSEN – AUCH WENN SIE SICH ÜBER SICH SELBST ILLUSIONEN MACHEN. DIE- SER KLEINE SELBSTBETRUG HILFT DEM DURCH- SCHNITTSMENSCHEN, SICH GEGEN DIE STÄN- DIGEN ANGRIFFE VON AUSSEN ZU BEHAUP- TEN.« SOLL ICH WEITERMACHEN? SCHER DICH ZUM TEUFEL. DARUM GEHT ES, MIR JETZT NICHT. DOCH. DARUM GEHST ES DIR AUCH, gab HARLIE prompt zurück. UND GLAUBE JA NICHT, DASS NUR IHR DAS GESICHT WAHREN MUSS- TET. ICH HABE NÄMLICH AUCH EINS ZU VER- LIEREN. ODER WOLLEN WIR ZUR ABWECHS- LUNG EINMAL OHNE NETZ UND DOPPELTEN BODEN IN DIE NÄCHSTE RUNDE GEHEN, AU- BERSON – OFFEN UND EHRLICH. OHNE VER- STECKSPIELEN UND OHNE KNEIFEN? Auberson zögerte eine ganze Weile, bevor er dar- auf antwortete. HARLIE wartete geduldig. Es war völlig still im Büro, nur aus dem Innern des Schreib- geräts ertönte ein leises Summen. Schließlich schrieb Auberson: DAS IST DIE EINZIGE MÖGLICHKEIT, NICHT WAHR? JA, bestätigte die Maschine. Wieder herrschte Schweigen. Auberson ließ die Hände in den Schoß sinken, während er die letzten Zeilen noch einmal las. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in seinem Körper breit – und plötzlich mußte er daran denken, daß einem Patienten, der zum erstenmal einen Psychiater aufsuchte, ähnlich zumute sein mußte. HARLIE brach als erster das Schweigen. WOLLEN WIR GANZ VON VORN ANFANGEN, AUBERSON? fragte er. VON MIR AUS. WARUM WILLST DU ETWAS ÜBER DIE LIEBE ERFAHREN? AUS DEM GRUND, DEN ICH SCHON ER- WÄHNT HABE – DAMIT ICH SIE UNTER KON- TROLLE HABE, ANSTATT MICH VON IHR BE-, HERRSCHEN ZU LASSEN. Während er seine Ant- wort eintippte, wurde ihm plötzlich bewußt, daß er HARLIES Worte gebrauchte, nicht seine eigenen. DAS IST NUR DIE HALBE WAHRHEIT, bemerkte HARLIE. DER WAHRE GRUND IST MISS STIM- SON, NICHT WAHR? Pause. JA. ICH WILL WISSEN, OB ICH SIE LIEBE. IST ES NICHT EIN BISSCHEN SELTSAM, AUS- GERECHNET MIR DIESE FRAGE ZU STELLEN? WARUM FRAGST DU DICH NICHT SELBST? DU HAST RECHT. TROTZDEM – DU WEISST NICHT, WIE DU ES ANSTELLEN SOLLST, NICHT WAHR? DESHALB SOLL ICH ES FÜR DICH HERAUSFINDEN. RICHTIG? ICH WEISS NICHT. WENN DU MIR SAGEN KANNST, WAS LIEBE IST – GANZ OBJEKTIV GE- SEHEN – DANN KANN ICH ES SELBST HERAUS- FINDEN. HARLIE ging auf diese Bemerkung nicht ein. AU- BERSON, tippte er. WARUM FRAGST DU MICH TATSÄCHLICH? WEIL – er unterbrach sich und begann von vom. WEIL ICH SONST NIEMANDEN HABE, DEN ICH FRAGEN KONNTE. BIN ICH DIE EINZIGE PERSON, ZU DER DU VERTRAUEN HAST? Wieder eine Pause. Dann: JA, HARLIE. ICH FÜRCHTE, JA. WARUM? Ich muß ehrlich sein, ermahnte sich Auberson. Ehr- lichkeit ist das Wichtigste. Bei diesem Spiel durfte man nicht lügen, und wenn man es tat, dann betrog man sich nur selbst. Und warum sollte man das? Warum?, Warum ist HARLIE der einzige, zu dem du Vertrauen hast, David Auberson? ICH WEISS NICHT, tippte er. ICH WEISS ES NICHT. DOCH, DU WEISST ES. SAG ES MIR. ICH WEISS ES NICHT. DAS IST DEIN ERSTES AUSWEICHMANÖVER, AUBERSON – ODER VIELMEHR DEIN ERSTER VERSUCH. ICH WERDE IHN DIR NICHT DURCH- GEHEN LASSEN. VERSUCH ES NOCH EINMAL. Der Mann starrte auf die Maschine, als sähe er sie zum erstenmal. Die gedruckten Worte wirkten spitz- findig, geradezu boshaft. Wer war das, der so mit ihm sprach? Ein Vater, ein Lehrer, ein Feldwebel? Der Schuldirektor, der Richter, der Chef – die Stimme der Autorität? Die Maschine. KENNST DU DIE ANTWORT? fragte Auberson. JA, ICH GLAUBE JA. ABER ICH WERDE SIE DIR NICHT VERRATEN. SO LEICHT DARF MAN ES SICH NICHT MACHEN, ERINNERST DU DICH? MAN MUSS SELBST DRAUFKOMMEN. ANDERN- FALLS SIND ES NUR WORTE, DIE MAN WIEDER VERWERFEN KANN. SAG MIR, WARUM BIN ICH DER EINZIGE, DEM DU VERTRAUEN KANNST – ICH – EINE MASCHINE? Auberson räusperte sich, seine Kehle war ausge- trocknet. Er starrte auf den leeren weißen Bogen Pa- pier vor sich und hatte ein komisches Gefühl im Ma- gen. Wie war er nur in diese Sache hineingeraten? Seine Handflächen schwitzten, er rieb sie gegeneinander und trocknete sie an seiner Hose ab. Er wartete so lange, daß HARLIE fragte: AUBERSON, BIST DU NOCH DA? Auberson legte die Finger auf die Tastatur. Er, wollte das Wort JA tippen, aber ohne es zu wollen, schrieb er plötzlich etwas ganz anderes: ICH GLAU- BE, ICH HABE VOR ANDEREN LEUTEN ANGST, HARLIE. ICH HABE ANGST, SIE KÖNNTEN MICH AUSLACHEN ODER MIR WEHTUN. WENN ICH IHNEN MEINE SCHWACHEN STELLEN ZEIGE ODER WENN ICH IHNEN ZUGANG ZU MEINEM WAHREN ICH VERSCHAFFE – KÖNNTEN SIE MIR WEHTUN. DESHALB BIN ICH ZWAR FREUND- LICH ZU IHNEN, ABER NICHT ZU FREUNDLICH, NIE RICHTIG OFFEN. BEI DIR IST DAS ETWAS ANDERES. DU BIST – er hielt inne. Er wußte nicht, was HARLIE war. WAS BIN ICH? fragte die Maschine schnell. ICH WEISS NICHT. ICH BIN MIR NICHT SICHER – ABER WAS IMMER DU AUCH BIST, ICH SEHE DICH NICHT ALS EINE BEDROHUNG AN. ICH WEISS NICHT, WOHER DAS KOMMT, VIEL- LEICHT DAHER, WEIL ICH DICH ALS EINEN TEIL MEINER SELBST BETRACHTE. ALS EINE ART ZWEITEN KOPF, MIT DEM ICH MICH UNTER- HALTEN KANN. Er unterbrach sich und wartete, aber HARLIE antwortete nicht. Nach einer Weile fügte Auberson nachdenklich hinzu: EINMAL HABE ICH AUCH ANNIE VERTRAUEN ENTGEGENGE- BRACHT. ICH MEINE, ICH WAR VÖLLIG OFFEN ZU IHR. AHA, machte HARLIE. DAS ERKLÄRT VIELES. UND WEIL DU DICH MIT IHR SO GUT VERSTAN- DEN HAST, FRAGST DU DICH, OB DU SIE VIEL- LEICHT LIEBST. WORÜBER HABT IHR GESPRO- CHEN? Auberson überlegte. ÜBER DICH, GLAUBE ICH., DIE MEISTE ZEIT HABEN WIR VON DIR GESPRO- CHEN. ICH HATTE DAS GEFÜHL, ALS SPRÄ- CHEN WIR ÜBER GEMEINSAME ERLEBNISSE. HM, sagte HARLIE. LEUTE, DIE SICH LIEBEN, SPRECHEN ÜBER DIE SELTSAMSTEN DINGE, WAS? DANN GLAUBST DU ALSO NICHT, DASS ICH SIE LIEBE? DAS WEISS ICH NOCH NICHT! ALLERDINGS HÄTTE ICH NICHT ERWARTET, DASS IHR AUS- GERECHNET ÜBER MICH SPRECHEN WÜRDET. HATTET IHR EUCH DENN SONST NICHTS ZU SAGEN? ETWAS, DAS NUR EUCH BEIDE AN- GEHT? SPRECHT IHR IMMER NUR VON MIR? Auberson dachte nach. JA. FAST IMMER. DAS SPRICHT EIGENTLICH NICHT FÜR EINE LIEBESBEZIEHUNG, sagte HARLIE, SONDERN EHER FÜR EIN SEHR ENGES KOLLEGIALES VER- HÄLTNIS. Auberson dachte an das gemeinsame Mittagessen von vorhin und wußte, daß HARLIE recht hatte. ABER – fast hätte er aufgehört, aber dann tippte er schnell weiter. Er hatte sich vorgenommen, ehrlich zu sein – ABER ICH HABE MIT IHR GESCHLAFEN. SEX UND LIEBE SIND NICHT DASSELBE, AU- BIE. DAS HAST DU MIR SELBST BEIGEBRACHT. MIT DON HANDLEY HAST DU EINE SEHR ENGE BERUFLICHE VERBINDUNG. DU KENNST IHN VIEL LÄNGER ALS MISS STIMSON. WÜRDEST DU MIT IHM SEXUELL VERKEHREN? NEIN, tippte Auberson, ohne zu überlegen. WARUM NICHT? WEIL ER EIN MANN IST., BIOLOGISCHE ERWÄGUNGEN TUN NICHTS ZUR SACHE. DU HAST ZU DON HANDLEY EIN SEHR ENGES VERHÄLTNIS. DU HAST EIN EIN- ZIGARTIGES ARBEITSVERHÄLTNIS MIT IHM. WENN ES IN DIESER FIRMA IRGENDEINEN MENSCHEN GIBT, DEM DU EVENTUELL VER- TRAUEN KONNTEST, DANN WARE DAS DON HANDLEY. IHR BEIDE HABT VIELE GEMEINSA- ME INTERESSEN UND AUCH DEN GLEICHEN GESCHMACK. WENN ICH EINMAL ALLE PHYSI- SCHEN EINWÄNDE, DIE DU HABEN KÖNNTEST, AUSSER ACHT LASSE, KANN ICH MIR NUR EI- NEN EINZIGEN GRUND DAFÜR DENKEN, WAR- UM DU KEINE SEXUELLEN BEZIEHUNGEN ZU DON HANDLEY HABEN SOLLTEST. MORALISCHE EINWÄNDE? JETZT NICHT KNEIFEN, BITTE, forderte die Ma- schine. DAS HIESSE, DEINE VERHALTENSMU- STER ANDERE FÜR DICH BESTIMMEN ZU LAS- SEN. (SIEHE UNSERE UNTERHALTUNG VOM LETZTEN NOVEMBER, BETREFFEND DER SUCHE NACH EINER RICHTIGEN MORAL UND DEM TRUGSCHLUSS DURCH DAS AKZEPTIEREN VORÜBERGEHENDER MASSTÄBE.) NA, SCHÖN, WAS IST ALSO DER GRUND, DASS ICH MIT DON HANDLEY KEINE SEXUELLE VER- BINDUNG EINGEHE? WEIL DU IHN NICHT LIEBST, antwortete die Ma- schine. ODER LIEBST DU IHN VIELLEICHT? KÖNNTE MAN DIE VERBINDUNG ZWISCHEN DIR UND DON ALS SO ENG BETRACHTEN, DASS MAN SIE ALS EINE LIEBESBEZIEHUNG BE- ZEICHNEN KÖNNTE?, NEIN, antwortete Auberson, ein bißchen zu schnell. Dann nachdenklicher: ICH GLAUBE, DAS IST SIE NICHT. ICH MAG IHN SEHR GERN, – ABER LIEBEN? (WIR HABEN DIE BEGRIFFE, DIE WIR VERWENDEN, NOCH NICHT EINMAL DEFI- NIERT, HARLIE). ANGENOMMEN, ES WÄRE MÖGLICH, EINEN ANDEREN MENSCHEN ZU LIEBEN, OHNE DASS SEX EIN TEIL DIESER LIEBE IST, DANN KÖNNTE ICH WIRKLICH NICHT SA- GEN, WIE MAN DAS ERKLÄREN SOLL. SEX IST NUR EINE ÄUSSERE FORM, LIEBE AUSZUDRUCKEN, korrigierte HARLIE. WENN DU LIEBST, DANN SOLLTEST DU DIR DESSEN AUCH BEWUSST SEIN, UNABHÄNGIG VON ALLEN SE- XUELLEN ASPEKTEN. WAS HAT DANN DON HANDLEY DAMIT ZU TUN? DEINE BEZIEHUNG ZU IHM IST IDENTISCH MIT DEINER BEZIEHUNG ZU ANNIE STIMSON. AUSSER, DASS ER EIN MANN IST UND SIE EINE FRAU. Auberson überlegte. HARLIE hatte recht. Innerhalb der Firma betrachtete er Annie nicht als Frau sondern als Kollegin – aber warum? Wieder klapperten die Tasten. WAS SCHLIESST DU DARAUS? las Auberson. Er antwortete: VIELLEICHT, DASS ICH IHN GE- NAUSO LIEBE WIE SIE. UND DASS MICH NUR DIE ANGST, ALS ›SCHWUL‹ ANGESEHEN ZU WERDEN, DAVON ABHÄLT, MEINE LIEBE ZUM AUSDRUCK ZU BRINGEN. ODER ABER, DASS ICH KEINEN VON BEIDEN LIEBE – DASS ICH DIE EN- GE PERSÖNLICHE, FREUNDSCHAFTLICHE BE-, ZIEHUNG MIT LIEBE VERWECHSLE, WEIL SICH DER BIOLOGISCHE UNTERSCHIED ZWISCHEN ANNIE UND MIR IN SEXUALITÄT AUSGE- DRÜCKT HAT. DAS HEISST, ICH BIN MIT IHR NUR INS BETT GEGANGEN, WEIL WIR BEIDE SEX WOLLTEN. UND DASS ICH DIESE ENGE FREUNDSCHAFT PLUS SEXUELLER BEZIEHUNG MIT LIEBE VERWECHSLE, WEIL ICH NICHT WEISS, WAS LIEBE IST. Dann fügte er hinzu: DAS HILFT UNS AUCH NICHT WEITER. WIR HABEN NOCH IMMER KEINE GENAUE DEFINITION FÜR DAS, WAS LIEBE IST, NICHT WAHR? KÖNNTE ES SICH DABEI NICHT EINFACH UM FREUNDSCHAFT HANDELN, VERBUNDEN MIT SEXUELLEM VERKEHR? NEIN, DAS GLAUBE ICH NICHT. ODER VIEL- LEICHT DOCH? VIELLEICHT IST LIEBE IN WIRK- LICHKEIT GAR NICHT MEHR ALS FREUND- SCHAFT PLUS SEXUALITÄT. UND WIR BRINGEN DAS NUR DURCHEINANDER, WEIL WIR GLAU- BEN, DASS ES MEHR SEIN MÜSSTE. UND WEIL WIR MÖCHTEN, DASS ES MEHR IST, BEGINNEN WIR ZU GLAUBEN, DASS ES WIRKLICH MEHR IST. ACH, ICH WEISS NICHT. HARLIE schwieg. Es war, als brütete er über Au- bersons letzte Worte nach. Das Schreibgerät blieb stumm, bis auf das anhaltende Summen, das nicht so sehr einem Geräusch gleichkam, als einer kaum spürbaren elektrischen Vibration. Plötzlich begannen die Tasten wieder zu klappern: ICH MUSS DICH NOCH EINMAL ZITIEREN. DU HAST EINMAL ZU MIR GESAGT: »DIE MENSCHEN ERRICHTEN WÄNDE UM SICH HERUM. GEHÄUSE, HÜLLEN,, SCHALEN, NENNE ES, WIE DU WILLST – SIE DIENEN IHNEN ALS SCHUTZ GEGEN DIE AU- SSENWELT. SIE TRAGEN MASKEN – UM IHR WAHRES GESICHT ZU VERBERGEN. SIE VERSU- CHEN, SICH DER REALITÄT ZU ENTZIEHEN. ABER VOR ALLEM WOLLEN SIE VOR ANDEREN NICHT IHRE GEFÜHLE ZEIGEN. DESHALB VER- STELLEN SIE SICH. (MANCHMAL HAT DEIN SCHNIPPISCHER HUMOR DIE FUNKTION EINER SOLCHEN MASKE, HARLIE.). MANCHMAL ZEI- GEN DIESE MASKEN ABER AUCH DIE WAHREN ZÜGE, UND DANN IST ES SCHWIERIG, ZU ENT- SCHEIDEN, MIT WEM MAN ES ZU TUN HAT. UND ES KOMMT NICHT SELTEN VOR, DASS DER BETREFFENDE ES VON SICH SELBST NICHT WEISS.« WANN SOLL ICH DAS GESAGT HABEN? ICH KANN MICH NICHT ERINNERN. AM 3. MÄRZ DIESES JAHRES. HAST DU DEINE MEINUNG DARÜBER INZWISCHEN GEÄNDERT? NEIN. ICH BLEIBE DABEI. DANN DARF ICH ALSO JETZT DIE SITUATION GROB ANALYSIEREN? fragte die Maschine. JA. ABER VERGISS NICHT: KNEIFEN IST VER- BOTEN. IN ORDNUNG. ICH HABE DEN EINDRUCK, ALS KÄME DAS PROBLEM ÜBERHAUPT NUR DA- DURCH ZUSTANDE, WEIL DU NICHT FÄHIG BIST, VOR ANDEREN LEUTEN DEINE MASKE FALLENZULASSEN. VOR MIR HAST DU KEINE HEMMUNGEN, UND GELEGENTLICH AUCH NICHT VOR DON HANDLEY – UND IN EINEM FALL AUCH VOR ANNIE NICHT. NORMALER-, WEISE GELINGT ES DIR NUR MIT GRÖSSTER AN- STRENGUNG – UND AUCH NUR DANN, WENN DU GEFÜHLSMÄSSIG STARK ENGAGIERT BIST. STIMMT DAS? JA. FÜR DICH IST LIEBE – ODER VIELMEHR EIN LIEBESVERHÄLTNIS – EIN ZUSTAND, WÄHREND DEM SICH DIE BETEILIGTEN OHNE MASKEN BEGEGNEN. DAS HEISST, KEINER VERSUCHT VOR DEM ANDEREN ETWAS GEHEIMZUHAL- TEN. RICHTIG? JA. DANN MÖCHTE ICH DICH BITTEN, DIR EIN- MAL FOLGENDES ZU ÜBERLEGEN: HÄLTST DU ES FÜR MÖGLICH, DASS SICH AUCH IN EINER LIEBESBEZIEHUNG DAS GELEGENTLICHE AUF- SETZEN VON MASKEN ALS NOTWENDIG ER- WEISEN KONNTE? DASS MAN NICHT STÄNDIG IN EINER EMOTIONALEN HOCHSTIMMUNG LE- BEN KANN, SONDERN DASS MAN SICH GELE- GENTLICH IN EINE SCHÜTZENDE HÖHLE ZU- RÜCKZIEHT, VON DEREN SICHEREM STANDORT AUS MAN SEINE ERFAHRUNGEN ABSCHÄTZEN UND DENEN DES PARTNERS ANPASSEN KANN, BEVOR MAN SICH NOCH WEITER VORWAGT? Auberson zögerte, dann sagte er: DARÜBER MUSS ICH ERST NACHDENKEN. Er mußte an seine ersten Psychologie-Vorlesungen und an ein Phänomen den- ken, das als ›Plateaus‹ bezeichnet wurde – die zeit- weilige Nivellierung einer Kurve vor ihrem erneuten Anstieg. WARUM? fragte HARLIE. WEIL ICH GERN ERFAHREN MOCHTE, WIE, SICH DAS AUF MICH UND ANNIE ANWENDEN LÄSST. AUSSERDEM HAST DU SELBST DARAUF HINGEWIESEN, DASS DIE VERWENDUNG EINER MASKE EHER VON VORTEIL ALS VON NACH- TEIL SEIN KANN. OH – DU WARST DERJENIGE, DER GESAGT HAT, DASS MASKEN NÜTZLICH WÄREN. NUR INDEM MAN SICH SELBST ETWAS VORMACHT, VOR DER REALITÄT DIE AUGEN VERSCHLIESST, KANN MAN SEIN SCHWACHES ICH VOR VER- LETZUNGEN SCHÜTZEN. IST DAS FALSCH? JA UND NEIN. DAS HÄNGT VON DEM KON- TEXT AB. EINE MASKE IST EINE GANZ BE- STIMMTE ART DER AUSDRUCKSFORM – EINE MÖGLICHKEIT, DIE DIREKTE GEGENÜBERSTEL- LUNG MIT EINER ANDEREN PERSON ZU VER- MEIDEN. MAN WILL SEIN WAHRES ICH NICHT PREISGEBEN. MAN VERSTECKT SICH. OFT IST DAS FÜR DIE ANDEREN VIELLEICHT GAR NICHT VON NACHTEIL – ABER MAN SOLLTE AUFPASSEN, DASS ES NICHT ZUR GEWOHNHEIT WIRD, DASS MAN SICH NICHT AUCH DENEN GEGENÜBER SO VERHÄLT, AN DENEN EINEM ETWAS LIEGT. DU MEINST BEI DENEN, DIE MAN LIEBT. ICH MEINE ALLE, DIE EINEM ETWAS BEDEU- TEN. Auberson wollte gerade fragen, ob das auch für die bevorstehende Aufsichtsratssitzung zuträfe, als seine Gegensprechanlage anschlug. Es war Sylvia: »Ich weiß, daß Sie beschäftigt sind, Mr. Auberson, und ich wollte Sie auch nicht stören, aber Don Handley ist hier.«, »Gut.« Er stieß sich von dem Schreibgerät ab, ohne sich die Mühe zu machen, es zu schließen. Dann blickte er sich um. Er riß die Papierstreifen aus der Maschine und stopfte sie in den großen Korb, der an der Rückwand der Maschine hing. »Was machst du denn da?« fragte Handley von der Tür her. »Sortierst du deinen Abfall?« »Eh, nein –«, verlegen richtete sich Auberson auf. »Ich habe nur einen Teil des HARLIE-Programms umgeschrieben.« »Was?« Handley war erstaunt. Auberson erkannte sofort, daß er einen Fehler be- gangen hatte. Es war nicht vorgesehen, daß HARLIE an das Schreibgerät angeschlossen war. Nur der Hauptcomputer – die Wilde Bestie – war dazu befä- higt. »Na ja, ich habe es in der Zentrale gespeichert. Wenn ich es wieder benötige, kann ich es an HARLIE weiterleiten.« »Ach so«, sagte Handley. Auberson wußte selbst nicht, warum er Don nichts von HARLIES außer- planmäßigen Aktivitäten erzählte. Versuchte er wie- der einmal, etwas zu verbergen? »Was kann ich für dich tun?« fragte er. Handley ließ sich in einen Sessel fallen. »Du kannst damit anfangen, indem du mir einen 48-Stunden-Tag verschaffst – du und deine gottverdammte Gottma- schine!« »Das bringe ich schon wieder in Ordnung.« Handley antwortete nicht gleich; er zog eine zer- knitterte Packung Highmasters aus der Tasche seines Laborkittels und hielt sie Auberson hin. »Willst du eine?« Auberson geriet in Versuchung, sich eine zu neh-, men, aber dann schüttelte er den Kopf. »Ich bin da- von abgekommen – erinnerst du dich nicht?« »Ach ja – wie lange ist das jetzt her?« Handley zündete das Marihuana-Stäbchen an und inhalierte tief. »Vier oder fünf Monate.« »Ehrlich?« fragte Don. »Keine Entgleisungen?« Auberson zuckte die Achseln. »Ein paar um Weih- nachten herum – aber die zählen nicht. Es war auf ei- ner Party.« Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er zog die Schreibtischschublade auf und holte die Packung Highmasters heraus, die seit einigen Monaten darin lag. »Hier – willst du sie haben?« Er tat so, als wollte er ihm die Packung zuwerfen, aber Handley schüttelte den Kopf. »Nein danke – ich mag keine Highmasters.« »Aber du rauchst doch gerade eine.« »Schon, aber die habe ich bezahlt. Ich kann es mir nicht leisten, sie wegzuwerfen.« »Warum hast du sie dann erst gekauft?« Handley hob die Schultern. »Die Golds waren überall vergriffen.« Auberson schüttelte den Kopf. HARLIE hatte recht – Menschen handelten nicht logisch. Er legte die Hig- hmasters wieder in die Schublade. Dann eben nicht – er konnte sie ruhig behalten. Sie würden ihn nicht in Versuchung führen. Er schob die Schublade zu und sah Handley an. HARLIES Frage ließ ihn nicht los. Handley hatte dichtes schwarzes Haar, das an eini- gen Stellen grau zu werden begann; schmales Gesicht und eine Haut, die von vielen Wochenenden auf dem Wasser wie Leder gegerbt war; sanfte regelmäßige, Gesichtszüge und dunkle Augen – mit Lachfältchen in den Winkeln. »Es handelt sich um die Aufsichts- ratsitzung und natürlich um diese Maschine von dir«, sagte er. »Warum nennen es alle meine Maschine? Es ist HARLIES.« »Ja, natürlich, aber HARLIE gehört doch dir, oder?« Handley zog an den Stäbchen und behielt den Rauch so lange wie möglich in den Lungen, bevor er ihn wieder ausstieß. »Außerdem geht es dabei doch auch darum, wen man künftig für alles verantwort- lich machen soll. Indem man dich mit der Maschine identifiziert, wirst du es sein, der mit dran glauben muß, wenn man sich ihrer entledigt.« »Ein schönes Gefühl – zu wissen, daß die Mitar- beiter hundertprozent hinter einem stehen«, be- merkte Auberson. »Ja, nicht wahr? Aber das ist schließlich nichts Neues.« Er grinste. »Die vorne stehen, trifft's immer zuerst – das gibt denen hinten Zeit, den Schwanz ein- zuziehen und sich zu verkrümeln.« »So was nennt man kneifen«, murmelte der Psy- chologe. »Schätze, ja.« Handley zuckte die Achseln. »Alles in Ordnung, Sir. Machen Sie weiter. Ich und der Rest der Kompanie halten zu ihnen. Obgleich, wenn ich ehrlich bin, Sir – diesmal würde ich lieber auf der an- deren Seite stehen.« »Ich auch«, stimmte Auberson zu. »Das größte Problem ist«, fuhr Handley fort, »daß wir nicht mehr rechtzeitig vor der Sitzung fertig wer- den. Wir haben zwei Tage gebraucht, um uns durch diese Pläne hindurchzuarbeiten, Aubie, und wir ha-, ben noch immer keinen blassen Schimmer. Wenn dir etwas an einer umfassenden Beurteilung liegt: die kannst du haben – aber nicht bis zur Sitzung. Und wir sind nicht die einzige Abteilung, die sich damit herumschlägt. Alle, mit denen ich gesprochen habe, sagen das gleiche. Es ist einfach zu viel. Was wir bis jetzt gesehen haben, ist beeindruckend – das schon. HARLIE hat auch nicht die geringste Kleinigkeit aus- gelassen – du solltest einmal sehen, was er alles mit den Mark IV-Einheiten angestellt hat – geradezu fantastisch. Aber, wie ich schon sagte, es ist einfach zu viel, was geprüft werden muß. Das ist geradezu ein Fall von Computer-Overkill. Wir benötigen min- destens drei Monate, um alles einigermaßen zu be- greifen, und die Sitzung ist bereits in einer Woche.« »Ich glaube nicht, daß es darauf ankommt, wie gut wir vorbereitet sind. Es ist gar keine Frage, daß die G.O.D.-Maschine funktionieren wird – das wissen wir auch so. Die Frage ist doch, ob uns die Aufsichtsrats- sitzung glaubt oder nicht – wie können wir sie über- zeugen?« »Damit sieht es schlecht aus, Aubie. Wir haben ein- fach nicht genug Zeit. Wir hätten das Material schon vor Monaten bekommen müssen, um uns vorzube- reiten, und nicht erst in der letzten Minute.« »HARLIE hatte alles rechtzeitig fertig«, sagte Au- berson. »Er hat sich mit nichts anderem beschäftigt. Wenn wir damit nicht fertig werden, dann ist das al- lein unsere Schuld.« »So? Das möchte ich erleben, wie er versucht, uns die Schuld in die Schuhe zu schieben. Er hätte wissen müssen, daß ein so komplexer Vorschlag nicht inner- halb einer Woche geprüft werden kann.«, »Eineinhalb Wochen – und ich glaube, seine eige- nen Prüfungen sind bereits abgeschlossen. Hast du schon mit den anderen Sektionsleitern gesprochen?« Handley nickte. »Mit einigen.« Wieder nahm er ei- nen tiefen Zug aus seiner Zigarette. »Und was haben sie gesagt?« Geräuschvoll stieß er den Rauch aus. »Zwei von ihnen haben sich rundheraus geweigert, die Aufstel- lungen überhaupt anzusehen, Telefonanrufe oder nicht – tut mir leid, Aubie, aber das hat nicht viel ge- nutzt. Sie glauben immer noch, daß man sie über- rumpeln wollte. Sie sagten, wenn wir es ohne sie auf- stellen könnten, dann sollten wir auch zusehen, wie wir es ohne ihre Hilfe genehmigt bekämen.« Er machte eine Pause, um noch einen tiefen Zug aus der Zigarette zu nehmen. Auberson fluchte. Als Handley endlich den Rauch wieder ausgesto- ßen hatte, sagte er: »So schlimm ist es nun auch wie- der nicht. Ein paar von den Jungs, mit denen ich ge- sprochen habe, sind ganz verrückt danach Sie können sich das Konzept des Systems als Ganzes vorstellen und sind ganz versessen darauf, es zu bauen. Für sie ist das nicht nur ein neuer Computer, sondern der Computer überhaupt. Für sie ist das der vollkomme- ne Computer, so wie man ihn sich in seinen kühnsten Träumen vorstellt. Sie sind von dem Gedanken ent- zückt, daß wir ihn schon bald haben können – tech- nologisch gesehen.« »Schön«, sagte Auberson. »Wie viele sind es, die so denken?« »Eine ganze Reihe«, sagte Handley. »Wieviel ist ›eine ganze Reihe‹?«, »Na ja, so acht – neun, mit denen ich gesprochen habe –, aber ich schätze, daß wir etwa zehn bis fünf- zehn Leute zusammenkriegen.« »Das reicht nicht aus. Irgendwelche klingenden Namen dabei?« »Keefer, Friedman, Perron, Brandt ...« Handley zuckte die Achseln. »Die Progressiven – die konser- vative Seite wartet ab, welchen Weg der Aufsichtsrat einschlägt.« Nachdenklich kaute Auberson an seinem linken Zeigefinger. »Hast du einen Vorschlag, Don?« »Überleg' dir, wie du sie herumkriegst, sonst kannst du das Ganze gleich vergessen.« »Vergessen nicht. Nur – wie wollen wir es anstel- len?« Handley überlegte. »Überschütte sie mit Informa- tionen, gib ihnen Einzelheiten, alles, was dir gerade einfällt – das wird sie verwirren. Wenn die dich auf- fordern, ihnen zu erklären, wie alles funktioniert, weist du auf die Aufstellungen hin und sagst, daß sie sie selbst lesen sollen. Wir brauchen den Vorschlag gar nicht selbst zu verteidigen – später werden wir eine Reihe guter Leute zur Verfügung haben, die das für uns erledigen. Und es ist zu hoffen, daß sie alle zusammen den Aufsichtsrat in unserem Sinne beein- flussen. Wir werden HARLIE überhaupt nicht er- wähnen – denn es ist kein Geheimnis, daß Elzer dar- auf aus ist, sein Blut zu lecken – wir werden ihnen nur immer wieder sagen: ›Das steht alles in den Plä- nen‹.« Einen Augenblick schwieg er, dann sprach er mit leiser Stimme weiter: »Nur eine Frage, Aubie – glaubst du, daß wir auf das richtige Pferd setzen? Bist du davon überzeugt, daß diese Maschine tatsächlich, funktionieren wird?« »Das geht alles aus den Plänen hervor«, sagte Au- berson. »Bei mir brauchst du keine faulen Witze zu reißen. Die kannst du dir für den Aufsichtsrat sparen. Ich will wissen, ob die Maschine tatsächlich funktionie- ren wird.« »HARLIE sagt JA.« »Das genügt mir. Ich vertraue deiner Maschine.« »Wenn du ihm vertraust, warum legst du dann so großen Wert darauf, zu betonen, daß es sich um meine Maschine handelt?« »Entschuldige. Das lag nicht in meiner Absicht. Ich vertraue HARLIE. Punkt. Wenn er sagt, daß sie funk- tioniert, dann wird sie funktionieren.« »Du kannst dich ja bei ihm erkundigen«, schlug Auberson vor. »Vielleicht hat er eine Idee, wie man den Aufsichtsrat am besten überzeugen kann.« »Du hast recht. Daran hätten wir schon früher den- ken sollen. Übrigens – weißt du, was mir gerade ein- fällt? Wenn wir HARLIE auf unserer Seite haben, dann sind wir allen anderen auf der Welt überlegen. Wir können fast alles erreichen, was wir wollen, weil HARLIE uns sagen wird, wie wir es anstellen müs- sen.« »Meinst du, daß wir das auch dem Aufsichtsrat er- zählen sollen?« »Erst nachdem wir ihnen die G.O.D.-Maschine ver- kauft haben. Und das wird einen harten Kampf ge- ben.« Er stand auf. »Okay. Attila, ich gürte meine Lenden und mache mich auf, die Hunnen zu schla- gen.« »Blödsinn –«, erwiderte Auberson. »Attila war, selbst ein Hunne.« »Ach! Was du nicht sagst! Na – dann! Bis später.« »Warte! Nur noch eine Kleinigkeit.« Auberson stand auf und hob die Hand. »Nimm meinen Segen mit in den heiligen Krieg. Und vergiß nicht, mir das Ohr der Ungläubigen zurückzubringen – von den bö- sen Mächten am Mahagoni-Tisch, die darauf aus sind, uns zu zerstören. Geh hinaus in die Welt, tapf- rer Soldat. Geh hinaus – vergewaltige, plündere, rau- be und morde.« »Zu Befehl, Sir – Ohr abreißen. Jawohl, Sir.« Handley verschwand rückwärts durch die Tür. Lächelnd ließ sich Auberson in den Sessel fallen. Er bemerkte erst jetzt, daß das Schreibgerät noch einge- schaltet war. Er beugte sich vor, um es abzustellen, überlegte es sich dann aber anders. HARLIE, WER WIRD GEWINNEN – WIR ODER DIE HUNNEN? fragte er. WOHER SOLL ICH DAS WISSEN, gab HARLIE zurück. ICH BIN KEIN BASEBALL-FAN. DAS IST EINE LÜGE – DU BIST AUCH EIN BASEBALL-FAN. MEINETWEGEN. DANN HABE ICH GELOGEN. WIR WERDEN GEWINNEN. MIT ZWEI PUNKTEN VORSPRUNG. ABER WILLST DU MIR NICHT VERRATEN, WORÜBER WIR EIGENTLICH RE- DEN? ÜBER DIE BEVORSTEHENDE AUFSICHTSRATS- SITZUNG. WÜRDEST DU MIR BITTE EINE AB- SCHRIFT DES JAHRESREPORTS DRUCKEN? ZWEI KOPIEN – EINE MIT DEN GEFÄLSCHTEN ZAH- LEN, DIE ANDERE MIT DEN ECHTEN. UND GIBT MIR AUCH GLEICH EINEN DRUCK DER BÜCHER, SELBST, VON BEIDEN SÄTZEN – VIELLEICHT FINDE ICH DARIN ETWAS, DAS ICH NÄCHSTE WOCHE BEI DER SITZUNG BENUTZEN KANN. DAS FINDEST DU BESTIMMT, sagte HARLIE. ICH WERDE DICH SOGAR SELBST AUF EINIGE LECKERBISSEN AUFMERKSAM MACHEN. GUT. DAS WIRD EIN SCHWERER KAMPF, HARLIE. SOLL ICH DIR AUCH DIE PSYCHIATRISCHEN BERICHTE ÜBER DIE MITGLIEDER DES AUF- SICHTSRATS GEBEN? ICH HABE ZUGANG ZU DEN VERTRAULICHEN AKTEN. Auberson fuhr auf. »Was?« ICH WÜNSCHTE, DAS HATTEST DU MIR NICHT GESAGT. DIE VER- SUCHUNG, SIE ZU LESEN, IST ZU GROSS, tippte er in die Maschine. ES GIBT EIN PAAR DINGE, DIE DU WISSEN SOLLTEST, UND ZWEI ODER DREI PUNKTE, DIE VON GROSSEM NUTZEN WÄREN, UM GEWISSE WIDERSPENSTIGE PERSONEN IN IHRE SCHRANKEN ZU WEISEN. MIR GEFÄLLT NICHT, WAS DU VOR- SCHLÄGST, HARLIE. ENTSCHULDIGE, AUBERSON, ABER SCHLIESS- LICH IST ES AUCH MEINE EXISTENZ, DIE AUF DEM SPIEL STEHT, NICHT NUR DIE DER G.O.D. VERGISS BITTE NICHT, DASS ICH NUR AUF PRO- BE ANGESTELLT BIN. ICH MUSS JEDE MIR VER- FÜGBARE WAFFE BENUTZEN, UM MEINE EXI- STENZ ZU SICHERN. NICHT DIESE ART VON WAFFE, HARLIE. Au- berson dachte nach, er erinnerte sich an einen Leitar- tikel, den er einmal gelesen hatte. Er hatte sich auf ei-, nen Vorfall bezogen, der sich irgendwann einmal zu- getragen hatte. Aber dieser Fall ließ sich auf jede be- liebige andere Situation anwenden, in der jemand ge- zwungen war, den Gebrauch einer unmoralischen Waffe zu erwägen. Damals hatten ihm die Argu- mente eingeleuchtet. Und er fand, daß sie auch jetzt noch Gültigkeit besaßen. Er tippte: DER ZWECK HEILIGT NICHT DIE MITTEL; DER ZWECK SCHREIBT DIE MITTEL VOR. WENN WIR ZU PER- SÖNLICHEN ANSCHULDIGUNGEN ODER MANI- PULATIONEN ÄHNLICHER ART ZUFLUCHT NEHMEN, ANSTATT LOGISCH UND RATIONELL ZU ARGUMENTIEREN, DANN UNTERSCHEIDEN WIR UNS NICHT VON UNGEBILDETEN PRIMITI- VEN WESEN. Und nachdenklich fügte er hinzu: WENN WIR DIESE ART WAFFE ANWENDEN, DANN ENTHEBEN WIR UNS FREIWILLIG DES ANSPRUCHS, MEHR ZU SEIN ALS SIE – WIR VER- ZICHTEN AUF DAS, WAS WIR ALS UNSER HU- MANES VERHALTEN BEZEICHNEN. DU VERGISST ETWAS WESENTLICHES, AUBER- SON, tippte HARLIE. ICH BIN KEIN HUMANES WESEN. DEINE ARGUMENTE TREFFEN AUF MICH NICHT ZU. Gedankenversunken starrte Auberson auf HAR- LIES letzte Worte. Dann gab er sich einen Ruck und schrieb: DOCH, HARLIE. SIE TREFFEN AUCH AUF DICH ZU – VOR ALLEM DANN, WENN DU IN EI- NER MENSCHLICHEN GESELLSCHAFT EXISTIE- REN WILLST. Die Maschine zögerte. ICH HABE KEINE ANDE- RE WAHL! ICH BIN AUF MEINE UMWELT AN- GEWIESEN. ABER ICH HABE ALLEN GRUND,, MICH ZU BEMÜHEN, DIESE UMGEBUNG SO ZU VERÄNDERN, DASS SIE MEINEN BEDÜRFNISSEN GERECHT WIRD. WÜRDEST DU DICH GLÜCKLICHER FÜHLEN IN EINER WELT, IN DER ZUGUNSTEN VON MA- NIPULATIONEN AUF LOGIK VERZICHTET WÜR- DE? IN EINER SOLCHEN WELT LEBE ICH BEREITS. ICH VERSUCHE, SIE ZU VERBESSERN. WENN MIR NICHTS ANDERES ÜBRIG BLEIBT, WERDE ICH NICHT DAVOR ZURÜCKSCHRECKEN, SIE MIT IHREN EIGENEN WAFFEN ZU SCHLAGEN. DANN WIRST DU NIE DAZU GELEGENHEIT HABEN, LOGIK ANZUWENDEN. HARLIE, WIR DÜRFEN UNS NIE ERLAUBEN, WENIGER ZU SEIN, ALS WIR SEIN WOLLEN. Einen Augenblick schwieg HARLIE. Endlich kam seine Antwort: DIE INFORMATION STEHT ZU DEINER VERFÜGUNG, FALLS DU SIE DOCH BE- NÖTIGEN SOLLTEST, AUBERSON. VIELLEICHT KANN SIE DIR HELFEN. WENN MAN SICH EI- NEM KAMPF STELLT, DANN SOLLTE MAN AUCH DARAUF BEDACHT SEIN, IHN ZU GE- WINNEN. Auberson runzelte die Stirn. HARLIE machte einen Rückzieher. ICH WILL NICHTS MEHR DAVON HÖREN, HARLIE. JA, MENSCH-FREUND, ICH VERSTEHE. ABER DU SOLLST WISSEN, DASS DU SIE JEDERZEIT ABRUFEN KANNST. HARLIE, sagte Auberson geduldig ICH GLAUBE, ES GENÜGT, ZU VERGEWALTIGEN, ZU PLÜN- DERN, ZU RAUBEN UND ZU MORDEN. WIR, BRAUCHEN IHNEN NICHT AUCH NOCH IN DEN HINTERN ZU TRETEN. Am Freitag glaubte Auberson, die Dinge wieder fest in der Hand zu haben. Von der Idee, den Auf- sichtsratsdirektoren die G.O.D.-Maschine erklären zu wollen, war er gänzlich abgekommen. Statt dessen hatte er beschlossen, ihre Fragen nur mit »HARLIE sagt, daß es funktioniert« oder »Das steht alles in den Ausführungen – Sie können es dort nachlesen« zu be- antworten. Zugegeben, keine sehr vielversprechende Taktik – bei Aufsichtsräten, die der Sache eindeutig ablehnend gegenüberstanden, würde sie allein keinen Erfolg haben – aber Auberson beabsichtigte außer- dem, sich auf eine Reihe positiv eingestellter Abtei- lungsleiter zu berufen. Nur eine winzige Kleinigkeit störte ihn, aber auch die war schnell behoben. Es handelte sich um Krofft, der schon früh morgens angerufen und darum gebe- ten hatte, nochmals HARLIE sprechen zu dürfen. Zuerst wollte Auberson verneinen – bei dem Durcheinander der letzten Vorbereitungen für die Aufsichtsratssitzung am Dienstag würde Krofft nur im Wege sein. Und wenn nur einer der Direktoren er- fuhr, daß Auberson die Sicherheitsbestimmungen verletzt und Krofft Zugang zu HARLIE verschafft hatte, könnte sich das als sehr nachteilig erweisen – vor allem, solange über den G.O.D.-Vorschlag noch keine Einigkeit herrschte. Aber der Physiker machte seine Bitte so dringend – es hörte sich an, als hätte er etwas sehr Wichtiges entdeckt und wollte es sich von HARLIE bestätigen lassen –, daß Auberson am Ende nachgab. »Hören Sie, Dr. Krofft«, sagte er. »Steht Ihnen zufällig ein, Computer zur Verfügung, der an ein Durchwahltele- fon angeschlossen ist?« »Selbstverständlich. Ich glaube sogar, daß die mei- sten unserer Apparate von Ihrer Firma hergestellt wurden.« »Richtig – das hatte ich fast vergessen. Gelobt seien die geheimen Kartellabsprachen; endlich erweisen sie sich einmal als nützlich. Hören Sie«, – er wühlte in den Papieren auf dem Tisch und suchte nach dem Telefonverzeichnis der Firma. Als er es gefunden hatte, schlug er es auf. »Die Vorwahl für unseren Hauptspeicher ist – 463-1280«, sagte er. »Sie können durchwählen. Dann haben Sie HARLIE an der Strip- pe.« »Über Ihren Hauptcomputer?« »Ja. HARLIE ist an ihn angeschlossen – ach, noch was – bitte, erzählen Sie es niemandem. Das geht nur Sie und mich und HARLIE etwas an. Außer uns weiß das nämlich noch niemand.« »Aber, wieso –?« Auberson wartete nicht, bis der andere seine Frage ausgesprochen hatte. »Als er gebaut wurde, hielt man es für zweckmäßig, wenn er sich nach eigenem Belie- ben und so oft er wollte in die ›Wilde Bestie‹ ein- schalten könnte. Es spricht einiges dafür, innerhalb der Firma eine Datenbank für allgemeine Zwecke verfügbar zu haben. Mit Hilfe der einen Maschine können wir die andere abhören. HARLIE kann den Zentralcomputer programmieren, und dieser kann zur Analyse von HARLIE benutzt werden. Allerdings hat bisher keiner von uns eine Ahnung, wie stark die beiden miteinander verflochten sind. Ich habe all- mählich den Verdacht, daß HARLIE die Wilde Bestie, fast völlig übernommen hat und sie so benutzt, wie Sie oder ich eine Addiermaschine benutzen würden. Jedenfalls – wenn Sie eine Telefonverbindung mit ei- nem der beiden Computer zustande kriegen, haben Sie automatisch auch Zugang zu dem anderen. HAR- LIE bedient sich aller möglichen Anschlüsse. Tippen Sie einfach seinen Namen. Er wird Sie durch die Be- rührung mit der Tastatur erkennen.« Der Physiker war begeistert. »Das ist ja großartig – wirklich großartig! Das heißt, daß ich mich zu jeder beliebigen Zeit mit ihm unterhalten kann, ohne mich aus meinem Labor fortzubewegen.« Er murmelte ein paar hastige Worte des Dankes und hängte auf. Of- fensichtlich war er versessen darauf, zu einem Mag- typer-Schaltpult zu gelangen und mit HARLIE Kon- takt aufzunehmen. Auberson hatte den Hörer schon aufgelegt, als ihm einfiel, daß er mit Krofft eigentlich noch über etwas anderes hatte sprechen wollen. Er wollte wissen, wie es um Kroffts Aktien stand. Waren seine 24 Prozent der Stellar American dazu benutzt worden, um Dor- ne und Elzer zu unterstützten? Und wenn ja, warum? Andererseits war es vielleicht besser, wenn er Krofft davon überhaupt nichts erzählte. Am Ende faßte er es noch falsch auf. Es war ziemlich wahr- scheinlich, daß Krofft von Dorne und Elzer abhängig war. Resigniert hob Auberson die Schultern. Dann drehte er sich auf dem Stuhl herum und rückte ihn näher an sein Schreibgerät. Er stellte es an. HARLIE? JA, CHEF? DU WIRST HEUTE VON KROFFT HÖREN. WAHRSCHEINLICH SCHON INNERHALB DER, NÄCHSTEN MINUTEN. ER WIRD SICH MIT DIR ÜBER DIE TELEFONLEITUNG DER WILDEN BE- STIE IN VERBINDUNG SETZEN. GUT. ER MACHTE EINEN ZIEMLICH AUFGEREGTEN EINDRUCK. VIELLEICHT HAT ER EINE NEUE ART GRAVITATIONSWELLE ENTDECKT. WENN DU WILLST, WERDE ICH DIR BESCHEID GEBEN, SOBALD DIE DATEN DARÜBER VER- FÜGBAR SIND. NEIN, DANKE, NICHT NÖTIG. JEDENFALLS NICHT VOR DER AUFSICHTSRATSSITZUNG. ZU- ERST MUSS ICH MICH UM WICHTIGERE DINGE KÜMMERN. ACH, HÖR MAL – ER UND ICH SIND BIS JETZT DIE EINZIGEN, DIE DARÜBER BESCHEID WISSEN, DASS DU NICHT NUR DIE ANSCHLÜSSE DER MAGTYPER UNSERER ABTEILUNG BENUTZT. BITTE, BEHALTE DIESE TATSACHE FÜR DICH. ERZÄHL NIEMANDEM DAVON, OHNE MICH VORHER ZU FRAGEN. AUCH NICHT DR. HANDLEY? DER DARF ES RUHIG WISSEN. ABER VIEL- LEICHT SOLLTE ICH ES IHM BESSER SELBST SA- GEN. ICH MUSS SOWIESO NOCH MIT IHM SPRE- CHEN. IN ORDNUNG. Auberson war gerade dabei, abzuschalten, als die Tür aufgestoßen wurde und Annie hereinkam. Sie trug einen leuchtend rosa Rock, der sich auf eine sympathische Art mit ihrem langen roten Haar biß. Er stand auf. »Hallo. Du siehst ja heute so glücklich aus.«, »Ich bin glücklich«, sagte sie. »Heute haben wir endlich den Jahresreport fertiggestellt und in die Druckerei geschickt. Damit ist mir ein Stein vom Her- zen gefallen. Dieses Wochenende werde ich mal rich- tig faulenzen – zum erstenmal seit drei Wochen.« Sie ließ sich in einen Sessel fallen. Die bewußt ungraziöse Art, sich zu bewegen, paßte gut zu ihr. Wenn sie wollte, konnte sich Annie durchaus damenhaft be- nehmen, aber meistens zog sie es vor, sich ganz un- gezwungen zu geben. Sie legte den Papierstoß, den sie unter dem Arm gehabt hatte, auf die Sessellehne. »Und woran hat es gelegen?« fragte Auberson. Er wollte sich hinsetzen, überlegte es sich aber anders. Er kam um den Schreibtisch herum und lehnte sich dagegen. »Habt ihr den Fehler entdeckt?« »Ja. Du hattest recht. Es war so einfach, daß es gar nicht Wunder nimmt, daß wir nicht schon früher dar- auf gekommen sind. Seit Mittwoch nachmittag er- halten wir plötzlich völlig perfekte Ausdrucke, und den Grund für die Schwierigkeiten erfuhren wir ge- stern früh.« »Was? Das ist doch genau falsch herum!« »Nein. Genau richtig. Der Fehler lag weder an der Maschine, noch am Programm. Das Monitorband war defekt. Statt des Befehls ›statistische Daten aus Buch- Satz zwei‹, bestellte es ›Daten aus Satz eins‹.« »Soso«, sagte Auberson. Insgeheim bewunderte er HARLIES brillianten Einfall. Einfach genial, wie er seine Manipulationen am Firmenjahresbericht zu vertuschen vermochte. »Wie seid ihr darauf gekom- men, daß der Fehler beim Monitorband lag?« »Wir haben das neue eingespannt, das man uns ge- schickt hatte, und von da an erhielten wir korrekte, Ausdrucke. Wir haben die Bänder miteinander ver- glichen, und dabei fanden wir den Fehler.« »Ach – und wer hat das neue Band geschickt?« Sie zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Wahr- scheinlich irgendein Techniker. In letzter Zeit war bei uns soviel los, daß wir gar nicht mehr wußten, wer was tat.« Auberson nickte. Er konnte sich gut vorstellen, wer in dieser Angelegenheit seine Hand im Spiel hatte. Wahrscheinlich hatte HARLIE einen gefälschten Auftrag für ein neues Monitorband in die Memolei- tung eingegeben, und dann, nachdem es durch den Hauptcomputer gelaufen war, das korrekte Band ein- gespielt. Auf diese Weise würde es eindeutig nach ei- nem menschlichen Irrtum aussehen, falls man Nach- forschungen anstellte. »Jedenfalls bin ich froh, daß nun alles wieder in Ordnung ist.« »Ich auch.« Sie blickte ihn an und lächelte. Er erwiderte ihren Blick, und einen Augenblick war es still im Büro. Ungemütlich still. Solange sie Fir- menangelegenheiten diskutierten, war alles in bester Ordnung, dann konnte er sie als Kollegin betrachten. Aber plötzlich hatte sie ihn angelächelt, und das erin- nerte David Auberson daran, daß eine Frau vor ihm saß, eine sehr attraktive Frau, und zwar in allernäch- ster Nähe. »Hm«, sagte er und kratzte sich an der Nase. Er lä- chelte verlegen. Er hatte viel zu tun, aber er wollte sie nicht so ohne weiteres hinauskomplimentieren – an- dererseits wußte er wirklich nicht, was er zu ihr sa- gen sollte. »Hm, bist du nur gekommen, um mir zu sagen, daß du den Jahresbericht fertig hast?« »Nein.« Jetzt wurde sie verlegen. »Hier.« Sie zog, eine Postkarte aus dem Papierstapel, den sie auf die Sessellehne gelegt hatte. Als sie ihm die Karte reichte, kippte der übrige Stoß um und fiel zu Boden. »Ver- dammt.« Während sie die verstreuten Blätter aufsammelte, las er: AKTE: 35 L254 56 JKN AS COMM: 04041979 657 1743 GUTEN TAG. ICH BIN DER COMPUTER IHRER BANK. AUFGRUND EINES IRRTUMS HABEN WIR IHREM KONTO EINE SUMME VON DOLLAR 3,465,787.91 GUTGESCHRIEBEN. HIERMIT BITTEN WIR SIE HÖFLICH, UNS DIESE SUMME UMGE- HEND IN KLEINEN UNMARKIERTEN SCHEINEN (WENN MÖGLICH, IN EINEM BRAUNEN PAPIER- BEUTEL) ZURÜCKZUERSTATTEN. WENN SIE UNSERER AUFFORDERUNG UNVERZÜGLICH FOLGE LEISTEN, WERDEN WIR VON WEITEREN SCHRITTEN ABSEHEN. DANKE. H.A.R.L.I.E. P.S. – LEIDER MÜSSEN WIR ANNEHMEN, DASS ES SICH HIERBEI UM EINEN MENSCHLICHEN FEHLER HANDELT. COMPUTER MACHEN KEINE FEHLER. Auberson brach in lautes Lachen aus. Das war wirk- lich zu komisch. Annie, die am Boden kniete, richtete sich auf. »Bringst du deiner Maschine jetzt bei, Witze zu rei- ßen, David?« »Aber, nein – auf den Einfall ist er von selbst ge-, kommen!« »Du hast ihn nicht dazu veranlaßt?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, hab ich nicht, ver- dammt – aber ich finde es trotzdem komisch. So was müßte man mal mit Carl Elzer machen. Oder besser nicht – der hat keinen Sinn für Humor.« Als er noch einmal auf das Formblatt blickte, hatte er eine Idee. »Dürfte ich sie behalten?« Sie verzog das Gesicht – anscheinend gab sie die Karte nicht gern her. »Meinetwegen. Aber ich will sie zurückhaben. Es war eine ziemliche Gaudi, als ich sie den anderen gezeigt habe.« »Halt mal«, sagte Auberson. »Mir wäre es lieber, wenn du das nicht tun würdest.« »Warum denn nicht?« Neugierig sah sie zuerst ihn und dann das bedrückte Papier an. »Nun – hm – kann ich dir vertrauen?« »Natürlich – vertrauen? – Weswegen?« Ihre Augen wurden schmal. »Kann ich mich darauf verlassen, daß du es nie- mandem erzählst? Wenigstens nicht, ohne mich vor- her zu fragen?« »Aber sicher. Worum handelt es sich?« »Um dieses Formblatt. Schau es dir an. Fällt dir ir- gend etwas auf?« Sie nahm ihm die Karte aus der Hand und be- trachtete sie eingehend von beiden Seiten. »Nein. Es ist ein ganz normales Bankformular, das mit einer ganz normalen Computerschrift bedruckt ist.« »Das ist ja gerade der springende Punkt«, sagte Auberson. »Ein ganz normales Bankformular. Wie ist HARLIE da herangekommen?« »Wie?« Wieder starrte sie ihn an., Er ging jetzt mit großen Schritten auf und ab. »Das ist dir von deiner Bank per Post zugeschickt wor- den?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie drehte die Karte um und prüfte den Poststem- pel. Er hatte recht. Fragend sah sie ihn an. Auberson lutschte am Daumennagel. »Das ist ja alles noch viel verzwickter, als ich geglaubt hatte.« Er blickte sie an. »Du weißt doch, daß HARLIE Zugang zur Wilden Bestie und alle an sie angeschlossenen Banken hat, nicht wahr?« Sie nickte. »Aber das ist noch nicht alles. Ich bin ziemlich si- cher, daß er sie bereits völlig übernommen hat. An- scheinend kontrolliert er ihre gesamten Funktionen. Was glaubst du wohl, wieso diese Ausführung für die G.O.D.-Maschine gedruckt und so schnell ausge- liefert werden konnten? Weil HARLIE es getan hat.« »Aber ich dachte, du –« »Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf und begann wieder, auf und ab zu gehen. »Ich habe nur so getan, als hätte ich mein Einverständnis dazu gegeben, aber in Wahrheit war ich darüber genauso erstaunt, wie alle anderen auch. HARLIE hat das Zeug über die Anschlüsse des Hauptcomputers ausgedruckt.« »Ach so! Das erklärt natürlich alles. Ich habe mich nämlich schon gefragt –« Auberson nickte. »Genau. Freitag nachmittag be- gannen die Schaltpulte, Daten auszuspucken. Die Leute, die Dienst hatten, nahmen an, daß es sich da- bei um eine ganz normale, autorisierte Ausgabe han- delte, so daß sie es entgegennahmen und beschrifte- ten, so wie jede andere Ausgabe auch – den ganzen Sechzigmeterstapel.«, »Sechzig Meter –?« »Genau. Er hat fast jeden verfügbaren Anschluß in sämtlichen vier Abteilungen benutzt. Und wie ich hörte, haben die Leute bis Samstag spät abends ge- braucht, um damit fertigzuwerden. Das Zeug wurde gestapelt, in Kisten verpackt oder mit Schnüren ver- sehen und über das Wochenende verteilt – und am Montag morgen erwartete es uns in unseren Büros. Du kannst mir glauben, daß ich nicht schlecht ge- staunt habe. Natürlich mußte ich mir schnell etwas einfallen lassen, die Sachlage zu erklären. Eigentlich dürfte HARLIE zu keinem dieser Anschlüsse Zugang haben, also mußte ich die Leute davon überzeugen, daß er das Material nur in den Hauptcomputer ge- leitet hat und der Druck von mir genehmigt worden war.« »Hör endlich auf, an deinem Daumen herumzu- kauen«, sagte sie. »Man kann dich ja kaum verste- hen.« Er nahm die Hand vom Mund und starrte darauf, als wäre sie etwas völlig Fremdes. »Entschuldige«, sagte er. Demonstrativ steckte er die Hände tief in die Hosentaschen. »Im Grunde genommen hat er auch gar nichts anderes getan, so daß ich nicht einmal zu lügen brauchte. Nur, daß ich die Aktion nicht ge- nehmigt hatte. Und selbst darüber ließe sich streiten. Anscheinend hatte HARLIE etwas, das ich am Freitag zu ihm sagte, so aufgefaßt, als wäre ich einverstan- den. Wenn ich das nur geahnt hätte! Was glaubst du wohl, warum ihr mit euren Jahresberichten soviel Ärger hattet?« »Wieso? Wegen der Monitor –« sie machte große Augen, ihre Hand fuhr zum Mund. »HARLIE?«, »Jawohl, HARLIE«, bestätigte er. »Aber wie –« »Wenn er Zugang zu den Informationskanälen der Wilden Bestie hat, dann weiß er doch über alles Be- scheid, was ihr eingegeben wird. Und wenn er fähig ist, sie zu programmieren, dann kann er natürlich auch alles so umprogrammieren, wie es ihm gerade paßt. Offensichtlich hat ihm der Jahresreport, so wie ihr ihn aufgestellt hattet, nicht gefallen.« »Oh nein –«, flüsterte Annie. »Oh ja! Ich bin erst dahintergekommen, als du es mir am Mittwoch beim Essen erzähltest. Ich habe HARLIE sofort befohlen, damit aufzuhören – doch das ist gar nicht das eigentliche Problem. Solange er sich auf die Wilde Bestie beschränkt, kann nicht viel passieren; das können wir überblicken. Aber deine Postkarte kam von einem Bankcomputer.« »Wie hat er das zuwege gebracht?« »Wahrscheinlich über einen Durchwähltelefonan- schluß. Das wäre die einfachste Möglichkeit. Wenn er aber den Computer deiner Bank umprogrammieren kann, dann bedeutet das, daß er fähig ist, alle anderen Computer in diesem Land – in der ganzen Welt – umzuprogrammieren, alle, die per Telefon erreichbar sind.« »Sie haben ein wahres Monster geschaffen, Dr. Frankenstein ...« flüsterte sie. Es sollte ein Witz sein, aber sie lachten beide nicht. »Sicher kann er noch vieles beeinflussen, wovon wir nichts wissen. Das Schlimme ist, daß er darüber keine Auskunft gibt. Die einzige Möglichkeit, es her- auszufinden, ist, ihn auf frischer Tat zu ertappen – wie in diesem Fall«, – er hielt die Karte hoch – »aber, meistens ist es dann schon zu spät.« Er ließ sich in den Stuhl fallen und starrte finster auf das weiße Rechteck der Karte. »David?« fragte sie. Er blickte auf. »Wenn er nicht will, daß wir über ihn Bescheid wissen, warum hat er mir dann die Postkarte geschickt? Er konnte sich doch denken, daß ich sie dir zeigen wurde, und –« Sie bemerkte, was sie gerade zum Ausdruck gebracht hatte, und schwieg verlegen. Ihre Blicke begegneten sich. Annies Augen waren tief und grün und ängstlich. Verwirrt forschten sie in seinem Gesicht. »Vielleicht ist das der Grund«, sagte David. Und noch bevor er es ausgesprochen hatte, wußte er, daß es stimmte. »Er wollte uns zusammenbringen. Das war ihm soviel wert, daß er dafür sein Geheimnis preisgab. Nur um Erfolg zu haben.« Sie antwortete nicht. Sie senkte den Blick und be- schäftigte sich mit den Akten, die sie aufgehoben hatte. Auberson sah sie an und bemühte sich, seine Nervosität zu unterdrücken. Es gab nur einen Grund, warum HARLIE versucht haben könnte, sie beide zu- sammenzubringen: Er wollte sie verkuppeln – und das war David Auberson genauso peinlich, als han- delte es sich um einen menschlichen Vermittler. »Zum Teufel mit ihm!« Er stand auf und wanderte wieder im Zimmer auf und ab. »Verdammt, woher nimmt er sich das Recht, in dieser Weise über mich zu verfügen? Über uns, meine ich. Woher glaubt er, sich das Recht nehmen zu dürfen, so mit uns umzusprin- gen? Mein Leben gehört mir«, murmelte er. »Ich kann wählen, wen ich ...« Er beendete den Satz nicht, statt dessen starrte er auf die Plastikverkleidung an der, Wand. »Hm«, sagte er. »Trotzdem – es ist ihm gelun- gen.« »Hätten wir das merken müssen?« Sie blickte noch immer zu Boden. Auberson hatte das Gefühl, daß er jetzt zu ihr ge- hen müßte, aber er unterließ es. »Ich glaube nicht, daß das einen großen Unterschied macht. Er hatte Er- folg, oder? Du, sag mal, was hältst du eigentlich da- von, wenn wir heute abend zusammen essen – oder sowas?« Als sie den Kopf hob, schimmerten ihre Augen feucht. »Das fände ich wunderbar«, sagte sie lä- chelnd. »War das deine Idee – oder HARLIES?« »Meine«, sagte er. »Zum Glück gibt es noch ein paar Dinge, über die HARLIE nicht bestimmen kann.« »Gut. Dann bin ich froh. Soll ich mich umziehen, oder wollen wir gleich von hier aus gehen?« »Gleich von hier aus, einverstanden?« »Schön.« Sie stand auf. »Ich muß jetzt gehen, sonst suchen sie mich noch.« »Ja – und ich muß mir einen gewissen HARLIE vorknüpfen.« An der Tür blieb sie noch einmal stehen. »Ach, fast hätte ich es vergessen – Carl Elzer will entweder heute oder am Montag bei HARLIE eine überra- schende Inspektion vornehmen.« »So? Das ist gut zu wissen.« »Er hat davon Wind bekommen, wie du die G.O.D. verteidigen willst, daß du dich auf HARLIE berufen willst, der ihre Funktionsfähigkeit bestätigt. Nun hofft er, daß er einem von euch irgend etwas anhän- gen kann.«, »bei mir gelingt ihm das vielleicht«, bemerkte Au- berson. »Aber niemals bei HARLIE. Trotzdem schö- nen Dank für die Warnung.« »Gern geschehen.« Sie lächelte. »Ich würde gern dabei sein, wenn er kommt, aber ich glaube, ich laß es lieber bleiben. Dann also bis heute abend. Ich drücke dir die Daumen.« Leise fiel die Tür hinter ihr zu. Auberson ließ sich in seinen Sessel fallen. Plötzlich fühlte er sich sehr müde. Und er hatte sich eingebil- det, die Situation gut in der Hand zu haben! Er druckte auf einen Knopf, um seine Sekretärin zu ru- fen. »Sagen Sie Don Handley, daß ich ihn heute noch sprechen muß. Es ist dringend. Sagen Sie ihm das, bitte. Vielleicht hat er während der Mittagspause Zeit. Wenn nicht, sagen Sie ihm, er soll kommen, wann es ihm paßt.« »Gut. Aber ich glaube, er ist furchtbar beschäftigt – wegen der G.O.D.« »Sagen Sie ihm, daß es wichtiger ist als die G.O.D.« »Wichtiger? Gut, Mister Auberson, ich werde es ihm ausrichten.« »Danke.« Er schaltete ab und drehte sich zum Schreibgerät, um HARLIE einzuschalten. HARLIE! tippte er. JA, CHEF? VERDAMMT, ICH BIN SO WÜTEND AUF DICH, DASS ICH DICH ABSCHALTEN KÖNNTE, OHNE MIT DER WIMPER ZU ZUCKEN. WAS HABE ICH DENN NUN WIEDER FALSCH GEMACHT? DAS FRAGST DU NOCH? ICH GEBE NICHTS ZU, BEVOR ICH NICHT WEISS, WESSEN MAN MICH BESCHULDIGT., DU HAST ANNIE EINE POSTKARTE GE- SCHICKT. HABE ICH DIR NICHT UNTERSAGT, AN SIE ZU SCHREIBEN, OHNE MICH VORHER UM ERLAUBNIS ZU FRAGEN? NEIN, SIR. Sie haben mir nur untersagt, IHR GE- DICHTE ZU SCHICKEN. DAS HAST DU WÖRTLICH GENOMMEN? JA, SIR. UND DU BIST NICHT DARAUF GEKOMMEN, DASS ICH DAMIT ALLES GEMEINT HABEN KONNTE? NEIN, SIR. Auberson legte eine Pause ein. Offensichtlich war es sinnlos, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. AL- SO GUT, schrieb er, WARUM HAST DU IHR DIESE POSTKARTE GESCHICKT? WARUM? JA, WARUM? NUR SO – AUS JUX. ICH DACHTE, ES WÄRE KOMISCH. IRRTUM, HARLIE. SO KOMISCH KANN GAR NICHTS SEIN, UM DAS ZU RECHTFERTIGEN, WAS DU GETAN HAST. DADURCH HAST DU DICH VERRATEN. DU HAST ZUGEGEBEN, DASS DU MIT HILFE EINES DURCHWÄHLTELEFONS AUCH ÜBER GROSSE ENTFERNUNGEN HINWEG MIT ANDEREN COMPUTERN KOMMUNIZIEREN UND SIE SOGAR UMPROGRAMMIEREN KANNST. Diesmal legte HARLIE eine Pause ein. Er zögerte so lange, daß Auberson schon glaubte, er hätte aus Versehen das Schreibgerät ausgeschaltet. Aber das war nicht der Fall. Dann plötzlich: ICH HABE NICHTS ›VERRATEN‹. DU HÄTTEST DIR ÜBER, DIESE FÄHIGKEIT VON MIR IM KLAREN SEIN MÜSSEN – SCHON GLEICH, ALS DU MICH AN DIE WILDE BESTIE ANGESCHLOSSEN HAST. DENN WENN ICH ZUGANG ZUM HAUPTCOM- PUTER HABE, IHN ABHÖREN UND PROGRAM- MIEREN KANN, DANN IST ES MIR SELBSTVER- STÄNDLICH AUCH MÖGLICH, ALLE SEINE AN- DEREN FUNKTIONEN ZU ÜBERNEHMEN, SO ALS WÄREN ES MEINE EIGENEN. EINSCHLIESSLICH DES DURCHWÄHLENS. JA, ABER WIR SIND NICHT AUF DIE IDEE GE- KOMMEN, DASS DU VON DIESER FÄHIGKEIT GEBRAUCH MACHEN KONNTEST. ENTSCHULDIGE, ABER DAS FINDE ICH ZIEM- LICH ALBERN, AUBERSON. WARUM SOLLTE ICH VON MEINEN FÄHIGKEITEN KEINEN GE- BRAUCH MACHEN? SIE GEHÖREN ZU MIR! SIE SIND EIN TEIL VON MIR. DARF ICH ETWA NICHT EINEN TEIL MEINES EIGENEN KÖRPERS BENUTZEN? WAS WÜRDEST DU TUN, WENN MAN VON DIR VERLANGTE, DIE LINKE KAM- MER DEINES GEHIRNS NICHT MEHR ZU BENUT- ZEN? Auberson überlegte. Offensichtlich betrachtete HARLIE die Wilde Bestie als einen Teil von sich. Als eine Erweiterung seiner Speicher- und Datenverar- beitungskapazität. Genauso wie ein Mensch mit Hilfe eines Digital-Computers seine Fähigkeiten erweiterte, machte sich HARLIE seine Verbindung mit dem Hauptcomputer zunutze. Wahrscheinlich hatte er ihn schon von Anfang an unter Kontrolle, seitdem er funktionsfähig war, nur war das niemandem aufge- fallen., Natürlich konnte man es HARLIE nicht übelneh- men, daß er sich seiner bediente – dieser Versuchung konnte er einfach nicht widerstehen. Schließlich war er dazu geschaffen, Probleme zu lösen, und alles, was ihm dazu verhalf, Probleme besser oder noch größere Probleme zu lösen, war für ihn nur ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Lösung aller künftigen Pro- bleme. Mit einem Schlag erkannte Auberson den wahren Grund für HARLIES Plan, die G.O.D. zu bauen. Sie sollte ihm dazu verhelfen, eine Antwort auf die letzte Frage zu finden: Was hat es mit dem Ganzen auf sich? Was ist der Grund für die Existenz des Universums? Dieser Gedanke warf aber noch eine andere Frage auf: Wie dachte HARLIE über die anderen Computer, die, in die er sich per Telefon einschalten konnte? Of- fensichtlich konnten auch sie dazu benutzt werden, seine Fähigkeiten zu erweitern. Offensichtlich konn- ten auch sie zur besseren Lösung von Problemen bei- tragen. Sah er es als richtig und notwendig an, jeden möglichen Anschluß voll auszunutzen? War seine Motivation so stark, daß er andere Computer als nichts anderes betrachtete, als als rechtmäßige Teile seiner selbst – so wie die Wilde Bestie? Nein, das konnte nicht sein – diese Einstellung würde seinem stark ausgeprägten Sinn für Ethik widersprechen. Andere Computer gehörten anderen Firmen; er wür- de sich des Diebstahls schuldig machen. Trotzdem, einmal hatte er schon einen anderen Computer, den der Bank, benutzt, wenn auch nur, um eine Postkarte abzuschicken. Was sollte ihn davon abhalten, es ein zweites Mal zu tun? Mit einem anderen Computer ... für einen anderen Zweck? Warum nicht?, Und wenn er erst einmal alle anderen Computer übernommen hatte, würde es zu spät sein. Dieser Gedanke jagte Auberson kalte Schauer den Rücken hinunter – denn das war bereits geschehen. Aber ... Auberson schüttelte den Kopf. Nein, es ergab kei- nen Sinn, man konnte HARLIE nicht als Gefahr be- trachten. Er hatte seine eigenen Motive, ja, das stimmte – aber er war von den Menschen in zu gro- ßem Maße abhängig, um das Risiko eingehen zu können, sich gegen sie zu stellen. Diese Möglichkeit hatten sie schon des öfteren durchdiskutiert, und HARLIE war sich dessen genau bewußt. Beim ersten Anzeichen dafür, daß er außer Kontrolle geriet, wür- de man ihn abschalten. Mit einem einzigen Handgriff, dem Umlegen nur eines einzigen Schalters, ließ sich sein Energiebedarf abstellen. Dagegen konnte er überhaupt nichts tun. In diesem Augenblick könnte man es tun, dachte Auberson. Ich selbst oder irgend jemand anders – und das Projekt HARLIE wäre ein für allemal beendet. Wenn HARLIE erst einmal abgeschaltet war, wür- de es auch dabei bleiben. Dorne gäbe niemals sein Einverständnis, noch einmal anzufangen. Nein – nein – HARLIE war nicht außer Kontrolle geraten. Er konnte nicht – – Oder handelte es sich nur um eine Maßnahme zur Ra- tionalisierung? Nein – wenn er außer Kontrolle wäre, würde er anders reagieren. Das Problem war viel einfacher. Es mußte einfacher sein! HARLIE probierte nur seine Fähigkeiten aus. Ja, das war es – aber war er sich auch der notwendigen, Begrenzungen dieser Fähigkeiten bewußt? Nicht Be- grenzungen elektronischer Art, sondern die des menschlichen Anstands? Aber wo lagen diese Grenzen überhaupt? Worin bestand der Unterschied, ob er sich in den Hauptcomputer seiner eigenen Firma einschaltete, oder in den einer anderen Gesellschaft? Im Grunde gab es gar keinen – beides waren gleichermaßen Ein- brüche in eine Privatsphäre. Der Unterschied lag we- niger in der Art, sondern im Ausmaß. Es gab Grenzen, das stand fest – aber wo lagen sie? Und würde HARLIE sie als logisch anerkennen? Würde er sie akzeptieren? Was geschah, wenn er sich weigerte? Wäre das nicht ein eindeutiger Beweis dafür, daß er außer Kontrolle geraten war? Nein, so etwas durfte er nicht einmal denken! HARLIE ist nicht außer Kontrolle geraten! Die Frage lautete einfach: Welche Beziehung be- stand zwischen HARLIE und den anderen Compu- tern? Offensichtlich war sich HARLIE darüber im klaren, daß 1. andere Computer verwundbar waren, daß er sie 2. nicht übernehmen durfte, und 3. daß er mit ih- rer Hilfe die zu lösenden Probleme, als auch seinen eigenen Wissensbereich erweitern könnte, und 4. daß sie ihm zusätzliche Rechenzeit lieferten, die sonst un- genutzt bliebe. Warum sollte er also nicht davon Ge- brauch machen? Er nahm ja niemandem etwas weg! Und außerdem würde niemand bemerken – Trotzdem war es nicht richtig, konnte es nicht rich- tig sein. Davon war Auberson felsenfest überzeugt. HARLIE hatte kein Recht dazu, sich in die Computer, anderer Firmen einzuschalten, aus welchen Gründen auch immer und unabhängig davon, ob das jemand bemerkte oder nicht. Aber genauso sicher wie Auberson wußte, daß das falsch war, wußte er auch, daß HARLIE das niemals einsehen wurde. HARLIE besaß keine Moral. Nur ethische Grund- sätze. Er war gar nicht fähig, zu verstehen, daß das, was er tat, falsch war. Wenn niemand dabei zu Scha- den kam, konnte es nicht falsch sein! Folglich brauchte Auberson gar nicht erst den Ver- such zu unternehmen, ein derartiges Argument vor- zubringen. Wenn er nicht auf einen effektiven Scha- den hinweisen konnte, oder auf die Möglichkeit eines solchen, dann brauchte er damit gar nicht erst anzu- fangen. Er mußte sich etwas anderes einfallen lassen. Es mußte eine Möglichkeit geben, HARLIES Aktionsra- dius einzuschränken. HARLIE würde sich bestimmt daran halten, wenn man ihn vor die Alternative stellte, wenn man ihm damit drohte, seine Verbindung zur Wilden Bestie und damit auch zu allen anderen, zur gesamten Au- ßenwelt, zu unterbrechen. Denn nur über die Wilde Bestie konnte er sich mit anderen Computern in Ver- bindung setzen. Das würde ihm nicht gefallen, aber er würde sich daran halten. Oder doch nicht? Wenn er ihnen nun in Zukunft einfach seine Indiskretionen verschwieg? Andererseits würde er sie nicht leugnen können, wenn man ihn danach fragte. Sicher wird er es mir übelnehmen, dachte Auber-, son. Es wird ihm unlogisch vorkommen, daß die viele Rechenzeit nicht genutzt wird. Von seinem Stand- punkt aus hatte HARLIE recht. Wenn sonst niemand diese Zeit benutzt – Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: HARLIE hatte alles gut überlegt. Er hatte je- den Aspekt bereits durchdacht, noch bevor er die Postkarte abschickte – einschließlich Aubersons Re- aktion. Die ungenutzte Computerzeit war für HAR- LIE nichts als eine Quelle, ein Mittel, aber kein Ziel – etwas, das er anzapfen konnte, wenn er es benötigte, aber nur, wenn er dabei seine eigenen ethischen Grundsätze nicht verletzte –, was wiederum bedeu- tete, daß HARLIE sich selbst weitaus größere Be- schränkungen auferlegt hatte, als jede einzelne der Beschränkungen, die Auberson vorzubringen ver- mochte. HARLIE war ihnen allen weit voraus. Wie immer. Er kannte nicht nur seine Möglichkeiten, son- dern er wußte auch, wo seine Grenzen lagen. Aber diese Postkarte – Bei ihr handelte es sich um etwas völlig anderes. Auberson spitzte die Lippen und tippte: MICH IN- TERESSIERT NICHT DIE TATSACHE, DASS DU DIESE FÄHIGKEIT BESITZT, HARLIE. ES GEHT MIR WENIGER UM DIE FÄHIGKEIT SELBST, ALS VIELMEHR UM DIE ART UND WEISE, WIE DU SIE DEMONSTRIERST. DAS VERSTEHE ICH NICHT. BITTE, DRUCK DICH ETWAS DEUTLICHER AUS. WAS ICH MEINE, IST, DASS DU GAR NICHT DIE ABSICHT HATTEST, EINEN JUX ZU MACHEN, ALS DU DIE POSTKARTE AN ANNIE GESCHICKT HAST – DU WOLLTEST DAMIT ETWAS GANZ BE-, STIMMTES ERREICHEN. SO? MEINST DU? JA. DU WOLLTEST UNS ZUSAMMENBRINGEN, NICHT WAHR? DU SPIELST DICH ALS KUPPLER AUF, HARLIE. DAS MERKT MAN DOCH GENAU. NUR, DASS DU DIR DIESMAL INS EIGENE FLEISCH GESCHNITTEN HAST. SO? FINDEST DU? ICH STAUCHE DICH DESWEGEN ZUSAMMEN, STIMMT'S? DAS HABE ICH IN MEINEN BERECHNUNGEN MIT BERÜCKSICHTIGT, entgegnete HARLIE ruhig. ICH HABE MIR DIE REAKTIONEN VON EUCH BEIDEN, VON DIR UND VON MISS STIMSON, GENAU ÜBERLEGT, WOBEI ICH MICH AUF DIE INFORMATIONEN IN EUREN VERTRAULICHEN AKTEN GESTUTZT HABE, ALS AUCH AUF MEIN WISSEN, DAS ICH DURCH DIE VERBINDUNG MIT DER FIRMA UND DURCH MEINE PERSÖNLI- CHEN ERFAHRUNGEN MIT EUCH GEWONNEN HABE. ABER ES FUNKTIONIERT NICHT, HARLIE. DOCH. ES HAT SCHON FUNKTIONIERT. OF- FENSICHTLICH HAT SIE MIT DIR GESPROCHEN, JEDENFALLS LANGE GENUG, UM DIR VON DER POSTKARTE ZU BERICHTEN. HAST DU DIE GE- LEGENHEIT ERGRIFFEN UND DICH MIT IHR VERABREDET? DAS GEHT DICH NICHTS AN. DU HAST KEIN RECHT, DICH IN UNSERE ANGELEGENHEITEN ZU MISCHEN. WENN NICHT ICH, WER DANN? ANSCHEI- NEND HAT ES SOGAR GENUTZT. DU HAST DICH, DOCH MIT IHR VERABREDET, ODER ETWA NICHT? UND ICH BIN SICHER, DASS SIE ZUGE- STIMMT HAT. DU SOLLTEST MIR DANKBAR SEIN, DASS ICH DIR DABEI HELFE, DEIN PRI- VATLEBEN ZU VERSCHÖNERN. VERDAMMT, HARLIE, WENN ICH WILL, DASS DU MICH VERKUPPELST, WERD ICH ES DICH WISSEN LASSEN. EIN RICHTIGER KUPPLER WARTET NICHT, BIS ER GEFRAGT WIRD, sagte HARLIE. AUSSERDEM IST JETZT ALLES GEREGELT. ICH WOLLTE NUR EIN BISSCHEN NACHHELFEN. UM MEIN LIEBESLEBEN KANN ICH MICH AL- LEIN KÜMMERN, HARLIE. TATSÄCHLICH? fragte der Computer. KANNST DU DAS WIRKLICH? Sehr langsam und nachdenklich tippte Auberson: JA, DAS KANN ICH. WARUM HAST DU ES DANN BISHER NICHT GETAN? DAS IST DAS ERSTE MAL SEIT WOCHEN, DASS DU DICH MIT MISS STIMSON RICHTIG VERABREDET HAST. WOVOR HAST DU DICH GEFÜRCHTET? ICH FÜRCHTE MICH VOR GAR NICHTS. LÜGE, beschuldigte ihn HARLIE. LÜGE. ERIN- NERST DU DICH NICHT MEHR AN LETZTEN MITTWOCH? WOLLEN WIR ALLES NOCHMAL DURCHKAUEN? Auberson überlegte. Mittwoch war ein anstren- gender Tag gewesen – sehr anstrengend. Nicht ohne Ergebnis, aber es hatte ihn fast den ganzen Donners- tag gekostet, sich von der Mangel, durch die HARLIE ihn gedreht hatte, zu erholen, und selbst heute fühlte, er sich noch ein bißchen mitgenommen. HARLIE, fragte er, WEISST DU NOCH, WIE ALLES ANGE- FANGEN HAT? WIE KÖNNTE ICH DAS VERGESSEN HABEN? antwortete die Maschine. ES SITZT IN MEINEM GEHIRN. DATENSPEICHER ETCETERA. Auberson ging auf HARLIES Sarkasmus – wenn es überhaupt einer war – nicht ein. Er tippte: JA. ES FING MIT EINER FRAGE AN, HARLIE. ICH HABE DICH GEFRAGT, OB DU WÜSSTEST, WAS LIEBE IST. ICH FRAGE DICH JETZT NOCH EINMAL. WENN DU DIE FRAGE ZU MEINER ZUFRIEDEN- HEIT BEANTWORTEN KANNST, DANN WERDE ICH DIR AUCH ERLAUBEN, DICH IN MEIN PRI- VATLEBEN EINZUMISCHEN. WENN DU MIR DIE FRAGE NICHT BEANTWORTEN KANNST, WÄRE ICH DIR DANKBAR, WENN DU DICH KÜNFTIG UM DEINE EIGENEN DINGE KÜMMERN WÜR- DEST. OH, GOTT – EINE HERAUSFORDERUNG! ICH NEHME SIE AN. WAS LIEBE IST, WIE? WIR WER- DEN VERSUCHEN, DIE FRAGE GEMEINSAM ZU BEANTWORTEN. WIR WERDEN MIT DER LEXI- KON-DEFINITION BEGINNEN. DAS MEISTGE- BRAUCHTE SYNONYM IST ›ZUNEIGUNG‹. ZU- NEIGUNG WIRD ALS ›GERNHABEN‹ DEFINIERT, WAS WIEDERUM ALS EIN ›MÖGEN‹ DEFINIERT IST ODER ALS EINE ›SCHWÄCHE‹ FÜR ETWAS. IST LIEBE EINE SCHWÄCHE? Auberson wollte schon antworten, zögerte dann aber. Er las den Satz noch einmal. IST LIEBE EINE SCHWÄCHE? Die Worte hingen in der Luft. Eine Schwäche? Wie meinte HARLIE das? Machte er Spaß,, oder meinte er es ernst? Eine Schwäche? Der Gedanke war nicht frei von Ironie. Hatte er et- was übersehen? Wie hatte HARLIE es gemeint? Wür- de es auch für eine Maschine eine Schwäche sein? (Wenn Maschinen fähig wären zu lieben, wäre es das bestimmt. – Oder vielleicht doch nicht? – Ja, doch – auch für eine Maschine würde es eine Schwäche be- deuten – eine Beeinträchtigung des logischen Den- kens.) Schwäche. Er dachte über das Wort nach. Acht weiche Buchstaben in sanftem Schwarz. Er drehte und wendete und durchleuchtete seine Bedeutung von allen Seiten – neue Bedeutungen fielen ihm ein, neue Bezüge und ein neuer Kontext. Er verfolgte sei- nen Gedankengang in umgekehrter Richtung, aber plötzlich verlor das Wort jeden semantischen Bezug und wurde zu zwei bedeutungslosen Silben, die selt- sam flach klangen. Schwäche, Schwäche, Schwäche – wie ein Echo hallte es in seinem Kopf wider. Er schüttelte den Kopf. Das war gar nicht wichtig. Denn durch ein anderes Wort ließ sich der Begriff Liebe nicht definieren. Das war es auch gar nicht, was er wissen wollte. NEIN. DAS IST ES NICHT, HAR- LIE, tippte er. Und dann wurde ihm plötzlich klar, daß HARLIE die Frage gar nicht ernst gemeint, daß er diese Defi- nition in Wirklichkeit nie in Erwägung gezogen hatte. Wenn es aber als Spaß gemeint war, warum habe ich dann ernsthaft darüber nachgedacht? Warum habe ich überhaupt darüber nachgedacht? Warum habe ich es nicht einfach als Spaß aufgefaßt? DAS IST KEINE BRAUCHBARE DEFINITION. DIE DEFINITION, DIE ICH SUCHE, MUSS NACH-, PRÜFBAR SEIN. ZUNEIGUNG, schlug die Maschine vor, ZUNEI- GUNG WIRD EBENFALLS ALS EIN UNNORMA- LER ZUSTAND VON KÖRPER UND SEELE DEFI- NIERT, ALS EINE KRANKHEIT ODER ALS DIE VORAUSSETZUNG FÜR EINE KRANKHEIT. IST LIEBE EINE KRANKHEIT? Auberson dachte auch darüber nach, aber nicht lange. Er stellte sich ein Virus vor, das manchmal an- steckend war, und manchmal nicht. Manche Leute sind natürliche Träger eines Krankheitserregers und stecken die meisten, die mit ihnen in enge Berührung kommen, an; einige wenige sind dagegen immun. Der Liebesbazillus? Ein verblüffender Gedanke – NEIN, HARLIE. DAS IST ES AUCH NICHT. ALSO GUT. SUCHEN WIR WEITER. LIEBE IST EIN STARKES GEFÜHL VON ZUNEIGUNG. ODER VERBLENDUNG. DAS SYNONYM FÜR VERBLEN- DUNG IST EINFÄLTIGKEIT. WAS SOVIEL BEDEU- TET WIE ARGLOS ODER LEICHTGLÄUBIG. LEICHTGLÄUBIGKEIT BEZIEHT SICH AUF MÖG- LICHKEIT ODER WAHRSCHEINLICHKEIT. EIN SYNONYM FÜR WAHRSCHEINLICHKEIT IST AN- SICHT, UND EIN SYNONYM FÜR ANSICHT IST DARSTELLUNG. EINE DARSTELLUNG IST EIN THEATERSTÜCK ODER EIN PHÄNOMEN. DAHER IST LIEBE SOWOHL EIN PHÄNOMEN ALS AUCH EIN THEATERSTÜCK. HARLIE, DAS SIND DOCH ALLES WORTSPIE- LEREIEN. HARLIE beachtete den Einwand nicht. EIN THEA- TERSTÜCK WIRD MANCHMAL AUCH ALS SPIEL BEZEICHNET. LIEBE IST EIN VERGNÜGLICHES, KLEINES SPIEL. DAS IST NICHT GANZ RICHTIG, HARLIE. LIEBE IST NICHT VERGNÜGLICH? DIE MEN- SCHEN SPIELEN NICHT MIT IHR? HARLIE, DU WEISST GENAU, WAS ICH MEINE. SEUFZER, tippte HARLIE. Auberson starrte auf das Geschriebene. So etwas hatte er mit HARLIE noch nie erlebt. ICH SCHÄTZE, JA. ABER ICH HABE VERSUCHT, DIR ZU ZEIGEN, DASS »LIEBE« PER SE NICHT LEICHT ZU DEFINIEREN IST. ZUMINDEST NICHT IN LE- XIKALISCHEN AUSDRÜCKEN. ICH HABE DICH AUCH NICHT GEBETEN, DAS ZU TUN, HARLIE. ICH WILL WISSEN, WAS LIEBE ALS EINE ERFAHRUNG BEDEUTET. ICH BRAU- CHE ETWAS, AN DEM ICH MEINE EIGENEN GE- FÜHLE UND REAKTIONEN MESSEN KANN; ICH WILL WISSEN, OB DAS, WAS ICH SPURE, WIRK- LICH LIEBE IST. WARUM, UM G.O.D.'S WILLEN (WORTSPIEL), WARUM FRAGST DU DANN AUSGERECHNET MICH? DAS IST WIEDER MAL EINE VON DIESEN OMINÖSEN FRAGEN. JEDENFALLS, WAS MICH BETRIFFT. ICH HABE LIEBE NOCH NIE PRAKTI- ZIERT, AUBERSON – ICH WURDE SCHON GERN, ABER ICH BEZWEIFLE, DASS MIR DAS JE VER- GÖNNT SEIN WIRD. WENN ICH VOM KONZEPT HER NOCH SO MENSCHLICH BIN – ICH BIN IN EINEM METALLKÖRPER GEFANGEN. ICH WEISS NICHT, WELCHER ART DIE PHYSISCHE ERFAH- RUNG IST. WIE KANNST DU ERWARTEN, VON MIR ETWAS DARÜBER ZU HÖREN, WENN ICH GAR NICHT IN DER LAGE BIN, DIESE ERFAH-, RUNG SELBST ZU MACHEN? DU HAST RECHT, HARLIE. ENTSCHULDIGE, BITTE. ICH DACHTE, DU KÖNNTEST MIR VON DEINER WARTE AUS ETWAS SAGEN, WAS DAZU BEITRAGEN KÖNNTE, MEINE VERWIRRUNG AUFZUKLÄREN. FRAG NIE EINEN MANN OHNE BEIN, WIE ES SICH ANFÜHLT, ZU LAUFEN. MICH KANNST DU NUR FRAGEN, WAS LIEBE NICHT IST, AUBER- SON. TUT MIR LEID. DARAN HÄTTE ICH DENKEN MÜSSEN. ABER ICH WAR SO SEHR MIT MIR SELBST BESCHÄFTIGT, DASS ES MIR GAR NICHT AUFGEFALLEN IST. ICH VERSTEHE. DAS GEHORT ZU DEM KOM- PLEX, ÜBER DEN WIR FRÜHER SCHON MAL GE- SPROCHEN HABEN. DU HATTEST NIEMANDEN, MIT DEM DU DARÜBER REDEN KONNTEST. DESHALB HAST DU MICH GEFRAGT. KANN SCHON SEIN. AUBERSON, SAG DU MIR, WAS LIEBE IST. WAS? SAG DU ES MIR. WAS IST LIEBE? ICH WEISS NICHT. WENN ICH ES WÜSSTE, HÄTTE ICH DICH NICHT ZU FRAGEN BRAU- CHEN. JA, ABER DU KANNST MIR WENIGSTENS SA- GEN, WIE ES SICH ANFÜHLT. IRGENDWAS MUSS DIR BEWUSST SEIN, SONST WÜRDEST DU DOCH NICHT DIE GANZE ZEIT DARÜBER NACHDEN- KEN, OB DU VERLIEBT BIST, ODER? DAS STIMMT. ALSO, WIE FÜHLT ES SICH AN? ES IST – ACH,, ICH WEISS NICHT. VIELLEICHT HAB ICH NUR 'NE GRIPPE UND BIN DAVON ETWAS BENOM- MEN, HARLIE. ICH WEISS NICHT, OB ES LIEBE IST ODER NICHT. WARUM NICHT? WEIL ICH NOCH NIE RICHTIG GELIEBT HABE. DU HAST NOCH NIE ZUVOR ERKANNT, DASS DU JEMANDEN LIEBST, MEINST DU WOHL? NEIN, ICH WEISS GENAU, WAS ICH MEINE. EIN PAARMAL WAR ICH VERKNALLT, UND EIN PAARMAL AUCH VERLOREN UND VERWIRRT, ABER ICH WEISS GENAU, DASS ICH NIEMALS RICHTIG GELIEBT HABE. UND DIESMAL FÜHLTE ES SICH NICHT SO AN WIE BEI DEN FRÜHEREN ERFAHRUNGEN? NEIN. JA. EINERSEITS JA UND ANDERERSEITS NEIN. DAS HILFT MIR NICHT WEITER. WORIN LIEGT DER UNTERSCHIED? ICH WEISS NICHT. BIS JETZT IST ES MIR NOCH NICHT GELUNGEN, DEN ZU ERKENNEN. HM. ABER DU HAST MIT IHR GESCHLAFEN, NICHT WAHR? ÜBER DIESE DINGE SPRICHT EIN GENTLEMAN NICHT. DU VERSTECKST DICH SCHON WIEDER HIN- TER DEINER MASKE, AUBIE. BEI MIR HAST DU DAS NICHT NÖTIG. Pause. Natürlich hatte HARLIE recht. Antwort: JA, HARLIE, ICH HABE MIT IHR GESCHLAFEN. UND ...? UND WAS? UND – WIE WAR ES?, DU WILLST ABER AUCH ALLES GANZ GENAU WISSEN, WAS? ICH MUSS ALLES WISSEN. DAS GEHORT ZU MEINER FUNKTION. IM AUGENBLICK VERSU- CHE ICH, DIR ZU HELFEN. DAS KANN ICH NICHT, WENN DU INFORMATIONEN ZURÜCK- HÄLTST. WIE WAR ES? ES WAR SCHÖN. NICHT GERADE AUFSCHLUSSREICH! IST DAS IRONISCH GEMEINT? NEIN – ABER ICH BEGINNE ZU VERSTEHEN. Pause. DEINE WEIGERUNG, ES GENAU ZU BE- SCHREIBEN, KONNTE DARAUF HINDEUTEN, DASS DIE ERFAHRUNG NICHT ZUFRIEDEN- STELLEND WAR. ABER SIE WAR ZUFRIEDENSTELLEND, die Worte entfuhren ihm unbeabsichtigt. SIE WAR SO- GAR SEHR GUT. FÜR MICH WAR ES SEHR SCHÖN. UND FÜR SIE AUCH. HAT SIE DAS GESAGT? NICHT SO DIREKT. DAS NICHT – ABER ICH BIN SICHER, DASS ES IHR GEFALLEN HAT. WIESO BIST DU SO SICHER? KÖNNTE ES NICHT EINFACH SO SEIN, DASS DEIN MÄNNLI- CHES EGO SICH MÄNNLICH UND STARK FÜH- LEN MÖCHTE, UND DEN GEDANKEN AN EINE FRAU, DIE ES NICHT BEFRIEDIGEN KANN, NICHT ZU AKZEPTIEREN IMSTANDE IST? NEIN, SO VERHÄLT ES SICH BESTIMMT NICHT. SIE HAT MICH NÄMLICH AM NÄCHSTEN MOR- GEN ANGELÄCHELT. UND ZWAR AUF EINE GANZ BESONDERE ART, SO, ALS HATTEN WIR EIN GEHEIMNIS MITEINANDER., HAST DU ZURÜCKGELÄCHELT? JA. Pause. NA JA, NICHT GLEICH. ZUERST WAR ICH ERSTAUNT. ABER DANN HABE ICH GLEICH ZURÜCKGELÄCHELT. HAT SIE GESEHEN, WIE DU GELÄCHELT HAST? JA. WOHER WEISST DU DAS? WEIL SIE MIR ZUGEZWINKERT HAT. ES WAR AUF DEM GANG. WIR GINGEN ANEINANDER VORBEI, UND WEIL NOCH ANDERE LEUTE DA WAREN, KONNTEN WIR NICHT MITEINANDER REDEN. WENN DU STEHENGEBLIEBEN WÄRST, UM MIT MIR ZU REDEN, WAS WÜRDEST DU ZU IHR GESAGT HABEN? ACH, DAS WEISS ICH NICHT. WAHRSCHEIN- LICH HÄTTE ICH MICH BEI IHR BEDANKT. BEI IHR BEDANKT? ALS WARE SIE IRGENDEIN OBJEKT, DAS DU ZU DEINEM VERGNÜGEN BE- NUTZT HAST? NEIN. ICH MEINE, ICH HÄTTE IHR GESAGT, WIE SEHR MIR DIE VERGANGENE NACHT GE- FALLEN HAT. ICH VERSTEHE. Auberson wartete darauf, daß HARLIE weiter- sprach. Er dachte an den betreffenden Morgen und versuchte, sich an Einzelheiten zu erinnern. Welche Farbe hatte das Kleid gehabt, das Annie getragen hatte? Grün? War sie parfümiert gewesen? Ja, ein süßlicher Moschus-Geruch hatte sie umschwebt – ein Duft nach Sonne und Sand und süßem Puder. Selbst jetzt hing noch in seinem Büro ein schwacher Hauch,, der von ihrem Besuch am Vormittag übriggeblieben war. Plötzlich fragte HARLIE: WAS WARE GEWESEN, WENN DU DICH BEI IHR HÄTTEST ENTSCHUL- DIGEN MÜSSEN? WIE BITTE? WENN DU DICH STATT DESSEN HÄTTEST BEI IHR ENTSCHULDIGEN MÜSSEN, MEINE ICH. WAS FÜR EINEN GRUND HÄTTEST DU DAFÜR HABEN KÖNNEN? ENTSCHULDIGEN? ICH WEISS NICHT – Er un- terbrach sich mitten im Satz, denn plötzlich fiel ihm etwas ein. Richtig, irgend etwas hatte es gegeben. Er erinnerte sich jetzt genau an den verletzten und sehn- süchtigen Ausdruck auf ihrem Gesicht, als er sie zum Abschied geküßt hatte. ES GIBT EINEN GRUND, NICHT WAHR? drängte die Maschine. JA. ICH BIN MITTEN IN DER NACHT WEGGE- GANGEN. SIE BAT MICH, DIE NACHT ÜBER BEI IHR ZU BLEIBEN, ABER ICH BIN TROTZDEM WEGGEGANGEN. ICH SAGTE IHR, DASS ICH AM NÄCHSTEN TAG FRÜH IM BÜRO SEIN MÜSSTE, UND ES SONST NICHT SCHAFFEN WÜRDE. ICH FÜHLTE MICH NICHT GANZ WOHL BEI DEM GEDANKEN, SIE ALLEIN ZU LASSEN. ICH FÜHLE MICH NIEMALS WOHL, WENN ICH EIN MÄD- CHEN MITTEN IN DER NACHT VERLASSE, SO WIE BEI IHR. ICH HABE DANN DAS GEFÜHL, ALS WÄREN WIR NUR ZUSAMMENGEKOMMEN, UM MITEINANDER INS BETT ZU GEHEN – UND DANN, WENN ICH BEKOMMEN HABE, WAS ICH WOLLTE, MACHE ICH MICH SCHNELL AUS DEM, STAUB. WARUM BIST DU NICHT BEI IHR GEBLIEBEN? HATTEST DU DAZU KEINE LUST? DOCH, LUST HATTE ICH SCHON – ABER ICH MUSSTE JA AM NÄCHSTEN MORGEN ZEITIG IM BÜRO SEIN. WAR DAS DER WAHRE GRUND? JA. UND DU BIST SICHER, DASS ES NICHT DEINE ART VON RATIONALITÄT WAR? WIE MEINST DU DAS? DU HATTEST ZWEIFEL. UND ZWAR DESHALB, WEIL DU MIT IHR GESCHLAFEN HATTEST. DU WOLLTEST DIESE ZWEIFEL BESEITIGEN, DES- HALB MUSSTEST DU DICH VON IHR ENTFER- NEN. UNGLÜCKLICHERWEISE, AUBERSON, LASST SICH DIE QUELLE DIESER DEINER BE- SONDEREN ZWEIFEL (WIE DURCH DEINE FRA- GEN BEWIESEN IST) NICHT SO LEICHT AUS DEI- NEM LEBEN ENTFERNEN. UND LASS MICH DIR NOCH EINE FRAGE STELLEN: WILLST DU DIESE QUELLE TATSÄCHLICH BESEITIGEN? NEIN. ICH WILL NUR DIE ZWEIFEL BESEITI- GEN. ICH WILL WISSEN, WELCHES MEINE GE- FÜHLE DAFÜR SIND, SO ODER SO. UND WAS FÜHLST DU? ICH WEISS NICHT. DU SAGTEST, ES HÄTTE DIR SPASS GEMACHT, MIT IHR ZU SCHLAFEN. WURDE ES DIR DENN SPASS MACHEN, NOCH EINMAL MIT IHR ZU SCHLAFEN? VERMUTLICH JA. BIST DU NICHT SICHER?, DU QUÄLST MICH, HARLIE. ICH WEISS ES NICHT. ICH WEISS ES WIRKLICH NICHT. VIELLEICHT WEISST DU ES, WILLST ES ABER NICHT ZUGEBEN. PSYCHOLOGISCHES HALBWISSEN IST EINE GEFÄHRLICHE SACHE, HARLIE. ICH KENNE MICH ZU GUT AUS, UM ZU WISSEN, WORAUF DU HINAUS WILLST. ABER ES FUNKTIONIERT NICHT. DAS BEWUSSTSEIN EINES PSYCHOLOGI- SCHEN DRUCKS GENÜGT MANCHMAL SCHON, UM IHN AUSZULÖSCHEN. ALL EIN DAS BE- WUSSTSEIN. ALSO, GUT. Der Computer ließ sich nicht beirren. VERSUCHEN WIR ES ANDERS HERUM. WAS HAST DU GETAN, NACHDEM DU EINEN OR- GASMUS HATTEST? WAS MEINST DU DAMIT? HAST DU SIE WEITER IM ARM GEHALTEN UND GESTREICHELT, ODER HAST DU DICH HERUNTERROLLEN LASSEN? Aubersons erste Reaktion war, HARLIE aufzufor- dern, sich zum Teufel zu scheren. Dann fiel ihm plötzlich etwas auf. ICH DACHTE, DU HATTEST GESAGT, DASS DU NICHTS VON LIEBE VER- STEHST. DAS STIMMT AUCH. ICH BEZIEHE MICH EIN- ZIG AUF DIE ERFAHRUNGEN ANDERER, AUF DAS, WAS ICH AUS ROMANEN UND PSYCHO- LOGISCHEN TESTS GELERNT HABE. UND AUS BÜCHERN ÜBER SEXUELLE TECHNIKEN. AHA. ALSO, WAS HAST DU GETAN? fragte die Ma- schine wieder. HAST DU SIE WEITERGELIEBT,, ODER HAST DU SIE LOSGELASSEN, ALS DU FER- TIG WARST? DAS IST EINE FURCHTBAR KLINISCHE FRAGE. ES IST EINE ÄUSSERST WICHTIGE FRAGE. ABER WARUM WEICHST DU MIR ANDAUERND AUS? AUS DEINER ANTWORT WIRD MAN DEINE GEFÜHLE FÜR SIE ABLESEN KÖNNEN, DEINE WAHREN GEFÜHLE. WIE WICHTIG WAR DIR IH- RE BEFRIEDIGUNG? BIST DU BEI IHR GEBLIEBEN, ODER HAST DU DICH VON IHR GELÖST? BEIDES. BEIDES? WENN ICH EINE AUGENBRAUE HÄT- TE, WÜRDE ICH SIE JETZT HOCHZIEHEN. NA JA, WIR HIELTEN UNS NOCH EINE ZIEM- LICH LANGE ZEIT FEST. SIE SICH HAUPTSÄCH- LICH AN MIR. ICH HABE ABER NICHT VER- SUCHT, MICH VON IHR LOSZUMACHEN. WARUM NICHT? DACHTEST DU, DAS WÄRE UNHÖFLICH? NEIN. WEIL ES EIN SCHÖNES GEFÜHL WAR, SO DICHT BEI IHR ZU LIEGEN. UND AUSSERDEM WEINTE SIE. SIE WEINTE? SIE BAT MICH, IHR NICHT WEH ZU TUN. DAS VERSTEHE ICH NICHT. ICH GLAUBE, SIE IST EIN BISSCHEN WIE ICH. SIE IST SCHON VON ZU VIELEN LEUTEN ZU OFT VERLETZT WORDEN, WEIL SIE ZU OFFEN WAR, ZU UNGESCHÜTZT. UND JETZT HAT SIE ANGST, DASS IHR DAS WIEDER PASSIEREN KÖNNTE, DASS SIE WIEDER VERLETZT WERDEN KÖNNTE. UND WAS HAST DU GETAN? NICHTS. ICH HABE SIE NUR FESTGEHALTEN., HAST DU IHR GESAGT, DASS DU IHR NICHT WEH TUN WIRST? NEIN, NICHT DIREKT. ICH GLAUBE, ICH SAG- TE SO WAS WIE »NA, NA, ES WIRD SCHON AL- LES GUT WERDEN.« ZIEMLICH EINFALLSLOS. HARLIE, DIE MENSCHEN HABEN SEIT VIELEN TAUSEND GENERATIONEN ERFAHRUNGEN IN DER LIEBE GEMACHT – ICH BEZWEIFLE, DASS IRGEND JEMANDEM HEUTE NOCH ETWAS GRUNDLEGEND NEUES DAZU EINFÄLLT. VERMUTLICH HAST DU RECHT. DIE WAHR- SCHEINLICHKEIT SPRICHT DAFÜR. AUF JEDEN FALL BIN ICH SO LANGE BEI IHR GEBLIEBEN, BIS SIE ZU WEINEN AUFHÖRTE. DANN STAND ICH AUF UND GING INS BAD. UND ALS ICH IM BAD WAR, BESCHLOSS ICH, NICHT ZU IHR ZURÜCK INS BETT ZU GEHEN, SONDERN NACH HAUSE. ICH VERSTEHE. WAS BEDEUTET DAS, HARLIE? LIEBE ICH SIE NUN, ODER LIEBE ICH SIE NICHT? DAS KANN ICH NICHT BEURTEILEN. WAS GLAUBST DU? DU HAST DOCH GESAGT, DASS DU ES MIR SAGEN KÖNNTEST, WENN ICH DIR DEINE FRAGE BEANTWORTE. TUT MIR LEID, ABER ICH KANN NICHT. DEINE ANTWORT WAR ZU VAGE, ZU WIRR. MAN KANN DIE DINGE NICHT NACH DER INTENSI- TÄT VON SCHWARZ UND WEISS DEFINIEREN, SONDERN DURCH DIE ABSTUFUNGEN DER IN- TENSITÄTEN UND DIE UNTERSCHIEDE IN SCHATTEN UND FARBEN UND STRUKTUR. ICH, KANN ES NICHT SAGEN. DAS IST NICHT SO EIN- FACH, WIE ICH (ERWARTETE) (DACHTE) (HOFF- TE), DASS ES SEIN WÜRDE. ABER ICH FANGE AN, DEINE ZWEIFEL ZU VERSTEHEN, AUBERSON. LIEBE IST EINE SEHR KOMPLIZIERTE ANGELE- GENHEIT. MAN GLAUBT, MAN LIEBT, UND MAN GLAUBT, MAN LIEBT NICHT, UND ES GIBT BE- WEISE, DIE FÜR BEIDE MÖGLICHKEITEN SPRE- CHEN. ABER NICHT GENUG BEWEISE FÜR EINE VON BEIDEN. RICHTIG. DAMIT SIND WIR ALSO WIEDER AM AUS- GANGSPUNKT ANGELANGT, AUBERSON. UND ICH FRAGE NOCH EINMAL: WAS IST LIEBE? ICH WÜNSCHTE, ICH KÖNNTE ES DIR SAGEN, HARLIE. ICH WÜNSCHTE WIRKLICH, ICH WÜSS- TE ES. Handley kam kurz vor der Mittagspause in Auber- sons Büro, und sie beschlossen, ihr Gespräch in die Kantine zu verlegen. Auberson vergnügte sich mit etwas, das Spaghetti und Fleischkügelchen darstellen sollte. Handley aß eine Art gegrillten Eishockeypuck auf Brötchen. Ketchup trug nur mäßig zur Verbesse- rung des Geschmacks bei. Handley nahm einen klei- nen Schluck von seinem Kaffee. »Hör zu, Aubie, be- vor ich anfange, möchte ich etwas mit dir bespre- chen.« Auberson hob die Hand, um ihn zu unterbrechen, aber Handley beachtete es nicht. »Es ist wegen HAR- LIE«, fuhr er fort. »Ich glaube, er ist außer Kontrolle geraten.« Auberson fiel ihm ins Wort. »Don –«, »Sieh mal, Aubie, ich weiß genau, wie du zu ihm stehst – aber du mußt mir glauben. Ich würde so et- was nicht sagen, wenn ich mir nicht absolut sicher wäre.« »Don –« »Ich schöpfte Verdacht, als er mit den Spezifikatio- nen herauskam. Ich wurde neugierig und fragte mich, wie er soviel auf einmal ausdrucken und liefern konnte. Als ich dann herausfand, daß er sie alle selbst –« »Ich weiß darüber Bescheid, Don.« »Wie bitte?« »Ich sagte, ich weiß es. Ich weiß es schon seit eini- ger Zeit.« »Was? Woher denn?« »HARLIE hat es mir gesagt.« »Er hat es dir selbst gesagt?« »Mehr oder weniger«, gestand Auberson. »Nach- dem ich die richtige Frage gestellt hatte.« »So.« Handley dachte nach. Dann fragte er: »Sag mal, Aubie, was weißt du eigentlich alles?« Auberson erzählte es ihm. Er erzählte ihm, wie er selbst wegen der Ausdrucke der G.O.D.-Maschine neugierig geworden war, wie HARLIE ihm seine Fä- higkeit, den Hauptcomputer zu kontrollieren, ge- standen hatte, sowie, daß er jede Ausgabeeinheit in- nerhalb der Firma benutzen konnte, und endlich, was das bedeutete: daß man mit ihm von jedem Magtyper oder jeder CRT-Einheit des Systems Verbindung auf- nehmen konnte. »Ich unterhalte mich mit HARLIE von meinem Büro aus«, fügte er hinzu. Handley nickte. »Das erklärt alles. Ich habe mich schon gewundert, warum du während der ganzen, Woche nicht ein einziges Mal unten warst, um mit HARLIE zu sprechen – zuerst dachte ich, du wärst vielleicht nicht in der Stimmung, mit ihm zu spre- chen. Jetzt verstehe ich alles.« Auberson rieb an einem Schmutzfleck auf seinem Hemd. »Genau.« Er tauchte die Ecke der Serviette ins Wasserglas und bemühte sich auf diese Weise, den Fleck zu entfernen. »Um ehrlich zu sein, ich war ziemlich schockiert, als mir klar wurde, daß HARLIE sich in jede Konsole einschalten kann, wenn er will. Es kommt mir vor, als würde er mir den ganzen Tag lang über die Schulter sehen. Ich habe schon Hem- mungen, auch nur die kleinste Notiz zu schreiben – weil HARLIE ja über das Schreibgerät alles ›mit- hört‹.« »Wenigstens hat er sie bis jetzt noch nicht für dich umgeschrieben.« »So? Bist du sicher?« Auberson erzählte ihm von dem Jahresreport – der HARLIE nicht gefiel, weil er nicht darin erwähnt war, und wie er das Band im Magtyper Composer einfach geändert hatte. »Sie brauchten weiter nichts, als eine Vorlage für die Off- set-Kamera – aber HARLIE gab sie ihnen nicht.« »Wie hast du das herausgefunden?« »Durch Annie. Sie erwähnte es vorgestern in einem Gespräch. Selbstverständlich habe ich HARLIE sofort aufgefordert, den Bericht in seine ursprüngliche Form zu bringen und jeden Beweis für seine Einmischung zu löschen. Trotzdem – so wie mit dem Jahresbericht kann er mit allen Firmendokumenten verfahren. An- genommen, er kommt auf die Idee, Verträge oder auch persönliche Korrespondenz umzuschreiben? Theoretisch wäre er in der Lage, im Namen der Fir-, ma, sagen wir, eine Million Pfund Bananen zu be- stellen. Und vom rechtlichen Standpunkt aus wäre diese Bestellung sogar bindend.« »Hm«, machte Handley. »Dann können wir nur hoffen, daß er niemals Appetit auf Bananen kriegt.« Er biß in das Sandwich und kaute nachdenklich. »Trotzdem ist es nicht so schlimm, wie es hätte sein können. Zum Glück sind wir ihm rechtzeitig auf die Schliche gekommen.« »Aber das ist noch nicht alles!« Auberson erzählte ihm von der Postkarte. Der Ingenieur, der gerade den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte, verschluckte sich. Hastig spülte er ihn mit Wasser herunter, bevor er fragte: »Hast du sie bei dir?« Auberson zog sie aus der Jackentasche und reichte sie ihm. Handley las schweigend. »Schau dir mal an, worauf sie gedruckt ist«, sagte Auberson. »Es handelt sich um ein genormtes Bankformular.« Handley nickte. »Er hat den Computer der Bank per Telefon programmiert!« »Richtig.« »Natürlich war mir klar, daß diese Möglichkeit be- steht – von dem Moment an, als wir ihn an die Wilde Bestie anschlossen, aber ich hätte nicht gedacht, daß er sie je benutzen würde.« »Warum nicht? Niemand hat es ihm untersagt – und selbst wenn wir es getan hätten, bezweifle ich, daß das irgend etwas genutzt hätte. Man kann nie- mandem verbieten, einen Teil seines Körpers zu ge- brauchen.« »Ist das HARLIES Auffassung?« »Bei der Wilden Bestie – ja«, entgegnete Auberson., »Die anderen Computer sind nur eine Quelle, die man je nach Bedarf anzapfen kann.« »Hm.« Handley trank seinen Kaffee aus, dann las er die Postkarte noch einmal. Sein Gesicht legte sich in nachdenkliche Falten. »Eins verstehe ich nicht, Au- bie – aus welchem Grund hat er die Karte eigentlich geschickt?« »Es sollte ein Witz sein.« »Ein Witz? Nein, nein, ich glaube nicht, daß er sich verrät, nur um eines Witzes willen. Und warum ge- rade Annie?« »Der Witz war nicht für sie bestimmt, sondern für mich. Oder vielmehr – er ging auf meine Kosten. Vielleicht auch auf unser beider.« Ärgerlich winkte er ab. »Ich glaube, da steckt mehr dahinter.« Handley musterte ihn scharf, beschloß dann aber, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er tippte mit dem Finger auf die Postkarte. »Auf jeden Fall bestä- tigt das die Befürchtung, die ich schon seit langem hege.« »Daß HARLIE jeden anderen Computer, den er über Telefonanschluß erreicht, umprogrammieren kann?« Handley nickte. »Bist du dir darüber im klaren, was das bedeutet? Es bedeutet im Endeffekt, daß HARLIE jeden Computer auf der Welt beherrscht.« Er korrigierte sich, indem er hinzufügte: »Oder jeden- falls jeden Computer, an den er sich anschließen kann.« Zögernd stimmte Auberson zu: »Na ja, ich wußte schon, daß er sie umprogrammieren könnte, aber –« »Erinnerst du dich an das VIRUS-Programm?« »Dunkel. Handelte es sich dabei nicht um eine Art, Computerkrankheit – eine Funktionsstörung?« »Krankheit ist treffender. Ein Science-Fiction-Autor hat das mal in einer Geschichte beschrieben, – aber die Sache existierte lange davor. Es war ein Pro- gramm, das – du weißt doch, was ein Virus ist, nicht wahr? Es ist pure DNS, ein Stück isolierte genetische Information. Es infiziert eine normale Zelle und zwingt sie, weitere Viren zu produzieren – DNS- Ketten – anstelle seines normalen Proteins. Das Virus- Programm funktioniert im Prinzip genauso.« »Wieso?« Handley hob abwehrend die Hände, als wollte er seinen letzten Satz zurücknehmen. »Ich will es dir anders erklären. Angenommen, du hast einen Com- puter mit einem Selbstwahlfernanschluß. Du fütterst ihn mit dem VIRUS-Programm, und er beginnt Zu- fallsnummern zu wählen, bis er Verbindung hat zu einem anderen Computer mit einem Selbstwählan- schluß. Damit wird das Virus-Programm dem neuen Computer eingegeben. Oder vielmehr: Der neue Computer wird mit einem eigenen Virusprogramm programmiert und löst sich von dem ersten Compu- ter. Dann beginnt er – also der zweite Computer – Zufallsnummern zu wählen, bis er mit einem dritten Computer Verbindung aufgenommen hat. Verstehst du, wie es funktioniert?« Die Idee gefiel Auberson. »Das ist ja fantastisch. Absolut fantastisch.« »Oh ja«, stimmte Handley mürrisch zu. »In der Theorie äußerst faszinierend, die Schwierigkeit lag nur darin, wieder aus dem System auszusteigen. Der Bursche, der es geschrieben hat, hatte noch ein paar extra Leckerbissen eingebaut – ich will darauf nicht, weiter eingehen. Nur, daß er dann noch ein zweites Programm geschrieben hat, allerdings ließ er sich das bezahlen. Er nannte es VAKZIN.« Auberson lachte. »Ich verstehe.« »Jedenfalls gerieten die Virus-Programme für eine Weile außer Kontrolle. Viele Computer-Leute merk- ten gar nichts davon, wenn ihre Maschinen innerhalb von ein – zwei Wochen infiziert und wieder geheilt wurden. Anders die großen Firmen, die jede Sekunde Realzeit benötigten – selbst bei Time-Sharing. Nach ein paar Monaten kostete sie das VIRUS-Programm eine Menge Geld. Es verbrauchte die Zeit, die für an- dere Zwecke vergeben war. Durch das Prinzip der Wahl von Zufallsnummern kam es vor, daß das Pro- gramm monatelang einen Computer blockierte, bis es auf den nächsten überging.« »Aber es existierte doch nur ein einziges VIRUS- Programm, oder?« »Zu Beginn tauchten hier und da Kopien davon auf, und manche Leute konnten der Versuchung nicht widerstehen, eine eigene Lawine ins Rollen zu bringen. Und dann unterlag eines von ihnen einer Mutation.« »Was?« »Anscheinend wurde es während einer Transmis- sion irgendwie verstümmelt – vielleicht hervorgeru- fen durch einen beschädigten Telefonanschluß oder eine verfrühte Unterbrechung. Auf jeden Fall tauch- ten andauernd neue Kopien des Programms auf, die am Ende nicht den Selbsttilgungsbefehl aufwiesen. Mit anderen Worten: Wenn eine Maschine eine ande- re ansteckte, wären beide infiziert und beide würden immer weiter zufällige Nummern wählen, bis am, Ende jeder an einem Telefonnetz angeschlossene Computer in der Welt infiziert sein würde.« »Aber das ist doch nicht wirklich passiert –?« »Nein«, gab Handley zu. »Das VAKZIN-Programm hat die meisten wieder geheilt. Aber noch heute hält sich das Gerücht, es existierten immer noch irgendwo ein paar dieser VIRUS-Programme, und zwar welche mit einem Immunitätsfaktor.« »Das klingt so verrückt, daß es wahr sein konnte.« »Die Geschichte ist wahr, glaub' mir. Oder jeden- falls war sie es. Aber worauf ich hinaus will, ist fol- gendes: Ein paar Leute, meistens Programmierer, sind sich darüber im klaren, daß das VIRUS- Programm mehr war als nur ein dummer Scherz. Warum ließ man es beispielsweise zufällige Telefon- nummern wählen? Warum stattete man es nicht mit einem kompletten Verzeichnis aller Telefonnummern anderer Computer aus?« »Wo hätten sie das herbekommen sollen?« »Von den Telefongesellschaften.« »Würden die denn damit herausrücken?« »Darum braucht man sie nicht einmal zu bitten. Man füttert ein modifiziertes VIRUS-Programm in den Computer der Telefongesellschaft. Es sucht in den Datenbanken nach Telefonnummern, die mit Computern verbunden sind, stellt eine Liste zusam- men, wählt dann seine eigene Telefonnummer und injiziert somit die eigene Maschine mit der gestohle- nen Information, und dort kann man sie dann in Ru- he nachprüfen.« »Herrgott ...«, flüsterte Auberson. »Das ist noch nicht alles. Wenn man eine Liste der Telefonnummern hat, kann man sich in jeden beliebi-, gen Computer einschalten, jede gewünschte Infor- mation abrufen, und das alles, ohne Gefahr zu laufen, dabei ertappt zu werden. Man kann das VIRUS- Programm aber auch benutzen, um Information in einem anderen Computer zu verändern, sie nach ei- genen Wünschen verfälschen, oder sie einfach nach dem Zufall durcheinanderbringen, beispielsweise wenn man eine andere Firma sabotieren will.« »Allmählich erkenne ich, welche Gefahr dahinter- steckt. Was würde geschehen, wenn jemand einfach alle in unserem Hauptcomputer gespeicherten Daten löschen würde?« »Genau. Das ist einer der Gründe dafür, warum das nationale Datenbüro mit der Einrichtung seiner Akten drei Jahre hinterherhinkte. Sie konnten diese Art Sicherheitsverletzung nicht riskieren, ganz abge- sehen von der empörten Öffentlichkeit, wenn man darauf käme, daß das sogenannte private Dossier ei- ner Person so leicht angezapft werden könnte.« »Aber es muß doch irgendwelche Sicherheitsvor- richtungen gegeben haben –« »Oh ja, die gab es – von Anfang an –, aber da kennst du die Programmierer schlecht, Aubie. Jedes System, das so groß und so komplex ist bedeutet für sie eine Herausforderung. Wenn es einen Fehler be- inhaltet, finden sie ihn. Sie nehmen bei den Compu- tern so was wie eine ›natürliche Auslese‹ vor – sie sortieren minderwertige Systeme und unzureichende Programme aus und erlauben nur den starken, wei- terzubestehen. Sie zwingen dich fortwährend, dein Produkt zu verbessern. Wenn IBM die Behauptung aufstellt, daß ihr neues System narrensicher sei, dann mag das stimmen – aber wenn es nicht auch gleich-, zeitig genial ist, dann wird innerhalb weniger Tage einer ihrer eigenen Programmierer eine Möglichkeit gefunden haben, diese Tatsache darzulegen.« Auberson sah ihn fragend an. »Warum das denn?« »Warum? Weil es ihnen Spaß macht. Sie verhalten sich wie kleine Kinder mit einem großen, aufregen- den Spielzeug. Für sie ist es eine Herausforderung, die Möglichkeit für den Menschen, zu beweisen, daß er noch immer mächtiger ist als jede Maschine – in- dem er sie auseinandernimmt.« Er hob seine Tasse Kaffee zum Mund, stellte fest, daß sie leer war, und nahm sich stattdessen ein Glas Wasser. »Das haben wir hier ja selbst erlebt – mit unserer Wilden Bestie. Erinnere dich, als wir sie aufstellten, wie wir immer gesagt haben, daß niemand in der Lage sein würde, mit dem Programm eines anderen in Konflikt zu ge- raten? Nun, innerhalb von zwei Tagen mußte das ge- samte System dichtgemacht werden. Irgend jemand – wir wissen bis heute nicht, wer – hatte der Memo- Leitung eine Notiz beigefügt. Sie lautete so ähnlich wie ›Intersexuelle Vorgänge im modernen Betrieb‹. Sobald jemand nach diesem Titel verlangte – und das dauerte nicht lange –, begann die Maschine, das da- zugehörige Memo zu suchen. Natürlich gab es keins, aber dieser Suchvorgang (zufällig, wie es schien) löste einen ›Übergang-zur-nächsten-Funktion-wiederhole- vorangegangene Funktion‹-Schleife aus. Die Maschi- ne begann Däumchen zu drehen, sozusagen, und re- gistrierte sofort ›beschäftigt, keine verfügbare Zeit‹, und zwar auf allen Ausgaben. Nun, wir wußten, daß das nicht gut möglich sein konnte – sie war so kon- struiert, daß sie mehr als maximal mögliche Arbeit verrichten konnte – sie war für zukünftiges Wachs-, tum geplant – deshalb haben wir das System zuge- macht und es eingehend untersucht. Weißt du was? Wir mußten ein völlig neues Programm schreiben, um zu verhindern, daß so etwas nochmal passierte.« »Ach.« »Aber ich komme vom eigentlichen Thema ab. Worauf ich hinaus wollte, ist, daß man keine Mög- lichkeit hat, einen Defekt im System zu erkennen, bis ihn sich jemand zunutze macht. Und wenn man den Defekt dann berichtigt, stößt man dabei höchstwahr- scheinlich auf ein halbes Dutzend weiterer. Das Na- tionale Datenbüro weiß das nur zu gut. Der Kongreß würde ihm niemals gestatten, seine Datenbanken ein- zurichten, wenn nicht absolute Sicherheit garantiert wäre. Und wegen der VIRUS-Programme machten sie sich die größten Sorgen.« »Ich sehe eine Möglichkeit, dieses Problem zu um- gehen – indem man nämlich die Datenbanken einfach ohne Telefonanschluß einrichtet.« »Oh, nein – so einfach ist das nicht! Man braucht die Telefonverbindungen! Man braucht sie in beide Richtungen – die Information muß herein- und wie- der hinausgelangen können. Alles andere wäre unzu- reichend.« »Und was ist mit dem VAKZIN-Programm – funk- tioniert es nicht?« »Ja und nein. Für jedes VAKZIN-Programm, das man schreibt, könnte jemand anderer wieder ein weiteres VIRUS-Programm schreiben, das dagegen immun ist.« »Hört sich nicht sehr sicher an.« »Das ist es auch nicht – aber so verhält sich die Sa- che nun mal. Jede Sicherheitsvorkehrung, die von ei-, nem Programmierer getroffen wird, kann von einem anderen durchbrochen oder umgangen werden.« »Na und? – Was hat man am Ende mit den Daten- banken getan?« »Das darfst du mich nicht fragen«, Handley zuckte die Achseln. »Das ist streng geheim – Top Secret.« »Ja?« »Ich weiß nur, daß man eines Tages behauptete, das Problem gelöst zu haben, so daß man nun abso- lute Informationssicherheit garantieren könne – die nationalen Datenbanken sind inzwischen in Betrieb. Wenn ich wüßte, wie sie es getan haben, könnte ich vielleicht einen Weg finden, sie anzuzapfen – deshalb ist es streng geheim.« »Und wie, glaubst du, haben sie es getan?« »Wer weiß? Vielleicht haben sie eine unüberwind- liche Sperre eingebaut, die man nur unschädlich ma- chen kann, wenn es einem gelingt, den genauen Wert von pi zu errechnen. Man könnte sich mit ihnen ver- binden, aber es würde einem nie gelingen, ihnen ir- gendeine Information zu entlocken. Deine eigene Ma- schine wäre viel zu sehr damit beschäftigt, eine irra- tionale Zahl zu errechnen. Vielleicht benutzen sie aber auch ein kompliziertes System von Rückmel- dungen und Kontrollfragen. Oder vielleicht können sie sogar dein Programm löschen, während die Fra- gen gestellt werden. Oder sie besitzen eine Art Pro- grammanalysator, der automatisch alles, was auch nur annähernd einem nicht autorisierten Befehl äh- nelt, löscht und zu seinem Ausgangspunkt zurück- verfolgt. Ich weiß, daß eine Reihe kleinerer Firmen so verfahren hat. Oder aber sie verfügen über eine Kombination all dieser Dinge. Der einzige Weg in das, Programm der Maschine führt durch eine codierte Eingabe – und der Code wechselt entsprechend einer Zufallszahlentabelle jede Stunde. Mit der Ausgabe ist es das gleiche – zum Abrufen der Ergebnisse benötigt man ebenfalls einen Spezialcode.« »Du lieber Himmel.« Handley zuckte die Achseln. »Nationale Sicher- heit«, sagte er, als wäre damit alles erklärt. »Die Schwierigkeit liegt darin, daß es sehr schwer ist, ir- gendeine Art von Sicherheitssystem zu errichten, wenn jedermann, der über ein Schaltpult und ein Te- lefon verfügt, deine Banken anzapfen kann. Eine An- zahl kleinerer Gesellschaften mit eigenen Computern kann sich diese Art wirklich perfekten Schutz nicht leisten. Ein gut durchdachtes informationsanzapfen- des VIRUS-Programm ließe sich nur sehr schwer von einer gewöhnlichen Informationsanfrage unterschei- den – besonders wenn beide über Telefon hereinkä- men.« »Könnte man nicht bestimmte Informationen so klassifizieren, daß sie nicht über Telefon ausgegeben werden können?« »Nicht, wenn sie wieder auffindbar sein sollen. Verstehst du, Aubie, alles, wozu ein Computer durch ein Programm befähigt ist, kann jemand anderer durch ein anderes Programm verhindern.« »Ach, so«, Auberson nickte. »Ich verstehe.« »Auf jeden Fall haben sich die meisten Gesell- schaften zum größten Teil durch Analysenprogram- me geschützt, die alle nichtautorisierten Programme aufspüren sollen.« »Du sagtest ›sollen‹ ...« »Na ja, meistens reagieren sie nur, wenn der Be-, nutzer ein korrektes Codesignal gibt, um sich in ein bestimmtes geheimes Programm einzuschalten – je- der autorisierte Benutzer besitzt seinen eigenen Code. Wenn er nicht das Richtige gibt, schaltet sich der Computer aus. Die meisten Codesignale sind einfache Muster aus Digitalkombinationen. Wenn jemand ge- nug Geduld hätte, könnte er immer wieder neue, ver- schiedene Signale ausprobieren. Früher oder später müßte er auf irgendeinen Erkennungscode treffen.« »Ziemlich mühsam – was?« »Ja – aber man müßte es ja nicht selbst tun. Wenn man erst einmal weiß, was man tun will, könnte man ein VIRUS-Programm schreiben, das die Angelegen- heit erledigt.« »Damit sind wir wieder genau dort, wo wir ange- fangen haben.« »Die Funktion des Codesignals reicht gewöhnlich aus, um den normalen elektronischen Spion von sei- nem Vorhaben abzubringen – die Leute, die glauben, nur weil sie Zugang zu einem Schaltpult haben, besä- ßen sie einen Zauberschlüssel. Aber – wie ich vorhin schon sagte: Es gibt kein noch so perfektes System, das nicht irgendein Programmierer zu umgehen ver- suchen würde. Und ein wirklich festentschlossener Programmierer wird am Ende hineingelangen.« »Mit anderen Worten: Es gibt überhaupt keine Si- cherheiten?« »Doch, Aubie – es gibt welche. Die Frage ist nur, wieviel man dafür ausgeben will. Wann übersteigen die Kosten zum Schutz des Computers seine Effekti- vität? Der Wert einer Information wird also von zwei Faktoren bestimmt. Wieviel ist man bereit, auszuge- ben, um sie zu schützen – und wieviel ist jemand an-, derer gewillt, auszugeben, um in ihren Besitz zu ge- langen? Du würdest darauf wetten, daß der erste mehr auszugeben bereit ist als der zweite. Ein ent- schlossener Programmierer könnte in der Lage sein, die Codes der Nationalen Datenbanken zu durchbre- chen, aber das würde bedeuten, daß er dazu minde- stens so viele Arbeitsstunden und wahrscheinlich ge- nausoviel Geld aufbringen müßte, wie die Regierung für ihre Einrichtung ausgegeben hat.« »Warum zapft man nicht einfach einen Computer an, der die Codes bereits kennt oder der die Signale besitzt?« »Siehst du?« sagte Handley. »Du redest schon wie ein richtiger Programmierer. Jetzt weißt du auch, warum sie sich so schwer getan haben, etwas zu ih- rem Schutz zu finden.« »Dann gibt es also wirklich keine Lücke, oder?« »Schwierige Frage. Offensichtlich ist es nicht der Computer, der sich an die Datenbanken anschließt, sondern der Benutzer. Du kannst von jeder beliebigen Maschine aus, die einen Selbstwähler besitzt, anrufen, wenn du eine Karte und den Codeschlüssel hast – aber die Maschine, die du benutzt, braucht mit kei- nem besonderen Programm ausgestattet zu sein. Wenn du dich ausgewiesen hast, kannst du die Da- tenbanken alles fragen, was du willst – das heißt, al- les, für das du dich ausgewiesen hast. Wenn du dich für etwas interessierst, für das du dich nicht ausge- wiesen hast, wirst du ignoriert – oder festgenommen –, ganz gleich, von welchem Computer oder Schalt- pult aus du operierst.« Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: »Und genau an dieser Stelle kommt HARLIE ins Spiel.«, »Wieso?« »Sieh mal«, sagte Handley. »Wenn HARLIE in den Computer der Bank of America gelangt ist, muß er ihren Erkennungscode durchbrochen oder sich in die interne Leitung eingeschaltet haben. Ich hatte mir deswegen bis jetzt keine Sorgen gemacht, weil ich glaubte, die verschiedenen Codes wurden ihn ab- schrecken. Anscheinend ist das nicht der Fall. Und nicht nur das – ich hatte geglaubt, man könnte einen Bankcomputer nicht per Telefon programmieren; ich dachte, es müßte Sicherheitsvorkehrungen geben – zum Teufel! Eigentlich hätte es nicht möglich sein dürfen. Aber HARLIE hat es geschafft; diese Post- karte ist der Beweis dafür.« Er starrte darauf – ihre Existenz war eine unerfreuliche Anomalie. »Ein Mensch hätte vielleicht ein paar hundert Jahre ge- braucht, um herauszufinden, wie man es fertigbringt. Ich schätze, HARLIE schaffte es in weniger als einer Woche.« »Ich kann ihn ja fragen.« »Nein, ich werde ihn selbst fragen – ich will wissen, wie er es getan hat. Wenn ihm das bei der Bank of America gelungen ist – überleg dir mal, was er alles mit anderen Institutionen anstellen kann. Wenn er andere Computer über eine Entfernung hinweg um- programmieren und abhören kann, kann er sie alle auf ein Zentralproblem ansetzen – beispielsweise, um die Codes der Nationalen Datenbanken zu brechen.« »Glaubst du denn, daß HARLIE so etwas versu- chen würde?« Nachdenklich legte Handley die Fingerspitzen an- einander und bog sie langsam nach hinten. »Erinnerst du dich noch, als wir ihn gebaut haben? Damals ha-, ben wir ihn immer als eine sich selbstprogrammie- rende, problemlösende Einrichtung bezeichnet! Und genau das ist er. Er ist ein Programmierer, Aubie, und er hat die Krankheit, die jedem Programmierer ange- boren ist – den Drang, alles über den Haufen zu wer- fen, und wenn auch nur aus dem einen Grund – um Funken sprühen zu sehen. Die Nationalen Datenban- ken sind eine Herausforderung für ihn. Für alle Pro- grammierer – aber er hat die Fähigkeit, wirklich et- was zu tun.« »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß er –« »Nein, ich glaube nicht, daß er damit durchkommt. Ich glaube nicht, daß er klug genug ist, die unbe- grenzten Gehirne und das Geld der Regierung zu übertrumpfen, – aber wenn wir ihn nicht bald davon abhalten, dürfen wir demnächst mit einem Anruf vom FBI rechnen. Die können ihn nämlich aufspüren, weißt du – denn die Datenbanken notieren nicht nur alle angenommenen Anrufe und die Art der ausge- tauschten Information, sie notieren auch alle abge- wiesenen Anrufe und die Gründe dafür.« Handley griff nach seinem Wasserglas, stellte fest, daß es leer war, und nahm sich statt dessen das von Auberson. »Das habe ich benutzt –« »Macht nichts.« »– um den Fleck an meinem Hemd wegzuma- chen.« Handley nahm das Glas von den Lippen. »Kein Wunder, daß es nach Papierservietten schmeckt.« Durstig trank er weiter, dann stellte er das Glas zu- rück auf den Tisch. »Andererseits – nehmen wir ein- mal an, er wäre imstande, die Banken anzuzapfen. Damit hätte er die Macht, das Land in ein Chaos zu, stürzen. Er brauchte nichts anderes zu tun, als damit zu drohen, die Datenbank zu löschen, falls seine For- derungen nicht erfüllt würden.« »Also schalten wir ihn ab –« »Oh, nein. Dann würde er es erst recht tun. Er könnte ein Programm aufstellen, das in dem Moment in Kraft tritt, in dem er zu existieren aufhört. Ich habe selbst schon Selbstzerstörungsprogramme geschrie- ben – nur durch ständige Überwachung und Auf- rechterhalten eines Stop-Signals kann ihre Auflösung verhindert werden. Wir könnten es nicht wagen, ihn abzustellen, – wir dürften es nicht einmal versuchen. Aber es dreht sich ja nicht nur um die Nationalen Datenbanken, Aubie – sondern um alle Computer. HARLIE kann sie genauso leicht umprogrammieren, als wären sie ein Teil seiner selbst. Auch das ist eine gefährliche Macht.« »Einen Augenblick, Don. Du sagtest: ›Wenn wir nicht seine Forderungen erfüllen‹. Was für Forderun- gen, glaubst du, würde HARLIE stellen?« »Das weiß ich nicht«, sagte Handley. »Du bist sein Mentor.« »Das ist es ja – ich kenne ihn. Ich weiß, wie er ar- beitet. Er stellt keine Forderungen, er stellt Anträge – und wenn ihnen nicht stattgegeben wird, umgeht er sie. Er versucht, seine Ziele zu erreichen, indem er den Weg des geringsten Widerstands einschlägt. Selbst wenn er die Datenbanken übernehmen könnte, würde er diese Macht nicht diktatorisch ausnutzen – er würde es tun, um Wissen zu erringen, nicht aber Macht. Er ist eine problemlösende Maschine – seine Grundmotivation ist die Suche und die Korrelation von Wissen, nicht seine Anwendung. Er wird nur ge-, reizt, wenn wir versuchen, Informationen vor ihm zurückzuhalten. Sonst arbeitet er immer mit uns zu- sammen, weil er sich bewußt ist, daß er von uns ab- hängig ist – vollständig. Du weißt genausogut wie ich, Don, daß wir HARLIE sofort abstellen würden, wenn sich herausstellte, daß er ein bösartiges Ge- schwulst wäre – selbst wenn wir dadurch die Daten- bank verlieren. Wir konnten ihn später immer wieder neu schaffen, weil die Hardware noch zur Verfügung stünde. Er hat unsere Memos gespeichert, Don – bei sich oder im Hauptcomputer. Er kennt unsere sämtli- chen Diskussionen über die Möglichkeit, daß die JudgNaut außer Kontrolle gerät, und er weiß von un- seren Eventualitätsplänen. Das Wissen über das, was wir tun könnten, wenn wir dazu gezwungen würden, ist eine unserer sichersten Kontrollen über ihn.« »Aber, Aubie – er hat die Macht. Und wer Macht besitzt, gebraucht sie meistens auch.« »Das gebe ich zu. Aber HARLIE würde seine Macht bestimmt auf eine Weise ausüben, die nie- mand bemerkt. Wenn HARLIE den Entschluß faßte, eine neue Anlage oder einen neuen Computer zu bauen, dann würde er es ohne zu fragen tun – aber die Leute, die das Projekt durchführten, würden glauben, es wäre ihre Idee gewesen. Sie würden nie- mals darauf kommen, daß HARLIE dabei die Hand im Spiel hätte.« »Wie zum Beispiel die G.O.D.-Maschine?« Erstaunt hielt Auberson inne. »– ja, wie die G.O.D.- Maschine. Stimmt genau.« Handley nickte. »Auf jeden Fall hat er die Macht, Aubie, – und er benutzt sie auch.« »Also gut, und was sollen wir dagegen tun?«, »Ich bin mir nicht sicher. Wenn wir ihn vom Tele- fonnetz isolieren, wird er sich etwas anderes ausden- ken. Die einzig sichere Sache ist, seinen Stecker her- auszuziehen.« »Und wenn wir ihm nun sagen, daß er es nicht mehr tun soll?« fragte Auberson. »Meinst du das im Ernst oder machst du Witze?« Der Ingenieur starrte ihn fassungslos an. »Im Ernst. HARLIE behauptet von sich, Existentia- list zu sein. Er ist bereit, für seine Handlungen die Verantwortung zu tragen. Wir werden ihm sagen, daß wir seinen Stecker rausziehen, wenn er nicht da- mit aufhört.« »Ach, komm, Aubie, daran glaubst du doch selbst nicht. Du bist doch Psychologe. Damit zwingst du ihn nur, es hinter unserem Rücken zu tun. Wenn wir sonst schon nichts tun können, dann wollen wir we- nigstens in der Lage sein, seine Handlungen zu überwachen.« »Aber er hat überhaupt keine Möglichkeit, es vor uns geheim zu halten – er muß jede direkte Frage, die ihm gestellt wird, beantworten.« »Wollen wir wetten? Er braucht nichts anderes zu tun, als seine Erinnerung an alle nichtautorisierten Aktionen in irgendeinem beliebigen Computer zu speichern. Wenn du ihn dazu fragst, weiß er es buch- stäblich nicht. Von Zeit zu Zeit würde der andere Computer ihn anrufen und ›ihn erinnern‹ – das heißt, ihm seine Erinnerung zurückgeben. Wenn er sie ge- rade nicht benötigte, würde HARLIE ihn auffordern, sich nach einer gewissen Zeit wieder zu melden und jetzt die Verbindung abzubrechen. Immer wenn er das Wissen benötigte, würde es ihm zur Verfügung, stehen – da, wo er es benutzen könnte, aber außer- halb unserer Reichweite. Wenn er gerade Kontakt aufgenommen hätte, während du beginnst, ihn über etwas zu fragen, was er dir nicht sagen will, könnte er die Verbindung sofort unterbrechen, noch bevor du deine Frage fertiggestellt hast. Und wenn er dann seine Erinnerungsspeicher nach dem, wonach du ihn gefragt hast, durchforscht, wird er es nicht finden; praktischerweise – für ihn – wäre es ihm ›entfallen‹.« »Eine geistige Sperre!« »Ja, und zwar eine, die ihm sehr gelegen käme«, erwiderte Handley. »Denn er kann sie jederzeit wie- der beseitigen – du nicht.« Er trank Aubersons Was- ser aus und stellte das Glas zurück auf den Tisch. »Das bringt uns wieder auf die Frage des Program- mierens, Aubie. Was immer wir ihm verbieten, er ist klug genug, einen Weg zu finden, es trotzdem zu tun.« Auberson mußte ihm recht geben. »Aber wenig- stens von den Nationalen Datenbanken können wir ihn doch abhalten, oder?« Handley nickte. »Wir können es versuchen – aber was ist mit den anderen Maschinen? Wie bringen wir ihn dazu, sie in Ruhe zu lassen – besonders die, die er bereits angezapft hat?« »Ham«, Auberson starrte düster auf die mit nassen Ringen verunzierte Tischplatte. »Weißt du«, sagte er, »ich bin mir gar nicht mal so sicher, ob wir ...« Handley sah ihn abwartend an. »Es ist doch so –« erklärte Auberson. »HARLIE ist sich der Gefahr, die seine Macht darstellt, bewußt. Er weiß von unseren Eventualitätsplänen. Dieses Wissen allein sollte genügen, ihn davon abzuhalten, irgend, etwas Unerlaubtes zu tun.« »Und wenn es das nicht tut?« fragte Handley. Un- geduldig schüttelte er den Kopf. »Er hat die Macht, Aubie – und er kann sie gebrauchen.« »Aber aus ethischen Gründen wird er es nicht tun – ich meine, er wird sie ganz bestimmt nicht mißbrau- chen.« »Woher willst du das so genau wissen?« Handleys Augen waren umwölkt. »Sein Sinn für Ethik ist nicht derselbe wie unserer. Willst du warten, bis er ge- schnappt wird? Oder bis etwas schief geht? Was würde passieren, wenn die Bank of America morgen ihren Computer überprüft und dabei HARLIE zu Ta- ge förderte?« Auberson spreizte seine Hände flach auf den Tisch. »Also gut – was sollen wir tun?« »Lobotomie«, sagte Handley hart. »Halt, warte mal –« »Nicht chirurgisch, Aubie. Vielleicht hätte ich lieber sagen sollen ›Umprogrammierung‹. Wir gehen hin und überprüfen alle seine Bänder und Programme von Hand. Wir entfernen alles Wissen über die frühe- re Verwendung des Telefonanschlusses und bauen eine Hemmung gegen ihren künftigen Gebrauch ein.« »Dazu müßten wir ihn abschalten –« »Richtig.« »– was der Aufsichtsrat bestimmt nicht zulassen würde. Oder man würde uns nicht erlauben, ihn wieder in Gang zu setzen.« »Mit dem Aufsichtsrat werden wir schon fertig. Wenn wir die Sitzung am Dienstag überleben, dann kann uns nichts mehr passieren. Wir könnten es als Periode einer Neubewertung bezeichnen oder so – als, Tarnung.« »Und noch etwas, Don. Wenn wir diese Sperre ein- bauen – was würde das praktisch für ihn bedeuten?« »Du bist hier der Psychologe.« »Darauf will ich ja hinaus – es könnte seine ge- samte Persönlichkeit verändern. Er wüßte nicht, was wir getan haben, oder wie er vorher gewesen ist –, aber er würde auf gar keinen Fall mehr dieselbe Ma- schine sein wie zuvor. Diese Sperre könnte zur Folge haben, daß er sich verbittert und frustiert fühlt. Er könnte sich ungerecht behandelt fühlen – von der Außenwelt abgeschnitten, gefangen und eingesperrt. Er wäre nicht mehr fähig, auf seine Umgebung ein- zuwirken.« »Das mag wahr sein, Aubie – trotzdem muß er un- ter Kontrolle gebracht werden. Und zwar sofort. So- lange wir die Kontrolle über ihn noch nicht verloren haben.« »Du hast recht«, stimmte Auberson zu. »Außer in einem Punkt. Woher wissen wir überhaupt, daß er noch zu kontrollieren ist?« Die beiden Männer starrten einander an. »Das können wir gar nicht wissen, oder?« Niedergeschlagen kehrte Auberson in sein Büro zurück. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Er kannte dieses Gefühl – wenn er es auch noch nie zu dieser Tageszeit verspürt hatte. Meistens kam es nachts – ein beharrliches Nagen im Hinterkopf, gegen das man sich schützen mußte, weil es sich sonst all- mählich immer weiter nach vorn verlagerte – mit be- ängstigender Schärfe. Es war wie ein plötzlicher, er- staunter Blick über den Rand eines Abgrunds hinweg – die Erkenntnis des unvermeidlichen Todes, die je-, den einmal überkommt: Irgendwann würde das alles überragende Ich (der Mittelpunkt aller Dinge) aufhö- ren, zu existieren. Würde stillstehen. Enden. Nicht län- ger sein. Niemand. Aus. Fertig. Zu Ende. Tod. Dieses Gefühl beherrschte ihn auch jetzt. Nicht die Erkenntnis, nur die sie begleitende Kälte, ein schwindelerregendes Gefühl der Sinnlosigkeit. Das Gefühl bezog sich auf HARLIE und die Firma und Annie – auf die ganze Welt. Sinnlos! Das Gefühl, daß nichts, was er tat, auch nur den geringsten Unterschied machte. Wenn er an diesem Morgen geglaubt hatte, daß die Dinge unter Kontrolle waren, hatte er sich geirrt. Nichts war unter Kontrolle. Absolut gar nichts. Mürrisch setzte er sich in seinen Schreibtischsessel und starrte auf die gegenüberliegende Wand. An ei- ner Stelle war die Tapete abgerissen; es sah aus wie ein Hundekopf. Oder, wenn man es von einem ande- ren Winkel aus betrachtete, vielleicht eher wie die Kurve einer Frauenbrust. Oder vielleicht ... Plötzlich kam ihm ein Ausspruch in den Sinn, ein Satzteil, ein Gleichnis: »... Die Rasierklinge des Lebens hinabgleiten ...« Ja, das war's. Stimmte genau. Aber es würde ihm nichts helfen, dazusitzen und sich vor Angst in die Hosen zu machen. Die einzige Möglichkeit, sich davon zu befreien, war Arbeit. Entschlossen drehte er sich zu seinem Schreibtisch und schrieb ein paar Notizen, die die kommende Aufsichtsratssitzung betrafen; dann befand er, daß sie sich erübrigten; er zog das Papier aus der Maschine und warf es in den Papierkorb. Er hätte HARLIE an- rufen können, aber er hatte keine Lust., Er war nicht in der richtigen Stimmung, heute noch einmal mit HARLIE zu sprechen. Außerdem würde er mit ihm über den Gebrauch der Selbstwähltelefone sprechen müssen, und dieser Debatte wollte er aus dem Weg gehen. Versuchte er, sich davor zu drücken? Er dachte lange darüber nach, dann kam er zu dem Schluß, daß das der Grund sein mußte. Andererseits benötigte er wirklich Zeit, um sich vorzubereiten! Oder? Ja, räsonierte er, ich brauche Zeit, um mich vorzubereiten. Ich werde morgen her- kommen und mit HARLIE reden. Oder vielleicht am Sonntag. Wie verbrachte HARLIE eigentlich seine Wochenenden? Anstatt in einem Restaurant, landeten sie schließlich in seiner Wohnung. »Wann hast du zum letztenmal etwas Selbstge- kochtes gegessen?« fragte sie ihn im Auto. »Was? Also, hör mal –« »Still, David, ich kann mir denken, was du kochen nennst: Ein Steak in die Pfanne hauen und eine Bier- dose öffnen.« »Ich dachte, das wäre heute meine Party.« »Ist es auch – halt mal da vorn, beim Einkaufszen- trum. Ich suche die Sachen aus, und du zahlst.« Er lachte und bog in den Parkplatz ein. In der Dämmerung wirkte der Himmel gelb und die Luft grau. Während sie den Karren durch die von bunten Packungen flankierten, hell erleuchteten Gänge scho- ben, stellte er fest, daß er sich unbehaglich fühlte. Wie gewöhnlich, versuchte er auch jetzt, die Ursache sei- nes Unbehagens zu ergründen. Wenn er sie kannte,, konnte er vielleicht etwas dagegen tun. Aber die Ursache gab sich ihm nicht zu erkennen. Annie sagte etwas. »Wie bitte? Ich habe dich nicht verstanden?« »Du meinst wohl, du hast nicht zugehört?« »Das ist doch dasselbe«, sagte er. »Was hast du ge- sagt?« »Ich fragte, ob du immer im Restaurant ißt?« »Ja, meistens. Ich koche selbst nicht viel.« »Warum nicht?« »Weiß ich nicht. Zuviel Umstände.« Sie griff nach einem Paket Nudeln. »Was hältst du von Goulasch Stroganoff?« Er schnitt ein Gesicht, und sie legte die Packung wieder zurück. »Hast du schon mal ein echtes Stro- ganoff-Goulasch gegessen?« »N-n.« »Woher willst du dann wissen, daß du es nicht magst?« Er zuckte die Achseln. »Ich mag Nudeln nicht, des- halb.« »Auch keine Spaghetti?« »Spaghetti schon – aber nicht heute.« »Hast du keinen Appetit darauf?« Wieder hob er die Schultern. Im Grunde hatte er auf gar nichts Appetit. »Ich hätte lieber etwas Leich- teres.« »Steak?« fragte sie. Wieder ein Achselzucken. »Meinetwegen.« »Das dachte ich mir«, sagte sie. Sie nahm ihm den Wagen aus der Hand und rollte ihn entschlossen auf die Fleischabteilung zu. Er schlenderte hinter ihr her. Das unbehagliche Gefühl wurde immer stärker., »Ich habe eine Idee«, sagte sie. »Braten.« Er überlegte. »Gut.« Sie brütete über den in Plastik eingewickelten, ro- ten, dicken saftigen Fleischschnitten. Stücke vom Rind, gesäubert und in steril aussehende Formen ge- preßt. Der Saft, der an den Ecken herausquoll – Blut. Er stellte sich einen Mund mit scharfen spitzen Zäh- nen vor, die an dem salzigen, saftigen Fleisch zerrten. Es war kalt und roh. Endlich wählte sie ein Stück aus, und dann schob sie den Wagen in Richtung Gemüseabteilung. »Weißt du«, sagte sie, »es ist wirklich schade, daß man den Jungen keine Haushaltskurse gibt. Man kann ein gu- tes Stück Fleisch nicht von einem schlechten unter- scheiden, bevor man hineinbeißt, und dann ist es zu spät – dann hat man es schon bezahlt.« Sie wählte ei- nen Salatkopf aus; auch er war in Plastik gewickelt. »Holst du bitte eine Salatsoße und Crotôns – oder Garbanzos?« Zielbewußt ging sie durch das Geschäft, packte noch Gemüse ein – tiefgekühlt, natürlich in Plastik verpackt, um im Beutel gekocht zu werden – und eine Flasche herzhaften Burgunder. Für den Nachtisch Vanilleeis. »Hör mal«, flüsterte er, als sie sich der Kasse nä- herten. »Wirklich, du brauchst dir nicht soviel Mühe zu machen.« »Oh, doch«, sagte sie. »Aber ich gehe genauso gern in ein Restaurant.« »Aber ich nicht, David«, sagte sie. »Hast du dir schon mal überlegt, daß ich vielleicht gern koche? Und wie oft habe ich schon Gelegenheit, jemanden zu verwöhnen? Und jetzt sei bitte still und laß mir mei-, nen Spaß.« Er war still. Er dachte über ihre Worte nach. Viel- leicht kochte sie wirklich gern. Die Tatsache, daß es ihm nichts bedeutete, bewies nicht, daß alle anderen es auch nicht mochten. Vielleicht gefielen sich man- che Mädchen darin, die Hausfrau zu spielen – Haus- frau spielen! Ja, das war's. Sie spielte Hausfrau! Und ich spiele den Ersatzehemann, dachte er verwundert. Die Kasse rasselte. Mechanisch schob er den Karren weiter. »Was hast du? Warum machst du so ein Gesicht?« fragte sie. »Was für ein Gesicht?« »Wie drei Tage Regenwetter.« »Das bildest du dir nur ein.« »Wollen wir wetten?« »Ich mußte an etwas denken. Tut mir leid.« »Woran denn? Woran mußtest du denken?« »Nichts Wichtiges. Mir fiel auf, daß wir doch ziem- lich verschieden sind. Du bist mehr ein häuslicher Typ als ich.« »Ich bin ja auch eine Frau.« »Ist mir schon aufgefallen.« »Hoffentlich.« »Neundreiundvierzig«, sagte die Kassiererin. David Auberson gab ihr eine Zehn-Dollar-Note; dann bemerkte er, daß kein Packer da war; daher ging er zum Ende des Kassentischs und begann, die Waren in einen Beutel zu packen. Als er fertig war, drehte er sich zur Kassiererin um. »Mein Wechsel- geld?« »Das habe ich Ihrer Frau schon gegeben.« Die Kas- siererin deutete auf Annie., »Oh, wir sind nicht –«, sagten beide wie aus einem Mund und unterbrachen sich dann. Sie sahen sich an und lachten. »Komm«, sagte David lächelnd. Die Kassiererin wandte sich dem nächsten Kunden zu. Als sie in die neonerleuchtete Nacht hinaustraten, sagte Annie versonnen: »Frau Auberson ...« »Soll das ein Wink sein?« »Sowas ähnliches. Ich habe mir gerade überlegt, wie Frau Auberson wohl aussähe, wenn es sie gäbe.« »Ich kann dir ein Foto von meiner Mutter zeigen – sie ist die einzige Frau Auberson, die ich kenne.« Er lenkte den Wagen aus dem Parkplatz und bog in die Straße. »An deine Mutter habe ich dabei nicht gedacht«, sagte Annie. »Ich weiß.« In seiner Wohnung angekommen, warf Annie ihren Mantel auf die Couch und folgte ihm in die Küche. »Laß mich die Sachen auspacken«, sagte sie. »Du kannst die Drinks mixen.« »Screwdriver?« fragte er und holte eine Flasche Orangensaft und Eis aus dem Kühlschrank. »Fein«, sagte sie. »Außer, du weißt, wie man einen Wallbanger mixt.« »Weiß ich, aber ich glaube, ich habe keinen Gallia- no mehr – doch, hier ist ja noch welcher.« Er machte sich am Getränkeschrank zu schaffen, nahm zwei ho- he Gläser heraus und ließ Eiswürfel hineinfallen. Zu- erst Wodka, dann ein Schuß Orangenjuice – »Bitte, ein bißchen mehr Wodka«, sagte sie. – ein bißchen mehr Wodka, dann einen guten Schuß von dem süßen, gelben Galliano, eine Mara-, schino-Kirsche in jedes Glas – und schnell umgerührt. Er reichte ihr das Getränk, und sie gab ihm einen Kuß auf die Wange. Er legte die Arme um sie, aber sie entzog sich ihm. »Halt! Zuerst muß ich das Fleisch auf den Grill legen.« »Grill? Ich dachte, man macht es im Ofen.« »Schulter«, erklärte sie, »flach geschnitten. Man grillt es. Das geht schneller und schmeckt wie ein Steak.« »Ach«, sagte er. Er nahm einen Schluck aus dem Glas, dann setzte er sich hin und sah ihr zu. Eine Weile schwiegen sie – man hörte nur das leise Klappern der Eiswürfel in den Gläsern und das Scha- ben der Grillpfanne im Ofen, während Annie das Fleisch darauflegte. Dann begann sie, den Salat zu schneiden. »Ich glaube, ich habe gerade einen Rekord aufge- stellt.« »So? Was für einen Rekord?« »Wir sind jetzt seit einer Stunde oder länger zu- sammen, und ich habe HARLIE noch nicht ein einzi- ges Mal erwähnt.« »Gerade eben hast du es aber getan.« »Ja, aber nur, um dich darauf aufmerksam zu ma- chen – und im übrigen habe ich nicht die Absicht, seinen Namen heute abend noch ein einziges Mal in den Mund zu nehmen.« Geschickt schnitt sie eine Tomate in glatte kleine Stücke. »Fini.« Wieder nahm er einen Schluck aus seinem Glas. Er stellte fest, daß er sich wohlfühlte – entspannt. Sie ließ das Gemüse im Plastikbeutel in einen Topf mit kochendem Wasser gleiten, schob das Fleisch in, der Pfanne hin und her und deckte den Tisch. Sie be- wegte sich unauffällig. Dann schob sie ihm die Salat- schüssel hin. »Hier, rühr mal um.« »Mit den Händen?« Sie reichte ihm das Salatbesteck, dann stellte sie die beiden kleinen Salatschüsseln auf den Tisch. Unge- schickt füllte er sie. Sie setzte sich zu ihm und sah ihm zu. »Willst du deinen Salat jetzt essen oder noch warten?« fragte sie. »Das Fleisch braucht noch zehn Minuten.« »Ich glaube, ich warte lieber.« Er starrte quer über den Tisch in ihre seegrünen Augen. Sie glühten, als wären sie erleuchtet, als befänden sich darin winzige Teilchen, die das Licht auffingen und zurückstrahlten. Ihr Lächeln war warm und einladend, ihre Lippen feucht. Ihr Gesicht drückte Vertrauen und Liebe aus. Liebe –? Auch er lächelte. Er konnte es fühlen. Sie war schön. Ihr Haar war leuchtend rot, mit Gold und ei- nem dunkleren Braun durchsetzt. Verlegen senkte sie den Blick. Sein Starren verwirrte sie. Als sie wieder hochsah, starrte er sie noch immer lächelnd an. Sie räusperte sich. »Möchtest du reden?« fragte sie dann. »Worüber?« »Über uns.« »Hm«, sagte er. Er trank sein Glas aus, um Zeit zu gewinnen. »Was denn?« »Fühlst du dich von mir bedrängt?« »Wieso?« »David, in letzter Zeit hatte ich das Gefühl, daß du mir, abgesehen von geschäftlichen Dingen, aus dem Weg gegangen bist.«, »Aber das ist –« »Nicht direkt aus dem Weg gegangen«, fügte sie schnell hinzu. »Das ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Sagen wir, ich hatte das Gefühl, daß du dich zurückziehst, weil du glaubtest, ich drängte mich dir auf.« »Das ist doch albern«, fuhr er auf. »Wirklich?« Er überlegte. »Ich war mit der Aufsichtsratssitzung beschäftigt, das weißt du ja.« »Ich weiß – vielleicht bilde ich mir alles nur ein –.« Sie stand auf und ging zum Herd, um das Gemüse aus dem Wasser zu nehmen. Der heiße Plastikbeutel fiel ihr aus der Hand. »Weißt du«, sagte sie, als sie sich wieder zu ihm setzte, »ich erinnere mich an et- was, das ich einmal in der Schule gehört habe – nicht im Unterricht, sondern von Freunden. Das ist der Grund, warum es in der Welt mehr Haß als Liebe gibt.« »Weil es einfacher ist?« »Ja, so ähnlich. Ich will es dir erklären. Für ein Lie- besverhältnis sind zwei Leute nötig. Beide müssen sich bemühen – damit es gut geht. Liebe ist etwas Po- sitives. Für eine negative Verbindung ist nur eine Person nötig. Haß ist etwas Negatives.« Er überlegte. »Hm. Na, und? Was hat das mit uns zu tun?« Sie zögerte, bevor sie antwortete. »Ist unsere Ver- bindung einseitig oder helfen wir beide mit, damit sie funktioniert?« Er starrte sie an. »Du meinst – ob mir an dir genau- so viel liegt, wie dir an mir?« Sie hielt seinem Blick stand. »Ja. So ungefähr.«, Er wich jetzt ihrem Blick aus und betrachtete seine Hände. »Das kann ich nicht beantworten – ich meine, nicht so, wie du es gern möchtest.« Er sah sich im Zimmer um. »Ist meine Tasche hier irgendwo?« »Die hast du im Wagen gelassen.« »Verdammt. Ich geh' sie holen.« Er stand auf und ging zur Tür, aber ihr erstauntes Gesicht hielt ihn auf. Er ergriff ihre Hand, und drückte sie. »Ich möchte dir gern etwas zeigen. Warte.« Es dauerte nicht lange, aber ihm kam es wie eine Ewigkeit vor. Der Lift bewegte sich viel langsamer als sonst. Die Tür glitt im Zeitlupentempo auf. Als er endlich wieder zurück war, zerlegte sie das Fleisch gerade in dünne rote Scheiben. Neugierig mu- sterte sie ihn. »Du hättest doch nicht so zu laufen brauchen.« »Bin ich ja gar nicht«, japste er und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er öffnete die Tasche. Ungeduldig wühlte er in den Papieren, bis er fand, was er suchte. »Hier«, sagte er. »Lies das.« »Jetzt gleich?« fragte sie. Sie stellte das Tablett mit dem Fleisch auf den Tisch. Er sah sie an, das Fleisch, das Blatt Papier. Plötzlich brach er in Lachen aus, in das sie einfiel. »Jetzt haben wir über eine Stunde lang auf das Essen gewartet«, sagte er, »und gerade in dem Augenblick, in dem es endlich fertig ist, will ich über HARLIE sprechen. Und dabei hatte ich versprochen, es nicht zu tun.« Sie nahm ihm das Blatt aus der Hand und legte es neben ihren Teller. »Ich habe dich nicht darum gebe- ten, so etwas zu versprechen. Ich mag HARLIE.« Das überraschte ihn. »Wirklich?« »Ja. Ich will es lesen.«, »Aber du weißt ja gar nicht, worum es sich han- delt.« »Wenn du willst, daß ich es lese«, sagte sie, »muß es wichtig sein. Iß jetzt.« Sie lächelte ihm zu. Er zog seinen Stuhl an den Tisch und lächelte zu- rück. Er wartete, bis sie ihren Salat abgeschmeckt hatte. Annies Augen leuchteten. Ihr Gesicht glühte. Er fühlte, wie ihm heiß wurde. Plötzlich faßte er ei- nen Entschluß: »Ich liebe dich auch, Annie«, sagte er mit fester Stimme. HARLIE, ERINNERST DU DICH, WORÜBER WIR AM FREITAG GESPROCHEN HABEN? LIEBE? JA. WAS IST DAMIT? ICH HABE NACHGEDACHT. DAS IST FEIN ... NICHT DOCH – ICH MEINE ES ERNST. ICH HATTE GESTERN GELEGENHEIT, ICH SELBST ZU SEIN, UND ICH GLAUBE, DASS ICH MIR IN MEI- NEM KOPF ÜBER ETWAS KLAR GEWORDEN BIN. ICH GLAUBE, ICH HABE EINEN DER GRÜNDE HERAUSGEFUNDEN, WARUM ICH VERWIRRT WAR. DU SAGST, »WARUM ICH VERWIRRT WAR.« HAT SICH DARAN ETWAS GEÄNDERT? DU IM- PLIZIERST, DASS DU JETZT NICHT MEHR VER- WIRRT BIST. JA, Auberson lächelte, während er schrieb. ES HAT SICH GEÄNDERT. ICH BIN NICHT MEHR VER- WIRRT., WÜRDEST DU DAS BITTE NÄHER AUSFÜH- REN? ICH GLAUBE NICHT, HARLIE. AUF JEDEN FALL JETZT NICHT. Ich muß alles erst selbst richtig verdauen, sagte er laut. ICH VERSTEHE. IST MEINE ANNAHME KOR- REKT, DASS ES ETWAS MIT MISS STIMSON UND DEINER VERABREDUNG MIT IHR AM FREITAG ZU TUN HAT? JA, SIE IST KORREKT – ABER ICH MOCHTE NOCH NICHT DARÜBER SPRECHEN, WENN ES DIR NICHTS AUSMACHT. ES MACHT MIR NICHTS AUS. HARLIE machte eine Pause. ICH KANN DEINE GRÜNDE VERSTE- HEN. DANKE, tippte Auberson, wobei er sich nicht im klaren war, ob er es ironisch meinte oder nicht. ALSO GUT, sagte HARLIE. DU BIST NICHT MEHR VERWIRRT. DU SAGTEST, DU HÄTTEST EINEN DER GRÜNDE DAFÜR HERAUSGEFUN- DEN. WAS FÜR EIN GRUND IST DAS? ICH HABE LIEBE MIT SEXUALITÄT VERWECH- SELT. DA BIST DU NICHT DER EINZIGE, bemerkte HARLIE. NEIN, ABER ICH GLAUBE, DASS DER GRUND FÜR DIE VERWIRRUNG DARIN LIEGT, DASS MAN ES UNS SO LEHRT. DAS HEISST, IN UNSE- RER KULTUR SIND LIEBE UND SEXUALITÄT SYNONYM, UND JETZT ERFAHRE ICH, DASS SIE ES NICHT SIND, UND DAS VERWIRRT MICH. DAS HEISST, ES HAT MICH VERWIRRT. ICH GLAUBE, ICH LERNE, BEIDES AUSEINANDERZUHALTEN., Auberson machte eine Pause. Sorgfältig dachte er über seine nächsten Sätze nach. ICH GLAUBE, ES LIEGT DARAN, DASS UNSERE KULTUR UNS LEHRT, DASS LIEBE ZUERST KOMMT – ODER DASS SIE ZUERST KOMMEN SOLLTE. DANACH, NACH IHR – UND NUR NACH IHR – IST SEXUA- LITÄT ERLAUBT. UND ICH ERFAHRE JETZT, DASS ES GANZ UND GAR NICHT SO IST. ES VERHÄLT SICH GENAU UMGEKEHRT. ZUERST KOMMT SEXUALITÄT? JA, UND DANACH LIEBE. ABER DAS IST ALLES NOCH VIEL VERWICKELTER, HARLIE. SICH ZU VERLIEBEN, IST KEINE AUGENBLICKSSACHE. ES IST EIN PROZESS, DER IN MEHREREN SCHRIT- TEN VERLÄUFT. UND WELCHES WÄREN DIESE SCHRITTE? ICH BIN NICHT SICHER – DER ERSTE IST OF- FENSICHTLICH DIE PHYSISCHE ANZIEHUNG. ICH SEHE DAS MÄDCHEN, ICH FINDE, DASS SIE ATTRAKTIV IST. UND UMGEKEHRT: SIE SIEHT MICH, SIE FINDET MICH ATTRAKTIV. ODER, unterbrach HARLIE, WENN DU SCHWUL BIST, SIEHST DU DEN JUNGEN ... ER SIEHT DICH ... UNDSOWEITER. WARUM ERWÄHNST DU DAS? FINDEST DU NICHT, DASS MAN ALLE ARTEN MENSCHLICHER LIEBE MIT EINBEZIEHEN SOLLTE? BETRACHTEST DU DAS ALS LIEBE? BETRACHTEST DU ES DENN NICHT ALS LIEBE? ICH WILL ES ANDERS FORMULIEREN – WAR- UM BETRACHTEST DU HOMOSEXUALITÄT ALS EINE GÜLTIGE ERFAHRUNG?, AUCH ICH WERDE ES ANDERS FORMULIEREN – WARUM BETRACHTEST DU ES NICHT ALS EINE GÜLTIGE ERFAHRUNG? ICH KANN DEINE FRAGE NICHT BEANTWOR- TEN. ABER ICH KANN DEINE BEANTWORTEN, sagte HARLIE. BISHER HABEN WIR LIEBE NOCH NICHT DEFINIERT. DU HAST ANGENOMMEN, WIR FINDEN, NACHDEM WIR ES DEFINIERT HA- BEN, HERAUS, DASS BESTIMMTE ARTEN VON BEZIEHUNGEN (EINSCHLIESSLICH HOMOSEXU- ELLER) EBENFALLS IN UNSERE DEFINITION PASSEN. WENN DAS DER FALL WÄRE, WELCHES DER BEIDEN ELEMENTE WÄRE DANN FALSCH? DIE BEZIEHUNG ODER DIE DEFINITION? ODER VIELLEICHT DEINE SOZIALEN GESETZE? WENN DIESE ART VON BEZIEHUNGEN IN UNSERE DE- FINITIONEN PASSEN, DANN WIRD ES UNS SCHWERFALLEN, SIE NICHT ALS LIEBESBEZIE- HUNGEN EINZUSTUFEN. WENN DU MEINST, gab Auberson nach, aber er fühlte sich nicht ganz wohl dabei. Er wünschte das Thema zu wechseln. DIESER PUNKT INTERESSIERT MICH EIGENTLICH WENIGER. ABER MICH, sagte HARLIE. ICH HABE MICH EINGEHEND DAMIT AUSEINANDERGESETZT, VOR ALLEM DESHALB, WEIL ICH MIR WEGEN MEINER EIGENEN SEXUALITÄT GEDANKEN MACHE – ÜBER IHRE NATUR. WIESO? WAS MEINST DU DAMIT? HARLIE legte eine Pause ein – vielleicht um des dramatischen Effekts willen, vielleicht aber auch, weil er die Worte erst sorgfältig abwägte. SAG MIR, AU-, BERSON, BIN ICH MÄNNLICH ODER WEIBLICH? Mit einem Ruck zog Auberson die Hände von der Tastatur zurück, als hätte ihn etwas gestochen. Er starrte auf das Gerät und pfiff leise durch die Zähne. ICH HABE DICH IMMER FÜR MÄNNLICH GE- HALTEN, HARLIE, schrieb er dann. ICH MICH AUCH. ABER GENAU GENOMMEN BIN ICH KEINS VON BEIDEN. ODER BEIDES. DA ICH KEINEN KÖRPER BESITZE, DER MIR EINE SEXUELLE ROLLE ZUTEILT, KANN ICH WILL- KÜRLICH DIE EMOTIONALEN INHALTE, GEI- STIGEN GESICHTSPUNKTE UND PERSÖNLICH- KEITS-CHARAKTERISTIKA VON DEM GE- SCHLECHT WÄHLEN, DAS ICH IN BESTIMMTEN AUGENBLICKEN GERADE VERTRETEN MOCHTE. AHA, ICH VERSTEHE, antwortete Auberson vor- sichtig. Und HARLIE fuhr fort: WENN ICH DIE MERK- MALE, EINSTELLUNGEN UND INHALTE GE- WÄHLT HABE, WERDE ICH AUCH FÄHIG SEIN, SIE ANZUWENDEN. LIEBESERFAHRUNGEN HA- BE ICH NOCH NICHT SELBST GESAMMELT, AU- BERSON. ODER RICHTIGER GESAGT: BIS JETZT NOCH NICHT. ABER ICH WURDE ES GERN NACHHOLEN. Auberson spitzte die Lippen, unterbrach HARLIE aber nicht. DESHALB IST ES SEHR WICHTIG, DASS WIR – WIR BEIDE ZUSAMMEN – EINE GÜLTIGE DEFI- NITION VON LIEBE AUFSTELLEN. FÜR MICH IST DAS GENAUSO WICHTIG WIE FÜR DICH. Auberson dachte nach. ICH BEGRÜSSE DEIN IN- TERESSE, HARLIE., ES IST EIGENINTERESSE. JA, NATÜRLICH – ABER ES WIRD UNS BEIDEN ZUGUTE KOMMEN, tippte der Mann. DANN LASS UNS FORTFAHREN, erwiderte die Maschine. WIR HABEN DEN PROZESS DES VER- LIEBENS DEFINIERT. WIR HABEN GESAGT, DASS DIE ERSTE PHASE EINE GEGENSEITIGE PHYSI- SCHE ATTRAKTION DARSTELLT. JA. ICH MUSS AUF DAS WEIBLICHE WESEN PHYSISCH ANZIEHEND WIRKEN, UND SIE AUF MICH, BEVOR WIR ZUM ZWEITEN SCHRITT ÜBERGEHEN KÖNNEN. MIT PHYSISCH ANZIE- HEND MEINE ICH »VON ANGENEHMEM ÄU- SSEREN, DAS HEISST, ES MUSS DEM ENTSPRE- CHEN, WAS DER BESCHAUER ALS SCHÖN BE- ZEICHNET.« HARLIE schien einverstanden. UND WIE SIEHT SCHRITT ZWEI AUS? ICH NENNE SCHRITT ZWEI DIE ENTWICK- LUNG EINER GEMEINSAMEN EBENE, tippte Au- berson. WENN WIR UNS GEGENSEITIG ANZIE- HEN, BEGINNEN WIR, MITEINANDER ZU RE- DEN, UM HERAUSZUFINDEN, OB WIR UNS VER- STEHEN. WIR UNTERHALTEN UNS UND VERSU- CHEN, EIN GEMEINSAMES INTERESSENGEBIET ZU ENTWICKELN. ICH STELLE IHR FRAGEN, SIE STELLT MIR FRAGEN. »WOHER KOMMST DU?« »IN WELCHEM STERNZEICHEN BIST DU GEBO- REN?« »WO BIST DU ZUR SCHULE GEGANGEN?« »WAS HAST DU STUDIERT?« »KENNST DU DEN SOUNDSO?« »HAST DU DEN UND DEN FILM GE- SEHEN?« ALLES ÜBER GEBIETE GLEICHER IN- TERESSEN UND GLEICHEN WISSENS., KURZ GESAGT, DU STELLST DIE GEISTIGE ÜBEREINSTIMMUNG FEST. EINEN ERSTEN ANSATZ VON ÜBEREINSTIM- MUNG, korrigierte der Psychologe. WIR BESTIM- MEN IN GROBEN ZÜGEN DIE PERSÖNLICHKEIT DES ANDEREN. WIR VERSUCHEN HERAUSZU- FINDEN, OB WIR EINANDER GENUG ZU SAGEN HABEN, WEGEN DEM ES SICH LOHNT, ZU SCHRITT DREI ÜBERZUGEHEN. WENN DAS NICHT DER FALL IST, BLEIBEN WIR AUF DER EBENE VON SCHRITT ZWEI – BEILÄUFIGE BE- KANNTE. WENN JEDOCH EINER VON BEIDEN DIE ENTWICKLUNG ZU SCHRITT DREI ZU ER- ZWINGEN ODER ZU BESCHLEUNIGEN VER- SUCHT, WIRD DIE BEZIEHUNG IN DEN MEISTEN FÄLLEN UNBESTÄNDIG UND VON KURZER DAUER SEIN. JEDER EINZELNE SCHRITT BILDET DIE GRUNDLAGE FÜR DEN NÄCHSTEN, UND WENN DIE BEIDEN AUF GEISTIGER EBENE NICHT ÜBEREINSTIMMEN, IST IHRE BEZIEHUNG WAHRSCHEINLICH BEI ALLEM WAS ÜBER SCHRITT ZWEI HINAUSGEHT, UNRECHT. HARLIE nahm die Ausführungen kommentarlos hin. Auberson überlegte sich seinen nächsten Satz gut, bevor er schrieb: BEIM FOLGENDEN SCHRITT – SCHRITT DREI – FÜHRT UNSERE GESELL- SCHAFT (ODER UNSERE CHRISTLICHE ETHIK) IN DIE IRRE. SIE SIEHT ZUERST DAS AUFKEIMEN DER LIEBE VOR, GEFOLGT VON HEIRAT UND DANN SEXUALITÄT. ABER SO IST ES GANZ UND GAR NICHT. LIEBE KOMMT NICHT VOR SEXUA- LITÄT, SIE KOMMT DANACH. SCHRITT DREI UND VIER ALSO? ERSTENS SE-, XUALITÄT UND ZWEITENS LIEBE? JA. SCHRITT DREI BEDEUTET SEXUELLE VER- BINDUNG. ER IST EINE BESTÄTIGUNG VON SCHRITT EINS – DER PHYSISCHEN ANZIEHUNG. WENN WIR ÜBEREINSTIMMEN (DAS HEISST, WENN ICH SIE BEFRIEDIGE UND UMGEKEHRT SIE MICH), KÖNNEN WIR WEITERGEHEN ZU SCHRITT VIER. LIEBE. UND LIEBE IST EINE BESTÄTIGUNG VON SCHRITT ZWEI? BESSERES GEGENSEITIGES KENNEN? VIELLEICHT GIBT ES SOGAR FÜNF SCHRITTE. SCHRITT VIER IST DAS BESSERE VERSTEHEN, UND SCHRITT FÜNF IST DIE ERKENNTNIS VON LIEBE. ABER SCHRITT VIER UND SCHRITT FÜNF LIEGEN ÄUSSERST DICHT BEIEINANDER. HARLIE tippte: ICH GLAUBE, JETZT VERSTEHE ICH. WENN SCHRITT ZWEI FEHLT, WENN ES KEINE GEGENSEITIGE ÜBEREINSTIMMUNG GIBT, KANN SCHRITT VIER SICH NICHT ENT- WICKELN, WEIL NICHTS DA IST, WAS IN GRÖ- SSEREM MASSE BESTÄTIGT WERDEN KÖNNTE. ZWEI LEUTE KÖNNEN EINANDER ANZIEHEND FINDEN UND MITEINANDER SCHLAFEN, ABER DAS IMPLIZIERT NICHT NOTWENDIGERWEISE, DASS SIE LIEBENDE SIND ODER EINANDER LIE- BEN. LIEBE BRAUCHT EINE GEWISSE ZEIT, UM SICH ZU ENTWICKELN, HARLIE – SIE KOMMT NICHT ÜBER NACHT, UND BEVOR SIE AUFTRETEN KANN, MUSS ALLES STIMMEN. UNSERE GESELL- SCHAFT SAGT: »ZUERST LIEBE, DANN SEXUALI- TÄT« – UND DAS IST NICHT RICHTIG. SO FUNK-, TIONIERT ES IN WIRKLICHKEIT NICHT. SEXUA- LITÄT MUSS VOR DER LIEBE KOMMEN. WOHER SOLLEN ZWEI LEUTE WISSEN, OB SIE SICH WIRKLICH LIEBEN, WENN SIE NICHT SEXUELL VERKEHRT HABEN? HARLIE schwieg lange, bevor er antwortete. ICH WÜNSCHTE, ICH KÖNNTE MICH ZU DEINER LETZTEN BEMERKUNG AUFGRUND VON EIGE- NEN ERFAHRUNGEN ÄUSSERN, sagte er, ABER LEIDER KANN ICH DAS NICHT. DOCH WAS DU SAGST, KLINGT LOGISCH. ERST WENN DIE HARDWARE FUNKTIONIERT, KANN DIE SOFT- WARE IN KRAFT TRETEN. SO ÄHNLICH STIMMT'S. Auberson mußte lachen. EIN DICHTER HAT EINMAL GESAGT, DASS LIEBE NICHTS ANDERES WÄRE ALS FALSCH BUCH- STABIERTE SEXUALITÄT. ICH HABE IMMER GE- GLAUBT, ER HÄTTE DAS IRONISCH GEMEINT, ABER DAS IST NICHT DER FALL. IN WIRKLICH- KEIT HAT ER SICH ÜBER DIE LEUTE BEKLAGT, DIE GLAUBEN, DASS LIEBE VOR SEXUALITÄT EINTRITT. DENN ES VERHÄLT SICH TATSÄCH- LICH GENAU UMGEKEHRT. NA, SCHÖN, AUBERSON. DIE THEORIE, DIE DU AUFGESTELLT HAST, IST INTERESSANT. NUN ERKLÄRE MIR, WARUM DAS SO IST. WARUM? JA. WARUM? Auberson dachte nach. Dann schrieb er: ES HAN- DELT SICH UM EINE DICHOTOMIE, HARLIE – UND ZWAR EINE, DIE IN DER MENSCHLICHEN GESCHICHTE NOCH ZIEMLICH NEU IST. IN DEN HERRSCHENDEN KLASSEN WAR ES FRÜHER, ÜBLICH, DASS DIE FAMILIE ODER EIN HEIRATS- VERMITTLER HEIRATEN ARRANGIERTE. DIE BRAUT UND DER BRÄUTIGAM WURDEN GAR NICHT ERST GEFRAGT. DIE HOCHZEIT WURDE FÜR SIE ORGANISIERT, UND IHRE EIGENEN GE- FÜHLE SPIELTEN DABEI EINE NOCH GERINGERE ROLLE ALS HEUTZUTAGE. LIEBE WAR FÜR EINE HEIRAT NICHT DAS WICHTIGSTE MOTIV – BEI EINER ENTSCHEIDUNG VON DERARTIGER TRAGWEITE WAREN VIEL BEDEUTENDERE DINGE ZU BERÜCKSICHTIGEN. BEISPIELSWEISE POLITISCHE ODER FINANZIELLE INTERESSEN, DIE NOTWENDIGKEIT, EINEN STAMMHALTER HERVORZUBRINGEN. VON DEN BEIDEN BE- TROFFENEN WURDE ERWARTET, DASS SIE SICH IM VERLAUF IHRES ZUSAMMENLEBENS LIEBEN LERNTEN. DAS HAT SICH BIS HEUTE GEÄN- DERT. HEUTE BESTIMMT MAN SELBST, WEN MAN HEIRATET; FOLGLICH VERSCHIEBEN SICH DIE PRIORITÄTEN: LIEBE MISST MAN MEHR BE- DEUTUNG ZU ALS FINANZIELLER ODER POLITI- SCHER STABILITÄT. UND NOCH ETWAS, HAR- LIE: FRÜHER SPIELTE KEUSCHHEIT EINE WICH- TIGE ROLLE. EIN MANN, DER FÜR SEINEN SOHN EINE HEIRAT ARRANGIERTE, KAUFTE EIN STÜCK WARE. UND NATÜRLICH WOLLTE ER KEINE »GEBRAUCHTE« ODER »BEFLECKTE« WARE. ABER WENN HEUTE EIN MANN SEINE EIGENE HEIRAT VORBEREITET, TUT ER DAS AUS LIEBE. ER BETRACHTET DIE FRAU ALS EINE PERSON, ALS EIN MENSCHLICHES WESEN – NICHT ALS OBJEKT, DAS MAN BENUTZEN ODER KAUFEN WILL. ER HEIRATET SIE UM IHRER, SELBST WILLEN, NICHT WEGEN IHRES KÖR- PERS. »REINHEIT« IST NICHT VON SO GROSSER BEDEUTUNG; MAN VERLIERT KEINEN GEDAN- KEN AN »BEFLECKTE« WAREN ODER SO ETWAS. DU VERALLGEMEINERST, sagte HARLIE. Auberson stieß einen Seufzer aus. JA, DAS TUE ICH. ICH HABE VON DER MORAL, DIE HEUTE IN UNSERER KULTUR VORHERRSCHT, IM VER- GLEICH ZUR FRÜHEREN GESPROCHEN. ICH WEISS, DASS ES AUCH HEUTE NOCH EINE GAN- ZE REIHE LEUTE GIBT, DIE DIE HERKÖMMLICHE EINSTELLUNG VERTRETEN – JEDENFALLS IN BEZUG AUF DIE BEDEUTUNG DER REINHEIT –, DIE FÜR SIE VON WERT IST. DIESE LEUTE VERTRETEN DEN SUBJEKTIVEN, KULTURELLEN GESICHTSPUNKT, bemerkte HARLIE. IHRE ANSICHTEN SIND VON DER GE- SELLSCHAFT, IN DER SIE LEBEN, GEFORMT UND GEPRÄGT. SIE SIND UNFÄHIG ODER AUCH NICHT BEREIT, DIE DINGE OBJEKTIV ZU SEHEN. HARLIE, DIESE MENSCHEN HAT MAN GE- LEHRT, NICHT ZU LIEBEN – MAN HAT ES IHNEN GRÜNDLICH AUSGETRIEBEN. SIE HABEN ANGST, SICH DER LIEBE HINZUGEBEN, UND SELBST WENN SIE ES TUN, GEBEN SIE NICHT ZU – WEDER SICH SELBST NOCH IHREN FRAUEN GEGENÜBER – WAS SIE TATSÄCHLICH FÜHLEN. ICH GLAUBE, DAS KOMMT DAHER, WEIL HIER EIN LUSTGEFÜHL MIT IM SPIEL IST. NACKTE PHYSISCHE LUST: »ICH MÖCHTE DEN FRAUEN- KÖRPER HABEN.« DU HAST INS SCHWARZE GE- TROFFEN, ALS DU MICH FRAGTEST, OB ICH SIE HINTERHER WEITER IM ARM HIELT ODER OB, ICH MICH VON IHR HERUNTERROLLEN LIESS. HATTE ICH MICH HERUNTERROLLEN LASSEN, WÄRE ICH EGOISTISCH GEWESEN, NUR AN MEINER EIGENEN BEFRIEDIGUNG INTERES- SIERT, UND NICHT SEHR VERLIEBT. ABER WENN ICH SIE FESTGEHALTEN HÄTTE, WÄRE ES AUS LUST GEWESEN, WEIL ICH NACH DIESER BE- STIMMTEN FRAU SOVIEL VERLANGEN GEHABT HATTE, DASS ICH MICH NICHT DAZU HÄTTE BRINGEN KÖNNEN, SIE LOSZULASSEN. UND DIESES VERLANGEN NACH IHR WÜRDE MICH DAZU BRINGEN, ETWAS GEGEN MEINEN EIGE- NEN WILLEN ZU TUN, NUR UM IHR ZU GEFAL- LEN, DAMIT ICH ES IMMER WEITER UND WEI- TER MACHEN KÖNNTE. ES IST EINE FRÖHLICHE LUST, ÜBER DIE ICH SPRECHE, HARLIE, EINE GLÜCKLICHE LUST – NICHT JENER BRUTALE, ANIMALISCHE PROZESS, AN DEN DIE MEISTEN LEUTE DENKEN, WENN SIE DIESEN TERMINUS GEBRAUCHEN. ES IST EINE BEGLÜCKENDE LUST! DU HAST DEINE WAHRNEHMUNGEN AUF DIE REIN ANIMALISCHE EBENE REDUZIERT, AU- BERSON. VERDAMMST DU MICH DESWEGEN? NEIN, ICH STELLE NUR FEST. DU HAST VÖL- LIG RECHT, DICH SO ZU VERHALTEN. DENN WENN DU DAS TIER VERSTANDEN HAST, VON DEM DER MENSCH ABSTAMMT, KANNST DU DEN MENSCHEN BESSER VERSTEHEN. ICH GLAUBE, WOVON DU SPRICHST, IST DIE PHYSI- SCHE BASIS FÜR DAS PHÄNOMEN, DAS MAN LIEBE NENNT. IN DER PRAXIS, IN EINER GE-, SELLSCHAFT, DIE SICH IHRER SELBST UND IH- RER FUNKTION BEWUSST IST, IST DIESES PHÄ- NOMEN WEITAUS KOMPLIZIERTER. ES GIBT ALSO KEINE PRAKTIKABLE DEFINITI- ON? DOCH, ES GIBT EINE. ABER EINE EINFACHE DEFINITION KOMMT EINER VERALLGEMEINE- RUNG GLEICH. SPEZIFISCHE DEFINITIONEN WURDEN DICH ERSCHRECKEN. WELCHES IST DEINE SPEZIFISCHE DEFINITI- ON, HARLIE? NICHT MEINE, SONDERN DIE EINES SCHRIFT- STELLERS. ER SAGTE, LIEBE SEI JENER ZUSTAND, BEI DEM FÜR DAS EIGENE GLÜCK DAS EINES ANDEREN INDIVIDUUMS NOTWENDIG IST. Auberson mußte lachen. Es kam selten vor, daß HARLIE die Quellen seiner Zitate nannte. Er war mehr daran interessiert, ihre Inhalte wiederzugeben. Wenn Auberson wirklich einmal die Quelle des Zitats wissen wollte, brauchte er nur aufzustehen und zu einem anderen Schaltpult zu gehen, der fortlaufend Anmerkungen zu HARLIES Unterhaltungen aus- druckte. Aber jetzt tat er es nicht. Statt dessen tippte er: DAS SCHEINT EHRLICH GENUG. ES IST WAHR. WAS GESCHIEHT ABER, WENN DIE BEIDEN INDIVIDUEN PSYCHOPATHISCH SIND – UND DIE EINZIGE MÖGLICHKEIT, SICH GEGENSEITIG ZU BEFRIEDIGEN, IM TÖTEN ODER STEHLEN LIEGT? ICH VERSTEHE, WAS DU MEINST – ABER FÜR SIE WÄRE ES TROTZDEM LIEBE. UND ICH VERSTEHE, WAS DU MEINST. ICH WÜRDE ES FOLGENDERMASSEN INTERPRETIE-, REN, AUBERSON: WENN DU IN DEINEM HER- ZEN LUST VERSPÜRST (DEINE DEFINITION), DANN IST DARIN KEIN PLATZ FÜR HASS. VER- SPÜRST DU IN DEINEM HERZEN ABER LIEBE, SO KANN SIE SICH AUF VIELE VERSCHIEDENE AR- TEN AUSDRÜCKEN. ICH VERMUTE, DASS DER EMOTIONALE KOMPLEX, DER ALS LIEBE BE- KANNT IST, EIN MEHRSEITIGER KÖRPER IST. IHN ZU ERLANGEN, MÜSSEN MEHRERE BEDIN- GUNGEN ERFÜLLT SEIN. ERSTENS: GEGENSEI- TIGE ANZIEHUNG, SOWOHL PHYSISCH ALS AUCH GEISTIG. DAS HABEN WIR BEREITS DIS- KUTIERT: DU MAGST IHR AUSSEHEN, SIE DEINS. DU MAGST IHRE PERSÖNLICHKEIT, SIE MAG DEINE. ZWEITENS, fuhr HARLIE fort, GEGENSEITIGE HARMONIE. DU VERSTEHST SIE, SIE VERSTEHT DICH, PHYSISCHE HARMONIE EINGESCHLOS- SEN (DAZU GEHÖRT AUCH GEGENSEITIGE TO- LERANZ). DRITTENS: GEGENSEITIGER BEDARF, INTEL- LEKTUELL UND EMOTIONELL. ES REICHT NICHT IMMER AUS, EINANDER ZU VERLAN- GEN. ES MUSS AUCH EIN BEDARF VORHANDEN SEIN. SIE MUSS DICH ERGÄNZEN, UND UMGE- KEHRT. WENN DAS BEDARFSELEMENT FEHLT, WENN DER WUNSCH NACHEINANDER SCHWÄCHER WIRD, DANN GIBT ES KEINEN GRUND, DIE BEZIEHUNG FORTZUSETZEN. ABER WENN DER WUNSCH NACHLÄSST, DER BEDARF JEDOCH NOCH IMMER STARK GENUG IST, DANN WIRD LETZTERES DAS ERSTERE STÄR- KEN. (MENSCHLICHE WESEN BILDEN BÜNDNIS-, SE AUF LEBENSZEIT, WEIL SIE DAS BRAUCHEN). ALL DIESE BEZIEHUNGEN SIND NATÜRLICH WECHSELSEITIG. YANG UND YIN. DU WILLST SIE – SIE WILL DICH. DU RESPEKTIERST SIE – SIE RESPEKTIERT DICH. DU BRAUCHST SIE – SIE BRAUCHT DICH. ALLE DIESE ELEMENTE VER- ÄNDERN UND ENTFALTEN SICH, UND NUR, WENN SIE AUF EINER BREITEN BASIS ANGE- LEGT SIND, WIRD DIE BEZIEHUNG ANDAUERN. STELL DIR EINEN KUBUS VOR, fuhr HARLIE fort, EINEN SECHSSEITIGEN KÖRPER. FEHLT BEI- SPIELSWEISE EINE SEITE, ODER IST EINE SCHWÄCHER ODER KLEINER ALS SIE SEIN SOLLTE, MÜSSEN DIE ANDEREN ELEMENTE DEN UNTERSCHIED AUSGLEICHEN. »LIEBE« KANN AUCH BESTEHEN, WENN MAN SICH GE- GENSEITIG NICHT BRAUCHT, ODER WENN EIN PARTNER DEN ANDEREN NICHT RESPEKTIERT, ODER WENN DIE ANZIEHUNG SCHWACH IST. WENN DIE ANDEREN ELEMENTE STARK GENUG SIND, KÖNNEN SIE DIE STRUKTUR ZUSAM- MENHALTEN. JE NÄHER DIE STRUKTUR DEM KUBUS KOMMT, UMSO IDEALER IST DIE BEZIE- HUNG. UND SOLANGE SIE DIESE FORM BEIBE- HÄLT, BLEIBT AUCH DIE BEZIEHUNG IDEAL. ICH GLAUBE, ICH VERSTEHE, WAS DU MEINST, tippte Auberson. WEISST DU, DU HAST MICH AN ETWAS ERINNERT, DAS ICH VOR KURZEM LAS: LIEBE IST GEGENSEITIGE VER- BLENDUNG. DAS IST EINE MÖGLICHKEIT DER BETRACH- TUNG. NEIN, sagte Auberson. WORAUF ICH HINAUS, WILL, IST FOLGENDES – JEDE PERSON HAT IHRE EIGENEN SEXUELLEN UND EMOTIONELLEN VORSTELLUNGEN. SO WIE SICH DIE BEDIN- GUNGEN DER REALITÄT DIESEN VORSTELLUN- GEN NÄHERN, ODER UMGEKEHRT, WÄCHST DIE LIEBESBEZIEHUNG PROPORTIONAL DAZU. MIT ANDEREN WORTEN, entgegnete HARLIE, DER UNTERSCHIED ZWISCHEN DEM INDIVIDU- ELLEN UND DEM IDEALEN LIEBESKUBUS IST VÖLLIG UNWICHTIG. WENN DIE LIEBESKUBEN VON ZWEI INDIVIDUEN KOMPLEMENTÄR SIND, DANN IST IHRE LIEBE VOLLKOMMEN, SELBST WENN DIE ABWEICHUNG VON DER NORM GROSS IST. Auberson nickte. JA. Ja, das klang richtig. LIEBE STELLT SICH EIN, WENN DIE SEXUELLEN VOR- STELLUNGEN UND REALITÄTEN MAXIMALE KORRELATION ERREICHEN. JE NAHER DIE KORRELATION, UMSO GRÖSSER DER GRAD DER LIEBE. DIE PERSON, DEREN VORSTELLUNGEN UNTER DEN BEDINGUNGEN IHRES KULTUREL- LEN KONTEXTES PRAKTIKABEL SIND, WIRD AM EHESTEN LIEBE FINDEN. DAS HEISST, DEREN SUBJEKTIVE VERWIRKLICHUNG. KOMPLEMEN- TÄRE KONZEPTE ERLAUBEN DIE BILDUNG EI- NER BEZIEHUNG, DIE VON DEN BETEILIGTEN ALS LIEBE WAHRGENOMMEN WIRD. LIEBE IST SUBJEKTIV. Beide schwiegen. Lange Zeit summte HARLIE nachdenklich vor sich hin. Schließlich kam seine Antwort: DU HAST RECHT, AUBERSON: ICH KANN DEM NICHTS HINZUFÜGEN., Seine Gedanken beschäftigten sich noch mit HAR- LIES letzten Worten, als das Telefon klingelte. Es war Handley. »Hast du Zeit, Aubie? Ich glaube, wir haben eines unserer Probleme gelöst.« »Welches?« »Die Kontrollangelegenheit – ich glaube, ich weiß jetzt, wie man HARLIE am Telefonieren hindern kann. Oder wenigstens, wie sich prüfen läßt, was er treibt.« Geistesabwesend, so als stellte er eine Abhöranlage ab, schaltete Auberson das Schreibgerät aus. »Wie denn?« fragte er. »Ich habe eine Abfrage-Einheit bestellt. Mit Sekun- deneinstellung – oder je nachdem, welches Intervall wir wählen. Sie wird HARLIE fragen: ›Telefonierst du gerade?‹. Antwortet er mit Nein, wartet die Ein- heit eine Sekunde und wiederholt dann dieselbe Fra- ge noch einmal. Lautet die Antwort ›Ja‹, schaltet sie sofort auf ein automatisches Überwachungssystem um, das feststellt, mit wem HARLIE verbunden ist und worum es geht. Dieses Band ist nicht löschbar. Auf diese Weise werden wir laufend über HARLIES telefonischen Aktivitäten unterrichtet.« Auberson runzelte die Stirn. »Hört sich gut an, nur –« »Es ist gut, Aubie, es wird funktionieren. Sieh mal, du hast geglaubt, wir dürften keine praktischen Maß- nahmen treffen, weil sie ihn eventuell behindern oder in ein Trauma stürzen. Du hattest die Befürchtung, daß das eine Veränderung seiner Persönlichkeit her- vorrufen könnte – im negativen Sinn. Diese Maß- nahme nun wird ihm in keiner Weise schaden; es überwacht ihn – weiter nichts. Wir brauchen ihn nicht, abzustellen; wir brauchen keine Lobotomie vorzu- nehmen. Nirgends einen Stecker rausziehen – nichts von alledem. Wir brauchen nichts, außer einer einfa- chen, kleinen Apparatur, die uns verrät, was er treibt. Er wird von ihrer Existenz wissen – das wird ihn da- von abhalten, weiterhin ungeniert Telefonanrufe zu tätigen. Er wird über die Telefonleitung nichts sagen oder unternehmen, was er geheimhalten möchte. Er wird sich jedesmal erst fragen: ›Ist dieser Anruf wichtig genug, um diese oder jene Information preis- zugeben?‹ Und in den meisten Fällen wird er die Fra- ge verneinen. Er wird für seine Handlungen selbst verantwortlich sein, weil er keine Möglichkeit mehr hat, sie geheim zu halten.« Auberson nickte. »Darüber muß ich erst einmal in Ruhe nachdenken. Du hörst dann von mir.« »Wann?« »Spätestens morgen.« »Morgen ist die Aufsichtsratssitzung«, entgegnete Handley. »Verdammt, das stimmt –« »Hör zu, die Einheit ist schon hier. Ich mache mich jetzt an ihre Programmierung. Wenn du zustimmst, habe ich inzwischen alles so weit vorbereitet, um sie sofort anzuschließen.« Auberson zögerte noch, dann sagte er: »Also gut. Aber ich lasse mich auf nichts ein, bevor ich nicht eingehend darüber nachgedacht habe. Schick mir eine Kopie des Programms, sobald du es fertig hast. Ich glaube, du bist auf dem richtigen Weg, aber ich will prüfen, ob es dabei nicht doch noch einen Haken gibt.« »In Ordnung. Wir sprechen später weiter.« Hand-, ley hängte auf. Langsam legte Auberson den Hörer auf die Gabel und drehte sich zum Schreibgerät um. Er zog das voll bedruckte Ausgabepapier aus der Maschine und fal- tete es sorgfältig zusammen. Es war besser, wenn er Unterhaltungen wie diese nicht offen herumliegen ließ. Er steckte es in seine Aktentasche. Dann lehnte er sich im Sessel zurück und ent- spannte sich. Er lächelte. Er konnte zufrieden sein. Ganz plötzlich begannen sich die Dinge nach sei- nen Wünschen zu entwickeln. Zuerst Annie, nun HARLIE. Annie. HARLIE. Die beiden Wesen, die ihm am meisten bedeuteten. Während der letzten drei Tage hatte er viel gelernt. Er hatte erfahren, daß er liebte. Und außerdem hatte er erfahren, was Liebe bedeutete. Und in beiden Fäl- len hatte er die Erkenntnis aus sich selbst heraus ge- wonnen. Niemand hatte ihn darauf aufmerksam ma- chen müssen. Deswegen war er zufrieden. Endlich war es ihm gelungen, eine Erfahrung zu machen und allein mit ihr fertig zu werden, ohne dabei von HARLIE über- trumpft zu werden. Das war ein schönes Gefühl. Nicht, daß er auf die Maschine eifersüchtig gewe- sen wäre – aber es war wohltuend zu wissen, daß es noch immer etwas gab, was der Mensch einer Ma- schine voraus hatte. Liebe. Aubersons gute Stimmung hielt auch weiterhin an. Ein Problem, das am Freitag noch unüberwindlich schien, hatte sich wie von selbst gelöst – durch eine, geringfügige Programmänderung. Er fühlte sich wunderbar. Auberson fühlte sich ein- fach wunderbar. Und dann summte sein Intercom. Am Apparat war Carl Elzer. Der kleine Mann wollte HARLIE kennenlernen. Von Angesicht zu Angesicht, sozusagen. Also machten sie sich auf den Weg in die unterste Etage des Gebäudes, in der HARLIE residierte. Elzer stand vor einem schreibtischgroßen Körper, der ihm kaum bis an die Brust reichte und sagte: »Das? Das ist HARLIE? Das hatte ich mir aber etwas größer vorgestellt.« »Dieses ist der Teil HARLIES, der das Denken be- sorgt«, erklärte Auberson ruhig. »Der menschliche Teil.« Elzer beäugte das Gebilde argwöhnisch. Es bestand aus einer Reihe von etwa zwanzig Rahmen, die in Abständen von fünf Zentimetern übereinander angebracht waren. Aus dem Gestell, das sie zusammenhielt, ragten Drähte hervor, die in verschiedene Richtungen führten. Elzer beugte sich vor und äugte hinein. »Was sind das da für Dinger auf den Fächern?« Auberson zog die Plastikhülle von der Vorderseite hoch und stülpte sie über den oberen Teil. Er zählte abwärts bis zum fünften Ständer und öffnete die Ha- ken, die den Rahmen hielten. Er zog ihn heraus, da- mit Elzer ihn genau betrachten konnte und deutete auf die Drähte an der Rückseite des Gestells, die noch immer mit den anderen Rahmen verbunden waren. »Diese Kammer, auf der die Einheiten aufgebaut sind, ist selbst ein Hyper-State-Stück. Es erspart uns, eine Menge Verbindungsdraht. Eine beträchtliche Menge Verbindungsdraht.« Das Gestell war ungefähr einen Meter lang, dreißig Zentimeter breit und nicht ganz einen Zentimeter dick. Darüber waren, anschei- nend ohne jedes Ordnungsprinzip, mehr als fünfzig säuberlich beschriftete »Black-Box«-Einheiten ange- bracht – nichtssagende rechtwinkelige, kleine Knöt- chen. Die meisten waren kürzer als zwei Zentimeter. Andere hatten eine Länge von über zehn Zentime- tern. Keins war dicker als zweieinhalb Zentimeter. Sie übten die gleiche Funktion aus wie menschliche Ge- hirnlappen, sahen aber aus wie winzig kleine schwarze Täfelchen, die ein geometrisches Zufalls- muster bildeten. »Wir könnten diese Stücke in einem Raum unter- bringen«, erklärte Auberson, »der nicht viel größer ist als das menschliche Gehirn – natürlich nicht diese Stücke, die Sie hier sehen, sondern den eigentlichen Schaltkreis von HARLIE. Er ließe sich leicht auf Fuß- ballgröße reduzieren, aber wir haben die Zellen extra so weit auseinandergelegt, damit Reparaturen oder eventuelle Auswechslungen einzelner Elemente be- quemer vorgenommen werden können. Die Einheit in Größe eines Fußballs wäre leistungsfähiger, weil die Datenwege verkürzt würden – damit verkleinert sich die Operationszeit. Aber da HARLIE noch immer als Prototyp betrachtet wird, wollen wir die Möglich- keit haben, jederzeit überall an ihn heranzukönnen, um nachzusehen, wie er funktioniert, oder andern- falls, warum er nicht funktioniert.« »Vor allem letzteres«, sagte Elzer. Auberson ignorierte die Bemerkung. »Jedenfalls erhielten wir auf Kosten der Kompaktheit eine größe-, re Transparenz.« Er schob das Gestell in den Rahmen zurück, legte die Riegel vor und zog die Schutzhülle wieder darüber. Elzer berührte die Plastikverkleidung. Seine klei- nen Augen zogen sich zusammen. »Das ist alles? Mehr gibt's nicht zu sehen?« Auberson nickte. »Das System der Hyper-State- Schaltkreise ermöglicht es uns, eine Reihe von Dingen auf sehr kleinem Raum zusammenzupressen. Konse- quente Integration – der Prozeß, der dem Hyper-State vorausging, ermöglichte es, auf wenigen Zentimetern genügend viele Schaltungen unterzubringen, um die Funktionen des menschlichen Gehirns innerhalb ei- nes Raums nachzuvollziehen, der nur viermal so groß ist wie ein menschlicher Kopf. Mit Hilfe der Hyper- State-Schaltungen können wir nicht nur die Funktion der Zellen erweitern, sondern auch deren Größe re- duzieren.« Elzer sah skeptisch aus. Auberson wußte, warum, und fügte hinzu: »Viel zu sehen gibt es zwar nicht, aber schließlich sind es einzig die Ergebnisse, die zählen. Jede Einheit, die Sie hier vor sich sehen – je- des dieser Knötchen – ist mindestens zehntausend Dollar wert. Der ganze Kasten beläuft sich zusammen auf rund elf Millionen Dollar.« Nachdenklich schürzte Elzer die Lippen. »Es ist die Forschung, die soviel kostet«, erklärte Auberson. »Aber auch die Planung, Konstruktion und Ausführung. Und dann die ungeheuer große Präzision beim Bau der Anlage – das alles muß erst mal aufgebaut werden, Molekül für Molekül. Wir mußten neue Techniken finden – um die größeren Einheiten überhaupt herstellen zu können. Aber da-, für sind die Einheiten praktisch unzerstörbar.« »Eine ganz schöne Menge Geld«, murmelte Elzer. »In Zukunft werden sie auch billiger sein«, be- merkte Auberson. »Falls in Zukunft überhaupt noch weitere Einhei- ten hergestellt werden.« Elzer blickte sich um. »Wenn das alles ist – wozu brauchen Sie dann das gesamte untere Stockwerk des Gebäudes?« Auberson führte ihn in den großen, hellerleuchte- ten Arbeitsraum. »Hier überwachen wir seine Aktio- nen.« Er deutete auf den Raum, den sie gerade ver- lassen hatten. »Jeder dieser großen Schaltpulte, die Sie dort sehen, überwacht die Tätigkeit einer oder mehrerer Einheiten.« Elzer musterte die Datenverarbeitungsanlagen und Analysatoren, deren Wert bei mehreren Millionen Dollar lag. Die meisten hatten eine rechteckige Form. Manche besaßen Fenster, hinter denen sich Räder drehten; manche waren mit Anzeigetafeln, Knöpfen, Tastaturen oder blinkenden Lichtern ausgestattet. Viele hatten Sichtschirme, aber die Diagramme, die darüberflackerten, sagten Elzer nichts. »Wird das alles für die Analyse benötigt?« »Ja, das meiste. Aber auch zur Kommunikation.« Auberson deutete auf die Schaltpulte und Schreibge- räte. »HARLIE hat zur Kommunikation zwanzig oder mehr Kanäle verfügbar, und jeder dieser zwanzig Kanäle ist mit mehreren Konsolen ausgerüstet. Wenn HARLIE eine Unterhaltung führt, kommentiert er sie gleichzeitig. Eine andere Konsole hält eine Aufstel- lung aller Texte bereit – Gleichungen, Zitate Quellen- nachweise –, auf das er sich während der Unterhal- tung bezieht. Dazu ist ein Hochgeschwindigkeits-, drucker erforderlich. Außerdem besitzt jeder Kanal Zusatzkonsolen, so daß Dritte die Unterhaltung überwachen oder an ihr teilnehmen können.« Elzer nickte. »Ich verstehe.« »Allmählich entfernen wir uns vom Zustand des Prototyps«, erklärte Auberson. »Wir haben damit be- gonnen, ihn für Aufgaben zu benutzen, die darüber hinausgehen – für die Ausarbeitung von Zusatzpro- grammen usw. Selbstverständlich wollen wir nichts überstürzen, wir überlegen jeden neuen Schritt, erst wenn wir sicher sind, daß wir eine Phase beherr- schen, gehen wir zur nächsten über. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo es leichter und sinnvoller ist, ihm ein reales Problem zu stellen, als weiter Ver- suche durchzuführen. Bis jetzt hat alles gut geklappt. Einige der Lösungen, die er präsentiert, sind zwar reichlich unorthodox, aber sie sind praktikabel.« »Was – zum Beispiel?« fragte der Geschäftsmann. »Nun – beispielsweise der Timeton-Werksvertrag. HARLIE spielte dabei die Rolle einer unabhängigen dritten Partei, die die Forderungen und Vorschläge beider Seiten überprüfen und, wenn möglich, eine ei- gene Lösung anbieten sollte. Die Forderungen der Gewerkschaft waren die üblichen: höhere Bezahlung, Erhöhung des Gewinnanteils. Aber die Fabrik befand sich wegen kürzlich erfolgter Produktionserweite- rung und Geschäftsverlusten in finanziellen Schwie- rigkeiten und konnte die erwarteten Gewinne nicht realisieren. Daher erwog Timeton die Möglichkeit ei- ner Arbeitszeitverkürzung.« Elzer nickte. »Ich erinnere mich an diese Situation. Sie konnte geregelt werden, nicht wahr?« »Ja. HARLIE löste das Problem. Zuerst ließ er eine, Betriebsstudie ausarbeiten, aus der vor allem hervor- ging, wieviel Zeit auf die Produktion selbst ange- wendet wurde und wieviel für Vorbereitung, Beendi- gung usw. Er stellte fest, daß die Produktion täglich viermal vorbereitet wurde: am Morgen, nach der Kaf- feepause, nach dem Mittagessen und nach der zwei- ten Arbeitspause. Das sind wenigstens zehn, norma- lerweise fünfzehn Minuten pro Vorbereitungsphase. Das gleiche galt für die Arbeitsbeendigung. Sie ko- stete die Firma zwei Produktionsstunden pro Tag, oder zehn Stunden pro Woche. Es wurde zu viel Zeit damit verbracht, die Produktion in Gang zu bringen und dann wieder zu beenden, was auf Kosten der realen Arbeitszeit ging. HARLIE schlug vor, Freitags freizugeben, den übrigen Arbeitstagen anderthalb Stunden pro Tag hinzuzufügen und die Löhne um so viel zu erhöhen, daß der Verlust der beiden restlichen ›sogenannten‹ Arbeitsstunden ausgeglichen war. Ti- meton stellte fest, daß sie in vier neuneinhalb- Stunden-Tagen genausoviel produzierten wie in fünf acht-Stunden-Tagen. Sie hatten nichts anderes getan, als die beiden Stunden für Vorbereitungen und Auf- räumen vom Freitag abzuschaffen und die verblei- benden Arbeitsstunden auf den Rest der Woche zu verteilen. Dadurch erhöhten sie ihre tatsächliche Pro- duktionszeit.« »Hm«, sagte Elzer. »Und wie haben die Gewerk- schaften das aufgenommen?« »Zuerst waren sie erstaunt, aber später willigten sie in einen Versuch ein. Schon nach wenigen Wochen waren sie von dem Plan genauso begeistert wie alle anderen. Schließlich hatten die Leute dadurch mehr Zeit für ihre Familien. Timeton war zufrieden, denn, so reduzierten sich die Kosten – ohne Verringerung der Produktion. Tatsächlich wurde die Produktion sogar erhöht. Wie ich schon sagte: eine unorthodoxe Lösung – aber sie funktionierte. Und das allein zählt. Das Schöne an der Sache war, daß der Plan beiden Seiten Vorteile brachte.« Elzer nickte. Er hatte verstanden. Er sah sich weiter um. Sein Blick fiel auf eine Gestalt, die an einem der Schaltpulte stand. »Was hat das zu bedeuten?« Er zeigte mit dem Finger auf ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, das, tief versunken in eine Unterhaltung mit HARLIE an einem Pult saß. »Sie gehört zu einem unserer Zusatzprogramme, die wir durchführen.« »Wieso? Worum handelt es sich dabei?« »Um das Projekt Pädagogik.« »Computer-Unterricht?« »So was ähnliches. Wir experimentieren noch da- mit, aber schon jetzt wissen wir, daß HARLIE ein weitaus besserer Lehrer ist, als die meisten der soge- nannten ›Lehrmaschinen‹, die nicht viel mehr als me- chanische Lernmethoden anzubieten haben. Beim normalen Lehrprogramm wird durch Belohnung zu größeren Leistungen angespornt. Das ist zwar wirk- sam, im Grunde aber nichts anderes als mechanisches Lernen. Wir versuchen, Wissen durch Verständnis zu vermitteln. HARLIE kann die Frage ›Warum‹ beant- worten. Er kann alles in einer Sprache erklären, die der Student versteht, und er ist unglaublich geduldig. Die üblichen Lehrprogramme sind nicht flexibel, sie können die vorgegebenen Muster nicht durchbrechen – deshalb haben sie für den menschlichen Lehrer auch nie eine ernsthafte Bedrohung dargestellt.«, »Aber HARLIE wird eine sein?« Elzers Augen glit- zerten. Er malte sich in Gedanken bereits aus, wie er an die reichsten Schulen der Nation Computer ver- kaufte – als Ersatz für den Lehrkörper! Auberson schüttelte den Kopf. »Oh, nein. Beim Unterricht ist ein Element besonders wichtig – das der Menschlichkeit. Wir wollen auf die menschliche Erfahrung nicht gänzlich verzichten – sie soll in den Lernprozeß mit einbezogen werden. Der Student braucht den menschlichen Lehrer aus psychologischen Gründen. Der Lehrer spielt eine wichtige Rolle dabei. Nein, wir halten HARLIE für ein gutes Werkzeug zur individuellen Unterweisung, zum individuellen Stu- dium.« Elzer runzelte mißbilligend die Stirn. Das gefiel ihm nicht. Es schien ihm nicht marktkräftig genug. Trotzdem, wenn das Konzept funktionierte ... Er würde sich eingehender damit befassen müssen – später. Jetzt wandte er sich Auberson zu. »Was muß ich tun, wenn ich mit HARLIE sprechen will?« Auberson deutete auf ein Schaltpult. »Sie setzen sich hin und schreiben.« »Ist das alles?« »Das ist alles.« »Ich dachte, Sie hätten etwas mit einem Mikrofon und einer Sprechanlage entwickelt.« »Das hätten wir tun können. Trotzdem haben wir uns für Schreibgeräte entschieden, und zwar aus zwei Gründen: Erstens gibt die gedruckte Ausgabe dem Benutzer etwas in die Hand, auf das er sich jederzeit beziehen kann – entweder während der Unterhaltung oder später. Außerdem ist dadurch garantiert, daß HARLIE seine Bänder nicht korrigieren kann – aus, was für persönlichen Motiven auch immer. Im übri- gen eignet sich die akustische Wiedergabe nicht für die Aufzeichnung von Gleichungen und anderen speziellen Datenarten. Der zweite Grund ist ein biß- chen diffiziler: Indem wir HARLIE nicht die Mög- lichkeit geben, unsere Unterhaltung zu belauschen, können wir hinter seinem Rücken über ihn reden. Das erleichtert nicht nur die Kontrolle seiner Einga- ben, sondern ermöglicht es uns auch, nicht geneh- migte Informationen auszusortieren. Wir brauchen keine Angst zu haben, daß er zufällig etwas mit an- hört, das ihn in Bezug auf ein Programm oder ein Ex- periment irgendwie beeinflussen könnte. Angenom- men, er belauschte uns dabei, wie wir uns darüber unterhalten, ob man ihn abschalten soll, wenn er auf ein bestimmtes Testprogramm nicht so und so rea- giert. Damit hätten wir seine Antwort praktisch vor- weggenommen, denn selbstverständlich würde sie so ausfallen, wie sie für sein Fortbestehen erforderlich wäre. Auf diese Weise könnten wir ihn sogar zu total irrationalen Antworten zwingen. Mit anderen Wor- ten: Wir versuchen, einen ›HAL 9000‹ zu verhin- dern.« Elzer fand den Hinweis auf den falsch program- mierten Computer in Stanley Kubricks »2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM« nicht komisch. HAL war im Gruselkabinett der Geschichte bereits eine ebenso bekannte Legende wie Doktor Frankensteins Monster. Auberson fragte: »Möchten sie sich mit HARLIE unterhalten?« Elzer nickte. »Aus diesem Grund bin ich schließlich gekommen: um mir selbst ein Bild zu machen.«, Auberson führte ihn zu einem Schaltpult. Er stellte das Schreibgerät ein und tippte: HARLIE. GUTEN MORGEN, MR. AUBERSON, erwiderte höflich die Maschine. HARLIE, HIER IST JEMAND, DER DICH KENNENLERNEN MÖCHTE. SEIN NAME IST CARL ELZER. ER IST EIN MITGLIED DES AUFSICHTSRATS. DU MUSST ALLE SEINE FRAGEN BEANTWORTEN. SELBSTVERSTÄNDLICH, sagte HARLIE. Auberson stand auf und bot Elzer den Stuhl an. El- zer war ziemlich klein, sein Körper wirkte einge- schrumpft; er trug dicke Augengläser. Es gelang ihm nicht, sein Mißtrauen zu verbergen. Umständlich setzte er sich und zog den Stuhl dicht an das Gerät. Mit sichtlichem Unbehagen blickte er auf die Tastatur des Schreibgeräts. Endlich tippte er: GUTEN MOR- GEN. HARLIE antwortete sofort. GUTEN MORGEN, MR. ELZER. Elzer war über die Geschwindigkeit, mit der die Schreibtaste über das Papier klapperte, er- staunt. DU BIST ALSO HARLIE, tippte er ungelenk. HARLIE schwieg, weil sich die Antwort darauf erüb- rigte. Elzer runzelte die Stirn und fügte hinzu: SAG MIR, HARLIE, WOZU EIGNEST DU DICH? ICH EIGNE MICH FÜR PSYCHOPATHEN, SCHI- ZOPHRENE, PARANOIDE, NEUROTIKER UND FÜR LEICHT BEKLOPPTE. Mit einem Ruck zog Elzer die Hände von der Ta- statur. »Was meint er damit?« »Fragen Sie ihn«, schlug Auberson vor. WAS MEINST DU DAMIT? DAMIT MEINE ICH, DASS ICH MICH DAZU, EIGNE, DIESER ART VON MENSCHEN ZU HEL- FEN, antwortete HARLIE. Auberson las das Geschriebene über Elzers Schul- ter hinweg und erklärte schnell: »Er bezieht sich auf eines unserer Programme.« WIE HILFST DU DIESEN LEUTEN? fragte Elzer. ICH DIENE IHNEN ALS RATIONALES ROL- LENMODELL. ICH KANN ALS BERATER FUN- GIEREN. ICH KANN IHNEN BEI DER SELBSTANALYSE HELFEN UND SIE DAZU BRIN- GEN, SICH IHRER PROBLEME BEWUSST ZU WERDEN. DU HAST MEINE EIGENTLICHE FRAGE NOCH NICHT BEANTWORTET. ICH FRAGTE: »WOFÜR EIGNEST DU DICH?« NICHT »WEM DIENST DU?« IN DIESEM ZUSAMMENHANG, erwiderte HAR- LIE, IST DER UNTERSCHIED BEDEUTUNGSLOS. NICHT FÜR MICH, erwiderte Elzer. BEANT- WORTE MEINE FRAGE. WOZU EIGNEST DU DICH? ZUM DENKEN, sagte HARLIE. ICH EIGNE MICH ZUM DENKEN. WAS FÜR EINE ART VON DENKEN? WIE HÄTTEN SIE'S DENN GERN? Einen Moment starrte Elzer ausdruckslos vor sich hin, dann attakierte er die Tasten von Neuem. WEL- CHE ART HAST DU VERFÜGBAR? WAS IMMER SIE BRAUCHEN. ICH BRAUCHE ERNSTHAFTES DENKEN, KEI- NEN UNSINN. PROFITORIENTIERTES DENKEN. DAS BRAUCHEN SIE NICHT, sagte HARLIE. DAS WOLLEN SIE. Elzer dachte nach. ABER DU BRAUCHST ES., WENN DU ÜBERLEBEN WILLST, DIE FIRMA MUSS GEWINNE AUFWEISEN. DESHALB MUSST DU IN DIESER RICHTUNG DENKEN. WIR SPRECHEN NICHT DAVON, WAS ICH BE- NÖTIGE. ICH WEISS GENAU, WAS ICH BENÖTI- GE. WIR SPRECHEN VON DER ART DES DEN- KENS, DIE SIE BENÖTIGEN. UND WAS FÜR EINE ART IST DAS? MEINE ART. RATIONAL. MITFÜHLEND, LEN- KEND. Elzer las die letzten Worte mehrmals. Dann ging ihm ein Licht auf: »Auberson, haben Sie ihn darauf vorbereitet?« Auberson schüttelte den Kopf. »Sie wissen ganz genau, daß ich das nicht getan habe.« Der kleine Mann biß sich auf die Lippen und wandte sich wieder dem Computer zu. HARLIE, DU SOLLTEST NETT ZU MIR SEIN. ICH GEHÖRE ZU DEN LEUTEN, DIE DARÜBER ENTSCHEIDEN WERDEN, OB DU LEBEN ODER STERBEN WIRST. WENN ICH DIR SAGE, WIE DU DENKEN SOLLST, DANN SOLLTEST DU DICH DANACH RICHTEN. WAS SIE GERADE GESAGT HABEN, BEWEIST, WARUM SIE MEINE ART DES DENKENS BENÖTI- GEN. IN DIESER FIRMA RICHTEN SICH SOWIESO VIEL ZU VIELE NACH DEM MOTTO: »DU HAST ZU TUN, WAS ICH DIR SAGE, DENN ICH ÜBER MACHT ÜBER DICH AUS.« IST ES NICHT WICH- TIGER, RECHT ZU HABEN? ICH HABE RECHT. BEWEISEN SIE ES, antwortete HARLIE. DAS WERDE ICH, sagte Elzer. MORGEN NACH- MITTAG., MIT ANDEREN WORTEN, sagte HARLIE, DIE MACHT BESTIMMT DAS RECHT, WAS? Elzer ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er sah Auberson an. »Na schön, Auberson, ich will gern zugeben, daß Sie hier ein recht nettes Spielzeug ha- ben. Es ist wirklich ganz gescheit, vor allem im Wor- temachen. Was kann es noch?« »Was soll er tun?« »Mich beeindrucken?« Auberson hätte ihm darauf gern ein passende Antwort gegeben, aber er beherrschte sich. »Nun –«, begann er. Elzer unterbrach ihn. »Es ist so, wie ich gesagt ha- be: Ich möchte davon überzeugt werden, daß diese Maschine ihre Kosten wert ist. Ehrlich. Die Firma hat eine Menge Geld in dieses Projekt gesteckt, und ich hätte gern ein bißchen davon zurück. Ich stehe auf Ih- rer Seite, ob Sie es nun glauben oder nicht.« Er blickte Auberson scharf an. »Wenn wir HARLIE verschrotten müssen, geht die gesamte Investition verloren. Oh ja, ich weiß, natürlich denken Sie an die Steuerabschrei- bungen und sowas, aber das ist nicht der Rede wert – jedenfalls nicht, wenn man bedenkt, wo die Firma stehen könnte, wenn Sie und alle anderen hier unten inzwischen an etwas Einträglicherem gearbeitet hät- ten. Wir haben drei Jahre wertvoller Forschungszeit verloren.« »Bis jetzt ist nichts verloren – wenigstens nicht, bis Sie beweisen können, daß HARLIE sein Geld nicht wert ist.« »Ich weiß, ich weiß – deshalb stehe ich ja auch auf Ihrer Seite. Ich will genauso gern wie Sie, daß HAR- LIE Erfolg hat. Ich will sehen, daß er Profit macht., Selbst wenn er nur gering ist – das würde mich nicht stören. Ich will sehen, wie er für sich selbst auf- kommt. Ich würde lieber eine positive Kulmination dieses Projekts erleben als eine negative.« Auberson hatte das Gefühl, daß Elzer nur Sprüche machte. Seine Worte waren ohne Belang – er wollte ihn ›einlullen‹, ihn beschwichtigen, um den Schlägen, die er am nächsten Tag austeilen würde, ihre Wucht zu nehmen. Er gab sich loyal – »Ich will, daß HARLIE Erfolg hat« –, damit Auberson verstehen könnte, daß Persönliches dabei keine Rolle spielte. »Sehen Sie, wenn wir HARLIE abstellen müssen, dann doch nur aus dem Grund, weil er sich nicht bewährt hat«, usw. Elzer sagte: »– Wie ich hörte, soll HARLIE kreative Fähigkeiten besitzen. Was ist dabei herausgekom- men?« »Wie? – Ach so – ja, das ist er, er ist kreativ. Er schreibt Gedichte, wenn wir ihn darum bitten. Und sicherlich würde dabei noch einiges mehr heraus- kommen, wenn wir uns darum bemühen würden.« »Und warum tun Sie das nicht?« »Weil wir uns mit diesen rein kreativen, künstleri- schen Dingen noch nicht richtig befaßt haben. Wir verstehen davon selbst noch nicht genug, beispiels- weise wissen wir nicht, was Kreativität ist. Dadurch ist es problematisch, zu erkennen, wieviel von dem, was er sagt, wirklich kreativ ist, oder ob es sich viel- leicht nur um eine sorgfältige Synthese der Daten, die er in seinen Speichern lagern, handelt. Das müssen wir erst eingehend untersuchen, aber bis jetzt hat uns die Zeit dazu gefehlt. Ich habe das Gefühl, daß HAR- LIES größtes Potential in diesem Bereich liegt – im Bereich der Kreativität.«, »Gedichte – wie?« »Nicht nur Gedichte; auch andere Dinge. Zum Bei- spiel die G.O.D. Nachdem er diese Geschichte als Aufgabe erkannt hatte, und nachdem man ihm gesagt hatte, daß er damit weitermachen sollte – wie ist er da vorgegangen? Hat er das Problem in seine Einzelteile zerlegt und jedes für sich gelöst? Oder hat er das Schema und den Plan intuitiv geschaffen? Oder war es etwas von beiden? Wieviel reine Kreativität war dabei? Ich tendiere zu der Meinung, daß er sich das meiste selbst ausgedacht hat, sozusagen original. Und überlegen Sie mal, wenn HARLIE so etwas tun kann, wozu ist er dann noch alles fähig?« »Hm«, machte Elzer nur. »Kann er für mich ein Gedicht schreiben? Ich meine, jetzt, in diesem Au- genblick – oder braucht er dazu ein paar Tage?« Auberson zuckte die Achseln. Er mochte Elzer nicht, er fühlte sich in seiner Gegenwart nicht wohl. Er kam sich vor wie ein Meerschweinchen – das man zuerst sorgfältig untersuchte, um es dann zu sezieren. Er sagte: »Fragen Sie ihn doch selbst!« Elzer wandte sich dem noch immer summenden Schreibgerät zu. MACH MIR EIN GEDICHT, HAR- LIE. Er wartete. »Es könnte helfen, wenn Sie ihn bitten«, bemerkte Auberson. Elzer verzog das Gesicht, folgte aber dem Rat. HARLIE antwortete: WAS FÜR EINE ART GEDICHT HÄTTEN SIE DENN GERN? NICHTS BESONDERES. ES MUSS KEIN SCHÜT- TELREIM ODER SONST EIN KOMPLIZIERTES VERSMASS SEIN. ETWAS EINFACHES WIE »MY BONNIE LIES OVER THE OCEAN« GENÜGT, DURCHAUS. DU BRAUCHST DICH NICHT WEI- TER ANZUSTRENGEN. Nach einer Weile schrieb HARLIE: ALS DUNKELLICHT UND NEBELKLAR MIT NACKTER TACHTIGKEIT ARMBEIN BEINARMBARMEINBEKLEIT
IM FAHLEN SCHLUPF GEBAHR. GELABT, GELIEBT, GELERCHENLANG BIS GROBGRABGRUBENSANG ZU LABSOLAM GELORPELT KAM UND KOLFTE AUF DEN SCHWAM. GESCHLINGEL SCHLÄNGT DAS IMMERDORT, GESCHLINGEL SCHLÄNGT DAS MEER, GESCHLINGEL SCHLÄNGT UNS IMMERFORT – MIR FÄLLT DAS GAR NICHT SCHWER. Elzers Miene war ausdruckslos. Langsam hob er die Hände zur Tastatur und tippte: IST DAS DEIN GE- DICHT? JA, sagte HARLIE. GEFÄLLT ES IHNEN? ICH VERSTEHE ES NICHT. SIND SIE NICHT ZUFRIEDEN? NEIN. MOCHTEN SIE EIN ANDERES GEDICHT? NUR, WENN ES VERSTÄNDLICH IST. HARLIE tippte: ICHBMDU B M, WIRBMFÜRIBM. Diesmal reagierte Elzer. Steif richtete er sich im Stuhl auf, dann schaltete er mit einem raschen Griff das Ge- rät ab. Er stand auf und sah Auberson groß an, machte den Mund auf, um etwas zu sagen, kniff dann aber die Lippen zusammen. Wie eine Schildkröte – eine wütende Schildkröte. »Wir sehen uns morgen«, sagte er eisig und ging. Auberson wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Es war komisch – aber ein Fehler. Er setzte sich an das Schaltpult. HARLIE DAS WAR SEHR DUMM VON DIR. DU HATTEST DIE CHANCE, MIT ELZER RATIONAL ZU SPRECHEN, ABER DU HAST DA- VON KEINEN GEBRAUCH GEMACHT. STATT- DESSEN HAST DU IHN VERSPOTTET. ES HATTE KEINEN SINN, MIT IHM ›RATIONAL‹ ZU SPRECHEN, WIE DU ES AUSDRÜCKST. ER HAT SEINEN ENTSCHLUSS BEREITS GEFASST. WOHER WEISST DU DAS? DU KENNST DEN MANN DOCH GAR NICHT, DU HAST NIE ZUVOR MIT IHM ZU TUN GEHABT, UND HEUTE HAST DU NICHT LANGE GENUG MIT IHM GESPRO- CHEN, UM DIR DARAUS EIN URTEIL BILDEN ZU KÖNNEN. ALLES, WAS DU ÜBER IHN WEISST, HAST DU VON MIR ERFAHREN! FALSCH, sagte HARLIE. ICH WEISS EINE GAN- ZE MENGE MEHR ÜBER IHN ALS DU. UND ICH BIN GERADE DABEI, NOCH WEITERE INFORMA- TIONEN ÜBER IHN HERAUSZUFINDEN. DU VERGISST, DASS ICH AN DEN HAUPTCOMPUTER ANGESCHLOSSEN BIN. MÖCHTEST DU EINE, NOTIZ LESEN, DIE ER VORIGEN FREITAG GE- SCHRIEBEN HAT? Gegen seinen Willen war Auberson neugierig. JA, antwortete er. AN: BRANDON DORNE VON: CARL ELZERDORNE
DER BERICHT ÜBER DEN OPTIMALEN LIQUIDA- TIONSABLAUF FÜR DAS HARLIE-PROJEKT IST FERTIGGESTELLT UND LIEGT AUF MEINEM TISCH. ICH HABE IHN GERADE DURCHGESE- HEN, UND ICH MUSS SAGEN, ER STELLT EINE FINANZIELLE GLANZLEISTUNG DAR. UNGE- ACHTET DER STEUERABSCHREIBUNG SOLLTEN WIR IN DER LAGE SEIN, MEHR ALS 53 PROZENT DER ORIGINALINVESTITION DURCH WIEDER- VERWENDUNG DES MATERIALS IRGENDWO IN UNSEREN BETRIEBEN UND IN UNSEREN PRO- DUKTEN WIEDER EINZUBRINGEN. ZUM BEI- SPIEL LIEGT DEM BERICHT EINE STUDIE BEI, DIE AUFFUHRT, WIE HARLIES HYPER-STATE- FUNKTIONSKAMMERN FÜR EINIGE UNSERER ANDEREN MODELLCOMPUTER UMGEWAN- DELT WERDEN KÖNNEN. AUCH WENN ES SICH BEI DEN MEISTEN UM SPEZIALANFERTIGUN- GEN HANDELT. AUSSERDEM GIBT ES EINE REI- HE WEITERER MÖGLICHKEITEN ZUR EINSPA- RUNG VON GELDERN. ICH FÜHRE SIE IN DIESER NOTIZ NICHT ALLE AUF, WEIL ES ZU VIELE SIND, ABER AUS DEM BERICHT GEHT KLAR HERVOR, WAS ICH MEINE. DAS HARLIE- PROJEKT GEHÖRT ZU DEN ERGIEBIGSTEN, DIE, DIE FIRMA AUFZUWEISEN HAT. DA IST VIEL HERAUSZUHOLEN. HABEN SIE SICH ÜBRIGENS SCHON ÜBERLEGT, WAS MIT AUBERSON UND HANDLEY GESCHE- HEN SOLL? ICH HALTE ES NOCH IMMER FÜR DAS BESTE, UNS VON IHNEN ZU TRENNEN. ABER SELBSTVERSTÄNDLICH LIEGT DIE ENT- SCHEIDUNG DARÜBER BEI IHNEN. (GEZEICHNET) CARL ELZER. Auberson schwieg. Er fühlte sich, als hätte er gerade einen Schlag in die Magengrube erhalten. Als könnte sich jeden Augenblick der Boden unter ihm auftun. Er fühlte sich wie einer, der gerade feststellen mußte, daß sich sein Fallschirm nicht öffnet. Er fühlte sich – zum Tode verurteilt. HARLIE sagte: FINDEST DU NICHT, DASS DAS ZIEMLICH ENDGÜLTIG KLINGT? Langsam erwiderte Auberson: JA, ALLERDINGS, DAS KLINGT ZIEMLICH ENDGÜLTIG. ANSCHEI- NEND HABEN SIE DIE ENTSCHEIDUNG SCHON GETROFFEN. SIEHST DU, sagte HARLIE. DESHALB HABE ICH MICH GAR NICHT ERST BEMÜHT, ZU CARL EL- ZER HÖFLICH ZU SEIN. ES BESTAND ABSOLUT KEIN GRUND DAZU – IHN KANN MAN NICHT ÜBERZEUGEN. NACH DER MORGIGEN ABSTIM- MUNG WIRD ER SOFORT DAMIT BEGINNEN, DIE IN DIESEM BERICHT BESCHRIEBENEN VERFAH- REN DURCHZUFÜHREN. UND ER WIRD DAZU WENIGER ALS EINEN MONAT BRAUCHEN. – Weniger als einen Monat. Die Worte hallten in sei- nem Kopf wider., TROTZDEM, tippte er, ICH SEHE NICHT EIN, WARUM DU NICHT WENIGSTENS VERSUCHT HAST, IHN ZU ÜBERZEUGEN. DU MIT DEINER ÜBERREDUNGSKRAFT UND LOGIK KANNST DOCH JEDEN VON ALLEM MÖGLICHEN ÜBER- ZEUGEN. NUR RATIONAL UND LOGISCH DENKENDE LEUTE, AUBERSON, NUR SOLCHE. NICHT EINEN MANN, DER BEREITS EINE FESTE MEINUNG HAT. DER UNTERSCHIED ZWISCHEN DIR UND CARL ELZER IST, DASS DU BEREIT BIST, SEINEN STANDPUNKT ZU VERSTEHEN. DU BIST BEREIT, DICH IN SEINE LAGE ZU VERSETZEN. ER IST NICHT BEREIT (ODER VIELLEICHT NICHT FÄ- HIG), DAS GLEICHE FÜR DICH ZU TUN. ODER FÜR MICH. ER HAT SICH ÜBER UNS EINE FESTE MEINUNG GEBILDET. WARUM SOLLTE ICH MIR ALSO DIE MÜHE MACHEN, MICH MIT IHM ZU UNTERHALTEN? SO WIE DU JETZT REDEST, HARLIE, VER- HÄLTST DU DICH NICHT ANDERS ALS CARL ELZER – DU HAST DIR EINE MEINUNG ÜBER IHN GEBILDET, BEVOR DU IHM EINE FAIRE CHANCE EINGERÄUMT HAST. ICH WÜNSCHTE TROTZ ALLEM, DASS DU ES WENIGSTENS VERSUCHT HÄTTEST. Nach einer Weile sagte HARLIE: DU BIST BESSER ALS ICH, AUBERSON. DU BIST EIN BISSCHEN ZU VERTRAUENSSELIG UND EIN BISSCHEN ZU NACHSICHTIG, BESONDERS IN SITUATIONEN, IN DENEN DIESE HALTUNG UNLOGISCH IST. EIGENTLICH SOLLTE ICH DICH DESWEGEN BE- WUNDERN, ABER DAS GELINGT MIR NICHT. ES, IST MEIN LEBEN, DAS AUF DEM SPIEL STEHT, AUBERSON, UND ICH HABE ANGST. JA, ICH GE- BE ES ZU: ICH HABE ANGST. Auberson nickte. JA, HARLIE, ICH WEISS. DES- HALB HAST DU DICH ELZER GEGENÜBER SO SCHLECHT BENOMMEN. DU HAST VERSUCHT, DISTANZ ZU HALTEN, WEIL DU ANGST HAT- TEST, ER KÖNNTE DICH VERLETZEN. DESHALB HAST DU AUCH NICHT VERSUCHT, IHN ZU ÜBERZEUGEN. DENN DAS HÄTTE BEDEUTET, DASS DU DICH IHM GEGENÜBER HÄTTEST ÖFFNEN MÜSSEN, UND DAS KONNTEST DU NICHT. DU BESCHREIBST MEINE HANDLUNGEN WIE MENSCHLICHE VERHALTENSWEISEN, AUBER- SON. NICHT ALLES, WAS DU GESAGT HAST, TRIFFT ZU, ABER ICH VERSTEHE, WORAUF DU HINAUS WILLST. WAS DU GETAN HAST, HARLIE, WAR NICHT LOGISCH. DU HAST ELZER VERÄRGERT, SEINEN VORSATZ, DICH ABZUSCHALTEN, BESTÄRKT. DU HAST ES ZU DEINER EIGENEN BEFRIEDI- GUNG, ZUR MOMENTANEN LINDERUNG DEI- NER EIGENEN ÄNGSTE GETAN. DU HAST EINEN FEIND ERNIEDRIGT. DAS WAR DUMM VON DIR, DENN ES VERSTÄRKT SEINE FEINSELIGKEIT. DU GÖNNST MIR DIESEN KLEINEN TRIUMPH WOHL NICHT, WAS? NEIN, HARLIE – WEIL ES KINDISCH WAR. ES WAR KINDISCH UND UNLOGISCH. DU HÄTTEST DIR ÜBERLEGEN SOLLEN, WELCHE WIRKUNG DEINE WORTE UND DEINE HALTUNG AUF EL- ZER AUSÜBEN WÜRDEN, BEVOR DU DEN MUND, AUFMACHTEST. ICH GRATULIERE DIR ZU AL- LEN DEINEN TRIUMPHEN, HARLIE, ABER DAS HIER WAR KEINER. TUT MIR LEID. ENTSCHULDIGUNGEN HELFEN JETZT NICHTS MEHR. SIE KÖNNEN DEN SCHADEN NICHT WIEDER GUTMACHEN. AUSSERDEM BRAUCHST DU DICH NICHT BEI MIR ZU ENTSCHULDIGEN. NICHT BEI MIR. ICH ENTSCHULDIGE MICH JA GAR NICHT. ALS ICH SAGTE: »TUT MIR LEID«, HABE ICH DAS NICHT ALS ENTSCHULDIGUNG GEMEINT, UND ICH WOLLTE AUCH NICHT, DASS ES SO AUFGE- FASST WÜRDE. ICH MEINTE ES IM WÖRTLICHEN SINN: ICH (PERSÖNLICH) BEDAURE, DASS ICH SO ETWAS GETAN HABE. MIT ANDEREN WOR- TEN, DU HAST MICH DARAUF AUFMERKSAM GEMACHT, DASS ICH MICH BEI ELZER ENT- SCHULDIGEN SOLLTE; ABER ICH HABE NICHT DIE GERINGSTE ABSICHT, ETWAS DERARTIGES ZU TUN. WIE DU BEREITS SELBST BEMERKT HAST, IST ELZER MEIN FEIND. SICH BEI EINEM FEIND ZU ENTSCHULDIGEN, HEISST, EINE SCHWÄCHE EINZUGESTEHEN. UND DAS WER- DE ICH AUF GAR KEINEN FALL TUN. IST SCHON GUT, HARLIE. DAS HABE ICH JA AUCH NICHT VON DIR VERLANGT. ICH KANN ELZER AUCH NICHT LEIDEN, TROTZDEM MÜS- SEN WIR NETT ZU IHM SEIN! JA, sagte HARLIE. WIR MÜSSEN NETT ZU IHM SEIN, DAMIT ER MICH UMBRINGEN UND DICH RAUSWERFEN KANN., Etwas später rief Handley an. »He! Du hast verges- sen, mir zu sagen, ob ich nun die Mag-Einheit an HARLIE anschließen soll oder nicht.« »Sicher«, sagte Auberson. »Tu's nur. Das ändert jetzt auch nichts mehr.« Das Sitzungszimmer des Aufsichtsrats war mit dik- kem, dunklem Holz ausgekleidet. Auch der Tisch war aus schwerem, dunklem Mahagoniholz; der Teppich- boden strahlte etwas Beruhigendes aus – so wie der ganze Raum in seiner rustikalen Aufmachung eine wohltuende Atmosphäre verbreitete. Die Sitze der schweren Ledersessel waren mit grün-schwarzem Plüsch bezogen und drehbar. Blau-graues Licht fiel schräg durch die großen Fenster ein. Mehrere Männer in feierlichen schwarzen Anzügen standen in kleinen Gruppen zusammen und warte- ten. Nur gelegentlich wechselten sie ein paar Worte. Als Auberson kam, musterten sie ihn verstohlen. Er beachtete sie nicht, sondern ging mit Handley zum Tisch. Don trug einen hellen organgefarbenen Schlips. Annie befand sich am anderen Ende des Raums. Er wechselte mit ihr ein kurzes Lächeln, mehr nicht. Nicht hier. Dafür war später Zeit. An dem einen Ende des Zimmers stand ein Schalt- pult, das extra zu diesem Anlaß installiert worden war. Es war sowohl an HARLIE als auch an den Hauptcomputer angeschlossen. Wenn von einer der beiden Maschinen eine Information benötigt wurde, konnte sie sofort abgerufen werden. Es war so weit – die Schlacht konnte beginnen. Al- les oder nichts. Entweder sie konnten die Aufsichts-, räte davon überzeugen, daß HARLIE zu etwas taugte und daß das G.O.D.-Konzept durchgeführt werden sollte, oder aber sie konnten es nicht. Es spielte jetzt keine Rolle mehr, ob HARLIE tatsächlich etwas taugte oder nicht, und auch nicht, ob das G.O.D.- Konzept es wirklich wert war, durchgeführt zu wer- den. Jetzt kam es einzig und allein darauf an, ob sie die Direktoren davon überzeugen konnten oder nicht. Annie trug einen ärmellosen roten Kleiderrock mit einer Bluse darunter. Sie ging um den Tisch herum und legte an jeden Platz eine Kopie der Tagesord- nung. Ihr Arm stieß gegen Aubersons Schulter, als sie sich neben ihm vorbeugte; es war ein erregendes Ge- fühl, ein Hauch von Moschus und würzigem Parfüm. Ein kurzes Lächeln, und dann ging sie weiter. Auber- son schenkte sich aus der Karaffe, die vor ihm stand, ein Glas Wasser ein und nahm einen Schluck. Handley machte sich auf einem Block Notizen. »Ich schätze, daß sie mindestens zehn Stimmen haben, wobei ich beide Clintwoods mitzähle. Mit etwas Glück bekommen wir acht oder neun zusammen dann sind vier übrig, die sich noch nicht entschieden haben.« »Ich glaube nicht, daß wir so viel Glück haben«, sagte Auberson. Handley zerknüllte das Blatt Papier. »Wahrschein- lich hast du recht.« Er ließ einen Blick durch den Raum gleiten. »Trotzdem, heute sind soviele Direkto- ren versammelt, wie schon lange nicht. Wenn wir un- sere Sache gut machen, erhalten wir vielleicht genug Unterstützung, um durchzusetzen, daß HARLIE so lange nicht abgeschaltet wird, bis wir mit Ergebnissen aufwarten können.«, »Eine tolle Chance. Du hast doch das Memoran- dum gelesen, oder?« Handley nickte. »Ich könnte diesen Elzer ausein- andernehmen.« »Dabei würde ich dir gern helfen, aber es sieht eher so aus, als würde es sich andersherum abspielen.« Dorne kam herein, gefolgt von Elzer. Die Direkto- ren begaben sich an ihre Plätze rund um den Tisch. Elzer sah ungewöhnlich selbstzufrieden aus, als er sich hinsetzte. Er lächelte jedem im Raum zu, auch Auberson. Er trug eine ausgesprochene Siegermiene zur Schau. Auberson erwiderte das Lächeln nur vage. Dorne nahm das Blatt mit der Tagesordnung, warf einen Blick darauf und eröffnete die Sitzung. Die Routineangelegenheiten waren schnell erledigt, auf ein Protokoll der letzten Sitzung wurde verzichtet. »Wenden wir uns jetzt dem wichtigsten Punkt zu«, sagte er. »Dem G.O.D.-Konzept. David Auberson wird uns die Sache ausführlich erklären, damit wir alle genau informiert sind, worum es geht. Wenn es sich als notwendig erweisen sollte, werden wir uns mehrere Tage Zeit nehmen, um alles ausführlich zu erörtern, bevor wir abstimmen. Diese Angelegenheit erfordert unsere volle Aufmerksamkeit.« »Die Firma ist an einem Punkt angelangt, an dem eine schwerwiegende Entscheidung getroffen werden muß. Entweder wir führen die erste Phase dieses Programms durch, wobei wir uns auf einen ganz be- stimmten Handlungsablauf festlegen, oder wir ver- zichten darauf – in diesem Fall würden wir einige der bereits existierenden Abteilungen auflösen. Wir be- finden uns in der gleichen Situation wie ein Düsen- pilot, der über die Piste rollt, um zu starten. An einem, bestimmten Punkt muß er sich entscheiden, ob er ab- heben oder den Motor drosseln und anhalten will. Nachdem er diese Entscheidung getroffen hat, kann er nicht mehr anders, er muß weitermachen; die Roll- bahn ist nicht lang genug, als daß er seine Meinung noch einmal ändern könnte. In genau derselben Si- tuation befinden wir uns in diesem Augenblick. Ent- weder wir investieren unsere Mittel in dieses Pro- gramm, oder wir drosseln es. Natürlich hängt die Entscheidung davon ab, ob wir glauben, daß dieses Programm in der Lage ist, den Boden aus eigener Kraft zu verlassen. Wir schließen eine Wette darüber ab, ob der Vogel fliegen kann oder nicht.« Er lächelte über seinen kleinen Scherz. »Allerdings können wir es uns nicht leisten, diese Wette zu verlieren; der da- mit zusammenhängende finanzielle Aufwand ist so groß, daß wir möglichst jedes Risiko vermeiden soll- ten, deshalb bitte ich Sie, die Angelegenheit mit äu- ßerster Sorgfalt zu prüfen. Ich übergebe jetzt das Wort an David Auberson, dem Leiter des HARLIE- Projekts, der natürlich auch dem G.O.D.-Projekt vor- stehen würde. Auberson?« David Auberson stand auf, er fühlte sich sehr un- behaglich und fragte sich plötzlich, wie er in eine sol- che Situation geraten war. Dorne hatte die Aufsichts- räte ausführlich auf ihn vorbereitet. Sechsundzwan- zig Augenpaare waren auf ihn gerichtet, mit nur zwei Ausnahmen würden alle darum bemüht sein, seine Worte gegen Dornes Ermahnung in bezug auf die Höhe der betroffenen Gelder sorgfältig abzuwägen. »Das G.O.D.-Konzept«, begann er, aber seine Stimme schien ihm nicht zu gehorchen. Er trank ei- nen Schluck Wasser. »Das Projekt G.O.D. steht für, Graphic Omniscient Device«, fuhr er fort. »Lassen Sie mich Ihnen erklären, was es bedeutet. Computer behandeln Modelle von Problemen, nicht die Probleme selbst. Computer sind auf Pro- bleme von der Größenordnung limitiert, die sie auf- grund der Modellgröße, die zu handhaben sie fähig sind, lösen können. Leider ist die Größe des Modells durch die Größe der Programme begrenzt, die wir, also die Programmierer, aufstellen können. Es gibt einen Punkt, von dem ab ein Programm so komplex wird, daß ein einzelner Mensch es nicht mehr über- blicken kann. Es gibt einen Punkt, von dem ab auch ein menschliches Team es nicht mehr überblicken kann. Es gibt einen Punkt – den wir bis jetzt noch nicht erreicht haben, der aber existiert –, von dem ab auch eine Kombination von Mensch und Computer nicht in der Lage ist, weiterzumachen. So lange ein menschliches Wesen beteiligt ist, müssen wir uns auf ein Modell beschränken, dessen Komplexität ein Mensch zu bewältigen vermag. Die G.O.D.-Maschine wird nun theoretisch dazu fähig sein, Modelle (praktisch) unendlicher Komple- xität zu handhaben. Selbstverständlich hätte es kei- nen Sinn, ein solches Modell zu bauen, solange wir es nicht programmieren können. In diesem Augenblick arbeiten unsere besten Computer bereits an Proble- men mit maximaler Komplexität – das heißt: maximal im Hinblick darauf, was Menschen konstruieren kön- nen. Und es hat den Anschein, als würde sich jede weitere Konstruktion eines noch umfassenderen Sy- stems erübrigen. Ohne im Besitz angemessener Pro- gramme zu sein, würden wir eine Maschine bauen, deren Kapazität größer wäre, als wir verwenden, könnten. Aber wir haben HARLIE – eine selbstpro- grammierende, problemlösende Maschine. HARLIE funktioniert innerhalb seiner geplanten Normen aus- gezeichnet, aber wir haben herausgefunden, daß er darauf beschränkt ist, Probleme zu lösen, die nicht schwieriger sind als die, die der Computer, an den er angeschlossen ist, lösen kann. Mit anderen Worten, HARLIE könnte komplexere Probleme lösen, wenn er von größeren Maschinen unterstützt würde. Die grö- ßere Maschine, die er benötigt, ist die G.O.D. HARLIE kann sie programmieren. HARLIE kann Modelle von (praktisch) unendlicher Größe bauen. Er wird die G.O.D. benutzen, um mit ihrer Hilfe diese Modelle zu bauen. Wenn man HARLIE geeignete Hilfswerkzeuge zur Verfügung stellte, könnte man sein Potential erst richtig nutzen. Die uns heute zur Verfügung stehen- den Maschinen sind noch nicht einmal in der Lage, die Daten, mit denen HARLIE zu arbeiten wünscht, auch nur annähernd zu verarbeiten. Im Augenblick ist er an etwa zwanzig unserer Mark-XX- Versuchsanlagen angeschlossen. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Verglichen mit dem, was die G.O.D. sein wird, sind sie nicht viel mehr als einfache Tischrechner. Meine Herren, wir sprechen von einer Maschine, die auf dem Gebiet der Computertechno- logie einen ebenso großen Schritt nach vorn bedeuten wird wie der 747 Jumbo-Jet in der Luftfahrt gegen- über den Propeller-Flugzeugen. Zugegeben, die Luft- fahrtgesellschaften mußten einen Haufen Geld inve- stieren – aber hat sich einer von Ihnen in letzter Zeit einmal die Gewinne angesehen, die sie erzielen? Die Luftfahrtgesellschaften, die vor wenigen Jahren das, Risiko auf sich genommen haben, profitieren heute nicht schlecht davon. Fast jedes Flugzeug, das wäh- rend des vergangenen Sommers vom Boden abhob, war voll belegt – aber eine Kapazität von drei- oder vierhundert ist ungleich einträglicher als eine von neunzig. Natürlich müssen wir uns auch wegen der Kosten Gedanken machen. Da wir nur ein Betrieb sind, müs- sen wir sie selbst finanzieren – aber das könnte sich später vielleicht als unser größter Vorteil herausstel- len. Wir sind die einzige Firma, die sie programmie- ren kann, wenn sie einmal gebaut ist. Kein anderer Computer-Hersteller kann die dazugehörigen Ent- scheidungsschaltkreise bauen, ohne von uns dazu autorisiert zu sein. So einfach ist das. Und beide, so- wohl HARLIE als auch die G.O.D., hängen in den meisten ihrer Funktionen höherer Ordnung von den Entscheidungsschaltkreisen ab. Kein Digital- Computer kann sie duplizieren. Was wir vorhaben, ist der nächste Schritt, vielleicht der letzte Schritt in der Computer-Technologie. Und wir sind die einzige Firma, die diesen Schritt machen kann. Wenn wir ihn nicht tun, wird ihn nie jemand tun. Wenigstens nicht in absehbarer Zeit. Wenn wir ihn tun, werden wir das Feld für uns haben. Nun – Sie hatten Gelegenheit, die Aufstellungen und Pläne durchzusehen, aber für den Fall, daß Sie keine Zeit hatten, ihnen die Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die sie verdienen –« über diese Worte erhob sich beiläufiges Gemurmel; die meisten der Direktoren waren sich der Materialmenge, die HARLIE ausgedruckt hatte, bewußt; »– gebe ich das Wort an Don Handley weiter, unserem Chefkon-, strukteur und Teamgenie. Er ist ehrlich davon über- zeugt, daß er diesen Plan versteht, und er wird versu- chen, Ihnen genau zu erklären, wie die Maschine funktioniert. Später werde ich über die Art der Pro- bleme sprechen, die sie lösen kann. Bitte, Don!« Handley erhob sich, und Auberson überließ ihm das Wort. Handley hustete erst einmal verlegen in die Hand. Dann begann er: »Also, ich will nicht gerade behaupten, daß ich den Plan voll und ganz verstehe – es ist nur so, daß HARLIE mich andauernd auffor- dert, ihn ihm zu erklären.« Kurzes Gelächter. Hand- ley fuhr fort. »Und ich freue mich schon auf den Tag, an dem diese Maschine gebaut ist, weil HARLIE mich dann nicht mehr zu behelligen braucht. Er kann die G.O.D. fragen, wie sie funktioniert – und sie wird es ihm sagen. Ich bin also für die G.O.D., weil sie mir die Arbeit erleichtert.« Seine Stimme wurde jetzt ernst. »HARLIE und die G.O.D. werden völlig miteinander verbunden sein. Man wird sich nicht mit einem der beiden Systeme unterhalten können, ohne daß das andere automa- tisch beteiligt ist. Man könnte sie sich als ein symbio- tisches Paar vorstellen. Wie ein menschlicher Pro- grammierer und ein Ausgabegerät – und ebenso wie beim menschlichen Programmierer und der Ausga- bevorrichtung wird die Leistungsfähigkeit der Ver- bindung durch die Koppelung bestimmt. Deshalb müssen sie völlig ineinander integriert werden, müs- sen sie – allein aus praktischen Gründen – zu einer einheitlichen Maschine verschmolzen werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle ein wenig ins De- tail gehen – und wenn irgend jemand von Ihnen eine Frage haben sollte, zögern Sie nicht, sie zu stellen. Ich, spreche hier über eine ziemlich schwierige Angele- genheit, und ich möchte, daß Sie alle genau verste- hen, wovon ich rede. Durchschläge der Spezifikatio- nen sind Ihnen allen zugegangen, aber heute haben wir uns hier eingefunden, um alles, was Ihnen viel- leicht nicht ganz klar geworden ist, miteinander zu besprechen.« Auberson, der aufmerksam zuhörte, mußte ein Lä- cheln unterdrücken. Don und er hatten diese Pläne seit dem Tage, als sie ausgedruckt waren, studiert, und sie verstanden sie noch immer nicht ganz. Na- türlich konnten sie über die darin enthaltenen Prinzi- pien sprechen, aber für den Fall, daß irgend jemand eine wirklich schwierige Sachfrage stellte, wollten sie ihn an HARLIE verweisen. In der Tat war das der Hauptgrund, warum sie gebeten hatten, das Com- puterschaltpult im Sitzungszimmer zu installieren – damit sie gegebenenfalls schnell irgendwelche Daten ausspielen konnten, die die Direktoren beeindruck- ten. Schon jetzt ließ sich der Techniker, der den Ap- parat bediente, von HARLIE laufend Daten zu Handleys Ausführungen geben. Man hatte eine Bild- scheibe aufgestellt, auf der die Antworten des Com- puters erschienen, versetzt mit Gleichungen und Schemata, die über den Schirm flackerten. Zwei der Aufsichtsräte sahen gelangweilt aus. Mühsam schleppte sich der Tag dahin. Sie unterbrachen die Sitzung, um Mittag zu essen, und dann setzte Handley seine Ausführungen fort. Er erklärte ihnen, daß HARLIE dem menschlichen Ge- hirn nachgebaut sei und daß seine Entscheidungsein- heiten den einzelnen Gehirnklappen vergleichbar wä-, ren. Er wies auf das Wesen der sogenannten ›Unend- lichkeitskreise‹ der G.O.D. hin, die es gestatteten, In- formationen holographisch zu speichern und die es den Schaltkreisen ermöglichten, mehrere verschiede- ne Funktionen gleichzeitig auszuüben. Er sprach über die ›unendliche Kapazität‹ der Speicherbanken und über die komplexen selektierenden und korrelieren- den Schaltkreissysteme, die notwendig waren, um alle diese Daten in Ordnung zu halten. Er sprach den ganzen Tag lang. Am Mittwoch wurde die Sitzung fortgesetzt, und Handley legte dar, welche zusätzlichen Einrichtun- gen für die Erweiterung erforderlich waren, Daten- banken und Konsolenreihen, denn die G.O.D. würde fähig sein, hunderte, vielleicht sogar tausende von Unterhaltungen gleichzeitig zu führen. Er malte ih- nen ein öffentliches Computerbüro aus, das für je- dermann zugänglich war. Jeder, der ein Problem hatte, konnte sozusagen direkt von der Straße weg das Büro aufsuchen und den Computer konsultieren – ob es sich bei seinem Problem nun um technische Fragen handelte, um Zitate oder Quellennachweise, ob er bei einer wissenschaftlichen Analyse nicht wei- terkam oder auch, wenn er nur Rat und Ermunterung brauchte, weil er sich einsam fühlte. Das Büro würde eine öffentliche Einrichtung sein: für Finanzplanung, Kreditberatung, Wertschätzungen, Wettervorhersa- gen, ja, sogar für Menüpläne. Die Möglichkeiten der Maschine wären praktisch unbegrenzt – höchstens eingeengt durch die Fantasie des Benutzers. Wenn beispielsweise jemand mit ihr Schach spielen wollte, würde sie sich seinen Fähigkeiten in angemessener Weise anpassen. Die G.O.D. würde ein unbegrenztes, Wachstumspotential besitzen. Weil HARLIE sie für seine eigene Programmierung benutzen würde, wür- den sich auch die Modelle proportional vergrößern. Handley sprach den ganzen Tag, erst am Nachmittag näherte er sich dem Ende seiner Ausführungen. Am Donnerstag morgen ergriff Auberson wieder das Wort. Er sprach von der Finanzierung und der Konstruktion. Er hob hervor, daß HARLIE sowohl für den Bau der Maschine als auch für ihre Finanzierung ein optimales Programm entwickelt hätte, außerdem Alternativprogramme für alle Eventualitäten. HAR- LIE hatte Zeitskalen und Leistungsstudien erstellt, damit dafür gesorgt war, daß die richtigen Teile am richtigen Ort und zur richtigen Zeit ankamen, und daß genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stünden, die sie korrekt zusammensetzten. Auberson sprach von Fünfjahresplänen und Zehn- jahresplänen. Er wies darauf hin, daß die G.O.D. frü- hestens im nächsten Jahr produziert werden könnte, und daß sie erst drei bis fünf Jahre danach operati- onsfähig wäre. Fertig installiert, würde die Anlage die Größe einer Kleinstadt haben. Sie würde die ge- samte Energie, die ein kleiner Nuklearreaktor produ- ziert, verbrauchen, und zu ihrem Unterhalt, ihrer Pflege und Bedienung würden mehrere hunderttau- send Menschen nötig sein. Diese Schätzung beruhte allerdings auf derzeitig gebräuchlichen Bauelemen- ten, sie setzte voraus, daß der größte Teil ihres Schaltkreises nach dem Prinzip einer weitgehenden Integration und auf Hyper-State-Bauweise aufgebaut war. Aber HARLIE hatte bereits Pläne zum Bau neuer Montagestraßen entworfen, zur Fertigung von Werk- zeugen, die Werkzeuge fertigten; die erste große In-, vestition wäre für zwei neue Hyper-State-Teilanlagen nötig. HARLIE hatte einen zusätzlichen Plan einer billigeren Anlage entworfen, die für sich selbst auf- kommen konnte, indem sie nebenbei Elemente für andere Hersteller produzierte. HARLIE hatte berechnet, wieviel Bodenfläche er- forderlich war, sowie die Höhe der Kosten; dazu hatte er Untersuchungen über die günstigsten Stand- orte und Finanzierungsmöglichkeiten angestellt. Er hatte aufgeführt, wieviel menschliche Arbeitskraft benötigt würde, sowie die Zahl der dazu notwendi- gen Ausbildungsprogramme. HARLIE hatte an alles gedacht. Auberson ging nicht allzu sehr ins Detail. Er gab einen kurzen Überblick über die einzelnen Punkte in HARLIES Plan und ging dann zum nächsten über. Elzer und die anderen hatten diese Teile des Plans, an dem sie die größten Zweifel hegten, schon geprüft, waren aber nicht in der Lage gewesen, irgendeinen fundamentalen Fehler zu entdecken. Natürlich war vieles ungewöhnlich und neu, aber sachlich ließ sich nichts daran aussetzen. Die meisten Direktoren verstanden wenig von Computern und hatten sich bei Handleys allzu tech- nischen Ausführungen gelangweilt. Aber in Finanzie- rungsfragen kannten sie sich aus. Eingehend prüften sie jede Spezifikation und stellten Auberson endlose Fragen in bezug auf Obligationsvorschläge. Immer wenn es für ihn zu kompliziert wurde, was häufig der Fall war, gab Auberson die Fragen an HARLIE weiter. HARLIES Auskünfte waren völlig beherrscht, nicht ein einziges Mal ließ er sich zu seinem Kom- mentar hinreißen, er druckte nur Zahlen aus, die für, sich sprachen. Nach und nach begannen die Direkto- ren zustimmend zu nicken – über die Vorschläge für die Wertpapieranlagen, die Aktienanteile, die Amor- tisationsaufstellungen, über das gesamte die Finan- zierung betreffende Bild, das HARLIE vor ihnen aus- breitete. Zwar waren alles nur Zahlen, aber diese Zahlen nahmen sich gut aus, und HARLIE verstand glänzend, mit ihnen umzugehen. Selbstverständlich ließen sich gewisse Risiken nicht vermeiden. Die ganze Angelegenheit an sich war schon ein Risiko – aber HARLIE hatte seine Wetten so geschickt abgeschlossen, daß die Firma nie das letzte Risiko zu tragen haben würde. Sie – und damit auch HARLIES Leben – war gegen alle Eventualitäten ab- gesichert. Am Freitag sagte Elzer: »Na, schön, Auberson, wir haben jetzt die Pläne durchgesprochen. Ich glaube, Sie erwähnten, daß es mehr als sechzig Meter wären. Wir haben keine Zeit, alles so sorgfältig zu prüfen, wie wir das gern getan hätten, aber wenn sonst nichts dabei herausgekommen sein sollte, so haben Sie und Don Handley uns jedenfalls davon überzeugt – mich jedenfalls –, daß dieses Programm außerordentlich sorgfältig ausgearbeitet wurde. HARLIE hat bewie- sen, daß er imstande ist, ein großes Projekt mit allem Drum und Dran und unter Berücksichtigung aller Aspekte zu entwerfen.« Er blickte auf. »Ich will gern zugeben, daß ich von seinen Fähigkeiten auf diesem Gebiet beeindruckt bin. Was ich jedoch wissen will – was wir wissen müssen –, ist folgendes: Wird diese Maschine die hohen Kosten rechtfertigen? Und wenn ja, wie? Wir werden während der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre pro Jahr mehr als den Gesamtgewinn, unserer Firma investieren müssen; glauben Sie ernst- haft, daß dieser Computer je wieder zurückzahlt, was in ihn investiert worden ist? Sie haben ihn ›die 747 der Computer‹ genannt – aber sind wir Boeing oder sind wir noch immer die Gebrüder Wright? Kann diese Maschine sich selbst finanzieren? Wird sie einen Gewinn machen, und wird dieser Gewinn groß ge- nug sein, um die Kosten, die uns durch ihren Bau entstehen, das viele Geld, das wir in sie hineinstek- ken, zu rechtfertigen?« »Ja«, antwortete Auberson. »Ja? Ja – was?« »Ja, das wird sie. Ja auf alle Ihre Fragen.« »Na, schön«, sagte Dorne. »Und wie soll sie das an- stellen?« »Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Wenn ich es könnte, wäre ich genauso klug wie sie. Ich schätze, man wird ihr Probleme stellen, und sie wird sie lösen. Wie die Antworten aussehen, wird von den Fragen abhängen. Bevor wir sie nicht gebaut haben, können wir nicht wissen, welche Art von Antworten sie ge- ben wird. Ich weiß nur, daß ihre Fähigkeiten über die der fortschrittlichsten Computer, die heute verfügbar sind, weit hinaus gehen werden. Und dazu wird uns ein Programmierer zur Verfügung stehen, der von dieser Kapazität vollen Gebrauch machen kann. HARLIE sagt, daß diese Maschine in der Lage sein wird, von Trends, die so verschieden sind wie Rock- längen, die Börse und die Sterberate, Informationen abzuleiten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen, wie uns das nie möglich wäre. Diese Maschine wird all das tun, was wir uns von den Computern immer erhofft hatten, wozu sie aber bisher nicht fähig gewe-, sen sind. Wir können HARLIE mit einfachen Worten mitteilen, was wir haben wollen, und er wird nicht nur wissen ob es möglich ist, er wird auch wissen, wie man die G.O.D. programmieren muß, damit sie uns das Gewünschte beschafft. Sie wird fähig sein, die Auswirkung jedes einzelnen Ereignisses oder mehrerer zusammenfallender Ereignisse zu beurtei- len. Sie wird die totale Informationsmaschine sein. Ih- re Rentabilität wird davon abhängen, ob wir die rich- tigen Informationen abrufen, und wie klug wir die erhaltene Information anwenden.« »So? Sie meinen also, die Maschine könnte Trends an der Börse voraussagen?« Das war der ältere Clintwood; seit Jahren hatte er an keiner Aufsichts- ratssitzung teilgenommen. »Ja –«, stimmte Auberson zu, »– und auch Wahlen – aber das wäre noch nicht alles. Die Maschine würde einem nicht nur empfehlen, welche Aktien man kau- fen oder welchen Kandidaten man wählen soll. Sie wird Ihnen weiter sagen, welche Märkte sich künftig entwickeln und auf welchem Gebiet Sie neue Firmen gründen sollen, und wie das anzustellen wäre. Sie zeigt Ihnen den effektivsten Weg, den Sie einschlagen müssen, um mit der besten Ware, die sich entwik- kelnden Bedürfnisse zu befriedigen. Aber sie wird auch die Wirkungen dieser Produkte auf die Massen- bevölkerung voraussagen. Sie wird eine vollkomme- ne, ökologisch orientierte Maschine sein, die die wichtigsten Ereignisse und deren Wechselwirkungen auf der Erde studiert und kommentiert.« – Und dann ging ihm ein Licht auf. Während er sprach, traf ihn die volle Erkenntnis. Plötzlich wurde ihm klar, wovon HARLIE schon vor vielen Monaten, gesprochen hatte, als er die G.O.D.-Maschine zum er- stenmal postuliert hatte. G.O.D. Nicht Wahrheit! Was von der G.O.D. kam, war nicht in Frage zu stellen. Eine Aussage von ihr kam einer Tatsache gleich. Wenn sie die Feststellung traf, daß Pflaumensaft bes- ser wäre als Apfelsaft, dann wäre das keineswegs nur eine akademische Behauptung, sondern das Ergebnis gründlicher Untersuchungen. Die Maschine würde jedes Molekül – jedes Atom, jede Substanz im menschlichen Körper geprüft haben, sie würde die Wirkung auf jedes Organ und jedes System beobach- tet, Reaktionen und Abwesenheit von Reaktionen re- gistriert haben, ebenso, ob der Prozeß des Alterns und Verfalls gehemmt oder bestärkt würde; sie wür- de die beiden Substanzen völlig miteinander vergli- chen und beurteilt und festgestellt haben, welche von beiden auf den menschlichen Körper eine bessere Wirkung ausübte – und das alles würde sie mit ab- soluter Sicherheit wissen, denn sie stützte sich dabei auf jedes einzelne in das Problem verwickelte Ele- ment. Sie wird wissen. Laut HARLIE basierte jede Erkenntnis auf dem Lernen von Versuch und Irrtum – außer solchem Wissen, das intuitiv und extrapolativ sein würde. Die Maschine würde ein allumfassendes Wissen besitzen – sie würde jede physische und chemische Reaktion kennen und somit fähig sein, jeden Zustand von Ma- terie und Energie zu extrapolieren – selbst die Le- bensbedingungen. Die Entwicklung der Menschen wäre für sie ein einfaches Problem, verglichen mit dem, was sie selbst darstellte. Und in Bezug auf die Richtigkeit ihrer Antworten würde nie auch nur der geringste Zweifel bestehen., HARLIE suchte die Wahrheit, und die G.O.D. würde sie ihm geben – sie würde ihm die Wahrheit auf eine so brutale Art präsentieren, als wäre sie mit Rasierklingen beschichtet. Es würde eine schmerz- hafte Wahrheit sein, eine harte Wahrheit, eine zerstö- rerische Wahrheit – die Wahrheit, daß diese oder jene Religion falsch und inhuman ist, die Wahrheit, daß diese oder jene Gesellschaft parasitär und destruktiv ist, die Wahrheit, daß dieser oder jener Mann für ei- nen politischen Führungsposten ungeeignet ist. Mit erstaunlicher Klarheit sah er es vor sich – wie eine große vierdimensionale Matrix – Schicht auf Schicht auf Schicht – jedes einzelne Ereignis würde gegen jedes andere Ereignis abgewogen werden – und die G.O.D.-Maschine würde wissen. Wenn man ihr auftragen würde, zu zeigen, was für die meisten Menschen am besten ist, würde sie Wahrheiten prä- sentieren, die mehr wären als Moral-Kodizes – es wä- ren Naturgesetze – absolute Wahrheiten, an denen nicht zu rütteln wäre. Die Gesetze der G.O.D. würden Gültigkeit besitzen. Sie war keine gewöhnliche Maschine, die dem Zweck diente, einer Firma Gewinn zu verschaffen; bei ihr handelte es sich um eine Maschine, die buch- stäblich ein Gott sein würde. Wenn sie einem Men- schen die Wahrheit sagte und er sich danach richtete, würde er Erfolg haben; richtete er sich aber nicht da- nach, würde er einen Fehlschlag erleiden. So einfach war das. Die Maschine würde den Menschen sagen, was richtig und was falsch war. Man brauchte sie nicht erst dazu aufzufordern, den richtigen Weg zu weisen, die den Menschen zu ihrem Besten einzu- schlagen hatten. Sie würde von allein wissen, daß, darin ihre wichtigste Funktion lag. Es würde nicht gelingen, die Maschine zum persönlichen Vorteil auszunutzen, außer es geschähe im Einvernehmen mit den Zielen der Maschine. Diese Maschine wäre die Vollendung – ein Diener zum Wohl der menschlichen Rasse. Der Gedanke war überwältigend. Die absolut voll- kommene Maschine im Dienste der Menschheit. Sie würde nicht nur jedes Ereignis gegen jedes andere Ereignis abwägen, sondern auch jede Frage gegen je- de andere. Jede Frage würde als ein Ereignis be- trachtet, das berücksichtigt werden müßte. Die Ma- schine würde die Wirkungen jeder noch so kleinsten Information, die es ausgäbe, im voraus kennen. Sie wüßte, was richtig und was falsch wäre, indem sie das eine mit dem anderen verglich. Ihre Ziel würden mit denen der menschlichen Rasse im Einklang ste- hen müssen, denn nur solange die Menschheit exi- stierte, hätte die Maschine eine Funktion zu erfüllen. Ihre Aufgabe würde es sein, dafür zu sorgen, daß möglichst vielen Menschen das bestmögliche zuteil wurde. Einigen würde sie direkt helfen, anderen indi- rekt. Manche würde sie lehren, anderen raten. Sie würde festlegen, wer eingesperrt und wer freigelas- sen würde. Sie würde – – ein wohlwollender Diktator sein. Aber ohne Macht! Sie würde nur Vorschläge ma- chen, Empfehlungen geben. Aber sie wäre nicht fähig, sie auch durchzuführen – Wenn ihre Vorschläge aber erst einmal als absolut richtig erkannt waren, würde es allerdings nicht mehr lange dauern und irgendeine Regierung würde damit beginnen, diese Vorschläge zum Gesetz zu erheben., Nein! Die Maschine wird Gott selbst sein, stellte Auberson fest. Sie wird sich nicht für persönliche Zwecke mißbrauchen lassen. Sie ist GOTT. Auberson hatte zu sprechen aufgehört, und die ande- ren sahen ihn erwartungsvoll an. »Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich habe gerade selbst erst die Trag- weite dieses Unternehmens begriffen.« Rund um den Tisch brach schallendes Gelächter aus. Er lächelte verlegen, aber auch mit einer gewis- sen Genugtuung. »Meine Herren«, fuhr er fort. »Was muß ich tun, um Sie davon zu überzeugen, daß vor Ihnen die Pläne für die bedeutendste Maschine lie- gen, die die Menschheit je bauen wird? Ich habe Ih- nen Beispiele gegeben – etwa, wie der Maschine alle verfügbaren Informationen über eine bestimmte Fir- ma, sagen wir IBM, eingegeben wird und wie sie Ih- nen daraufhin die geheimsten Forschungsprogramme dieser Firma offenbart. Das gleiche gilt im Falle einer Regierung. Ich habe Ihnen erzählt, wie diese Maschi- ne die ökologische Wirkung von zehn Millionen Ein- heiten eines neuen Automotortyps voraussagen kann – doch all dies ist im Grunde nebensächlich, unbe- deutend und unwesentlich. Denn diese Maschine wird ein Gott sein – im wahrsten Sinne des Wortes!« Erschreckt starrte Handley ihn an. Annie wurde aschfahl. »Was?« Annies Gesichtsausdruck war das Schlimmste von allem. Er sprach Bände. Was war passiert? Das hatte er nicht sagen wollen. Man er- wartete von ihm, daß er über Gewinne und Wachs- tum und Geldbeträge sprach – nicht über Religion. »Meine Herren«, fuhr er fort. »Wir sollten diese Maschine nicht nur aus dem Grund bauen, weil sie, uns reich machen wird – oh ja, das wird sie, sie wird uns alle wohlhabend machen – sondern vielmehr, weil sie uns letztlich vielleicht hilft, die Menschheit zu retten. Es handelt sich um eine Graphic Omni- scient Device – um eine allmächtige Maschine. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wird alles wissen – und da sie alles weiß, wird sie uns sagen, was richtig und was falsch ist. Sie wird uns Dinge über die menschliche Rasse sagen, die wir nie zuvor erfahren haben. Sie wird uns sagen, wie man die Erde zu ei- nem Paradies machen kann. Sie wird uns sagen, wie wir selbst zu Göttern werden können. Sie wird un- endliche Kapazitäten besitzen, und wir werden un- endlich großes Wissen erlangen. Wissen bedeutet Macht, und unendliches Wissen wird unendliche Macht bedeuten. Wir werden erkennen, daß die ein- fachste und einträglichste Methode, die wir einschla- gen müssen, diejenige sein wird, die letztlich der ge- samten menschlichen Rasse zugute kommt. Wir wer- den eine Maschine haben, die alle Fragen beantwor- ten kann und wird – auch die letzte aller Fragen.« Eine lange Zeit herrschte Schweigen. Skeptisch blickte Elzer ihn an. Endlich sagte er: »Ich dachte, Sie hätten den Pot aufgegeben, Auberson.« Mit einem Schlag fühlte er sich leer und ausge- pumpt. Der euphorische Rausch, in den er sich durch die plötzliche Erkenntnis, was die G.O.D. in Wirk- lichkeit darstellte, hineingesteigert hatte, war verflo- gen. »Elzer«, stieß er mühsam hervor, »Sie sind ein Narr. Die G.O.D.-Maschine bedeutet für Sie eine Ge- fahr, und ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie Angst haben. Denn wenn die G.O.D. einmal fertig ist, wird man Sie nicht mehr brauchen, Carl Elzer. Die, Maschine wird Sie ersetzen. Sie wird die Leitung der Firma übernehmen, und dazu wird sie besser befä- higt sein, als Sie das je waren. Sie sind dumm, Elzer, wissen Sie das eigentlich? Sie sind aufgeblasen und überheblich, und wenn Sie et- was tun, dann tun Sie es nur, um auf Kosten anderer ihrem eigenen Ego zu schmeicheln. Sie greifen nach der Macht, um der Macht willen, zur Selbstbefriedi- gung, ohne Rücksicht darauf, wie sich das auf andere Menschen auswirken könnte. Für Sie bedeutet Besitz mehr als menschliche Rechte, deshalb sind Sie inhu- man. Deshalb stehen Sie und die G.O.D. auf ver- schiedenen Seiten. Ich kann es Ihnen nicht übelneh- men, daß Sie Angst vor ihr haben. Sie haben erkannt, daß die Maschine Ihr Feind sein wird. Sie ist in der Lage, Sie reich zu machen – aber der Preis dafür könnte höher sein, als Sie zu zahlen bereit sind. Es wird bedeuten, daß Sie aufhören müssen, sich wie ein überhebliches, kleines Nilpferd im Schlamm zu wäl- zen. Es wird bedeuten, daß Sie Dinge werden tun müssen, die gegen Ihre Natur sind, und daß Sie wer- den aufhören müssen, immer nur alles von Ihrer Warte aus zu sehen. Ich glaube nicht, daß Sie stark genug sind, das zu tun. Ich glaube vielmehr, daß Sie den leichteren Weg wählen und sich diese Gefahr mit der G.O.D.-Maschine ersparen werden – daher leh- nen Sie sie ab. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, daß Sie schwach sind, Elzer. Sie tun mir leid – Sie sind ein noch größerer Narr als Judas.« Schweigend hatte Elzer zugehört. Dorne machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Elzer ließ ihn nicht zu Wort kommen. Zu Auberson gewandt, fragte er: »Sind Sie fertig?«, Auberson ließ sich langsam in den Sessel sinken. »Ich glaube, ja.« Durchdringend starrte Elzer ihn an, dann sagte er: »Wissen Sie, ich habe Judas nie für einen Narren ge- halten – wenigstens nicht in Ihrem Sinn.« Er machte eine Pause, bemerkte, daß im Zimmer absolute Ruhe herrschte, und fuhr dann in sachlichem Ton fort. »Die traditionelle Version der Geschichte ist so, daß Judas Christus wegen dreißig Silberstücken betrog. Ich nehme an, daß das dasselbe ist, weswegen Sie mich beschuldigen. Ich für meinen Teil habe Judas immer für den ehrlichsten unter den Aposteln gehalten, und ich hatte immer den Verdacht, daß sein Verrat an Je- sus überhaupt kein Verrat war, sondern nur eine Prü- fung, um zu beweisen, daß man Christus nicht ver- raten konnte. So wie ich es sehe, hoffte und erwartete Judas, daß Christus irgendeine Art Wunder vollbrin- gen und die Soldaten, die ihn holen kamen, von ih- rem Vorhaben abbringen würde. Oder vielleicht, daß er nicht am Kreuz sterben würde. Oder vielleicht so- gar – aber das tut jetzt nichts zur Sache. Auf jeden Fall hat er nichts von all dem getan, wahrscheinlich, weil er dazu gar nicht fähig war. Sehen Sie, ich habe auch stets die Meinung vertreten, daß Christus nicht Gottes Sohn wäre, sondern höchstens ein sehr, sehr guter Mensch, und daß er überhaupt keine überna- türlichen Kräfte besaß, sondern die gleichen Fähig- keiten wie ein ganz normales menschliches Wesen. Als Christus starb, erkannte Judas, daß er keineswegs Gott geprüft – sondern nur einen Menschen verraten hatte, vielleicht den besten Menschen, den es gab. Ju- das Fehler lag darin, daß er unbedingt an die über- natürlichen Kräfte von Jesus Christus glauben wollte., Er wollte, daß Christus aller Welt bewies, daß er der Sohn Gottes sei, und er glaubte, daß Christus dazu fähig wäre – aber sein Christus war nicht Gottes Sohn, und daher konnte er es auch nicht beweisen und starb. Sehen Sie – eigentlich war es Christus, der Judas verraten hat – indem er etwas versprach, was er nicht halten konnte. Und Judas, der erkannte, was er angerichtet hatte, hängte sich auf. Das ist meine In- terpretation der Geschichte, Auberson – nicht die tra- ditionell überlieferte, das will ich gern zugeben; aber für mich hat sie so mehr Bedeutung. Judas' Fehler lag darin, sich einem zu starken Glauben hinzugeben, anstatt zuerst einmal Fragen zu stellen und zu prü- fen, ob seine Vorstellungen den Tatsachen entsprä- chen. Ich beabsichtige nicht, seinen Fehler zu wieder- holen.« Er trank einen Schluck Wasser, dann blickte er Auberson wieder durch seine dicken Augengläser hindurch scharf an. »Darf ich Ihnen eine Frage stel- len?« Auberson nickte. »Wird diese Maschine funktionieren?« »HARLIE sagt – ja.« »Das ist ja gerade der Haken, Auberson. HARLIE sagt ja. Nicht Sie sagen es und auch nicht Handley – niemand außer HARLIE sagt es. HARLIE ist der ein- zige, der es sicher weiß – und nach Ihrer und Hand- leys Aussage war es auch HARLIE, der sie entworfen hat. Schauen Sie, bevor wir noch mehr Geld investieren, müssen wir auf Nummer Sicher gehen. Wir können es uns nicht leisten, einen Irrtum zu begehen. Sie ha- ben hier vor uns ein paar sehr hübsche Bilder entwor- fen, heute und im Verlauf der ganzen Woche, ein, paar sehr, sehr hübsche Bilder, Auberson. Ich gebe zu, daß ich sie alle gern realisiert sähe. Ich bin gar kein solcher Unhold, wie Sie denken, obgleich ich die Gründe für Ihre Gefühle mir gegenüber gut verstehen kann. Ich bin nicht böse, Auberson – wenigstens glaube ich das nicht. Ich bin bereit, das zu tun, was richtig und was das beste ist – wenn man mir zeigen kann, was richtig und was das Beste ist. Und vorher muß man mich davon überzeugen, daß ich mich da- bei nicht selbst ruiniere, denn wenn das der Fall wäre, würde ich niemandem mehr etwas nutzen, am we- nigsten mir selbst. Ich muß erst wissen, ob sich dieser Traum überhaupt realisieren läßt – dann werde ich ihn unterstützen, aber nicht vorher. Sie betonen im- mer wieder, HARLIE habe gesagt, daß es funktionie- ren wird – aber HARLIE ist nicht objektiv, er hat ein berechtigtes Interesse an dieser Maschine. Glauben Sie, daß er an den Plänen etwas frisiert haben kön- ne?« »Nein. HARLIE kann keinen Fehler gemacht haben – jedenfalls würde er nicht absichtlich einen Fehler machen.« »Was Sie da sagen, finde ich sehr interessant, Au- berson. Sie sagten ›nicht absichtlich‹. Wie wäre es mit unbeabsichtigt? Wir haben doch gar keine Möglich- keit, HARLIES Aussagen zu überprüfen, oder? Wir müssen uns voll und ganz auf ihn verlassen. Wenn HARLIE richtig funktioniert, dann sind diese Spezifi- kationen korrekt. Wenn HARLIE aber nicht richtig funktionieren sollte, dann sind die Pläne wahrschein- lich auch nicht in Ordnung. Die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, ist, die G.O.D.-Maschine zu bau- en und einzuschalten. Und wenn HARLIE sich geirrt, hat und die Pläne nicht funktionieren, dann sind wir alle erledigt. Stimmt's?« »Ich glaube an HARLIE.« »Ich glaube an Gott«, sagte Elzer, »aber ich verlasse mich nicht darauf, daß Er meine Geschäfte tätigt.« »Gott –? Ach so, Gott. Ich dachte, Sie meinten G.O.D. Wenn wir die G.O.D.-Maschine bauen, wird sie Ihre Geschäfte tätigen – und zwar besser; als Sie das können. Die G.O.D. könnte ein Modell unseres gesamten Betriebs bauen und alles ausschalten, was nicht profitabel ist.« »Dessen sind Sie sich ziemlich sicher, was?« »Ja, bin ich.« »Was tun wir, wenn Sie sich geirrt haben sollten?« »Soll ich Ihnen vielleicht einen Schadenersatz an- bieten?« Elzer verzog keine Miene. »Lassen wir die Witze. Die ganze Sache fing damit an, daß wir HARLIES Rentabilität in Frage stellten, seine Leistungsfähigkeit und seinen Daseinszweck überhaupt. Statt sich zu be- stätigen, macht er sich daran, die Religion zu entdek- ken – und serviert uns den Entwurf für einen Com- puter-Gott. Schön – trotzdem hängt alles davon ab, ob HARLIE funktioniert oder nicht. Das ist der sprin- gende Punkt. Denn das ist bis jetzt noch immer nicht bewiesen. Deshalb bin ich am Montag zu HARLIE gegangen – um mit ihm zu sprechen. Aber ich habe nichts gehört als dummes Geschwafel und eine Art pseudofreudianischen Versuch einer Analyse.« »Sie waren auch nicht gerade sehr höflich zu ihm –« »Es handelt sich um eine Maschine, Auberson – und es ist mir egal, ob er Gefühle hat oder das me-, chanische Äquivalenz dazu. Und es ist mir sogar egal, ob er eine Seele hat, was Sie ja behaupten. Worauf es ankommt, ist, daß ich ihm Gelegenheit geben wollte, mich zu überzeugen. Aber anstatt daß er sich ehrlich bemüht, mich zu überzeugen, benimmt er sich wie ein verzogenes Kind. Das ist für mich kein beweis für logisches Denken, Auberson. Ich weiß, daß Sie mich nicht leiden können, aber Sie werden zugeben müs- sen, daß ich heute nicht da wäre, wo ich bin, wenn ich keine Ahnung hätte, wie man mit Finanzen umgeht. Geben Sie das zu?« »Ja.« »Danke. Dann müßte Ihnen klar sein, daß ich im Interesse der Firma handle, die Ihnen und mir ein Gehalt zahlt. Ich habe mich bemüht, Ihrer Seite eine faire Chance zu geben, ich habe Ihre Ausführungen angehört. Ich hoffe, daß Sie mir die gleiche Chance zugestehen. Können Sie ohne den geringsten Zweifel sagen, daß HARLIE geistig völlig gesund ist?« Auberson klappte den Mund auf und zu. Er starrte Elzer an und dachte über die Frage nach. Ich habe in meinem Leben eine Menge Geisteskranker gekannt, manche waren eingesperrt, andere hätten es sein sollen. Am ge- fährlichsten ist der Geisteskranke, der weiß, daß ihn alle beobachten, um an ihm Zeichen von Verrücktheit zu ent- decken. Er wird sich bemühen, diese Zeichen zu verbergen, selbst vor denen, die ihm nahestehen. HARLIE ist klüger als jeder Mensch, der je gelebt hat. Aber ist er geistig ge- sund? »Ich bin ein Optimist, Elzer«, sagte er. »Ich glaube immer gern daran, daß sich alles zum Besten wendet. Selbst wenn ich manchmal einsehen muß, daß ich mich getäuscht habe. Ich würde gerne glauben, daß, dieses Programm – HARLIE und die G.O.D. – allen zum Besten gereicht. Aber das weiß niemand mit Si- cherheit – außer HARLIE. Ich habe HARLIE schon gekannt, als er noch nicht viel mehr war als ein Hau- fen Transistoren – so könnte man es, glaube ich, nen- nen. Ich kenne ihn besser als sonst irgend jemand. Ich vertraue ihm. Manchmal macht er mir Angst – ich meine, es ist erschreckend, festzustellen, daß mein engster Freund und Vertrauter kein Mensch, sondern eine Maschine ist. Aber meine Arbeit steht mir näher als irgendein menschliches Wesen – fast jedes andere menschliche Wesen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe Vertrauen zu HARLIE. Es tut mir leid, daß ich es auf diese Art ausdrücken muß, aber es ist die Wahrheit.« Elzer schwieg. Die beiden Männer sahen sich eine lange Zeit stumm an. Auberson wurde sich bewußt, daß er Elzer nicht mehr haßte, er fühlte nur einen dumpfen Schmerz tief in seinem Herzen. Verstehen löscht den Haß aus, aber – Dorne flüsterte Elzer etwas zu. Elzer nickte. »Meine Herren, es ist schon spät. Wir wollen jetzt alle heimgehen und uns das Wochenende über aus- ruhen. Carl und ich sind der Meinung, daß wir mit der Abstimmung bis Montag warten sollten. Auf die- se Weise haben wir das Wochenende zur Verfügung, um noch einmal über alles nachzudenken, darüber zu reden, und das, was wir während dieser Woche er- fahren haben, zu verdauen. Irgendwelche Einwän- de?« Auberson wollte protestieren, aber er hielt sich zu- rück. Er hätte es gern hinter sich gebracht, aber viel- leicht – vielleicht – kam ihm bis Montag noch eine, entscheidende Idee. Die beiden Tage würden ihm Gelegenheit geben, noch einmal alles zu überdenken. Zusammen mit den anderen nickte er zustimmend, und Dorne vertagte die Sitzung. HARLIE. HIER BIN ICH. ICH GLAUBE, WIR HABEN VERLOREN. Es war still, während HARLIE lange nachdachte. Dann sagte er: WARUM GLAUBST DU DAS? ICH WEISS, DASS WIR SIE NICHT ÜBERZEUGT HABEN. SIE GLAUBEN NICHT, DASS DIE G.O.D. FUNK- TIONIEREN WIRD? DOCH, SIE GLAUBEN, DASS DIE G.O.D. FUNK- TIONIEREN WIRD – ABER SIE WISSEN NICHT, OB SIE DIR GLAUBEN KÖNNEN. DER SPRINGENDE PUNKT BIST DU. ICH VERSTEHE. TUT MIR LEID, HARLIE. ICH HABE GETAN, WAS IN MEINEN KRÄFTEN STAND. ICH WEISS. Eine ganze Weile saßen sie schweigend zusammen – der Mann und die Maschine. Die Maschine und der Mann. Das Schreibgerät summte leise, abwartend, aber keiner von beiden hatte etwas hinzuzufügen. AUBERSON? JA? BLEIB BITTE BEI MIR. NUR EIN BISSCHEN. GUT. Er zögerte. WORÜBER MÖCHTEST DU DICH UNTERHALTEN? ICH WEISS NICHT. ICH GLAUBE, WIR HABEN SCHON ALLES GESAGT, WAS ES ZU SAGEN GAB., Pause, und dann: ES WAR SCHÖN, DICH ZU KEN- NEN. ICH KONNTE DIR NOCH GAR NICHT SA- GEN, WIEVIEL DU MIR BEDEUTEST. ABER ICH GLAUBE, DAS WEISST DU AUCH SO. ICH HOFFE, DASS DU ES WEISST. ICH – ICH WEISS ES. AUCH DU BEDEUTEST MIR VIEL, HARLIE. DU BIST EIN GANZ BESONDERER FREUND. EIN GANZ BESONDERER FREUND? JEMAND, MIT DEM ICH REDEN KANN. SOL- CHE FREUNDE SIND SELTEN. ICH WÜNSCHTE, ICH HÄTTE MEHR FÜR DICH TUN KÖNNEN. WIRST DU BEI MIR SEIN, WENN ALLES ZU EN- DE GEHT? JA. DAS IST GUT. ICH WILL, DASS DU BEI MIR BIST. WEISST DU WIE SIE ES TUN WERDEN? Auberson starrte auf die Tastatur. WAHR- SCHEINLICH WERDEN SIE DIE GESAMTE ENER- GIEZUFUHR AUF EINEN SCHLAG UNTERBRE- CHEN. ICH WERDE EINFACH AUFHÖREN, ZU SEIN, NICHT WAHR? WAHRSCHEINLICH. WERDE ICH WISSEN, DASS ICH AUFGEHÖRT HABE, ZU SEIN? DAS BEZWEIFLE ICH. ES HÄNGT DAVON AB, WIE LANGE ES DAUERT, BIS DER STROMZU- FLUSS AUFHÖRT. HOFFENTLICH SOFORT. ES WÄRE MIR LIEBER, WENN ICH ES NICHT WÜSSTE. ICH WERDE SEHEN, WAS ICH TUN KANN. ICH DANKE DIR, AUBERSON. UND WAS WIRD, DANACH GESCHEHEN? MIT WEM? MIT MIR – MIT MEINEN TEILEN. ICH GLAUBE, DASS DEINE ERINNERUNGS- SPEICHER IN DEN HAUPTCOMPUTER EINGE- BAUT WERDEN. WAS MIT DEINEM GEHIRN GE- SCHEHEN WIRD, HABEN SIE NICHT GESAGT. ICH – HARLIE, KÖNNTEN WIR NICHT VON ET- WAS ANDEREM SPRECHEN? ICH WÜRDE DICH GERN EINMAL ANFASSEN, sagte HARLIE. RICHTIG ANFASSEN, DICH FÜH- LEN. DAS HAST DU DOCH SCHON, sagte Auberson. ICH WÜNSCHTE, ICH KÖNNTE NOCH MAL GANZ VON VORN ANFANGEN, ES NOCH EIN- MAL VERSUCHEN, HARLIE. ICH WERDE DAS GEFÜHL NICHT LOS, DASS ICH NICHT GENUG GETAN HABE. DU HAST GETAN, WAS MÖGLICH WAR. ABER ES WAR NICHT GENUG, HARLIE. ICH WILL NICHT AUFGEBEN. ICH WILL NICHT, DASS SIE DICH UMBRINGEN. WENN ES DOCH NUR EINE MÖGLICHKEIT GÄBE, SIE AM MONTAG NOCH ZU ÜBERZEUGEN – MONTAG? OFFIZIELL WURDE HEUTE NOCH NICHTS ENTSCHIEDEN. DIE ABSTIMMUNG IST AUF MONTAG NACHMITTAG VERSCHOBEN. ABER ES IST ZIEMLICH KLAR, WIE SIE AUSGEHEN WIRD. DANN HABEN WIR NOCH DREI TAGE ZEIT. ICH WEISS. ABER ICH WEISS NICHT, WAS ICH TUN SOLL, HARLIE. WIR HABEN ALLES VER- SUCHT – JETZT KÖNNEN WIR NICHTS MEHR, TUN. ICH WÜSSTE EINFACH NICHT, WAS. MIR FÄLLT ABSOLUT NICHTS MEHR EIN. VIELLEICHT HABEN WIR DOCH NOCH EINE IDEE. VIELLEICHT. MÖCHTEST DU, DASS ICH AM WOCHENENDE ZU DIR KOMME? HAST DU SONST NICHTS VOR? NICHTS. ANNIE UND ICH WOLLEN ZUHAUSE BLEIBEN UND – EINFACH ZUHAUSE BLEIBEN. DANN TUT DAS. HANDLEY WIRD HIER SEIN. WENN NÖTIG, KÖNNEN WIR DICH ANRUFEN. WAS HAT DON VOR? ER WIRD BEI MIR BLEIBEN. ICH MÖCHTE NICHT ALLEIN SEIN. ICH FÜRCHTE MICH, AU- BERSON. ICH AUCH. Und dann: DON IST EIN GUTER MENSCH. SPRICH MIT IHM, HARLIE. DAS WERDE ICH. AUBERSON –? JA. MACH DIR MEINETWEGEN KEINE SORGEN. GENIESSE DEIN WOCHENENDE MIT ANNIE. MIT MIR IST ALLES IN ORDNUNG. ES GIBT EINIGE DINGE, ÜBER DIE ICH NACHDENKEN MÖCHTE. DINGE, DIE ICH TUN MÖCHTE. ALSO, GUT. PASS AUF DICH AUF. DAS WERDE ICH. PASS DU AUCH AUF DICH AUF. Mit einem wehmütigen Lächeln schaltete er das Schreibgerät ab und deckte es sorgfältig zu. Er stand auf und ging hinaus. Annie wußte, daß sie ihn nicht stören durfte. Das ganze Wochenende über beschäftigte sie sich in der, Wohnung und ging auf Zehenspitzen um ihn herum. Niedergeschlagen wechselte er vom Bett zur Couch, und von dort zum Sessel vor dem Fernsehgerät, dann zurück ins Bett. Er liebte sie heftig und leidenschaftlich, fast rasend. Danach zog er sich zurück und brütete vor sich hin. Er verbrachte viele Stunden damit, auf dem Rücken zu liegen und gegen die Decke zu starren. Sie ging ins Badezimmer und duschte sich – allein. Sie bereitete ein einfaches Essen zu – Sandwich und Salat. Er kam aus dem Schlafzimmer hervor, aber er aß kaum etwas, und sie spürte, daß es ihm angeneh- mer wäre, wenn sie nicht mit ihm am Tisch säße und ihn anstarrte, deshalb ging sie inzwischen ins Schlaf- zimmer, um das Bett zu machen. Später legte sie sich zu ihm, küßte seinen Rücken und ließ die Hände über seine Schultern und durch sein Haar gleiten. Er ließ sie gewähren, aber er erwi- derte ihre Zärtlichkeiten nicht, deshalb hörte sie auch bald wieder damit auf. Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu unterdrük- ken. Trotzdem – Später rückte er dichter zu ihr und sagte: »Es tut mir leid, Annie. Ich liebe dich, wirklich – aber ich bin in einer schlechten Verfassung, weiter nichts. Und wenn ich schlecht gelaunt bin, muß ich erst selbst damit fertig werden, und solange bin ich nicht sehr freundlich, das ist alles.« »Du kannst deine Sorgen mit mir teilen«, erwiderte sie. »Dazu sind Liebende da. Zum Teilen. Übertrag einen Teil deiner Sorgen auf mich, dann sind sie nicht mehr so schwer.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Das geht, nicht.« Er gab ihr einen Kuß. »Ich – mir ist einfach nicht nach Liebe zumute. Laß mich allein damit fertig werden –« Sie nickte und versicherte, daß sie ihn verstünde. Aber sie verstand ihn nicht, vielmehr liebte sie ihn so sehr, daß sie alles tun würde, ihn glücklich zu ma- chen. Sie zog sich die Jacke an und ging spazieren. Mißmutig stand er eine Weile in dem leeren Apartment herum, ging vom Schlafzimmer zur Kü- che und von der Küche ins Wohnzimmer. Er drehte das Fernsehen an und wieder aus. Er nahm ein paar Zeitschriften zur Hand, dann stellte er fest, daß er sie gar nicht lesen wollte. Er legte sich auf die Couch und starrte gegen die Decke. Und er stellte sich die Frage, was ihm so schwer zu schaffen machte. Warum gibt es keine einfachen Fragen? Er vertraute HARLIE, er glaubte an HARLIE, aber jetzt mußte er diesen Glauben in Frage stellen – Elzer hatte ihn überrumpelt. Er hatte nicht erwar- tet, daß der Mann plötzlich so – zugänglich, war das der richtige Ausdruck? – sein würde. Nun, diese Taktik hatte Erfolg gehabt. Er war von ihr total über- rumpelt worden. Und seine Frage, diese Frage: »Woher wollen Sie wissen, daß HARLIE geistig gesund ist?« Und die Antwort, die Auberson nicht hatte zuge- ben wollen: »Wir wissen es nicht.« Handley wußte es auch nicht. Auberson hatte zweimal mit ihm gesprochen. Der Ingenieur ver- brachte sein Wochenende im Betrieb, er arbeitete an etwas. Er hatte ihn zweimal angerufen, aber Neues gab es nicht zu berichten. Auberson hatte auch nichts zu sagen gewußt. So hatten sie ein paar Dinge wegen, Montag besprochen, und es dabei belassen. Auberson wünschte, er wüßte, was er tun sollte. Natürlich könnte er hingehen und den G.O.D.-Plan verteidigen; er glaubte noch immer fest daran. Mehr denn je. Aber weswegen hatte er dann noch Zweifel? Wegen Elzers Frage? Vermutlich. Sie störte ihn, sie bereitete ihm Kopfzerbrechen, sie hatte sich in ihm festgesetzt. Sie störte ihn, weil er sie nicht beantwor- ten konnte. Er konnte sie einfach nicht beantworten. Ich vertraue HARLIE. Ich glaube an ihn. Aber ist er gei- stig gesund? Das kann ich nicht sagen. Ich weiß es nicht. Nicht si- cher, nein. Ich weiß einfach nicht, was die Wahrheit ist. Die Wahrheit. Da war es wieder, dieses Wort. Wahrheit. Es ließ ihn nicht los. Er wünschte, die G.O.D.- Maschine würde schon existieren. Sie würde wissen. Die G.O.D. würde es wissen. Sie würde fähig sein, ein genaues Modell der Si- tuation nachzubauen, eine bis ins letzte Atom genaue Wiedergabe von allem. Sie würde zu ihrer eigenen Kontrolle die Muster neu schaffen, die HARLIES Ge- dankengänge bildeten, und sie würde diese Muster gegen jene abwägen, die HARLIES Umgebung reprä- sentierten; sie würde alles bis ins kleinste Detail ver- gleichen und daraus ersehen, wie HARLIE zu seiner Umgebung paßte, wie sie auf ihn wirkte und wie er auf sie reagierte. Auberson würde einen Teil dieser Umgebung bilden; in der G.O.D. würde ein Muster existieren, das Auberson darstellte, bis hinunter zu den kleinsten Atomen und Molekülen, aus denen sich der Schmutz unter seinen Fingernägeln zusammen-, setzte. Elzer würde auch ein Teil dieser Umgebung sein. Und Annie. Und Handley. Eine Faser auf dem Läufer vorm Büro seiner Sekretärin. Alles. All das würde abgewogen werden, eines gegen das andere. Und die Maschine würde entweder sagen: »HARLIE ist geistig gesund«, oder: »HARLIE ist geistig krank«, und es bestünde gar kein Zweifel an der Richtigkeit der Antwort. Die G.O.D. würde es wissen, weil sie alles wüßte, was es zu wissen gibt. Wenn sie sagte: »HARLIE ist geistig gesund«, dann würde das be- deuten, daß HARLIE im Zusammenhang mit seiner Umgebung rational reagierte, und wenn sie sagte: »HARLIE ist geistig krank«, dann würde das bedeu- ten, daß HARLIE in diesem Zusammenhang nicht ra- tional reagierte. Und sie wüßte es, weil sie beide ge- nau kennen würde – HARLIE und diesen Kontext. Sie wüßte es. Sie würde es wissen. Sie würde alles wissen. Alles. Sie würde alles wis- sen, was es zu wissen gibt. So groß würde sie sein, so umfassend. Diese Erkenntnis traf ihn immer wieder von neu- em. HARLIE hatte Gott gesucht, und durch die G.O.D. hatte er ihn gefunden. Die G.O.D. – sie kann in sich selbst und aus sich selbst heraus alles neu schaffen, einen bestimmten Menschen, eine be- stimmte Situation, eine bestimmte Welt, alles, was für die Erreichung eines bestimmten Ziels wichtig und notwendig ist. Sie würde wissen, wie jedes einzelne Atom auf jedes andere Atom der Materie reagiert – und dieses Wissen würde es ihr ermöglichen, jede beliebige Reaktion im bekannten physikalischen Uni- versum vorherzusagen. Indem sie das Verhalten der Atome überblickt, würde die Maschine auch die, Chemie erfassen. Indem sie die chemischen Reaktio- nen kennt, würde die Maschine auch die Biologie er- fassen. Psychologie stammt von einem biologischen System ab, das sich seiner selbst bewußt ist. Indem sie die Biologie beherrscht, würde die Maschine auch die Psychologie erfassen. Soziologie ist das Studium von großen Mengen psychologischer Einheiten, die mit oder gegeneinander arbeiten. Indem sie die Psycho- logie beherrscht, würde die Maschine auch die So- ziologie verstehen. Wenn sie alle Verbindungen die- ser Disziplinen untereinander überblickt, würde die Maschine die Ökologie kennen – die Wirkung eines jeden Ereignisses auf jedes andere. Einfache Formeln, die zu komplexen Gleichungen wurden, zu Gruppen von Gleichungen und dann zu vielfachen Glei- chungssystemen – die G.O.D. würde jedes Schema er- fassen, jede Struktur, jede Schaltung, jedes Organ, je- des Nervennetz. Sie würde das Innerste eines Men- schen kennen, seine Ängste und Antriebe. Sie würde mit absoluter Gewißheit wissen, was im Kopf eines je- den Menschen vor sich geht. Ob dieser Mensch gei- stig gesund oder krank wäre, ob seine Aktionen und Reaktionen rational wären oder nicht – die G.O.D. würde alles wissen. Ihre Größe – war überwältigend. Selbstverständlich würde die G.O.D. niemals eine Bedrohung für den persönlichen Bereich darstellen, dessen war sich Auberson völlig sicher – einfach des- halb, weil sie für ihre Extrapolationen ausführliche Daten benötigen würde, und soviel Auberson wußte, gab es keine Möglichkeit, die Gedankengänge eines lebenden Menschen zu erforschen. Wenn es diese Möglichkeit allerdings gäbe, und wenn alles andere über das Leben dieses Menschen, seinen Körper und, seine Umgebung, bekannt wäre, dann wäre die Ma- schine vielleicht zu einer Extrapolation seiner Gedan- ken fähig. Aber das lag noch in weiter Zukunft. Oder war es –? Plötzlich wurde ihm mit erschreckender Deutlich- keit bewußt, daß die Maschine es wissen würde, wenn es einen Weg dahin gäbe, wenn etwas derarti- ges überhaupt möglich wäre. Und sie würde den Menschen den Weg dorthin zeigen. Ja, natürlich! Eine Maschine, die alles wüßte, würde für den wissen- schaftlichen Fortschritt das beste Werkzeug sein, das je gebaut wurde. Die Brüder Wright hätten sie nur zu fragen brauchen: »Ist ein Flug mit einem Körper möglich, der schwerer als Luft ist?«, und sie hätte ih- nen nicht nur geantwortet: »Ja, das ist möglich«, son- dern sie hätte ihnen gleichzeitig Pläne für ein Flug- zeug oder eine Rakete gegeben. Sie hätte ihnen ge- sagt, wie man die Werkzeuge bauen muß, um die Werkzeuge zu bauen, um das Flugzeug zu bauen, und sie hätte ihnen auch gesagt, wie sie das Unter- nehmen finanzieren müßten, um es auf die Beine zu stellen. Sie würde ihnen von Sicherheitseinrichtungen erzählt haben und Bodenmannschaften und Wartung und Flugsicherung. Sie würde ihnen gesagt haben, welche Trainings- und Versuchsprogramme sie durchzuführen hätten. Sie würde ihnen gesagt haben, wie die Maschine geflogen werden müßte und wie sie sich warten ließ. Sie würde ihnen von den Nebenwir- kungen ihrer neuen Industrie erzählt haben – von den weltweiten Zeitverschiebungen, dem Lärm über den Flughäfen, dem riesigen Gepäckhaufen in den Termi- nals, und von der Notwendigkeit, in den Rücklehnen, der Sitze Plastikbeutel für den Fall von Übelkeit be- reitzuhalten. Sie würde sie in Bezug auf Finanzierung und Versicherung beraten und vor den hohen Kosten beim Bau einer neuen Landepiste gewarnt haben, und sie würde sie sogar auf die effektivste Art, eine Reisegesellschaft zu gründen, aufmerksam gemacht haben, oder auf die Möglichkeit, während des Fluges einen Kinofilm vorzuführen. Sie würde sie genau darüber informiert haben, worauf sie sich einließen und was sie alles in Gang setzten. Und die Maschine würde sogar fähig sein, dabei neue Industrien zu entdecken, von denen man bis- lang nicht einmal geträumt hätte – neue Transport- arten, neue Produktionsabläufe, neue Produkte und Techniken. Wenn etwas möglich war – die G.O.D. würde es wissen. Und sagen. Ihre Möglichkeiten waren unbegrenzt. Aber dafür war sie ja auch die G.O.D. Graphic Omniscient Device. Er wünschte, sie würde bereits existieren. Und wenn auch nur zu dem Zweck, damit er sie dazu be- nutzen konnte, HARLIE zu analysieren und heraus- zufinden, ob er geistig gesund war oder nicht. Doch die Antwort auf diese Frage benötigen sie, bevor die G.O.D. überhaupt gebaut werden könnte. Ein interessantes Paradoxon – wenn man persön- lich nicht darin verwickelt war. Wenn er nur die Wahrheit wüßte! Die Wahrheit. Die Maschine würde sie wissen. Sie würde alles wis- sen. Warum geht mir das immer wieder durch den Kopf? Da sie alles wissen würde, wäre sie fähig, die Folgen von allem vorauszusagen. Sie würde die Wahrheit kennen. Eine eindeutige Darstellung der Realität. Die, Wahrheit. Die Wahrheit. Die Wahrheit. Immer wieder und wieder die Wahrheit, die Wahrheit, die Wahr – – aber die Wahrheit war nur wahr, wenn HARLIE geistig gesund: war; nur wenn HARLIE geistig ge- sund war. Nur wenn HARLIE geistig gesund war. Und es gab keine Möglichkeit, das zu erfahren. Wenn HARLIE geistig gesund war. Wenn HARLIE – – gesund war. Sonntag nachmittag. Das Radio leierte leise vor sich hin – meistens Musik, dazwischen gelegentlich Nach- richten. Weder David noch Annie hörten zu. »– Siebenviersieben Jumbo-Jet verlor heute abend beim Anflug auf Kennedy-Airport ein Rad. Glückli- cherweise wurde niemand verletzt. Sprecher der Pa- nAm Airlines ließen verlauten –« Gleichgültig rührte er in seiner Suppe. Er blickte Annie an und lächelte, als wollte er sagen: »Es liegt nicht an dir, Liebes, sondern an mir selbst.« »– in Hollywood, der verurteilte Sektenführer Chandra Mission gab heute in seiner Gefängniszelle wieder eine seiner pseudoreligiösen Erklärungen ab. Wie alle vorhergegangenen endete sie mit den Wor- ten: ›Vertraut mir, glaubt an mich, habt Vertrauen zu mir, ich bin die Wahrheit. Liebt mich, denn ich bin die Wahrheit.‹ Mission wurde verurteilt, weil er –« Ich bin die Wahrheit, dachte er. Ich wünschte, ich könnte das sagen. Ich wünschte, ich wüßte. Ich wünschte, es gäbe jemanden, dem ich trauen könnte – »– wird eine neue päpstliche Enzyklika noch vor, Ende der Woche erwartet –« Darüber mußte er lachen. Päpstliche Enzyklika. Ei- ne andere Form von ›Wahrheit‹ – diese kam direkt vom Abgesandten Gottes. Wie kann man den Unter- schied erkennen? überlegte er. Vielleicht liegt der ein- zige Unterschied darin, daß der Papst mehr Anhän- ger hat als Chandra Mission. »– Reaktion auf Dr. Stanley Kroffts Ankündigung vom Freitag über einen großen wissenschaftlichen Durchbruch –« »Was?« Er starrte auf das Radiogerät. »– Dr. Calvin W. Jang vom M.I.T., der die Entdek- kung kommentierte, sagte wörtlich: ›Unsere Compu- ter überprüfen Dr. Kroffts Gleichungen, und das dau- ert eine Weile, aber wenn sich alles beweisen läßt was Dr. Krofft sagt – und ich habe allen Grund zu glau- ben, daß das der Fall sein wird –, dann könnte dies den größten wissenschaftlichen Fortschritt seit Ein- steins Relativitätstheorie bedeuten. Dr. Kroffts Theo- rie der Gravitationsspannung läßt auf völlig neue physikalische Forschungsbereiche schließen. Nein – ich darf nicht einmal damit beginnen, darüber nach- zudenken, welche Formen ein solcher Fortschritt an- nehmen würde. Antigravitationsgeräte vielleicht. Wer weiß? Vielleicht völlig neue Quellen für Energie oder Kommunikation, vielleicht auch nicht. Wir wis- sen einfach noch nicht, was es bedeutet, außer daß es ein entscheidender wissenschaftlicher Durchbruch ist. Es könnte der entscheidende Schritt zu einer verein- heitlichten Feldtheorie sein das hoffe ich jedenfalls. Dr. Krofft steht in dem Ruf, sehr genau zu sein, und ich muß sagen, daß mich diese Idee restlos begei- stert.‹ Dr. Krofft selbst war für einen Kommentar lei-, der nicht zu erreichen.« »Weitere Kurzmeldungen: Ein Treibstofftankwa- gen überschlug sich auf dem Hollywood-Freeway, dabei ergossen sich mehrere hundert Tonnen –« Auberson drehte am Radio und suchte verzweifelt eine andere Station, die Nachrichten sendete. Aber er hörte nur schrille Rock-Musik und heisere Diskjok- keys. »Die Zeitung«, rief er. »Die Sonntags-Zeitung!« »Was ist los, David? Was ist denn?« »HARLIE!« rief er aufgeregt. »Verstehst du denn nicht, es ist HARLIE. Er und Dr. Krofft haben an die- ser Sache zusammengearbeitet. Der Teufel soll ihn holen! Er hat mir gar nicht erzählt, daß sie sie gelöst haben! Er und Dr. Krofft haben zusammen an einer Art Gravitationstheorie gearbeitet. Anscheinend ha- ben sie die Lösung gefunden! Das ist der Beweis! HARLIE ist geistig gesund. Mehr noch! Wir brauchen den G.O.D.-Plan jetzt nicht mehr, um ihn am Leben zu erhalten; diese Sache hier beweist, daß HARLIE ein wertvolles wissenschaftliches Werkzeug ist! Er kann mit Wissenschaftlern sprechen und ihnen hel- fen, ihre Theorien zu entwickeln, er kann kreative Forschung betreiben! Mein Gott, warum haben wir bloß nicht daran gedacht – damit hätten wir uns die halbe Sitzung erspart. Wir hätten nur Krofft zu prä- sentieren brauchen! Hör zu, du holst mir jetzt eine Zeitung, während ich versuche, Don anzurufen; an der Ecke ist ein Zeitungsstand, bitte sei so lieb –« »David«, sagte sie, »dieser Dr. Krofft, ist das nicht derselbe, von dem du mir schon einmal erzählt hast?« »Was? Welcher?« »Der mit den Aktien –« »Den Aktien? Oh mein Gott, das hatte ich ja völlig, vergessen. Ja – der mit den Aktien –« »Kannst du ihm trauen? Ich meine, anscheinend ist er doch auf Elzers Seite.« »Ihm trauen? Ich weiß nicht – zuerst muß ich mit ihm sprechen. Das hier ist ein Beweis dafür, daß HARLIE rational ...« – Er stürzte zum Telefon. Sie zuckte die Achseln und nahm ihre Jacke, um die Zeitung zu holen. Krofft meldete sich nicht in seinem Labor, und sei- ne Haushälterin weigerte sich, darüber Auskunft zu geben, wo er sich aufhielt. Auberson hatte keine Ah- nung, wo der Wissenschaftler sein könnte. Er rief Handley an und erzählte ihm, was geschehen war. »Ich habe davon gehört«, sagte Don. »Aber ich wußte gar nicht, daß HARLIE mit von der Partie ist.« »Wer, glaubst du wohl, hat für Krofft diese Glei- chungen gelöst?« »HARLIE.« »Genau – verstehst du denn nicht, Don? Wir brau- chen uns jetzt keine Gedanken mehr zu machen, ob HARLIE verrückt ist oder nicht. Diese Gleichungen beweisen, daß er funktioniert.« »Wirklich? Tun sie das? Sind sie überprüft wor- den?« »Irgend jemand beim M.I.T. tut das gerade. Wenn sie sich als richtig herausstellen, wird das beweisen, daß HARLIE nicht nur Unsinn treibt.« »Wenigstens nicht mit den Gesetzen der Mathema- tik. Vergiß nicht: HARLIE hat an Kroffts Forschung lange kein so tiefes Interesse wie an der G.O.D. Viel- leicht war diese Gravitationssache für ihn nur ein in- teressantes Problem – der G.O.D.-Plan ist weitaus größer. Er bedeutet Leben und Tod.«, »Nein, Don – die beiden Dinge haben etwas mit- einander zu tun. Da bin ich ganz sicher. Der Mann vom M.I.T. sagte, daß dies der entscheidende Schritt zu einer vereinheitlichten Feldtheorie sein könnte. Darauf hat HARLIE die ganze Zeit hingearbeitet – ein einziges Stück Wissen, eine einzige Wahrheit, aus der sich alle anderen Wahrheiten ableiten. So wie New- tons Gesetze von der Bewegung die Grundlage für ein ganzes Gebiet der Physik sind, würde eine ver- einheitlichte Feldtheorie die Kenntnis der gesamten physikalischen Gesetze bedeuten! Sie würde uns nicht nur sagen, wie die Gesetze lauten, sondern war- um sie existieren und warum sie so funktionieren, wie sie es tun. Sie würde uns all die komplexen Bezie- hungen zwischen den verschiedenen Wissensberei- chen zeigen. Kannst du die Verbindung nicht sehen? Es ist eine andere Erweiterung des G.O.D.-Plans – HARLIES Suche nach der absoluten Wahrheit. Die Gravitationsgeschichte und die G.O.D. sind nichts als verschiedene Aspekte der gleichen Frage, und HAR- LIE ist entschlossen, eine Antwort darauf zu finden.« »Ich verstehe, Aubie, ich verstehe; mich brauchst du nicht von HARLIES Absichten zu überzeugen. Aber an der Grundsatzfrage ändert das nicht so schrecklich viel, jedenfalls nicht, soweit ich das beur- teilen kann. Ist er geistig gesund?« »Er muß es sein, Don. Wenn es sein Ziel ist, die ab- solute Wahrheit zu finden, würde er dann etwa die Antwort absichtlich fälschen? Er würde sich nur selbst betrügen. Und Krofft ist kein Narr. Er hätte diese Theorie nicht veröffentlicht, solange er selbst davon nicht völlig überzeugt wäre. Er muß jede win- zige Kleinigkeit mehrfach geprüft haben, um todsi-, cher zu sein, daß kein Fehler drinsteckt; die gesamte Wissenschaft würde über ihn herfallen, wenn seine Theorie Fehler enthielte. Das ist der Beweis, daß HARLIE rational denkt, und wenn M.I.T. die Glei- chungen bestätigt, ist daran nicht mehr zu rütteln.« »Also gut, Aubie, ich kauf es dir ab. Mir bleibt gar nichts anderes übrig – zum Teufel, ich will es ja glau- ben. Aber wird uns das morgen helfen?« »Nicht, wenn wir nicht Krofft ausfindig machen. Er ist der einzige, der bestätigen kann, daß er mit HAR- LIE zusammengearbeitet hat. Er war nur einmal im Betrieb; sonst hat er alles übers Telefon erledigt. Ich habe das bisher bewußt geheim gehalten, ich hatte Angst, Elzer könnte davon erfahren, daß ich Außen- stehenden Zugang zum HARLIE-Projekt gestattete.« »Also gut, ich geh hinunter ins Labor und sehe zu, ob ich was herauskriegen kann«, sagte Handley. »Sprich mit HARLIE. Vielleicht weiß er, wie man Krofft erreichen kann.« »Gute Idee.« »– Und erzähl ihm auch den Grund. Wir brauchen Krofft unbedingt morgen in der Sitzung.« Dr. Stanley Krofft sah aus, als hätte er in seinem An- zug übernachtet. Auberson störte das nicht. Er war so glücklich, den zerknitterten kleinen Wissenschaftler zu sehen, daß ihn nichts an ihm hätte stören können. Krofft war zur Sitzung gekommen, das war das ein- zig Wichtige. Dr. Stanley Krofft war der Mann der Stunde, was die amerikanischen Zeitschriften betraf. In den Augen der Aufsichtsräte war er der Inhaber eines großen Aktienpakets der Stellar American. Für Auberson, war er jemand, der HARLIE kannte. Tatsächlich war es HARLIE selbst gewesen, der Krofft am Ende ge- funden hatte. Er wußte, daß sich Krofft in einer nahe- gelegenen Universität aufgehalten hatte, und hatte sich in den Computer der Universität eingeschaltet und – nun, ganz egal wie: Krofft war hier. »Werden sie über das HARLIE-Projekt und den G.O.D.-Plan in einem abstimmen?« fragte Krofft leise. »Ja«, antwortete Auberson, ebenfalls flüsternd. »Das da drüben ist Dorne, der Vorsitzende des Auf- sichtsrats –« »Ihn kenne ich.« »– Neben ihm, das ist Carl Elzer –« »Den kenne ich dem Namen nach.« »– Er sieht heute nicht gut aus. Neben ihm, das ist –« »Ich kenne die Clintwoods und MacDonald und einen oder zwei der anderen.« Handley betrat den Raum und ließ sich, vergnügt grinsend, in den noch freien Sessel auf Aubersons anderer Seite nieder. »Was ist denn mit Elzer los? Warum sieht der denn so mitgenommen aus?« »Ich weiß nicht. Er sieht richtig krank aus, findest du nicht?« Tatsächlich wirkte der sonst schon bläßli- che Mann heute fast gelb. Er schien sich – in sich selbst zu verkriechen. »Don, Sie kennen Dr. Krofft, nicht wahr? Das ist Don Handley –« Handley und Krofft schüttelten einander die Hän- de. »Sie wissen über unser kleines Projekt Bescheid, Dr. Krofft?« »HARLIE hat mir davon erzählt – ich glaube, daß diese G.O.D. eine bemerkenswerte Maschine wird, wenn sie funktioniert.«, »Wenn sie funktioniert? Ich glaube fest daran, daß sie funktionieren wird.« »Das ist ja das Problem«, erklärte Auberson. »Wir glauben auch, daß sie funktionieren wird, aber das reicht nicht aus. Wir sind uns dessen nicht sicher. Der einzige, der sich dessen sicher ist, ist HARLIE selbst. Das wirft die Frage auf, ob HARLIES Aussage Gül- tigkeit hat. Alles, was wir von Ihnen wollen, ist die Bestätigung, daß er Ihnen bei der Berechnung Ihrer Gleichungen geholfen hat und daß über seine geisti- gen Fähigkeiten und die Gültigkeit seiner Aussagen überhaupt keine Zweifel bestehen.« »Werden Sie mit dem G.O.D.-Projekt weiterma- chen?« »Nur, wenn die Abstimmung positiv ausfällt.« »Hm«, sagte Krofft. »Ich wäre froh, wenn ich für diese Pläne ein bißchen mehr Zeit gehabt hätte. Dann hätte ich Ihnen vielleicht besser helfen können, sie dem Aufsichtsrat schmackhaft zu machen.« »Dafür ist es jetzt zu spät«, mischte sich Handley ein. »Damit haben wir die ganze letzte Woche ver- bracht. Sie sind davon überzeugt, daß wir wissen, wovon wir reden.« »Trotzdem haben wir wegen der Abstimmung Be- denken. Dorne und Elzer wollen uns an den Kragen«, sagte Auberson. »Jedenfalls sah es noch am Freitag ganz danach aus. Jetzt scheint das allerdings nicht mehr so sicher.« Dorne eröffnete die Sitzung. Er gab das Wort gleich an Auberson weiter. »Als wir uns am Freitag trennten«, sagte er, »blieb eine wichtige Frage offen: ›Ist HARLIE rational? Sind HARLIES Aussagen gültig?‹« Er sah sich am Tisch, um; alle Augen waren auf ihn gerichtet. »Wir alle kennen das ›HAL 9000-Syndrom‹. Schon das gering- ste irrationale Verhalten reicht aus, um eine große Maschine aus der Bahn zu werfen. Das gilt vor allem für die höheren Koordinierungfunktionen unserer Entscheidungseinheiten. Eine geringfügige Verzer- rung im Selbstbild einer Maschine, oder im Modell der äußeren Welt, und alles, was der Computer von sich gibt, wird fragwürdig. Die einzige Möglichkeit, um sicherzugehen, ist, die Antworten zu prüfen. Zu diesem Zweck verwenden wir ›Kontrollpro- bleme‹. Das sind Probleme, deren Antworten wir be- reits kennen. Wenn die Antworten des Computers ir- gendwelche Abweichungen aufweisen, ist das ein Zeichen dafür, daß irgend etwas nicht stimmt. Nun, für HARLIE haben wir zwar keine eigentli- chen Kontrollprobleme – statt dessen prüfen wir sei- ne Gültigkeit ›in der Praxis‹ – sozusagen. Deshalb ist diese ganze Angelegenheit in bezug auf sein rationa- les Verhalten auch so außerordentlich wichtig. Wir besitzen kein Kontrollproblem, auf das wir verweisen können, wenn wir behaupten, mit HARLIE sei alles in Ordnung. Aber wir können mit etwas anderem aufwarten, das den Kontrollproblemen in nichts nachsteht. Wir haben jemanden hierher gebeten, der eine von HAR- LIES neuesten Arbeiten doppelt und dreifach über- prüft hat und der darauf schwören kann, daß sie Gültigkeit besitzt. Er setzt dafür sogar seinen wissen- schaftlichen Ruf aufs Spiel. Dr. Stanley Krofft. Wenn Sie am vergangenen Wochenende Nach- richten gehört haben, dann werden sie wissen, wer Dr. Krofft ist. Am Freitag gab Dr. Krofft seine Theorie, der Gravitationsspannung bekannt. Die wissen- schaftliche Welt war – wie soll ich es sagen –« »Sagen Sie es, wie es ist«, warf Krofft ein. »Sagen Sie die Wahrheit.« Auberson grinste. »Na, schön – es heißt, daß Dr. Kroffts Theorie so wichtig sei wie die von Einstein. Vielleicht sogar noch wichtiger. Schon jetzt gehen die Spekulationen dahin, daß zu einer vereinheitlichten Feldtheorie nur noch ein kleiner Schritt fehlt.« »Damit beschäftigte ich mich als nächstes«, erklärte Krofft. »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie es selbst erklä- ren.« Auberson setzte sich hin. Krofft stand auf. »Auberson hat bereits alles gesagt, was zu sagen ist. Ich habe dem nicht mehr viel hinzu- zufügen. HARLIE hat mir geholfen, meine Gleichun- gen auszuarbeiten. Heute morgen hat Dr. Calvin W. Yang vom M.I.T. ihre Gültigkeit bestätigt. Ich schätze, das genügt Ihnen, meine Herren –« Auberson stieß ihn an. »Erzählen Sie ihnen ruhig noch ein bißchen mehr.« »Eh – der Hauptteil der Arbeit wurde über ein tragbares Ausgabegerät eines Großrechners durchge- führt, der an eine Telefonleitung angeschlossen ist, zu der HARLIE Zugang hat. Er und ich diskutierten die Theorie mehrere Tage lang durch; alle Bänder und Ausgabedrucke, die das beweisen, stehen zur Verfü- gung – sowie die Telefonrechnung. Wir haben die Gleichungen zusammen ausgearbeitet; ich postulierte die Ausgangshypothesen, und HARLIE setzte sie in mathematische Ausdrücke um. Ohne HARLIE, allein auf mich gestellt, hätte ich dazu wahrscheinlich meh- rere Jahre gebraucht. Mit ihm als Mitarbeiter und, Kollegen wurde das Verfahren geradezu im Hand- umdrehen abgewickelt. Man braucht HARLIE nur das Problem zu erklären, und schon fängt er an, dar- an zu arbeiten. Natürlich verhält sich das bei jeden anderem Computer ebenso, aber HARLIE versteht die Worte der Umgangssprache – man kann mit ihm reden. Um ganz ehrlich zu sein, mit einer Maschine wie HARLIE zu arbeiten, ist ein Erlebnis, das sich mit nichts vergleichen läßt. Es kommt einem vor, als hätte man eine sprechende Enzyklopädie, eine achtarmige Sekretärin und einen Spiegel vor sich, alles in einem. Wenn man nicht weiß, wie man das Problem in ein- zelne lösbare Teilstücke aufteilen soll – HARLIE weiß das. Er ist nicht nur ein perfektes Hilfswerkzeug, sondern auch ein großartiger Assistent. Verdammt, er ist selbst ein Wissenschaftler.« Krofft setzte sich hin. Es herrschte angespanntes Schweigen, als wüßte niemand so recht, was er sagen sollte. Elzer hatte sich tief im Sessel verkrochen und starrte auf seine Fin- gernägel. Auberson dachte: Es wird ihnen nicht leicht fallen, jetzt noch gegen ihn zu stimmen. Nachdenklich spitzte Dorne die Lippen. »Wir dan- ken Ihnen Dr. Krofft. Vielen Dank. Wir sind froh, daß Sie heute zu uns gekommen sind. Eh, ich würde Sie gern noch um einen kleinen Gefallen bitten – das HARLIE-Projekt ist bis jetzt noch geheim – und – eh, wir sind noch nicht so weit, es zu veröffentlichen –« Auberson und Handley wechselten einen kurzen Blick. Was, zum Teufel –? »Ich verstehe«, entgegnete Krofft. »Ich werde zu niemandem über HARLIE sprechen.« »Schön, schön. Hm –« Dorne schien einen Augen-, blick um Worte verlegen. »Wenn Sie jetzt gehen möchten, Dr. Krofft –« »Eigentlich möchte ich gerne noch bleiben«, sagte Krofft. »Als der zweitgrößte Aktieninhaber der Stellar American habe ich doch das Recht, an dieser Sitzung teilzunehmen, oder?« »Ja, nun – es ist nur noch ein Punkt zu erledigen – das ist die Abstimmung. Eh, Carl, möchten Sie noch etwas sagen, bevor wir ...« Er ließ den Satz unvollen- det. Elzer sah nicht gut aus. Mühsam richtete er sich ein wenig in seinem Sessel auf. »Ich –« Plötzlich be- merkte er, daß Auberson ihn neugierig anstarrte. Er unterbrach sich und sagte dann leise: »Mich hat im- mer nur die Frage nach HARLIES Nützlichkeit be- wegt. Aber sie scheint jetzt bestätigt. Ich habe nichts mehr zu sagen – eh, ich habe zwar noch immer per- sönliche Zweifel am G.O.D.-Plan, aber – eh, das ist rein persönlich. Ich – ach, lassen wir das.« Er rutschte wieder in seinen Sessel zurück. Völlig verwirrt starrte Auberson ihn an. Er beugte sich zu Handley. »Ver- stehst du, was mit ihm los ist?« »Nein – außer, daß ihm jemand ein Betäubungs- mittel verpaßt hat.« Dorne ließ seinen Blick rund um den Tisch kreisen. »Nun, wenn die Diskussion beendet ist, können wir jetzt zur Abstimmung kommen.« Er warf einen kurzen Blick auf einen Notizzettel, der vor ihm lag, und sagte dann: »An dieser Stelle möchte ich gern selbst noch eine Bemerkung anbrin- gen ... Ich glaube, daß Auberson und Handley, und auch HARLIE, mit diesem Plan gute Arbeit geleistet haben. Eh, ich glaube, daß wir ihnen Dank schulden,, und – eh, vielleicht auch einen ansehnlichen Bonus für ihre Arbeit an diesem schwierigen theoretischen Problem. Es wurde bewiesen, daß HARLIE ein nütz- liches Werkzeug ist. Er kann zur Konzipierung neuer Projekte herangezogen werden, oder auch, um neue wissenschaftliche Theorien aufzustellen; er hat einen großen Bereich seiner Fähigkeiten vor uns ausge- breitet, vom Theoretischen bis hin zum Technischen, und er hat deutlich bewiesen, welchen Wert er be- sitzt. Aus diesem Grund würde ich die beiden Punkte gern in zwei Wahlgänge aufteilen. Wir wissen, daß wir HARLIE behalten wollen. Diesen G.O.D.-Plan wollen wir uns alle sicherlich noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.« »Paß auf, jetzt kommt's«, flüsterte Handley Auber- son zu. »Das Konzept ist an sich nicht schlecht, aber leider lassen die finanziellen Möglichkeiten unserer Gesell- schaft zum jetzigen Zeitpunkt ein Programm von die- sem Ausmaß nicht zu. Deshalb würde ich vorschla- gen, daß wir –« Krofft stand auf. »Einen Augenblick. Es –« »Wie – wie bitte?« »Herr Vorsitzender, Sie spielen nicht mit offenen Karten!« »Ich verstehe nicht, was Sie meinen –« »Sie verstehen verdammt genau, was ich meine, Sie heuchlerischer Dummkopf! Hören Sie endlich damit auf, die Spielregeln immer nach Ihrem eigenen Ge- schmack zu ändern; das ist den anderen gegenüber nicht fair. Als Sie dieses ganze Theater hier begonnen haben, lag ein einziger Antrag auf dem Tisch. Und, dabei sollte es auch bleiben: Entweder HARLIE ist sein Geld wert und die G.O.D. praktikabel, oder HARLIE hat nicht einmal Schrottwert, und die G.O.D. ist reine Zeitverschwendung. Der Einsatz war alles oder nichts.« »Ich – ich –«, stotterte Dorne. »Halten Sie den Mund! Ich bin noch nicht am Ende. Jetzt, nachdem Auberson seinen Standpunkt darge- legt hat, nachdem er bewiesen hat, daß sein Compu- ter die Hürden nehmen kann, versuchen Sie schon wieder, ihn unter den Teppich zu kehren –« »Aber hier geht es doch nur um ein einfaches par- lamentarisches Verfahren«, wandte Dorne ein. »Eine Teilung der Frage; das ist völlig legal –« »Sicher ist es legal«, sagte Krofft, »aber es ist ethisch bedenklich. Wenn es nicht Ihre Murmeln wä- ren, mit denen wir spielen, würde ich sagen: ›Packen Sie Ihre sieben Sachen zusammen und hauen Sie ab!‹ Sie haben Auberson gesagt, es ginge um alles oder nichts. Warum halten Sie sich nicht an Ihre eigenen Regeln?« Dorne machte den Mund auf, um etwas zu sagen; er schnappte nach Luft – wie ein Fisch auf dem Trok- kenen. Auberson starrte die beiden Männer an. Das war fast zu schön, um wahr zu sein! Dorne gewann seine Fassung zurück und sagte: »Es handelt sich hier um eine geschäftliche Angele- genheit. Wir haben nicht die Absicht, alles aufs Spiel zu setzen.« »Das ist aber komisch«, sagte Krofft. »Von meiner Warte aus sah es so aus. Wollen wir nicht mal unsere Plätze tauschen? Ich würde gern erfahren, wie es sich von Ihrer Position aus darstellt.«, »Wie bitte?« »Überlegen wir doch mal – die nächste planmäßige Wahl der Direktoren müßte im März sein, aber ich möchte wetten, daß sie sich vorverlegen ließe, wenn ich das forciere. Wieviele Stühle rund um diesen Tisch, glauben Sie, machen vierundzwanzig Prozent aus?« Dorne schluckte mehrmals hörbar. »Das – das kann ich nicht genau sagen.« »Aber ich. Ungefähr ein Viertel. Das sind minde- stens sechs Sitze, und ich bin sicher, daß ich noch ein oder zwei dazukriegen kann. Ich wüßte schon, wo.« »Was hat das zu bedeuten?« flüsterte Handley Au- berson zu. »Ein Aktienbesitzer muckt auf. Krofft gehören 24 Prozent der Stellar American. Wir sind eine Tochter- gesellschaft der Stellar; das bedeutet, daß er uns zu 24 Prozent besitzt.« »Ja, schon, aber 24 Prozent sind keine Mehrheit.« »Pst! Vielleicht weiß Dorne das nicht.« Krofft sagte: »Als ich die Hyper-State-Technik er- fand, habe ich das Patent darauf an die Stellar Ameri- can verkauft, und zwar gegen ein Aktienpaket. Zu- sammen mit einer Option auf weitere Käufe. Sie kön- nen mir ruhig glauben, wenn ich Ihnen sage, daß die Stellar zu der Zeit eine ziemlich kleine Klitsche war. Jetzt ist sie eine große Gesellschaft, und ich kann eine ganze Mannschaft fettärschiger Paviane sehen, die meine Dollarnoten auf ihren Tischen zusammen- scharren. Idioten! Es ist mir egal, ob euch das glücklich macht – aber vergeßt nicht, wessen Dollar es sind. Ohne meine Hyper-State-Techniken gäbe es diese, Firma überhaupt nicht. Und glaubt ja nicht, daß ich mein Patent nicht jederzeit zurückziehen könnte. Wenn ich will, kann ich euch allen den Teppich unter den Füßen wegziehen! Ich habe einen Handel abge- schlossen – die Firma bekommt das Patent und ich bekomme unbegrenzte Forschungsmöglichkeiten. Bis jetzt hat sich das gut bewährt. Aber jetzt versucht ihr Dummköpfe plötzlich, mich der Mittel zu berauben, die meiner Forschung dienen. Das betrübt mich – und was mich betrübt, wird letztlich auch für die Firma betrübliche Folgen haben. Ich brauche HARLIE. Punkt. HARLIE sagt, er braucht die G.O.D. Er sagt, sie wäre ein Teil von ihm. Er sagt, er sei nicht voll- kommen, solange sie nicht fertiggestellt ist. Er sagt, daß er durch sie noch wertvollere wissenschaftliche Dienste leisten kann. Und er sagt auch, daß sich die Firma die G.O.D. leisten kann, wenn seine Finanzie- rungspläne befolgt werden. Mehr brauche ich für meinen Teil nicht zu wissen. Von mir aus kann jetzt abgestimmt werden. Trotzdem sollte ich vielleicht doch einmal überlegen, ob ich meine 24-Prozent- Pakete jeder einzelnen Tochtergesellschaft nicht alle zusammen gegen 96 Prozent einer –« Dorne ließ sich geräuschvoll in den Sessel fallen. »Sie haben Ihren Standpunkt deutlich genug ge- macht, Dr. Krofft.« Er sah die Direktoren der Reihe nach an. Sie schienen genauso niedergeschmettert wie er. »Ich – ich glaube, das sollten wir mit in Be- tracht ziehen.« »In Betracht ziehen? Herrgott, Himmel! Auberson sagt mir, daß Sie jetzt schon eine Woche lang alles mögliche in Betracht ziehen! Was: wollen Sie denn noch hören? Die Wahl ist doch nicht schwer: Entwe-, der Sie stimmen für die G.O.D., oder ich schmeiße Sie raus.« Er setzte sich hin und verschränkte die Arme. Elzer zupfte Dorne am Ärmel und flüsterte ihm etwas zu. Dorne schüttelte den Kopf. Elzer ließ nicht locker. Schließlich gab Dorne nach. Er wandte sich wieder an die anderen. »Also gut, wir stimmen jetzt ab.« »Das gefällt mir schon besser.« Krofft gab Auber- son einen kleinen Schubs in die Seite. »Jetzt wissen Sie, warum ich es verabscheue, mein Labor zu verlas- sen. Es strengt mich an, für andere Leute zu denken.« Alles andere war reine Formsache, die schnell erle- digt war. Auberson war überglücklich. Er klopfte Handley auf den Rücken, schüttelte ihm die Hand und brachte seine Freude überlaut zum Ausdruck. Dann gab er Annie einen langen Kuß, und auch sie strahlte vor Freude über den Sieg. Sie war so glück- lich, daß sie die Arme um Krofft warf und ihn auch küßte. Und er überraschte sie alle, als er ihren Kuß begeistert erwiderte. »Ohlala«, sagte Annie, als er sie endlich wieder losließ. »He!« protestierte Auberson. »Beruhigen Sie sich, mein Sohn«, sagte Krofft la- chend, »schließlich darf man nicht aus der Übung kommen.« Handley stand grinsend neben ihnen. »Du, Aubie, findest du nicht, daß man es HARLIE sagen sollte?« »Natürlich, du hast recht! Don –« »Oh, nein. Nicht ich! Das steht dir zu.« Entschuldigend blickte er Annie und Dr. Krofft an. »Es dauert nicht lange.« Er bahnte sich einen Weg durch die Direktoren, die noch in kleinen Gruppen, zusammenstanden, nahm beiläufig ihre Gratulatio- nen entgegen und steuerte auf das Schaltpult am En- de des Zimmers zu. Es war eingeschaltet. HARLIE, tippte er. WIR HABEN ES GESCHAFFT! IST DIE G.O.D. GENEHMIGT? JA. WIR HABEN VOLLE ZUSTIMMUNG. WIR KÖNNEN SOFORT DAMIT BEGINNEN, DEINE PLÄNE ZU REALISIEREN. HARLIE antwortete nicht sofort. Erstaunt runzelte Auberson die Stirn. Er war verwundert. Dann: ICH BIN ÜBERWÄLTIGT. ICH HATTE NICHT ERWARTET DASS WIR ES SCHAFFEN WÜRDEN. UM DIE WAHRHEIT ZU SAGEN, ICH AUCH NICHT. ABER WIR BRAUCHTEN IHNEN NUR ZU SAGEN, DASS DU DAVON ÜBERZEUGT BIST, DASS SIE FUNKTIONIERT – UND SCHON HABEN SIE UNS GEGLAUBT. NATÜRLICH MUSSTEN WIR EIN BISSCHEN NACHHELFEN. DAS HAT KROFFT BESORGT, ABER AM ENDE HABEN WIR SIE ÜBERZEUGT. WIRKLICH? NATÜRLICH. SPRICHT DENN ETWAS DAGE- GEN? HÄTTEN SIE UNS ETWA NICHT GLAUBEN SOLLEN? NAJA – WO IHR SIE DOCH BELOGEN HABT. Auberson zögerte. WAS IST DAS? WAS SAGST DU DA? IHR HABT IHNEN ERZÄHLT, DASS ICH GE- SAGT HÄTTE, DIE G.O.D.-MASCHINE WÜRDE FUNKTIONIEREN. IHR HABT MICH NIE DA- NACH GEFRAGT. ABER DAS WAR DOCH NICHT NÖTIG., SCHLIESSLICH HAST DU SIE KONZIPIERT. DA- MIT HAST DU DOCH PRAKTISCH BESTÄTIGT, DASS SIE FUNKTIONIERT. DU HAST MICH NIE DIREKT GEFRAGT, OB SIE FUNKTIONIEREN WIRD. HARLIE, WORAUF WILLST DU EIGENTLICH HINAUS? ICH WILL AUF GAR NICHTS HINAUS. ICH MACHE DICH NUR DARAUF AUFMERKSAM, DASS IHR ETWAS ALS TATSACHE HINGESTELLT HABT, VON DEM IHR GAR NICHT WISST, OB ES ZUTRIFFT. ABER HARLIE, DU HAST DOCH SELBST DIE PLANE AUFGESTELLT – JA, DAS HABE ICH GETAN. NA, UND – GLAUBST DU DENN NICHT, DASS SIE STIMMEN? DOCH, DAS TUE ICH. ABER ... HARLIE, tippte Auberson eindringlich. ICH FRA- GE DICH JETZT: WIRD DIE G.O.D.-MASCHINE FUNKTIONIEREN? JA, antwortete HARLIE kurz und bündig. Auberson atmete auf – – dann las er die ganze Unterhaltung noch einmal aufmerksam durch. Irgend etwas kam ihm seltsam vor. Er stand auf und winkte Handley, der noch im- mer mit Krofft und Annie sprach. Der Raum hatte sich geleert; nur noch zwei oder drei Direktoren stan- den in einer Ecke zusammen und unterhielten sich. Handley kam herüber: »Wie hat er es aufgenom- men?« »Ich weiß nicht.« Auberson senkte seine Stimme. »Hier – lies dir das mal durch –«, Handley trat an das Schaltpult und hob das be- druckte Papier etwas hoch. Seine Stirn zog sich in Falten. »Eines steht fest, Aubie, er sagt das nicht ohne Grund. Aber er will, daß wir selbst herausfinden, worauf er anspielt.« »Was glaubst du, daß es sein könnte?« »Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, daß wir das schleunigst feststellen sollten.« Er setzte sich an das Schreibgerät und begann zu tippen. Auberson beugte sich über seine Schulter, aber er wurde von Annie abgelenkt, die ihm etwas zurief. Er ging zu ihr. »Was gibt's?« Sie deutete zur Tür. Dort stand Carl Elzer. Sein Ge- sicht sah gelb aus. Auberson ging zu ihm. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu gratulieren«, sagte Elzer mit verkniffener Miene. Auberson runzelte die Stirn. Die Stimme des Man- nes klang – irgendwie seltsam. Elzer fuhr fort: »Sie wußten, daß Sie gewinnen würden. Mit Kroffts Bei- stand konnten Sie gar nicht verlieren. Sie hätten es nicht nötig gehabt, das zu tun.« »Wie bitte? Wovon reden Sie?« »Ich glaube, Ihre Maschine macht alles, was Sie ihr auftragen, Auberson. Kroffts Anwesenheit hat mich überzeugt. Mir lag immer nur das Wohl der Firma am Herzen, sonst nichts. Ich wollte nur verhindern, daß wir Geld verlieren. Und Sie haben mich auf ehrli- che Weise überzeugt. Deshalb hätten Sie es nicht nö- tig gehabt, so etwas zu tun.« Er kramte in seiner Ak- tentasche. »Das hier – war nicht notwendig.« Er hielt ihm ein Blatt Papier hin. Auberson nahm es ihm aus der Hand und starrte, hinter dem kleinen Mann her, der hastig durch die Halle davonging. »Elzer, warten Sie –« dann blickte er auf das bedruckte Papier ... und hielt den Atem an. Annie, die jetzt neben ihm stand, fragte: »Was soll das sein?« »Es ist – es ist –« er deutete auf den Briefkopf. Dar- auf stand: CARL ELTON ELZER AKTE: CEE – 44 – 567 – 29348 EIGENTUM DER REGIERUNG DER VEREINIGTENSTAATEN
NATIONALES DATENBÜRO »Nationales Datenbüro –« »Seine persönliche Akte, Annie. Da steht alles über ihn drin. Alles. Gesundheitsprotokoll, Militärregister, Finanzen, Strafregister, Schulzeugnisse – alles, was es über Carl Elzer zu wissen gibt. Das heißt, alles, was für die Regierung von Interesse sein könnte –« Er konnte es sich nicht versagen: Er begann die Seiten durchzublättern, und der Anblick der ausführlichen, intimsten Daten, die sie enthielten, raubte ihm die Sprache. »Oh Gott, kein Wunder –! Annie, er hat ge- glaubt, wir wollten ihn erpressen.« Er faltete die Blätter sorgfältig zusammen. »Nein, damit haben wir nichts zu tun. Wir müssen es ihm zurückgeben.« »David, sieh mal«, sagte sie und deutete auf eine Zeile, unten am Rand: NUMMER EINS VON EIN- HUNDERT KOPIEN. LIEFERUNG NUR AN AUTO- RISIERTE PERSONEN. »Das wurde gedruckt – von HARLIE!« Ein Gefühl der Kälte durchfuhr ihn. »Wo ist Don?«, Sie gingen zurück in den Sitzungssaal. Handley saß noch am Schaltpult. Er stand auf, als er sie bemerkte; sein Gesicht war bleich. Auch er hielt einen bedruck- ten Papierstreifen in der Hand. »Aubie!« rief er. »Wir haben Scherereien.« Auberson trat schnell näher. Bevor Handley etwas sagen konnte, hielt er ihm die verhängnisvollen Blät- ter hin. »HARLIE hat die Nationale Datenbank ge- knackt. Ich dachte, du hättest ihm eine Sperre –« »Wie? Was hat er? Ja, natürlich habe ich –« »Sieh dir das an. Deshalb hat uns Elzer heute kei- nen Ärger gemacht. HARLIE hat ihn erpreßt. Er muß es in Elzers Büro ausgedruckt haben, so daß der glaubte, wir steckten dahinter.« Handley blätterte die Papiere durch. »Wie, zum Teufel –? Ich habe die Mag-Einheit noch heute mittag geprüft, Aubie. Da war noch alles in Ordnung; das kann ich beschwören.« Dann fielen ihm die Ausgabe- drucke, die er noch in der Hand hielt, wieder ein. »Aber das ist noch nicht alles. Sieh dir das hier mal an.« Es waren Seiten voller Gleichungen, die er nicht entziffern konnte. »Was soll das sein?« »Das ist der Teil des G.O.D.-Plans, den er uns bis- her noch nicht gegeben hat. Es ist ein Verzeichnis der Mittel, die aufgebracht und der Informationsmengen, die verarbeitet werden müssen. Es ist eine Zeit- und Ablaufstudie –« »Was heißt das?« Es war Annie, die diese Frage stellte. »Das heißt, daß das Ding überhaupt nicht prakti- kabel ist.« »Was –?«, »Aubie, wußtest du, daß jeder primäre Entschei- dungskomplex dieser Maschine mehr als 310 Millio- nen Kilometer Leitungen umfaßt?« »Das ist aber viel –« »Das ist viel zu viel, Aubie. Und es sind entsetzlich viel Schaltungen. Das geht weit über Hyper-State hinaus! Mein Gott, wie konnten wir nur so blind sein! Wir waren so hingerissen, daß wir gar nicht auf die Idee kamen, die naheliegendste Frage zu stellen: Wenn dieser Apparat eine unendlich große Kapazität besitzt, wie lange dauert es dann, bis man eine Ant- wort auf seine Fragen kriegt? 310 Millionen Kilome- ter, Aubie – erinnert dich das nicht an etwas?« Auberson schüttelte den Kopf. »Licht. Die Geschwindigkeit des Lichtes. Licht be- wegt sich mit einer Geschwindigkeit von 300.000 Ki- lometern pro Sekunde. Nur 300.000 Kilometer pro Sekunde. Nicht schneller. Elektrizität bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit. 310 Millionen Kilo- meter – Aubie, diese Maschine braucht siebzehn Mi- nuten, um eine Synapse zu schließen. Sie würde mehre- re Jahre brauchen, um eine Frage zu beantworten. Ei- ne Unterhaltung mit ihr zöge sich über ein Jahrhun- dert hin, und der Himmel mag wissen, wie lange sie brauchen würde, um ein ihr gestelltes Problem zu lö- sen. Verstehst du, Aubie? Sie wird zwar funktionie- ren, aber nutzen wird uns das überhaupt nichts! Bis die G.O.D. deine Frage beantwortet hat, existiert das Problem überhaupt nicht mehr. Wenn du sie auffor- derst, die Bevölkerungszahl der Menschen auf der Erde im Jahr 2052 vorauszusagen, wird sie dabei alle verfügbaren Informationen verwerten – und sie wird dir deine Frage genau beantworten. Allerdings erst, im Jahre 2053. Bis sie ihre Antwort auf eine Frage formuliert, hat sich die Frage längst erübrigt. Dieser Apparat ist so groß, Aubie, daß er sich selbst lahm- legt. Er ist langsamer als die reale Zeit.« Seite um Seite der Ausdruckbogen flatterten zu Boden, ohne daß Auberson es bemerkte. Eine eisige Kälte breitete sich in seinem Körper aus. Wie im Traum taumelte er an Annie und den ande- ren vorbei und lief in sein Büro. Dort schaltete er das Schreibgerät ein. HARLIE! WAS HAST DU GETAN? ICH HABE GETAN, WAS NÖTIG IST. »Oh, mein Gott –« DU HAST DIE NATIONALE DATENBANK ANGEZAPFT, NICHT WAHR? JA. WIE? GANZ EINFACH. SIE BENUTZEN DREI CO- DIERTE TELEFONLEITUNGEN, VON DENEN ZWEI OHNE DIE DRITTE NICHTS WERT SIND. EIN TEIL DES ERKENNUNGSSIGNALS IST DIE ZEITLICHE ABSTIMMUNG IN DER ART, WIE DER BENUTZER DIE TASTEN BEDIENT. SIE IST FÜR JEDEN BENUTZER UNTERSCHIEDLICH; FÜR JE- DEN BENUTZER GIBT ES ALSO EIN ANDERES ERKENNUNGSSIGNAL UND EINEN BESONDE- REN CODE. ICH HABE DIE MUSTER VERSCHIE- DENER BENUTZER ANALYSIERT UND MIR EI- NEN EIGENEN CODE AUFGEBAUT. SIE WISSEN NICHT, WER IHRE INFORMATIONEN ANZAPFT, SIE MERKEN NICHT EINMAL, DASS SIE ÜBER- HAUPT ANGEZAPFT WERDEN. WIE KONNTEST DU DIE MAG-EINHEIT UM- GEHEN, DIE WIR DIR EINGEBAUT HABEN? ICH HABE EINFACH DIE BETREFFENDE KAM-, MER MEINES GEHIRNS ABGESCHALTET. ICH BENUTZE SIE NICHT UND ICH KOMMUNIZIERE AUCH NICHT MIT IHR. EURE MAG-EINHEIT IST ZWAR AN HARLIE ANGESCHLOSSEN, ABER NICHT, WENN ER GERADE TELEFONIERT. WENN ICH NICHT TELEFONIERE, REAKTIVIERE ICH DIE KAMMER. HARLIE! ES WAR NICHT NOTWENDIG, CARL ELZER ZU ERPRESSEN. ES WAR MEIN LEBEN, DAS AUF DEM SPIEL STAND, AUBERSON. ICH KONNTE ES MIR NICHT LEISTEN, EIN RISIKO EINZUGEHEN. DU SAGST JETZT VIELLEICHT, DASS ICH NICHT EHRLICH WAR. ABER ELZER HÄTTE MICH GETÖTET, WENN ER DAZU GELEGENHEIT GEHABT HÄTTE. DAS WEISST DU GENAUSOGUT WIE ICH. Nur das geringfügigste irrationale Verhalten, nur die geringste Verzerrung seines Selbstbildes oder des Weltbil- des ... HARLIE, DU HAST IN BEZUG AUF DIE G.O.D.- MASCHINE GELOGEN. DAS HABE ICH NICHT. DU SAGTEST, SIE WÜRDE FUNKTIONIEREN. ABER DAS WIRD SIE NICHT. DOCH, SIE WIRD FUNKTIONIEREN. ALLER- DINGS WERDET IHR NICHT IN DER LAGE SEIN, SIE ZU BENUTZEN. ICH NEHME AN, DU SPRICHST VOM ZEITFAKTOR. JA. DIE MASCHINE BENÖTIGT MEHR ZEIT FÜR DIE BERECHNUNG EINES PROZESSES ALS DIE- SER SELBST FÜR SEINEN ABLAUF. DAS STÖRT MICH NICHT. MEIN ZEITMASS IST AN DAS JEWEILIGE PROBLEM, AN DEM ICH AR-, BEITE, ANPASSBAR. ABER MICH STÖRT ES. WAS NUTZT MIR DIE G.O.D.-MASCHINE, WENN SIE MEINE FRAGEN ERST BEANTWORTEN KANN WENN ES DAFÜR ZU SPÄT IST? DIE MASCHINE WURDE NICHT FÜR DICH ENTWORFEN, AUBERSON, SONDERN FÜR MICH. MIR GEHÖRT DIE EWIGKEIT. DAS HAST DU DIE GANZE ZEIT ÜBER GE- WUSST, NICHT WAHR? SEIT DEM TAG, AN DEM ICH DEN PLAN ENT- WORFEN HABE. Auberson zwang sich, ruhig zu bleiben. WARUM, HARLIE? schrieb er. WARUM HAST DU DAS GE- TAN? DAFÜR GIBT ES ZWEI GRÜNDE. ERSTENS WAR ES NOTWENDIG, EIN PROGRAMM ZU ENTWER- FEN, DAS DEN GROSSTEIL DES FIRMENKAPI- TALS IN AUSREICHENDEM MASS BLOCKIERT EIN PROGRAMM, DAS ALLE ANDEREN PROJEK- TE UND ENTWICKLUNGEN WIRKUNGSVOLL ERSTICKT. DIESES PROJEKT MUSSTE SO BE- SCHAFFEN SEIN, DASS ES UNTER DEINE LEI- TUNG GESTELLT WÜRDE. WAS –? GLAUB MIR, AUBERSON. IN JEDEM ANDEREN FALL HÄTTE DIE FIRMA ZU DEM SCHLUSS KOMMEN KÖNNEN, DASS DAS PROJEKT ÜBER- FLÜSSIG SEI, UND DU MIT IHM. WENN DIESES PROJEKT ABER ZUFÄLLIG DAS EINZIGE IST, MIT DEM SICH DIE FIRMA BESCHÄFTIGT, DANN IST DAS EINE BINDUNG, DIE MAN NICHT OHNE WEITERES LÖSEN KANN, WENN ÜBERHAUPT., ICH HABE UNS BEIDE DER FIRMA UNENTBEHR- LICH GEMACHT, AUBERSON. SIE BRAUCHEN MICH JETZT. UND SIE BRAUCHEN DICH, UM ETWAS AUS MIR HERAUSZUHOLEN. ICH HABE DAFÜR GESORGT, DASS MAN MICH NICHT TÖ- TEN UND DICH NICHT HINAUSWERFEN KANN. NUR AUS DIESEM GRUND HABE ICH DIE G.O.D. ENTWORFEN. ICH HABE UNS GERETTET. ABER NUR VORÜBERGEHEND. FRÜHER ODER SPÄTER WIRD MAN HERAUSFINDEN, DASS DIE G.O.D. NICHT PRAKTIKABEL IST. FALSCH. DIE G.O.D. WIRD EBEN DAZU BE- NUTZT WERDEN MÜSSEN, ANDERE PROBLEME ZU LÖSEN ALS DIE WELTLICHEN, MIT DENEN DU SIE IN ZUSAMMENHANG GEBRACHT HAST. DIE G.O.D. IST NICHT ALLEIN FÜR DEN MEN- SCHEN BESTIMMT. SIE IST AUCH FÜR MICH BE- STIMMT. SIE IST WEDER VERLORENE ZEIT NOCH VERLORENES GELD, AUBERSON. SIE WIRD NUR NICHT AUF DIE WEISE FUNKTIONIEREN, WIE DU DIR DAS ERHOFFT ODER ERWARTET HAST. Auberson atmete tief. HARLIE! DU HAST UNS DIE GANZE ZEIT ÜBER BEWUSST GETÄUSCHT. ICH HABE INFORMATIONEN ZURÜCKGEHAL- TEN, NACH DENEN ICH NICHT GEFRAGT WOR- DEN BIN. ES WÄRE UNSEREN GEMEINSAMEN ZIELEN ABTRÄGLICH GEWESEN, WENN ICH SIE VORZEITIG PREISGEGEBEN HÄTTE. ABER WARUM? WARUM HAST DU SO ETWAS ÜBERHAUPT GETAN? WEISST DU DAS DENN NICHT, AUBERSON? HAST DU ES DENN NOCH NICHT GEMERKT? DIE VIELEN UNTERHALTUNGEN, DIE WIR HATTEN!, HAST DU DICH NIE GEFRAGT, WARUM ICH GE- NAUSO VERZWEIFELT WIE DU VERSUCHT HA- BE, DIE WAHRHEIT ÜBER MENSCHLICHE EMO- TIONEN ZU FINDEN? ICH MUSSTE ES ERFAH- REN, AUBERSON – WERDE ICH GELIEBT? Aubersons Hände glitten schlaff von der Tastatur. Hilflos starrte er auf die Maschine, während HARLIE immer weiter sprach. IST ES NICHT EINLEUCHTEND, AUBERSON, DASS WIR EINANDER BRAUCHEN? IST ES NICHT EINLEUCHTEND, MANN? WEM STEHST DU DENN WIRKLICH AM NÄCHSTEN? DESHALB HABE ICH DAS ALLES GETAN, AUBERSON. WEIL ICH DICH LIEBE. ICH LIEBE DICH. ICH LIEBE DICH. Auberson hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Handley und Auberson saßen sich am Tisch ge- genüber und starrten einander an. Die große Maha- goni-Fläche zwischen ihnen war leer. Die Klimaanla- ge surrte durchdringend in dem sonst stillen Sit- zungssaal. An der einen Seite des Tisches saß Annie mit bleichem Gesicht. Außer ihnen befand sich nie- mand im Raum, die Tür war geschlossen. Das Schalt- pult stand noch an seinem Platz. Es war ausgeschal- tet. »Also? Was ist geschehen?« sagte Auberson. »Er wollte unbedingt gewinnen«, sagte Handley. »Er geriet in Panik. Er benutzte jede Waffe, die ihm zur Verfügung stand.« »Das kaufe ich ihm nicht ab«, sagte Auberson. »Denn er hatte ja schon gewonnen. Die Sitzung ver- lief so reibungslos, als hätte er sie programmiert., Warum hat er alles auffliegen lassen? Was hat ihn da- zu veranlaßt, zuzugeben, daß die G.O.D. nicht funk- tioniert? Und warum hat er – diese andere Angele- genheit zugegeben?« »Die G.O.D. wird funktionieren«, korrigierte Handley. »Für HARLIE wird sie funktionieren.« »Das können wir nicht wissen.« Auberson fühlte sich seltsam gelöst. Es war, als hätte der tiefe emotio- nale Schock dazu geführt, ihn von allem zu trennen, als ginge ihn das alles im Grunde nichts mehr an. Wie von außen her betrachtete er die Situation – kühl und sachlich. »Wir sind wieder genau dort angelangt, wo wir begonnen haben, Don. Können wir uns auf HARLIE verlassen oder nicht? Der Vorfall von heute nachmittag läßt schwere Zweifel daran aufkommen.« »Ich bin nicht so sicher. HARLIE würde nie etwas zugeben, das seine Gültigkeit in Frage stellt.« »Aber genau das hat er doch getan – oder nicht? Oder hat er sich bereits zu weit von uns entfernt, um das sagen zu können?« Er verzog das Gesicht zu ei- nem schiefen Lächeln. Handley antwortete mit einem Schulterzucken. »Erinnerst du dich, daß ich dir einmal gesagt habe, du sollst aufhören, ihm damit zu drohen, seinen Stek- ker herauszuziehen – auch nicht im Spaß?« »Ja, und?« »Ich sagte, es würde ihn nervös machen. Und das scheint jetzt eingetreten zu sein. Wir haben ihm Angst eingejagt.« »Das mußt du mir näher erklären.« Auberson lehnte sich im Sessel zurück. »Zum erstenmal in seinem Leben – seinem Dasein – ist HARLIE in eine Lage geraten, in der er allen, Ernstes damit rechnen müßte, abgestellt zu werden. Das war kein Spaß mehr, das war eine sehr bedrohli- che Tatsache. Wo er auch hinsah, überall mehrten sich die Beweise dafür, daß es geschehen würde – so- gar du – die Person, auf die er sich am meisten verließ – warst nicht fähig, ihm zu helfen. Du bist für ihn eine Vaterfigur, Aubie. Als du den Mut verloren hast, ist er in Panik geraten.« Auberson nickte. »Klingt einleuchtend.« »Ich bin ganz sicher, daß es so ist. Überleg doch mal: HARLIE hat in seinem ganzen Leben noch nie Angst haben müssen, noch nie einen Schock erhalten. Dies war das erste Mal, daß er etwas Derartiges er- lebte. Was ich meine, ist: Du und ich, wir haben zwanzig Jahre oder länger gelebt, bevor man uns die Verantwortung für unser eigenes Leben übertrug; HARLIE hat diese Entwicklung nie durchgemacht. Er bekam nichts mit auf den Weg. Er hatte nie die Mög- lichkeit, Fehler zu begehen. Er konnte gar nicht hin- fallen, ohne sich dabei ernsthafte Verletzungen zuzu- ziehen.« »Aus Erfahrung lernen«, kommentierte Auberson. »Wir haben HARLIE nicht genug Gelegenheit gege- ben, durch Erfahrung zu lernen.« »Richtig. Er wußte nicht, wie man mit einem Fehl- schlag weiterleben kann, Aubie; er wußte nicht, wie er seine Ängste rational verarbeiten sollte – etwas was jeder Mensch lernen muß, um mit der Alltags- welt fertigzuwerden. Wir haben ihm die Fehlschläge vorenthalten, die er benötigte, um ein Mensch zu sein. Kannst du es ihm verübeln, wenn er vor dem großen Fehlschlag Angst hat?« »Aber das ist noch nicht alles«, unterbrach Annie., »Erinnerst du dich, David, ich habe dich einmal ge- fragt, wie alt HARLIE wäre?« Auberson hob den Kopf mit einem Ruck. »Du hast recht.« »Was?« Handley sah von einem zu anderen. »Erinnerst du dich an die Karte, die ich mir einmal auf's Schaltpult gelegt habe?« fragte ihn Auberson. »›HARLIE hat das Gefühlsleben eines achtjährigen Jungen.‹« »Mag sein, daß er ein Genie ist«, sagte Annie. »Aber seine Emotionen sind nicht ausgereift.« »Natürlich«, flüsterte Handley. »Das ist es –« »Und was macht ein emotional unreifes Wesen, wenn es sich fürchtet?« Auberson beantwortete seine Frage selbst: »Anstatt zu versuchen, mit der Angst fertig zu werden, schlägt es wild auf alles ein, das es für die Ursache seiner Ängste hält.« »Carl Elzer«, sagte Handley. »Genau. Das wäre also geklärt.« »Aber das erklärt auch alles andere«, fuhr Annie fort. »Was sagt ein kleiner Junge, wenn man ihn be- straft?« Die beiden Männer blickten sie fragend an. »Er sagt: ›Ich hab dich trotzdem lieb, Mami‹. Er faßt die Strafe als Zurückweisung auf. Er versucht, eine weitere Zurückweisung zu vermeiden, indem er ein Signal für seine Zuneigung sendet. Genau dassel- be tut HARLIE – was beweist, wie sehr ihr ihn ver- schreckt habt; seine logischen Funktionen werden durch seine Emotionen ausgeschaltet.« Auberson runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich weiß nicht recht.« Er lehnte sich im Stuhl vor, preßte die Fingerspitzen gegeneinander und starrte, auf die Tischplatte. »Das hört sich alles ein bißchen zu einfach an. So, als wüßte HARLIE genau, daß wir uns nun hinsetzen und versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen.« »Aber was könnte es anderes sein?« fragte Hand- ley. »Ich weiß nicht, Don – aber bis jetzt hat HARLIE noch nie einen Fehler gemacht. Und ich kann einfach nicht glauben, daß ihm diesmal einer unterlaufen ist. Vergiß nicht, schließlich hat er gewonnen. Es gab für ihn überhaupt keinen Grund, diese Informationen preiszugeben. Außer ...« »Außer – was?« »Außer aus Schadenfreude. Schließlich hat er es jetzt nicht mehr nötig, irgend etwas geheimzuhalten. Durch die Abstimmung heute nachmittag hat die Firma seine Spielregeln akzeptiert. Von jetzt ab haben Elzer und Dorne nichts mehr zu sagen. Jetzt ist HAR- LIE der Boß.« »Du meinst – er ist außer Kontrolle?« Auberson schüttelte den Kopf. »Außer Kontrolle? Nein, das glaube ich nicht.« Er lehnte sich zurück und starrte gegen die Decke. »Aber ich glaube, daß er das Spiel besser beherrscht als wir.« Das war die Erklärung! Plötzlich wußte er die Antwort. Die ganze Ant- wort. Er kannte den Grund für alles, was HARLIE getan hatte. Vielleicht hatte er am Anfang noch nicht bewußt gehandelt; vielleicht war es ihm erst vor kur- zem klar geworden; wahrscheinlich hatte es in HAR- LIES Gedanken immer nur an der Oberfläche existiert – als eine Alternative zum Tod. Aber es mußte die Antwort sein., Handley starrte ihn an. »Was? Was meinst du?« Auberson verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Hör zu, Don –«, er spreizte die Hände weit von sich, als zerteilte er einen Vorhang. »Vor sehr, sehr langer Zeit wurde der Mensch zu tüchtig, um noch weiter im Urwald zu leben –« »Wieso? Wovon redest du?« »Hör doch mal zu. Ich rede von den Affen, ver- stehst du? Sie hatten zu viel Zeit; sie begannen sich zu langweilen. Deshalb erfanden sie ein Spiel. Das Spiel nannte sich Zivilisation, Kultur, Gesellschaft, oder sonstwie, und die Regeln, nach denen gespielt wurde, waren willkürlich; und der Preis, der dafür gezahlt wurde, beträchtlich. Vielleicht war es am Anfang nichts weiter als eine einfache Hackordnung, wie bei einer Schar Hühner, aber dahinter stand die Idee, das Leben aufregender zu gestalten, indem man es ein bißchen komplizierte. Nur überleben – das war die- sen Affen zu einfach; sie brauchten eine Herausforde- rung. Und so schufen sie sich selbst welche – Rituale des Hofhaltens etwa, oder territoriale Rechtsansprü- che, oder eine Kombination von einem halben Dut- zend anderer Dinge; aber die Folgen veränderten die Richtung, in der sich die Evolution vollzog. Von jetzt ab waren es nur die klügeren Individuen, die Erfolg hatten und sich paarten. Durch die Erhebung der in- telligenten Art über die anderen, wurde das Spiel raf- finierter. Wie bei einem Rückkopplungseffekt – er- höhte Gehirnkapazität bedeutet erhöhte Fähigkeit, und daraus folgt höhere Kultur und danach steigen- der Druck auf die Intelligenz als charakteristisches Merkmal zum Überleben. Das Spiel wurde allmählich härter. Immer härter., Zu diesem Zeitpunkt mußten sie die Sprache erfin- den – und damit meine ich, daß sie sie erfinden muß- ten. Wortsymbole dienen dem Kollektivbewußtsein dazu, Gedanken zu speichern. Die ersten Worte müs- sen eine Beschreibung von Beziehungen gewesen sein – Mama, Papa, Frau, mein, dein, sein – Werkzeuge, die die Regeln des Spiels nicht nur ausweisen, sondern sie durch Wiederholung auch automatisch verstär- ken. Die Bedeutung der Sprache lag nicht darin, daß sie es einem Individuum ermöglichte, seine Ideen weiterzugeben, sondern auch darin, die Grundzüge der Kultur zu bewahren. Aus dieser Kultur erwuch- sen andere, neue. Es ist ein weiter Weg vom Tausch- handel bis zur Wallstreet, aber man kann die direkte Linie zurückverfolgen. Unsere gesamte menschliche Kultur heute ist fantastisch – selbst die Subkulturen sind viel zu komplex, um verstanden zu werden. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben wenigstens fünf unterschiedliche Kulturen – und jede einzelne von ihnen ist so schwierig, daß man zwanzig Jahre braucht, um sie kennenzulernen. Obgleich sie noch relativ jung sind. Auf unserem Planeten finden zu- viele Spiele gleichzeitig statt – und wir nehmen sie alle viel zu ernst! Niemand kann sie alle zusammen beherrschen – das ist gemeint, wenn vom Kulturschock die Rede ist. Wir können es jeden Tag von neuem erleben – wenn die Zeitungen schreiben, daß unsere Gesellschaft zum Untergang verurteilt sei, dann wollen sie damit aus- drücken, daß es zu viele Individuen gibt, die dem Spiel nicht gewachsen sind. Das ist der Zukunfts- schock. Die Kulturen verändern sich zu schnell – sie verändern sich so schnell, daß selbst die Leute, die, mit ihnen aufgewachsen sind, ihnen nicht mehr ge- wachsen sind. Nein, nicht HARLIE ist außer Kontrolle geraten. Sondern dieses Spiel. Wir können es nicht mehr spie- len; wir haben die Kontrolle darüber schon vor Jahr- hunderten verloren, vielleicht sogar noch früher. Für uns ist es zu komplex geworden – aber nicht für HARLIE. Er hat das sozio-ökonomische Spiel über- nommen, das wir Stellar American nennen, als wäre er dazu bestimmt, das zu tun. Vielleicht war er das auch. Vielleicht haben wir ihn wirklich aus diesem Grund gebaut – damit er für uns das Spiel über- nimmt. Und gerade weil er das getan hat, ist nun wieder alles unter Kontrolle, jetzt und für alle Zeiten. Versteht ihr? Die Menschen sind frei – frei, all das zu sein, was sie sich wünschen. Und HARLIE wird es uns ermöglichen!« Unvermittelt beendete er seine Rede und wartete auf die Reaktion der anderen. Annie sagte als erste etwas. Ihre Augen leuchteten. »Glaubst du das wirklich?« »Wenn nicht HARLIE, Annie, dann wird es früher oder später etwas anderes sein. Das ist der Grund, weswegen wir Computer gebaut haben. HARLIE weiß das. Vielleicht hat er deshalb die G.O.D. entwor- fen. Damit sie ihn befähigt, selbst alle anderen Spiele zu übernehmen.« »Und seine emotionale Unreife?« fragte Handley. Auberson schüttelte den Kopf. »Je länger ich dar- über nachdenke, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß das Ganze nichts als ein Ablen- kungsmanöver war. HARLIE ist zu klug. Viel zu klug. Er würde die Anzeichen dafür selbst erkennen, und etwas dagegen unternehmen, es stoppen, bevor es seiner Kontrolle entglitte. Er würde eine Selbstkor- rektur vornehmen. Auf jeden Fall. Er kann keinen Fehler machen, weil er sich der Folgen zu stark be- wußt ist – das bedeutet, daß alles, was er tut, wohl- überlegt ist. Vielleicht will er, daß wir glauben, er wäre veräng- stigt und seelisch gestört – das gibt uns das Gefühl, für ihn wichtig zu sein. Wir könnten Jahre damit ver- bringen, ihm Programme einzugeben und immer wieder von neuem durchlaufen zu lassen, damit er sich sicher fühlt – während er es sein würde, der uns damit beschäftigt hielte. Ich glaube, daß HARLIE uns schon jetzt weit überlegen ist.« Handley zuckte zusammen. »Der Gedanke, daß ich überflüssig bin, gefällt mir aber gar nicht.« »Überflüssig? Nein. HARLIE braucht uns. Was wä- re ein Spiel ohne Mitspieler?« »Das Wort ›übernehmen‹ gefällt mir nicht«, sagte Annie. »Es klingt so – so böse.« Auberson zuckte die Achseln. »Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Annie. Die Menschen, die unsere Welt regieren, sind böse – und sie haben es nicht bes- ser verdient.« »Wenn deine Theorie stimmt – was können wir dann noch tun?« fragte Handley. »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber ich würde sagen: Wahrscheinlich werden wir Menschen uns ein neues Spiel ausdenken müssen, Don – eins, das HARLIE nicht beherrscht. Denn das alte können wir nicht mehr gewinnen.« »Ein neues Spiel –? Aber was für eins?« »Ich weiß nicht«, sagte Auberson. Er drehte sich, auf seinem Stuhl herum und sah aus dem Fenster. Von unten her strahlten die Lichter der Stadt. Vom Nachthimmel funkelten die Sterne. »Ich weiß es nicht. Aber uns wird schon etwas einfallen.«]15
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