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Michael Forster Pancho Villa Der Rebell von Mexico Inhaltsangabe Tollkühn, grausam-gerecht, todesverachtend, so führt Pancho Villa seinen gnaden- losen Kampf gegen die Hacienderos Nordmexikos. In wilden Ritten durch die tie- fen Schluchten der Sierra Madre, durch die brühheiße Ödnis Chihuahuas erbeutet er Vieh, Waffen, Gold... und dabei denkt er immer nur an seine armen Brüder, die Indios, billige Sklaven der reichen Landbesitzer. Dieser Gedanke entfacht immer wieder seinen blutigen Haß. Eines Tages lernt der Bandit die Ideen des Revolutio- närs Madero kennen, der gewaltsam die sozialen Verhäl...
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Michael Forster
Pancho Villa
Der Rebell von Mexico,Inhaltsangabe
Tollkühn, grausam-gerecht, todesverachtend, so führt Pancho Villa seinen gnaden- losen Kampf gegen die Hacienderos Nordmexikos. In wilden Ritten durch die tie- fen Schluchten der Sierra Madre, durch die brühheiße Ödnis Chihuahuas erbeutet er Vieh, Waffen, Gold... und dabei denkt er immer nur an seine armen Brüder, die Indios, billige Sklaven der reichen Landbesitzer. Dieser Gedanke entfacht immer wieder seinen blutigen Haß. Eines Tages lernt der Bandit die Ideen des Revolutio- närs Madero kennen, der gewaltsam die sozialen Verhältnisse des Landes ändern will. Er, der Analphabet, der unwissende Peon, erfährt, daß es in Mexico-City einen Präsidenten gibt, der das ungerechte System schützt, einen Feind der Indios. Spontan ergreift er für Madero Partei. Aus dem Banditen wird ein General der Re- volution, der mit taktischem Genie seine zerlumpten ›Truppen‹ von Sieg zu Sieg führt; der mit seinen Horden langgediente Soldaten glänzend besiegt … Aber dieser unerschrockene Freiheitskämpfer konnte seinem Schicksal nicht entgehen. Er wurde ermordet, weil er wegen seiner Ehrlichkeit unbequem geworden war. Dies ist die atemberaubende Geschichte des mexikanischen Volkshelden, des Vorläufers aller südamerikanischen Guerrilleros, eines Menschen, der im Haß wie in der Liebe maßlos war., Verzeichnis der Bildquellen Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin: Abb. 6 Historia-Photo, Bad Sachsa: Abb. 10 IBA, Oberengstringen bei Zürich: Abb. 2, 4, 5, 9,18, 21 Staatsbibliothek Berlin Bildarchiv: Abb. 1, 3, 7, 8,11,12,13,14,15,16,17,19, 20 Umschlagbild aus dem Film ›Rio Morte‹, im Verleih der Cinema International Corporation GmbH Lizenzausgabe mit Genehmigung der Ferenczy Verlag AG., Zürich für Bertelsmann Reinhard Mohn OHG, Gütersloh die Europäische Bildungsgemeinschaft Verlags GmbH, Stuttgart und die Buchgemeinschaft Donauland Kremayr & Scheriau, Wien Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft C.A. Koch's Verlag Nachf., Berlin – Darmstadt – Wien Schutzumschlag- und Einbandgestaltung Karl Hartig Gesamtherstellung Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh Printed in Germany • Buch-Nr. 8319'0980 Dieses eBook ist umwelt- und leserfreundlich, da es weder chlorhaltiges Papier noch einen Abgabepreis beinhaltet! ☺,D er Atem des Jungen ging hart und keuchend. Sein Gesichtwar rot angelaufen, und der Schweiß hatte sein graues,lumpiges Hemd völlig durchnäßt.
»Kommen Sie, Doctorcito, liebes Doktorchen, kommen Sie schnell, mein Vater stirbt. Er war schon kaum noch am Leben, als ich zu Ihnen gelaufen bin.« Der Junge stieß die einzelnen Worte rö- chelnd heraus. Die Sonne glühte auf ihn herab, und seine Füße wirbelten einen feinen, roten Staub auf, der seine Augen tränen und seine Kehle brennen ließ. Don Severo, der auf einem Pferd neben dem Jungen hertrabte, lachte schallend. »Ich könnte schon ein bißchen schneller, Doroteo. Aber ich fürchte, du würdest mit dem Pferd nicht Schritt halten. Du kannst ja jetzt schon kaum noch japsen.« »Reiten Sie voraus, Doctorcito. Ich bitte Sie. Wenn Sie zu den Hütten der Peonen kommen, müssen Sie sich rechts halten. Da wo der Weg ansteigt, ist es die dritte Hütte. Jeder sagt Ihnen, wo Au- gustin Arango wohnt. Aber Sie brauchen nicht einmal zu fragen, Don Severo. Sein Schreien kann man schon von weitem hören. Mein Gott, er schreit so schrecklich …« Der Doktor schüttelte den Kopf., »Nichts da, mein Kleiner. Ich denke gar nicht daran, mich durch eure dreckigen, verlausten Hütten durchzufragen. Du führst mich, oder ich kehre wieder um.« »Ich führe Sie, Doctorcito. Ich tue alles, was Sie wollen. Nur hel- fen Sie meinem Vater, bitte.« Doroteo konnte nicht weitersprechen. Ein Hustenanfall würgte ihn. Er war seit vier Stunden unterwegs, immer im Laufschritt. Auf der Hacienda de Gogojita, wo er, sein Vater und seine beiden Brü- der Hipolito und Antonio als Landarbeiter beschäftigt waren, gab es keinen Arzt. Er hatte bis zur Hacienda del Norte laufen müssen. Durch glühende Hitze, über eine heiße verkrustete Erde, die von Dürre und Trockenheit zerrissen war. Seine Füße waren voller Blasen und Wunden. Sein Herz tat weh. Aber all das war nichts gegen den schrecklichen, lähmenden, unbe- greiflichen Gedanken: Vater wird sterben. Nur noch eine Hoffnung gab es, eine kleine, winzige Hoffnung: der Doktor. Wie alle unwissenden, ungebildeten Menschen hatte Doroteo Arango ein fast mythisches Vertrauen in die Allmacht und Unfehlbarkeit des Arztes. Er fürchtete nicht, daß Don Severo nicht helfen könnte. Er hatte nur Angst, daß er möglicherweise zu spät kommen würde. Am Horizont hatte die Dämmerung schon ihr Farbenspiel ent- zündet. Um die schlanken Kakteen, die hoch und schmal in den Himmel ragten, wehten die ersten dünnen Schleier wallender Ne- bel. Die Hitze wich langsam einem frischen Windhauch, der die Kühle der Nacht ankündigte. Vor den Hütten der Peonen, der Landarbeiter der Hacienda de Gogojita, hatten die Männer ein Feuer gemacht; und nun hockten sie davor, teils heftig schwatzend, teils schweigend, mit dünnen, schäbigen Decken auf den Schultern. Doroteo lief jetzt, da ihn nur noch wenige Minuten von der Hütte seiner Eltern trennten, schneller. Zu seinem Schrecken konn-, te er das Schreien des Vaters, das ihm während des ganzen Tages in den Ohren gegellt hatte, nicht mehr hören. In langen Sätzen hastete er den Hügel hinauf. Vor dem Eingang der Hütte, der mit einem Stück Sackleinwand verhängt war, blieb er stehen und preßte die Hände auf sein Herz, das wie rasend schlug. »Mama, Mamacita!« rief er und stolperte in die Hütte. »Wo ist Tate? Lebt er noch?« Carmen Arango saß mit gekreuzten Beinen am Boden. Ihr Ge- sicht war grau. Ihre Augen, die wie erloschen schienen, wiesen in eine Ecke. »Da liegt er«, sagte sie seltsam unbewegt. »Ist er tot?« schrie er fast. »Nein, er hat die Besinnung verloren. Die Schmerzen waren zu groß.« Mariana und Martina, Doroteos Schwestern, schluchzten. Don Severo, der erst sein Pferd angebunden und mit Wasser versorgt hatte, kam endlich in die Hütte. »Na, wo ist denn der Kranke?« fragte er mit lärmender Sorglosig- keit. Doroteo führte ihn zu dem Vater. Der Doktor beugte sich über den Bewußtlosen. »Wo hat es ihm denn weh getan?« »Im Bauch«, antwortete Doroteo. »Verdammt noch mal«, schimpfte Don Severo, »in diesem Loch ist es so dunkel, daß man nicht die Hand vor den Augen sieht. Wenn ich deinen Vater untersuchen soll, dann schaffe gefälligst Licht herbei.« Die Mutter erhob sich wortlos, zündete eine rußige Öllampe an und hielt sie über ihren am Boden liegenden Mann. Der Doktor drückte mit der flachen Hand gegen Arangos Leib. Unter der Berührung krümmte sich der Mann und stieß einen lau-, ten Schmerzensschrei aus. »Wo fehlt's denn, mein Lieber?« fragte Don Severo. Arango versuchte sich aufzurichten, fiel aber gleich stöhnend zu- rück auf die Matte. »Im Bauch«, keuchte er. »O Gott im Himmel, Doktor, er schwillt und schwillt und gleich wird er platzen. Madre de Dios, er wird zer- reißen …« »Unsinn! Dein Bauch ist kein bißchen geschwollen. Nimm dich zusammen. Ich muß dich doch untersuchen.« Der Doktor betastete den ächzenden Arango weiter. »Dann sind es die Eingeweide!« schrie er. »Sie verbrennen. Heilige Mutter von Guadalupe, in meinen Gedärmen brennt ein Feuer …« Der Doktor richtete sich auf und wandte sich an Carmen Aran- go. »Ihr Mann hat einen vereiterten Blinddarm. Ich muß ihm den Bauch aufschneiden. Und das muß schnell gehen, sonst stirbt er.« »Schneiden Sie mir den Bauch auf, Doctorcito! Schneiden Sie schnell!« röchelte Arango. »So schnell nun wieder auch nicht, mein Lieber. Erst muß ich wissen, wer meine Rechnung bezahlt.« »Wir geben Ihnen alles, was wir haben«, sagte Frau Arango. »Und wieviel ist das?« »Acht Pesos und fünf Centavos.« Der Doktor lachte auf. »Zwanzig Pesos mußt du mir schon für den Weg zahlen. Für die Operation muß ich mindestens hundert Pesos haben. Und damit ist noch nicht einmal das Verbandszeug und die Watte bezahlt. Ich tu es nur, weil ich schon einmal hier bin. Aber unter hundertzwan- zig Pesos rühre ich keine Hand.« Carmen Arango hockte sich mit unbewegtem Gesicht neben ihren Mann und streichelte dessen Hand. Sie hatte von Anfang an gewußt, daß es sinnlos war, den Doktor zu holen. Wenn ein Peon, krank war, dann wurde er entweder von selbst wieder gesund, oder er mußte sterben. Seinem Schicksal kann man nicht entrinnen. Wa- rum also dagegen aufbegehren? Sie war in tiefster Seele davon über- zeugt, daß Gott den Tod ihres Mannes beschlossen hatte. Und als sie ihn nahen fühlte, hatte sie sich an die Seite ihres Mannes ge- setzt, um bei ihm zu sein, wenn seine letzte Stunde käme. Nur Do- roteo, dieser Hitzkopf, der immer glaubte gegen das Schicksal an- kämpfen zu können, hatte darauf bestanden, den Doktor zu holen. Und er gab auch jetzt noch nicht auf. »Doctorcito, ich flehe Sie an, por el amor de Dios, um der Liebe Gottes willen, Sie können meinen Vater doch nicht sterben lassen wie einen Hund. Sie müssen ihm doch helfen.« Don Severo wurde ungehalten. »Wieso muß ich das? Arbeitest du für Gottes Lohn? Kann ich mit Gottes Lohn meine Miete bezahlen? Werden meine Kinder davon satt? O nein, mein Bester, wenn ich damit erst anfange, habe ich bald das ganze Gesindel auf dem Hals und meine Familie müßte betteln gehen. Nichts da! Ihr zahlt hundertzwanzig Pesos, oder ich operiere nicht.« Aus der Ecke drang das gräßliche Stöhnen des Kranken. Doroteo rang die Hände. »Wir müssen uns das Geld leihen, Mutter«, sagte er beschwörend. Carmen Arango zuckte mit den Schultern. »Kein Mensch auf der Welt leiht uns so viel Geld. Laß es gut sein, mein Sohn. Es hat keinen Zweck. Laß deinen Vater in Ruhe sterben.« Der Doktor nahm seine Tasche, die er auf den Boden gestellt hatte, wieder auf. »Verdammtes Lausepack, dreckiges«, schimpfte er. »Da reitet man zwei Stunden durch die Bruthitze, und dann wird man um sein Geld geprellt. Aber die zwanzig Pesos für den Weg müßt ihr mir ge- ben.«, »Warten Sie, Doktor!« schrie Doroteo. »Ich besorge Ihnen das Geld. Ich verspreche es Ihnen. Bitte, gehen Sie nicht weg. Ich bin gleich wieder da.« Doroteo verließ die Hütte und rannte hinunter, wo auf dem Platz mit dem Brunnen der einzige Kramladen der Ansiedlung lag. »Don Federico!« rief der Junge schon von weitem. »Don Fede- rico!« Der Ladenbesitzer, ein rotgesichtiger, fettleibiger Mann mit einer Glatze kniff die kurzsichtigen Augen zusammen. »Wo brennt's denn?« lachte er gutmütig, »braucht deine Mutter eine Handvoll Bohnen, oder ist euch das Öl für die Lampe ausge- gangen?« »Ich … ich brauche hundertzwanzig Pesos«, sagte Doroteo außer Atem. »Caramba! Sagtest du hundertzwanzig? Können es nicht vielleicht auch tausend sein? So ein Bursche, dieser Doroteo! Immer zum Scherzen aufgelegt.« »Ich scherze nicht, Don Federico! Mein Vater stirbt, wenn er nicht operiert wird. Der Doktor verlangt hundertzwanzig Pesos. Ge- ben Sie mir das Geld, bitte. Ich zahle es Ihnen zurück, bis auf den letzten Centavo. Ich schwöre es Ihnen.« Don Federico legte die Stirn in Falten. »So ernst ist das also, mein Sohn. Na, ich bin ja kein Unmensch. Schauen wir nach, wie euer Konto steht.« Er schlurfte zurück in den Laden und kramte aus einer Schublade das lange, schmale Buch, in dem die Schulden aller Peonen, die auf der Hacienda de Gogojito arbeiteten, eingetragen waren. Und Schulden hatten sie alle. Der Wochenverdienst von drei Pesos reichte kaum für die Bohnen und das Maismehl. Ein Stück Stoff für ein neues Hemd, ein Tuch für die Frau, ein Sombrero gegen die stechende Sonne auf den Feldern, eine Geburt, eine Taufe, eine Hochzeit, ein Gläschen Schnaps – das alles bedeutete Schulden, im-, mer neue Schulden. Schulden waren die starken Leinen, an denen Don Terraza, dem alles Land in der Umgebung gehörte, seine Arbeiter gekettet hielt. Denn kein Peon durfte seinen Arbeitsplatz verlassen, bevor er nicht alle Schulden bezahlt hatte. Jedes Töpfchen Mais, jedes Heiligen- bild, jedes bunte Band für die Braut knüpfte die Leine ein bißchen fester, machte eine Fessel daraus, aus der den Peonen nicht einmal der Tod befreite. Denn dann hatte sein Sohn weiter zu bezahlen. Don Terraza, das wußte der Ladenbesitzer, sah es gern, wenn sei- ne Arbeiter verschuldet waren. Und er, Federico, war dem Hacien- dero zwar dankbar, daß er ihm den Laden verpachtet hatte, aber ruinieren würde er sich dafür nicht. Federico leckte Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand an und begann in dem Buch zu blättern. »Albuqerque … Albuente … ah ja, da haben wir es ja: Arango. Aber, aber, was sehe ich denn da! Dein Vater hat ja bereits acht- undfünfzig Pesos Schulden bei mir. Achtundfünfzig Pesos! Das kann er ja im Leben nicht bezahlen. Was sagst du? Jetzt stirbt er? Madre de Dios, wer zahlt mir dann mein sauerverdientes Geld?« »Er stirbt nicht, wenn Sie mir hundertzwanzig Pesos geben, Señor! Bitte, bitte, geben Sie mir das Geld! Wir werden alle ar- beiten. Meine Mutter, meine Schwestern, alle. Bitte, Señor, retten Sie meinen Vater!« »Achtundfünfzig Pesos Schulden!« Don Federico schüttelte den Kopf. »Wo habe ich nur meinen Verstand gehabt, als ich euch Lumpenvolk so viel Geld geliehen habe!« Sein Gesicht wurde noch um einen Schein dunkler. »Du dreckiger kleiner Kojote, du wagst es, hundertzwanzig Pesos von mir zu verlangen. Ich werde dir hun- dertzwanzig geben, du Hundesohn! Mit der Peitsche über deinen dummen Schädel werde ich sie dir geben, damit du die Lust ver- lierst, anständige Kaufleute um ihr Geld zu bestehlen.« Seine Stimme überschlug sich vor Zorn., Doroteo stand schweigend in dumpfer Verzweiflung vor ihm. Er überlegte gerade, ob es Sinn hätte, sich Don Federico zu Füßen zu werfen, da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Seine Schwester Martina stand hinter ihm. »Vater ist tot«, sagte sie. »Komm nach Hause.« Es war der 22. Juli 1890 und Doroteo Arango war gerade zwölf Jahre alt geworden. Das Land war unfruchtbar, ausgedörrt, von der Sonne verbrannt. Hier im Norden Mexikos, in Chihuahua, fiel kaum ein Tropfen Re- gen das ganze Jahr. Auf der mit Sand bedeckten Lava fristeten küm- merliche Kakteen, Dornsträucher und Mezquitebüsche ihr Leben. Es war eine höllische Ödnis, in der kein Mensch etwas zu suchen hatte. Und wer sie durchqueren mußte, konnte nur beten, daß ihn die Heilige Mutter von Guadalupe zu einer der beiden Wasserstel- len, El Nido oder Charéz Cañon, führte, sonst war er verloren. Es war Mittag. Doroteo ritt in scharfem Trab über das Land, das von gleißendem Licht überflutet war. Eine schwere, heiße Stille lag in der Luft. In der Ferne verschwammen die scharfen Kanten der Felsen im Dunst. Die Sonne ließ den Sand und die Steine auf dem weglosen Bach metallisch aufblitzen. Doroteo Arango ritt um sein Leben. Wenn sie ihn diesmal fingen, wäre es sein Tod; das wußte er. Vor einem Jahr war er auch schon einmal davongelaufen. Aber die Rurales, die Landpolizisten, die je- dem Haciendero zu Diensten standen, hatten ihn wieder ergriffen. Damals hatten sie ihn halb tot geschlagen. Fünfzig Hiebe mit ei- ner Nilpferdpeitsche? Die Haut auf seinem Rücken war in Fetzen gegangen. Sie hatten die Wunden mit Salz eingerieben und ihn dann bis zum Kinn in den Sand eingegraben. Die roten Ameisen waren ihm in die Ohren, in die Nasenlöcher und in die Augen ge- krochen, und er hatte nicht mehr gewußt, ob ihn die Sonne ver-, brannte oder dieses beißende, ätzende Ungeziefer. Zwei Tage später hatte er wieder gearbeitet bis zum Umfallen. Aber was half das alles! Zu den achtundfünfzig Pesos, die sie Schul- den hatten, waren noch zwanzig Pesos für den Arzt und dreißig für die Beerdigung des Vaters hinzugekommen. Don Federico hatte ihm das Geld in einem Anfall von Mildtätig- keit, den er jeden Tag jammernd verfluchte, schließlich doch noch geliehen. Aber Doroteo wußte; hundertacht Pesos waren viel mehr, als ein Peon während eines ganzen langen Lebens hätte jemals bezahlen können. Gleich nach dem Tod seines Vaters, vor drei Jahren, war er Familienoberhaupt geworden. Einige Monatelang hatte er geschuf- tet wie ein Ochse. Aber dann war ein hilfloser, ingrimmiger Zorn in ihm aufgestiegen. Was nutzte die Arbeit, der Schweiß, der schmer- zende Rücken, die schwieligen Hände, wenn er sein ganzes Leben in dieser rußigen Hütte würde doch verbringen müssen – auf die- sem festgestampften Lehmboden, auf dem seine Mutter ihre Kinder zur Welt gebracht hatte, auf dem sein Vater gestorben war! In dieser Zeit hörte er zum erstenmal von Don Ignacio Parra, dem Feind der reichen Hacienderos, dem Freund der Armen. Die jungen Männer erzählten sich abends am Feuer von diesem großen Bandido, dem Schrecken der Sierra Madre, der Züge überfiel, wohl- habende Reisende ausplünderte und den Rancheros die fettesten Rinder von der Weide stahl. Die Männer bekamen glänzende Augen bei diesen Geschichten. Daß Ignacio Parra ein Bandit war, störte sie nicht. In ihren Augen war ganz Mexiko eine einzige Räuberhöhle, in der eine kleine Handvoll reicher Männer ein paar Millionen Indianer und Mesti- zen bis aufs Hemd ausplünderten und ihnen für zwölf Stunden Ar- beit am Tag nicht einmal so viel ließen, daß sie sich und ihren Kin- dern den Magen füllen konnten. O nein, die Peonen der Hacienda de Gogojita hatten nichts ge-, gen Don Ignacio Parra. Sie hätten sich vielmehr alle zu ihm gesellt, wenn nicht diese mörderische Ley Fuga gewesen wäre. Jenes Gesetz, das den Soldaten und Polizisten erlaubte, ohne Anruf auf jeden zu schießen, der flüchtete oder auch nur in dem Verdacht stand, flie- hen zu wollen. Seine Schulden und die Ley Fuga, das waren die Fesseln, die den Peonen an den Haciendero banden. Doroteo hatte diese Fesseln zwei Jahre lang getragen, dann war er zum erstenmal geflohen. Jetzt hatte er es zum zweitenmal versucht. Die Schulden, so glaubte er, würde er besser zurückzahlen können, wenn er an den Raubzügen Don Ignacios teilnehmen würde. Und der Tod? Natürlich fürchtete er ihn. Aber er war fünfzehn Jahre alt, und es schien ihm unvorstellbar, zu sterben. Er war wage- mutig, optimistisch, voller Tatendrang. Er würde Don Ignacio treffen oder sterben. Das kam ihm ganz leicht und mühelos über die Lippen, wobei er sich keine Gedanken darüber machte, auf welche Art er ums Leben kommen würde. Als ihn die Rurales bei seiner ersten Flucht zurückgebracht hat- ten, hatte er einen kleinen Vorgeschmack von den Todesqualen be- kommen. Ein Jahr lang hatte ihn die Erinnerung an die grauenvol- len Schmerzen vor einem ähnlichen Unterfangen zurückgehalten. Als die Wunden verheilt waren, verblaßte auch bald die Erinne- rung. Und allmählich hatte er begonnen, neue Fluchtpläne zu schmieden. Er war fest davon überzeugt, daß man ihn nur hatte gefangenneh- men können, weil er zu Fuß geflohen war. Deshalb hatte er diesmal ein Pferd gestohlen. Das erhöhte zwar seine Chance zu entkom- men. Dafür würde man ihm aber, falls man ihn packte, die Ohren abschneiden. Doroteo war jetzt seit acht Stunden unterwegs. Er hatte zwei Tor- tillas, dünne Maisfladen, als Wegzehrung mitgenommen, aber kein Wasser. Er wußte nämlich, wie mißtrauisch die Aufseher jedesmal, wurden, wenn sich ein Peon mit einer Flasche oder einem Wasser- beutel den Pferden nur näherte. Ohne Wasser war es aber schier unmöglich, die Sierra Madre zu durchqueren. Doroteo war sich darüber klar und vertraute einfach seinem gu- ten Stern. Im Laufe der vergangenen acht Stunden jedoch war die- ser Glaube erheblich zusammengeschrumpft. Die Hitze dörrte ihn aus. Seine Lippen waren trocken und rissig, und er hatte das Ge- fühl, als wenn seine Zunge im Munde anschwellen würde. Der Charéz Cañon konnte nicht mehr allzu weit sein. Aber ritt er in der richtigen Richtung? Er hatte keinen anderen Kompaß als die Sonne. Und die konnte er nicht mehr erkennen. Der ganze weite Himmel war eine einzige riesige, glühende Kugel. Seine Augen wa- ren rot und entzündet, und die Lider schienen ihm so rauh, als wären sie aus Schmirgelpapier. Doroteo spürte, wie eine rasch zunehmende Schwäche seine Glie- der mehr und mehr lähmte. Er saß kraftlos, mit eingezogenem Kopf und nach vorn hängenden Schultern auf dem Pferd, dessen Gangart immer langsamer, immer müder wurde. Er versuchte gegen diese übermächtige Schwäche anzukämpfen. ›Ein Schluck Wasser‹, dachte er, ›ein einziger Schluck Wasser würde mich wieder auf die Beine bringen.‹ Aber auf den schmutzig braunen Geröllhügeln, die das Pferd überquerte, wuchs nicht einmal Dornengestrüpp. ›Ich hätte eine der Kakteen anschneiden sollen‹, dachte Doroteo. ›Kakteen sind wie Kamele, die das Wasser in ihren rauhen, dehnba- ren Bäuchen speichern.‹ Seine Gedanken verwirrten sich. Er hatte nicht mehr die Kraft, das Pferd zu wenden. Er ließ es gehen, wohin es wollte. Die Lider schlossen sich, sein Kopf sank auf die Brust, die Zügel entfielen sei- ner Hand. Die untergehende Sonne übergoß die grauen Lavahaufen mit einem, zarten rosa Schein. Doroteo wußte nicht, wie lange er so geritten war. Er erwachte von einem Stoß, der ihn gegen den Hals des Pferdes warf. Mühsam öffnete er die Augen. Es war dunkel. An einem hohen violettfarbe- nen Himmel glitzerten die Sterne wie kleine Eiskristalle. Aber die Eiskristalle waren nicht nur am Himmel, sie waren auch auf dem Boden. Da, zu Füßen seines Pferdes flimmerten sie auf. Doroteo glaubte an eine Halluzination seiner halbwachen Sinne. Aber da hörte er es plötzlich, das schmatzende Schlürfen seines Pferdes. Er war am Charéz Cañon? Das Pferd hatte instinktiv den Weg zum Wasser gefunden, und als es sein Maul hineinversenkte in das kühle, lebensspendende Naß, war Doroteo nach vorn gefallen und aus seinem ohnmachts- ähnlichen Schlaf aufgeschreckt. Er ließ sich auf den Boden fallen und kroch auf allen vieren zu der Wasserstelle. Er beugte sich tief hinab. Der erste Schluck Was- ser rann wie Feuer durch seine Kehle. Dann legte er sich auf den Bauch, das Gesicht zum Wasser und trank wie ein Tier. Er hörte nicht das leise Gemurmel, das Spannen eines Gewehr- hahns. Er hörte nur das Kommando: »Alto!« Aus. Vorbei. Er hob die Arme hoch. »Du bist Doroteo Arango?« fragte ein junger Offizier, der eine Hauptmannsuniform trug. »Si, mi capitán.« Doroteo antwortete mit einer Stimme, die nicht ihm zu gehören schien. Hauptmann Jaime Puente war schlechter Laune. Da war er nun mit zehn seiner Leute den ganzen Tag durch diesen Backofen gerit- ten, und das alles nur, um diesen Hundesohn zu fangen. »Ver- dammt noch mal, hast du kein Gehirn in deinem verfaulten Kür- bis?« schimpfte er. »Wie glaubst du eigentlich, du kleines dreckiges,, verlaustes Schwein, wie wir Flüchtlinge in der Sierra Madre einfan- gen, he? Wir stellen uns an die beiden Wasserstellen und warten. Ganz einfach, nicht? Jedem hirnrissigen Idioten muß das einfallen. Aber nein, dieses Lumpenpack versucht es immer wieder und läuft uns prompt immer wieder in die Falle. Ich werde dir die Hände zu- sammenbinden lassen. Das hast du schon für deine Dummheit ver- dient.« »Darf ich vorher noch Wasser trinken, mi capitán?« bat Doroteo. »Also schön, sauf dich voll.« Doroteo beugte sich über das Wasser. Während er trank, überleg- te er fieberhaft, ob es noch eine Möglichkeit gab, zu entfliehen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er seine Bewacher. Sie waren zu elft, und sie hatten Gewehre. Es war aussichtslos. Die Rurales machten sich ein Feuer. Der Geruch von gebratenem Speck und Kaffee lag in der Luft. Doroteo sog den Duft ein. Erst jetzt spürte er, daß er Hunger hatte. Die Rurales kümmerten sich nicht um ihn. Sie aßen schmat- zend und schlürften genüßlich den heißen Kaffee. Den ganzen Tag hatten sie nur Tortillas essen dürfen, um den Flüchtling nicht durch den weithin sichtbaren Rauch auf ihre Anwesenheit aufmerk- sam zu machen. Jetzt wollten sie sich den Bauch vollschlagen. Das war das wenigste, was sie für diese schlecht bezahlte, harte und blu- tige Arbeit verlangen konnten. Don Jaime Puente lehnte an einem hohen, spitzen Lavabrocken, der wie ein Gespenst gegen den Nachthimmel stand. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und beobachtete die Männer, die mit den Händen den Speck aus der Pfanne nahmen und ihn sich in die kauenden Münder steckten. Ein Zug von Ekel und Verachtung lag auf seinem Gesicht. Der Posten, den man ihm gegeben hatte, erfüllte ihn mit Widerwillen. Als er vor acht Jahren die Militärakademie in Chapultepec verließ, hatte er sich wahrhaftig nicht träumen lassen, daß er einstmals mit, zehn heruntergekommenen Subjekten auf Jagd nach verlausten Peo- nen gehen würde. Auf wie viele Menschen hatten diese Männer, seine Männer, in den vergangenen drei Jahren schon geschossen? Waren es acht oder zwölf? Er hatte sie nicht gezählt. Er wußte nur, daß es ein ver- dammtes Geschäft war. Er war ein Offizier, ein Hidalgo, ein Spa- nier! Es war zutiefst unwürdig dieses Räuber- und Gendarmenspiel. Er würde sich heute nacht besaufen, damit er es für ein paar Stun- den vergessen könnte. Hatte er es nötig, sich von diesem Ignacio Parra auslachen zu lassen? Mußte er es dulden, daß deshalb diese lumpigen Peonen hinter seinem Rücken ausspuckten? »Mi capitán«, hörte er eine leise Stimme. Er wandte den Kopf. Der Gefangene hatte sich langsam zu ihm herangerobbt. »Was willst du?« fragte er unwillig. »Ich bin hungrig, mi capitán.« »Na und? Habe ich dir etwa gesagt, daß du davonlaufen sollst?« »No, capitán.« Es klang ruhig und ergeben. Puente spürte so etwas wie Mitleid in sich aufsteigen. Er ging zum Feuer, nahm eine Handvoll gerösteter Bohnen und ein Stück Speck. Dann stellte er sich wieder an den Lavabrocken und reichte es mit weit von sich gespreizter Hand dem Gefangenen. »Meine Hände sind gebunden, mi capitán.« Puente schaute zu seinen Männern. Sie waren so mit ihrer Mahl- zeit beschäftigt, daß sie keinen Blick auf ihn warfen. »Gibst du mir dein Ehrenwort, daß du nicht fliehst, wenn ich dich losbinde?« Doroteo schluckte. Er hatte an nichts anderes als an Flucht ge- dacht. Wenn er jetzt sein Ehrenwort gab, war es damit vorbei. Aber es war auch vorbei, wenn er es nicht gab. Dann würde ihn nämlich der Offizier noch fester binden und noch strenger bewachen. »Ich werde nicht fortlaufen, mi capitán.« Puente löste die Fesseln und gab dem Gefangenen zu essen. Do-, roteo schlang gierig den Speck und die Bohnen hinunter. »Muchos gracia, mi capitán«, sagte Doroteo kauend. »Ich wußte schon gar nicht mehr, wie Speck schmeckt.« Puente dachte, daß es möglicherweise der letzte Speck gewesen war, den der Junge in seinem Leben gegessen hatte. »Weißt du eigentlich, was dir blüht, wenn ich dich zurückbrin- ge?« »Sie werden mir die Ohren abschneiden und mich halbtot peit- schen. Aber sie werden mich am Leben lassen.« »Glaubst du?« Don Jaime fragte es in zweifelndem Ton. »Sie dürfen mich nicht umbringen. Ich habe vier kleine Ge- schwister und meine Mutter zu ernähren.« »Caramba! Und dann läufst du davon! Wie hättest du denn die Mäuler stopfen wollen, wenn du dich hier in der Sierra herum- treibst?« Doroteo wischte sich mit dem Handrücken das Fett aus den Mundwinkeln. »Wie hätte ich sie denn stopfen sollen, wenn ich auf der Hacien- da geblieben wäre? Drei Pesos die Woche, capitán! Das reicht doch nicht für sechs Personen. Nun ja, die Mädchen haben auch hin und wieder einmal ein paar Centavos verdient. Aber sie sind doch erst zehn und zwölf Jahre alt. Antonio ist erst sieben und Hipolito, mein Bruder, ist ein Tunichtgut. Ich habe ihn schon zur Arbeit ge- prügelt, aber wenn ich mich ein paar Minuten später nach ihm um- drehte, war er schon wieder verschwunden. Nur wenn ihm der Ma- gen geknurrt hat, dann ist er nach Hause gekommen, um ein paar Tortillas herunterzuschlingen. Und Mamacita hat sie ihm immer wieder gegeben, obwohl ich es ihr verboten habe«, setzte er in ei- nem Ton hinzu, der keinen Zweifel an seiner Autorität als Familien- oberhaupt ließ. »Aber das schlimmste, Señor, waren die Schulden. Wenn Mama- cita bei Don Federico ein Maß Mais kaufen wollte und mit einem, Peso bezahlte, dann gab er ihr das Wechselgeld nicht heraus. ›Das ist für eure Schulden‹, sagte er. ›Ich muß auch sehen, wo ich blei- be.‹ und da hab ich dann gedacht …« »Daß du dir das Geld durch Straßenraub beschaffen könntest.« »Si, mi capitán.« Hauptmann Puente schwieg. Was hätte er diesem Jungen auch sagen sollen? Daß das Banditenunwesen und die Aufstände im Süden die Capataces, die Aufseher, immer nervöser und damit im- mer brutaler machten? Sollte er ihm sagen, daß man ihm nicht nur die Ohren abschneiden würde, sondern auch noch die Nase. Oder gar die Hand. Und daß er dann vielleicht auch noch gehenkt wür- de? Don Puente hatte ein flaues Gefühl im Magen. Verdammt noch mal, der Junge war doch erst fünfzehn! Er wandte sich ab und wollte mit seinen Männern einen gehöri- gen Schluck Schnaps trinken. »Mi capitán …«, hörte er die Stimme des Jungen. »Ja?« »Lassen Sie mich laufen, mi capitán.« Eine irrsinnige Hoffnung lag in der Stimme. Nur einen Augenaufschlag lang zögerte Puente. Dann sagte er un- willig: »Du bist verrückt.« Langsam ging er zum Feuer. Ehe er sich zu seinen Männern setzte, drehte er sich noch einmal um. »Vergiß nicht: Ich habe dein Ehrenwort«, sagte er. Doroteo war in sich zusammengesunken. Er verfluchte seinen Heißhunger, der ihn dazu verführt hatte, sein Wort zu verpfänden. Vom Feuer her klangen die rohen Späße der Rurales zu ihm her- über. »Er soll sich doch freuen, wenn man ihm die Ohren abschneidet. Dann kann ihn keiner mehr daran ziehen«, grölte einer. »Und hören kann er auch besser, wenn man ihm die Muschel aufklappt!« schrie ein anderer., Die Leute tranken Tequila, einen scharfen Kaktusschnaps. Auch der Kapitän hatte einen kräftigen Schluck genommen und war dann wieder zu dem Lavabrocken gegangen. Doroteo beobachtete, wie er sich in seine Decke einwickelte und zum Schlafen niederlegte. »Buonas noches, mi capitán«, sagte er. Puente lachte. »Ich wünsch dir auch eine gute Nacht, du kleiner Hundesohn.« Er richtete sich noch einmal auf. »Bind ihm die Füße zusammen, Carlos.« Er lachte leise. »Hast du wirklich geglaubt, du kleine Laus, daß ich deinem Ehrenwort glaube? Schön blöd müßtest du sein, wenn du es gehalten hättest. Und du machst mir einen hellen Ein- druck.« Doroteo wehrte sich nicht, als man ihm die Füße fesselte. Der Polizist tat noch ein übriges und band ihm die Hände mit einem neuen Strick zusammen. Doroteo saß aufgerichtet und starrte mit brennenden Augen in die Nacht. Das Feuer verlosch langsam, und ein Polizist nach dem anderen legte sich aufs Ohr. Doroteo lauschte. Seltsam, wie viele Stimmen die Nacht hatte! Von Ferne klang das Heulen eines Kojoten. Ein Nachtvogel schrie, und er spürte im Oberschenkel den scharfen Biß einer Zecke. Die Männer schnarchten. Doroteo versuchte, mit seinen gebundenen Händen die Fußfes- seln zu lösen. Es war unmöglich. Sein Blick fiel auf den Lavabro- cken, an dessen Fuß der Kapitän schlief. Er war zerklüftet und schorfig. Wenn er ihn erreichen könnte, würde er sich bestimmt an einer der Kanten die Handfesseln durch- wetzen können. Langsam, Zentimeter um Zentimeter rutschte er seinem Ziel zu. Die Nachtkühle ließ ihn frösteln. Immer wieder hielt er inne und lauschte mit angehaltenem Atem, ob sich der Kapitän auch nicht, bewegte. Endlich, nach einer halben Stunde etwa, hatte er den Lavabro- cken erreicht. Als er ihn berührte, zuckte er erschreckt zurück. Der Fels war noch ganz heiß. Er hatte die Sonnenglut des Tages gespei- chert. Aber nicht nur er war aufgeschreckt. Aus einer Spalte ringelte sich langsam, wie erstaunt über die Störung, eine Schlange hervor. Doroteo konnte es deutlich erkennen. Es war eine Klapperschlan- ge. Ihr Biß war tödlich. Und er war ihr hilflos ausgeliefert. Ein Schrei stieg ihm in der Kehle hoch. Aber in letzter Sekunde preßte er die Lippen zusammen. Wenn er schrie, war sein Fluchtplan vereitelt. Wenn er nicht schrie, könnte ihn die Schlange beißen. ›Sei's drum‹, dachte Doroteo, ›es ist ein schneller Tod.‹ Regungslos mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er jede Bewe- gung des Reptils. Es kroch langsam auf ihn zu. Er spürte den glat- ten, trockenen Körper über seinen Oberarm gleiten. Die Schlange hob den Kopf, züngelte. Doroteo saß da wie erstarrt. In gemächlichen, weiten Wellenbewegungen bog das Reptil nach rechts ab, züngelte sich über den sandigen Boden und kroch dann auf den Kapitän zu. Langsam ringelte es sich an dessen Schuhen hoch. Doroteo wußte später selber nicht zu sagen, warum er es tat. Aber plötzlich stießen seine beiden gebundenen Hände vor. Und seine rechte Hand packte blitzschnell zu, genau unter dem Kopf der Schlange. Die hastige Bewegung hatte den Kapitän hochfahren lassen. »Alto! Halt!« murmelte er noch halb im Schlaf. Als er den Jungen ganz dicht neben sich sah, richtete er sich erschrocken auf. Einen Augenblick lang glaubte er, der Gefangene wollte ihm die Kehle durchschneiden., »Was willst du?« fuhr er ihn an. »Ich? Nichts, mi capitán. Aber die da wollte etwas von Ihnen. Wenn Sie mir die Hände losbinden, könnte ich sie erwürgen.« Don Puente verfärbte sich. Im Mondlicht sah er die blitzenden lidlosen Augen der Schlange, die in Todesangst züngelte. »Madre de Dios«, murmelte er mit zitternden Lippen. Dann zog er seine Machete aus dem Gürtel und haute dem Reptil den Kopf ab. Er atmete auf. Aber es dauerte fast noch zehn Sekunden, bis er das erste Wort herausbrachte. »Donnerwetter, die ist mindestens einen Meter lang«, sagte er und hob die Schlange am Schwanz hoch. »Si, mi capitán. Ich habe sie beobachtet. Sie ist erst über mich ge- krochen.« »Und warum hast du sie da nicht gepackt?« »Das ging nicht mit meinen gefesselten Händen.« Er hielt sie dem Kapitän hin. Einen Augenblick lang sahen sich der mexikanische Offizier und der Mestizenjunge an. Dann nahm der Kapitän noch einmal seine Machete und durchtrennte die Handfesseln seines Gefangenen. »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Puente. »Ich kann gut Schlangen fangen«, antwortete Doroteo. »Aber mit gebundenen Händen habe ich es noch nie versucht.« Der Kapitän schien verlegen. »Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll.« »Doch, mi capitán, Sie wissen es.« »Ich kann dich jetzt nicht laufen lassen. Carlos hat dich gefesselt. Er weiß genau, daß du dich nicht selbst befreien kannst.« »Ich wollte mir die Stricke an den Lavafelsen durchreiben.« Puente überlegte. »Das wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen. Aber nun hast du statt dessen mir das Leben gerettet. Das ist dein Pech, Bürschchen.«, Der Kapitän schämte sich ein wenig, als er das sagte. Aber er war in Sorge, daß einer seiner Leute wach geworden wäre und ihre Un- terhaltung beobachtete. Doroteo seinerseits zuckte nur mit den Schultern. Solange er lebte, hatte er nur Ungerechtigkeit, Roheit und Niedertracht ken- nengelernt. Er erwartete gar nicht, daß der Kapitän ihm dankbar war. Es war seine eigene Schuld, daß er sich die Gelegenheit zur Flucht hatte entgehen lassen. Eine dumme Regung von Mitleid. Oder war es nur ein Reflex gewesen? Doroteo legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Die Mezquitenpflanzen rund um die Wasserstelle sahen mit ihrem kahlen Strunk und dem Büschel borstiger Blätter an der Spitze im Licht des Mondes wie gespenstische Greisenhäup- ter aus. »Amigo«, hörte Doroteo die Stimme des Kapitäns ganz dicht an seinem Ohr. »Hab Vertrauen zu mir, amigo. Ich lasse dich laufen. Aber nicht jetzt. Das kann ich nicht riskieren. Morgen früh, in der Dämmerung. Ich werde ganz zeitig den Aufbruch befehlen. Dann sind sie noch schläfrig, und du läufst, was du kannst.« Doroteos Herz tat ein paar heftige, schmerzhafte Schläge. »Muchos gracias, mi capitán.« Puente bereute schon fast wieder, was er gesagt hatte. Wenn einer der Rurales etwas bemerkte, würde er in Teufels Küche kommen. »Du weißt, daß sie auf dich schießen werden«, versuchte er seine Großmütigkeit etwas abzuschwächen. »Ich weiß es, Señor.« Weder Doroteo noch Puente wäre es in den Sinn gekommen, daß ein mexikanischer Offizier wegen des Lebens eines Peonen einen Rüffel riskieren würde. Kapitän Puente hatte verschlafen. Als er aufwachte, stach ihn die, Sonne wie mit feurigen Nadeln ins Gesicht. So etwas wie Bedauern wollte in ihm aufsteigen. Aber er schüttelte das flaue Gefühl von sich ab. Er hatte verschlafen. Na und? Mußte der Bursche eben sehen, wie er am hellichten Tag entkommen konnte. Und entkommen würde er ihn lassen. Schließlich hatte er sein Wort gegeben. Daran gab es nichts zu rütteln. Wenn er dann erschossen würde – caramba! Seine Schuld war es nicht. Er trieb die Polizisten zur Eile an. Unter dem seltsam fragenden Blick Doroteos, in dem doch kein Vorwurf lag, wurde sein Ton ungeduldiger und rüder als es die Männer gewohnt waren. »Los! Los! Aufsitzen? Das könnte euch so passen, euch die Bäu- che mit Wasser füllen und dann zu Pferde sitzen wie gluckernde Säcke? Gesoffen wird erst in Santa Rosalia. Ole!« »Mi capitán«, wagte Carlos einzuwenden. »Wir haben zwölf Stun- den zu Pferde vor uns. Wir sollten uns und den Tieren vorher noch …« »Zwölf Stunden! Wer sagt das, du Idiot?« schrie Puente ihn an. »Reitest du ein Pferd oder einen lahmen Ziegenbock? Los? Auf- sitzen! In acht Stunden will ich in Santa Rosalia sein.« Die Männer schauten sich kopfschüttelnd an. Aber Puente sah nur die großen erstaunten Augen seines Gefangenen. »Löst ihm die Fußfesseln«, befahl er. Dann schnauzte er Doroteo an: »Steig auf das Pferd, das du gestohlen hast, du Satansbraten, und keine faulen Tricks. Eine falsche Bewegung, und du hast elf Löcher im Kopf!« Doroteo saß auf. Vier Soldaten ritten vor ihm, sechs hinter ihm. Der Kapitän hielt sich an seiner linken Seite. Aber er schwieg. Und so wagte auch Doroteo nicht, ihn anzusprechen. Gegen Mittag baten die Männer um eine kurze Rast. Es war atemberaubend heiß. Die Luft flirrte vor Hitze. Ein paar Mimosen-, sträucher und einige Kakteen standen im glühenden Sand. Rechter Hand lagen einige Hügel und Felsbrocken. Eine Flechte von niedri- gem grünen Gebüsch überzog sie. Der Kapitän nickte Gewährung. Die Männer sprangen von ihren Pferden, nahmen ihre Macheten aus dem Gürtel und schlugen einige Kakteen entzwei. Gierig saug- ten sie die Flüssigkeit aus dem saftigen Fleisch. Der Kapitän und der Gefangene verständigten sich mit einem kurzen Blick. Geschmeidig ließ sich Doroteo an der rechten Seite des Pferdes herabgleiten. »Vaya con Dios, geh' mit Gott«, sagte der Kapitän leise, als der Junge unter dem Leib seines Pferdes hindurchglitt, um dann hinter einem Felsbrocken zu verschwinden. Puente schrie auf: »Der Gefangene!« Einige Gewehre flogen hoch. Schüsse krachten. »Greift ihn! Los, Carlos, José, packt ihn! Ihr verdammten Hunde- söhne, ihr Sauffetzen, ihr blinden Ziegenböcke, ich werde euch peitschen lassen, daß ihr auf allen vieren durch die Wüste kriecht …« Der Kopf von Don Puente war rot vor Schreien und Toben. Die Männer schossen aus allen Rohren. Einer war in die Richtung ge- laufen, in der Doroteo verschwunden war. Nach einigen Minuten schrie er: »Hier sind Blutspuren. Wir müs- sen diese Ratte getroffen haben!« »Komm zurück, du Idiot«, gellte der Kapitän hinter ihm her. »Glaubst du, ich will eine Stunde in dieser Gluthitze Katz und Maus spielen?« Die Männer atmeten auf. Sie waren erschöpft bis zum Umfallen. Genau das hatte Puente beabsichtigt. Nicht umsonst hatte er ihnen verboten, sich mit Wasser zu versorgen. Jetzt waren sie so fertig, daß kein anderer Gedanke mehr in ihrem Kopf war als Wasser und, Ruhe. »Verschnaufen wir ein paar Minuten«, sagte er. Die Soldaten kamen näher, sahen ihn gespannt an. »Es kann keinen Zweifel geben, daß eure Unaufmerksamkeit – eure Schlafmützigkeit dem Gefangenen die Flucht ermöglichten. Ich fürchte, daß ihr mit schärfster Bestrafung zu rechnen habt.« Er sagte es mit der nachlässigen Überlegenheit eines Offiziers, dem es ganz egal sein konnte, was seinen Untergebenen widerfuhr. Die Männer blickten erschrocken auf. »Dann … dann werden wir doch wohl wieder die Verfolgung auf- nehmen, mi capitán«, sagte Carlos. »Das sieht dir ähnlich, du Esel. Rindviecher seid ihr alle, denen die Sonne das Gehirn aus dem Schädel gebrannt hat.« Er steigerte sich wieder in eine unsinnige Wut und schrie los. »Recht geschähe euch, wenn man euch die Haut in Striemen vom Buckel schnitte.« Seine Stimme senkte sich wieder, wurde fast sanft. »Dankt Gott auf den Knien, daß ich euer capitán bin, der nicht will, daß man von seinen Männern sagt, sie ließen sich die Gefangenen unter der Nase wegschnappen.« Er straffte sich und sagte in väterlichem Ton: »Wir werden in Santa Rosalia melden, daß der Gefangene bei ei- nem Fluchtversuch erschossen wurde. Klar? Wir haben ihn in der Sierra begraben. Noch Fragen?« »No, mi capitán.« »Gracias, mi capitán.« »Und jetzt laßt uns aufsitzen und reiten, was die Pferde hergeben. Wir haben einen langen Ritt vor uns, und ich will diese Nacht un- ter einem Dach verbringen.« Als Doroteo mit einem gewaltigen Sprung hinter dem Felsbrocken verschwand, war er direkt auf einige niedrige Kugelkakteen gefallen., Sein Rücken war wie gespickt mit ihren langen scharfen Stacheln. Da seine Hände gebunden waren, konnte er sich nur schwer im Gleichgewicht halten. Mühsam, schwankend, mit zusammengebisse- nen Zähnen, taumelte er hoch. Im gleichen Augenblick krachten die Schüsse. Er spürte einen dumpfen Schlag am linken Oberarm, ein heißes Brennen und die warme, klebrige Feuchtigkeit des Blu- tes, das von seinem Ellbogen herabtropfte. Er hastete weiter. Die scharfen, kantigen Lavafelsen zerrissen seine Füße. Sein zerstochener Rücken schmerzte höllisch, und sein linker Arm hing kraftlos in der Fessel. ›Hinlegen‹, dachte er, ›sich hinlegen und sterben, und aller Schmerzen, aller Qualen und aller Ängste ledig sein.‹ Aber etwas in ihm war stärker. Irgendeine unbändige Kraft, die dieses armselige, geschundene Leben erhalten wollte, trieb ihn vorwärts. Nach kurzer Zeit hörte das Schießen auf. Er kroch am Boden wie ein Reptil. Die Erde leitete den Schall besser als die Luft. Er hörte, wie sich die Schritte eines Mannes näherten. Wenn die Rurales die Verfolgung aufnehmen würden, war er ver- loren. Aber die Schritte verhielten und entfernten sich dann wieder. Er war frei! Frei, aber noch nicht gerettet. Er hatte gelernt, den Hidalgos zu mißtrauen. Möglicherweise würde der capitán in einer Minute oder in einer Stunde seinen Entschluß bereuen und hinter ihm herhetzen. Sein Blut hinterließ eine überdeutliche Spur. Doroteo sprang wie ein Affe von Fels zu Fels. Da seine Hände den Aufprall nicht abfangen konnten, zerschürfte er sich die Knie und das Gesicht. Immer wieder verloren seine Füße den Halt. Er überschlug sich, fiel, kam auf irgendeine Weise wieder auf die Beine. Endlich, nach einer Stunde ungefähr, als sein an den Boden ge- preßtes Ohr den Schlag der Hufe nicht mehr wahrnehmen konnte, machte er eine Rast. Seine Lungen schienen zu zerplatzen. Mit weit geöffnetem Mund rang er nach Luft und stieß sie keuchend wieder, von sich. Einige Minuten blieb er wie betäubt liegen, einzig hingegeben der schmerzenden Bemühung, Atem zu schöpfen. Erst allmählich spür- te er die Trockenheit seiner Kehle, das Brennen seiner Augen, das Feuer der vielen Wunden. An einem spitzen Felsen rieb er seine Fesseln durch. Das Blut strömte zurück in seine Hände. Es war ein Gefühl, als würden sie von tausend spitzen Nadeln gestochen. Doroteo scherte sich nicht darum. Er spreizte ein paarmal die Finger, dann riß er sein schmutziges, schweißnasses Hemd in Strei- fen und legte einen festen Verband um die stark blutende Wunde am Oberarm. Sein Kopf dröhnte. Er konnte sein Herz gegen die Rippen schla- gen hören. An seinem Hals und in den Waden spürte er den star- ken Pulsschlag. Jetzt, da er zum erstenmal ein wenig verschnaufen konnte, über- fiel ihn die Hitze wieder. Es war so heiß, daß er innen und außen zu verbrennen schien. Sein Atem wurde kürzer und kürzer. Er hatte das Gefühl, seine Lungen könnten die Luft nicht halten, die er brauchte, um am Leben zu bleiben. Wenn er nicht irgendwo einen kleinen kühlenden Schatten fände, würde er ersticken unter dieser flirrenden, heißen Glocke, die sich über ihn gestülpt hatte. Mühsam richtete er sich auf und stolperte voran. Von seinen Füßen war die Haut abgerissen. Bei jedem Schritt stach ihn der Schmerz bis zum Kopf. Seine Lungen pfiffen bei jedem Atemzug. Zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß er's nicht aushalten konnte, daß er sterben würde. Vor sich sah er eine zerklüftete Felswand mit Dornengestrüpp be- wachsen. Er taumelte darauf zu. Aber sie wich immer weiter vor ihm zurück. Die Erde unter ihm begann sich zu heben und zu sen-, ken. Der Himmel nahm eine seltsame Färbung an, und die Fels- wand schien meilenweit in diesem Nebel zu schweben. Um ihn waren nur noch Farben und Nebelschleier. Nichts war mehr wirklich außer den Schmerzen. Er strauchelte und stürzte auf die Knie. Sein Magen schwoll an und stieg bis hinauf in die Kehle. Jetzt spürte er auch die Schmerzen nicht mehr, nur noch Müdig- keit, eine tiefe, bleischwere Müdigkeit. Er fiel auf den Rücken. Um ihn war Schmerzlosigkeit, Schweigen und Einsamkeit. Doroteo schoß durch kühles Wasser in die Höhe. Sein erster Ge- danke war: Ob er wohl je die Oberfläche erreichen würde? Er ver- suchte zu atmen. Es war Luft, die in seine Lungen schoß. Langsam öffnete er die Augen. Er schaute direkt in die Öffnung von drei Gewehrläufen. »Hände hoch!« gellte eine Stimme in sein Ohr. Er hörte lachen. »Warum soll er die Hände hochheben, Tomás? Er ist ja halb nackt. Wo soll er denn eine Waffe versteckt haben?« »Vorsicht ist besser als ein Loch im Bauch.« Ein Gewehrlauf wurde gegen seine Brust gestoßen. Er sah in das Gesicht des Mannes ganz nah über dem seinen. In ungläubigem Erstaunen riß er die Augen auf. »Salas!« keuchte er. Der Mann sah ihn an, zögerte einen Augenblick, dann warf er sein Gewehr weg und nahm den Kopf Doroteos in die Hände. »Doroteo, Doroteo Arango! Ist das möglich! Wo kommst du her? Wer hat dich so zugerichtet?« Doroteo versuchte zu sprechen. Aber die Zunge lag dick ge- schwollen in seinem Mund. »Wasser«, keuchte er. »Wir haben schon einen ganzen Sack voll über dich ausgeschüt-, tet«, sagte Salas Vaca und gab ihm zu trinken. Während Doroteo die ersten Tropfen herunterwürgte, berieten die drei Männer, was mit ihm geschehen sollte. »Wir werden seine Wunden verbinden und ihn mit ausreichend Wasser und Brot in eine Höhle legen«, sagte Manuel Campos. »Er ist ein Peon, und einen Peonen lassen wir nicht einfach verrecken wie einen Hund.« Campos war ein schwerer, untersetzter Mann mit einem breit- flächigen Gesicht, struppigem Bart und buschigen Augenbrauen. Vaca, ein schmalschultriger, junger Bursche, schüttelte den Kopf. »Doroteo ist ein entfernter Vetter von mir. Ich kann ihn hier nicht einfach liegenlassen. Er arbeitete auf der Hacienda de Gogo- jita. Von hier aus kommt er zu Fuß nie dahin zurück.« »Haltet den Mund!« sagte Tomás Urbina, der dritte der Männer. Er war größer als seine Kameraden, und in seinem sonnenverbrann- ten Gesicht lag ein Zug hellwacher Intelligenz. »Laßt erst einmal den Gefangenen reden. Ich will hören, was er zu sagen hat. Und dann werden wir entscheiden, was aus ihm werden soll.« Doroteo, der sich mit Hilfe Vacas aufgerichtet hatte, erzählte, wie er den Rurales in die Hände gefallen und auf welche Weise er ihnen entkommen war. Als er geendet hatte, bekräftigte Salas Vaca: »Er spricht die Wahrheit. Por Dios, ich kann es bezeugen!« »Du bist ein Dummkopf«, wies ihn Tomás zurecht. »Woher willst du wissen, daß er die Wahrheit spricht? Weil er dein Vetter ist? Je- der hat einen Vetter, der bereit ist, für ihn zu zeugen. Wenn es da- rauf ankäme, gäbe es nur ehrliche Menschen auf der Welt.« Er wandte sich an Doroteo. »Weshalb bist du davongelaufen? Du hättest doch wissen müssen, daß es für dich keine Überlebenschance in der Sierra gibt.« »Die Sierra ist das Land von Ignacio Parra«, antwortete Doroteo. »Und ich hoffte, Don Ignacio zu treffen.«, Urbinas Augen verengten sich. Die Backenknochen in seinem scharfgeschnittenen Gesicht traten hervor. »Was wolltest du von Don Ignacio?« »Ich wollte ihn bitten, mich bei sich aufzunehmen.« »Du Idiot, du verdammter!« fuhr Tomás Urbina auf. »Bildest du dir ein, man kann einfach einen kleinen Spaziergang machen, um Ignacio Parra zu treffen? Weißt du, daß der Jefe Politico, dieser Hundesohn von einem Gouverneur, jeden, der Don Ignacio tot oder lebendig ergreift, zehntausend Pesos zugesichert hat? Und da kommt dieses Bürschchen daher und sagt ganz einfach, er will Ig- nacio Parra treffen!« Doroteo schwieg. Die Schmerzen, die Erschöpfung, die Strapazen der letzten Tage hatten seinen Optimismus und seine Unterneh- mungslust zerstört. Er war jetzt selbst der Meinung, daß sein Unter- nehmen wahnwitzig gewesen war. Er senkte den Kopf. »Sie haben recht, Señor, mich für verrückt zu halten. Aber ich mußte es versuchen. Es war meine einzige Hoffnung. Für einen Peonen gibt es nur eine Zukunft: das Grab oder das Gefängnis. Ich habe einen Ausweg gesucht.« Tomás Urbina sah in die Augen des Jungen. Sie waren voller Schmerzen und voller Verzweiflung. Angst stand nicht in ihnen. Aber irgend etwas Bezwingendes ging von diesen seltsam hellen, bernsteinfarbenen Augen aus, die jetzt verschwollen und entzündet waren. Urbina richtete sich auf. Er hatte einen Entschluß gefaßt. »Wenn dieser Bursche hier sterben soll, dann kann er auch noch in zwei Stunden sterben. Und uns wird er nicht entkommen. Los! Packt ihn und setzt ihn auf mein Pferd! Wir werden ihn zu Don Ignacio Parra bringen.« Wo war der Schmerz? Wo waren die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung? Eine maßlose brennende, überschäumende Freude,, die ihm die Tränen in die Augen trieb, schoß in ihm hoch. Seine Lippen zitterten, als er stammelte: »Muchos gracias, Señor … Dank, vielen Dank!« Urbina lachte. »Warte mit deinem Dank, mein Bürschchen, bis Don Ignacio ent- schieden hat, was mit dir geschehen soll. Noch weiß niemand von uns, ob du den Abend überleben wirst.« Er wandte sich an Vaca. »Komm, Salas, fessele deinem Vetter die Hände und verbinde ihm die Augen.« Doroteo fuhr zurück. »Ihr werdet mir doch nicht …« Jetzt lachten alle drei auf. »Und ob wir das werden!« sagte Urbina. »Wenn wir das nämlich nicht tun, muchacho, dann überleben wir alle vier den Abend nicht. Don Ignacio hat es nämlich gar nicht gern, wenn Fremde sei- nen Lagerplatz sehen.« Dunkelheit, lange Zeit Dunkelheit. Schweigen. Hin und wieder ein paar Gesprächsfetzen und das Stampfen der Hufe, knirschend und weich über Sandboden, dröhnend und laut über Geröll und Steine. Die Hitze hatte ein wenig nachgelassen. Die Sonne mußte tiefer stehen. Doroteo fühlte keinen Schmerz mehr. Don … Ignacio … Parra … Don … Ignacio … Parra dröhnten die Hufe unter ihm. Er war am Ziel seiner Wünsche. »Alto? Wer da?« schlug ihm eine Stimme entgegen. »Manuel, Salas und Tomás mit einem Gefangenen«, hörte er Urbina antworten. »Gib die Parole!« »La Cucaracha!« »Was wird die Küchenschabe tun?«, »La Cucaracha wird sich auf den Weg machen.« »Ihr könnt passieren.« Doroteo fühlte sich vom Pferd gehoben und vorwärts gestoßen. Er hörte Gemurmel, spürte Menschen um sich herum, den Geruch von Schweiß, gebratenem Fleisch, starkem, heißem Kaffee. Seine Haut empfand die Wärme eines großen Feuers. »Bleib bei ihm, Salas«, vernahm er Urbinas Stimme. »Ich gehe Don Ignacio Bericht erstatten.« Salas legte ihm die Hand auf die Schulter und redete in ihn ein. Aber er verstand nicht, was der Vetter sagte. In ihm war eine ein- zige, zitternde, spannungsvolle Erwartung. Urbina ging zu Ignacio Parra, dem Helden der Sierra Madre. Und er würde über ihn, Doroteo Arango sprechen. Santa Madre de Dios! Gib, daß er mich anhört! Mach, daß er mir vertraut! Laß mich die Worte finden, die zu seinem Kopf und zu seinem Herzen sprechen! Er wußte nicht, wie lange er so gestanden hatte. Plötzlich fühlte er sich an der Hand gepackt und vorwärts gezogen. Als er wieder stehenblieb, nahm ihm jemand die Binde von den Augen. Er befand sich auf einem ebenen Platz, ungefähr zweihundert Me- ter im Durchmesser. Rundherum stiegen die Felsen schräg auf. Es sah aus wie ein gewaltiges Amphitheater. Männer standen um ihn herum. Er konnte aber ihre Gesichter nicht erkennen. Sie lagen im Schatten riesiger Sombreros. Nur ein einziger, mittelgroß, hellhäutig, war barhäuptig. Doroteo Arango wußte, daß er vor Don Ignacio Parra stand, und Bewunde- rung stieg in ihm auf. Dieser Mann war nicht nur der Held all sei- ner Jugendträume, er sah auch so aus, wie sich ein Junge einen Helden vorstellt: Er hatte die dunklen, eng zusammenstehenden Augen der Indianer und die gerade hohe Stirn der Spanier. Unter einer kühnen, leicht gebogenen Nase war ein energisch geschwunge- ner Mund und ein etwas vorstehendes Kinn., Don Ignacio lächelte. Seine langen, schmalen Hände zündeten eine Zigarette an. Er zog den Rauch tief ein und blies ihn dann über den Kopf Doroteos. »Man sagte mir, du wünschst Don Ignacio zu sprechen«, sagte er in einem leicht amüsierten Ton. Doroteo schoß das Blut in den Kopf. »Si, mi Jefe.« Don Ignacio schien sich nur mit seiner Zigarette zu beschäftigen. Er blies ein paar Rauchringe in die Luft und sah ihnen nach, bis sie langsam zerfaserten. »So, so«, sagte er. »Du hast mich also zu deinem Chef erkoren. Hast du dir schon mal überlegt, daß ich möglicherweise gar nicht dein Chef sein will?« Seine Stimme wurde plötzlich scharf und schneidend. »Daß ich möglicherweise etwas dagegen habe, einen so grünen Jungen in meinem Lager zu haben?« Der ›grüne Junge‹ traf Doroteo wie eine Ohrfeige. Sein Rücken straffte sich. »Es ist wahr, mi Jefe, ich bin erst fünfzehn. Aber ich kann schie- ßen wie ein Mann. Und reiten kann ich besser als ihr bester Mann. Geben Sie mir ein Pferd. Und ich werde es Ihnen beweisen.« »Eines«, antwortete Don Ignacio verächtlich, »kannst du am aller- besten: das Maul aufreißen. Für wie dumm hältst du mich eigent- lich, du Hosenscheißer? Dir ein Pferd geben! Damit du auf und da- von galoppieren kannst!« Er trat einen Schritt näher auf Doroteo zu. Seine dunklen India- neraugen blitzten gefährlich, und seine Stimme klang drohend. Das Gemurmel der Männer um sie herum war verstummt. Sie sahen auf und bildeten einen Kreis um den Jungen und ihren An- führer. »Was glaubst du eigentlich, was das hier ist?« fragte Don Ignacio. »Mein Hauptquartier oder ein Ausflugsort? Bildest du dir ein, wir haben hier so eine Art Durchgangsverkehr? Jeder, der kommt,, schaut kurz mal rein, geht wieder und berichtet seinen Freunden, was er so alles gesehen hat? Die Sonne hat dir den Verstand aus dem Schädel gebrannt, wenn du glaubst, daß ich dich einfach da- vonreiten lasse, du kleiner, schwachköpfiger Spion der Rurales. Hast du dir schon überlegt, was du mit dem Kopfgeld anfangen wirst?« Doroteo fuhr zurück. Sein Gesicht brannte. »So etwas, mi Jefe, sollte man zu niemandem sagen, dessen Hän- de gebunden sind.« »Willst du damit sagen …« »Ich will damit sagen, Don Ignacio, daß ich Sie töten würde, es sei denn, Sie töten mich zuerst.« Don Ignacio trat einen Schritt zurück. Auf seinen gelbglänzenden Reiteranzug war ein Tabakkrümel gefallen. Er las es mit spitzen Fin- gern ab und pustete es weg. »Löst ihm die Fesseln«, befahl er. Dann drehte er sich halb zur Seite und zog eine neue Zigarette aus seiner Brusttasche. Mit ge- spreizten Fingern entzündete er das Streichholz, nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch Doroteo ins Gesicht. Doroteo war nur eine Handbreit kleiner als Don Ignacio. Der Junge und der Mann standen etwa drei Schritte voneinander ent- fernt. Sie sahen sich an, der Mann mit einem kleinen ironischen, überlegenen Lächeln, das seine Anspannung nicht ganz verbergen konnte. Der Junge, rotgesichtig, mit jäh erwachtem Stolz und tie- fem, feierlichem Ernst. Doroteo schritt auf Don Ignacio zu, beugte den Kopf vor ihm und sagte ergeben: »Ja, mi Jefe, ich bin ein Spion. Ich bin Ihr Spion. Ich weiß eine Menge über die Hacienda de Gogojita und die Rancho del Norte. Und alles was ich weiß, steht zu Ihren Diensten, Don Ignacio.« Doroteo hob den Kopf und sah dem Mann gerade in die Augen. Die dunklen, samtfarbenen Don Ignacios und die hellen Bernstein-, augen des Jungen hielten einander fest. Don Ignacio war der erste, der sich abwandte. Scheinbar lässig streifte er die Asche von seiner Zigarette, dann hob er die Hand und legte sie auf Doroteos Schulter. »Ich glaube dir, amigo«, sagte er. Durch den Kreis der Männer ging ein Aufatmen. Doroteo aber stieß einen Freudenschrei aus. Er wollte auf die Knie sinken, um Don Ignacios Hand zu küssen. Aber plötzlich wirbelte es wie wild in seinem Schädel herum. Der Boden unter seinen Füßen gab nach, und er fiel in die Nacht und mitten hinein in das Feuer, dessen Flammen über ihm zusammenschlugen. Seit sechs Wochen lebte Doroteo im Lager Don Ignacios. Drei Wo- chen davon hatte er in einem Halbdämmer verbracht. Jedesmal wenn er erwachte, hatte er das Gefühl, in einen vergrößernden Ra- sierspiegel zu sehen, den jemand zu ihm heranzog und dann wieder wegschob. Er sank in Tiefen und schwebte in Höhen, und alles war voller Töne. Dann spürte er die Verbände, in die er von oben bis unten einge- wickelt war, und eine große Dankbarkeit erfüllte ihn. Er war unter Kameraden. Man kümmerte sich um ihn. Er konnte in Ruhe ge- sund werden. Nach drei Wochen stand er zum erstenmal auf. Da die Haut an seinen Füßen noch ganz dünn und rosig war, gab man ihm Sanda- len. Die ersten Sandalen seines Lebens! Doroteo stolzierte umher wie ein Gockel. Die Männer lachten. Und der Junge stimmte fro- hen Herzens ein. Während der nächsten drei Wochen lernte er, wie das Leben im Dienst Don Ignacios verlief. Der Bandido hatte seine Helfershelfer in ganz Chihuahua und Sonora. Diese riesigen Provinzen gehörten zwei Herren, die sich bis aufs Blut bekämpften: Don Luis Terraza, und Don Ignacio Parra. Terraza gehörten die Silberbergwerke von Guanacervi, die Banken in Chihuahua-City und Camargo und alles Land im nördlichen Mexiko, siebzig Millionen Acres, ungezählte Viehherden und einige Zehntausende von Peonen, die sich auf seinen Haciendas und Ran- chos zu Tode schufteten. Ihm gehörten aber auch die Hacienderos, die Bergwerksdirektoren, die Pächter und die Aufseher. Und zu sei- nen Diensten standen Offiziere und Soldaten der korrupten Regie- rung des Präsidenten Porfirio Díaz. Don Ignacio hingegen gehörten das unwegsame Bergland der Sierra und die Herzen all derer, die sich nach Freiheit sehnten oder denen der Bandido einmal ein paar Säcke Bohnen, einige Stücke Dörrfleisch oder ein paar Pesos geschenkt hatte. All diese Männer liehen ihre Augen und Ohren Don Ignacio. Durch ein weites, feingewebtes Netz von Beobachtern und Kund- schaftern erfuhr er, in welchem Tal die fetteste Herde weidete, wann eine Kutsche mit Lohngeldern von der Bank abging, wo einige hun- dert Säcke Mais oder Bohnen verladen würden. Die Männer von Don Ignacio kamen immer zum richtigen Zeit- punkt. Manchmal ließen sie ein paar Leichen zurück. Manchmal aber sahen auch die Vaqueros ein, daß es besser war, ein lebendiger Peon zu sein mit ein paar Pesos mehr in der Tasche als ein toter. So leisteten sie jetzt immer häufiger keinen Widerstand, wenn die Bandidos auftauchten. Manche sogar halfen den Räubern, die Her- de in der Nähe von El Paso oder Douglas über die Grenze der Ver- einigten Staaten zu führen. Don Ignacio war um einige Golddollars reicher und Don Terraza um eine fette Herde ärmer. Das Geld und Gold, das Don Ignacio erbeutete, verteilte er unter seine Männer. Ein Viertel blieb zurück als Kapital, das allen gehör- te. Dafür wurden Waffen, Ausrüstung, Kleidung, Pferde und Vor- räte gekauft. Die Lebensmittel ließ er aber unter die Armen vertei- len, und von jeder Herde, die er heimlich über die Grenze trieb,, wurden einige Rinder als Schlachtvieh für die Peonen zurückgehal- ten. Das war nicht nur reine Mildtätigkeit und Menschlichkeit, es war vor allem Klugheit. In einem Land, in dem seinem Feind alles ge- hörte, das Geld, die Polizei, die Soldaten, konnten die Bandidos nur überleben, wenn das Volk auf ihrer Seite stand. Das erste Gebot für die Männer Don Ignacios lautete deshalb: Füge niemals einem Armen ein Leid zu. Beschütze seine Frau und seine Kinder. Gib ihm zu essen, wenn er hungrig ist. Hilf ihm, wenn du siehst, daß ihm Unrecht geschieht … Das meiste von jenen Regeln, die zur Richtschnur für die Ban- didos geworden waren, hatte Doroteo von Salas Vaca, seinem Vet- ter, erfahren. Er war begeistert. Seine Verehrung für Don Ignacio war einer schwärmerischen Liebe gewichen; und sein größter Kummer war, daß er seinen angebeteten Jefe kaum sah. Nachdem er nun völlig wieder hergestellt war und fest auf seinen stämmigen Beinen stand, entschloß er sich, zu Don Ignacios Zelt zu gehen. »Ich habe eine Meldung zu machen, mi Jefe«, sagte er und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Don Ignacio riß die Augen auf. »Sieh da! Unser kleiner Findling! Por Dios! Laß dich betrach- ten … Na! Da bist du wieder ein Mensch! Als ich dich das letzte Mal zu Gesicht bekam, sahst du ja nicht viel besser aus als eine kleine geschundene Eidechse, der man die Haut abgezogen hatte.« Doroteo fluchte innerlich, daß er schon wieder einen roten Kopf bekam. Er schluckte seine Verlegenheit und seine Schüchternheit herunter und wiederholte: »Ich habe eine Meldung zu machen, mi Jefe.« »Gut, mein Junge, gut. Mache deine Meldung.« Doroteo holte tief Atem., »Schon seit über einem Jahr hatte ich die Absicht, zu Ihnen zu kommen, mi Jefe. Aber ich wollte nicht nur kommen, um Ihr Brot zu essen und Ihr Wasser zu trinken. Ich wollte etwas mitbringen.« Don Ignacio lachte. »Wo hattest du denn dein Gastgeschenk, kleiner Findling? Als man dich in mein Lager brachte, hattest du nicht einmal deine ei- gene Haut am Leib.« Doroteo blieb ernsthaft. Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Hier, mi Jefe, im Kopf.« Don Ignacio nickte. »Ich weiß, daß du nicht dumm bist, mein Junge. Laß hören.« Doroteo glättete mit den Händen den sandigen Boden zu seinen Füßen. Dann fing er an, mit seinem rechten Zeigefinger zu zeich- nen. Was er in den Sand strichelte, waren die Hacienda de Gogojito und der Rancho del Norte. Er skizzierte Höhenzüge und Täler, kleine Ansiedlungen und Wasserläufe. Er markierte die Routen der schlachtreifen Ochsen, und die Weiden, auf denen das Vieh für den nahen Verkauf fettgefüttert wurde. Don Ignacio folgte den Zeichnungen und Worten Doroteos mit Spannung. Seine Fragen kamen schnell und präzise. Doroteo ant- wortete knapp und klar. Zehn Minuten gingen Fragen und Antworten hin und her. Dann legte Don Ignacio seine Hände auf die Schultern des Jungen. »Du hast die Augen eines Falken und die Beobachtungsgabe ei- nes Pumas. Burschen wie du, Doroteo, können eine große Hilfe sein oder – eine große Gefahr.« »Sie haben eine Eigenschaft vergessen, mi Jefe: die Treue des Hundes.« »Du wirst es beweisen können. Ich werde dich als mein Kund- schafter nach Chihuahua-City schicken.«, »Ja, mi Jefe.« »Morgen abend wird dir Tomás die Augen verbinden und dich aus dem Lager bringen. Ihr werdet nur in der Nacht reiten. Komm ins Zelt.« Don Ignacio beugte sich über einen rohgezimmerten Tisch, nahm ein Stück Papier und einen Bleistift und schrieb eine halbe Seite voll. Dann reichte er den Bogen Doroteo. »Lies es, präg es dir ein. Und wenn du es auswendig gelernt hast, dann verbrenne den Zettel.« Wieder schoß Doroteo das Blut ins Gesicht. Don Ignacio beo- bachtete jede seiner Bewegungen. Doroteo nahm das Papier, starrte darauf und gab es dann zu- rück. »Ich … ich kann nicht lesen«, sagte er, und seine Stimme war hei- ser vor Scham. Don Ignacio fiel es schwer, ein befriedigtes Lächeln zu verbergen. Der Zettel war ein Test gewesen. Hätte Doroteo ihn lesen können, wäre erwiesen gewesen, daß er Lügenmärchen erzählt hätte. Kein Peon in ganz Mexiko konnte schreiben oder lesen. Aber Don Igna- cio legte die Stirn in Falten und tat sorgenvoll. »Wie willst du meine Anweisungen behalten, wenn du nicht lesen kannst?« »Sagen Sie mir, was ich wissen muß und tun soll, mi Jefe. Sie wer- den sehen: Jedes Wort wird in meinem Gedächtnis eingebrannt sein.« »Dann höre mir gut zu: Du gehst zu Señor Mateo Valdez. Er hat in der Calle di Libertad ein Milchgeschäft. Bei ihm wirst du als Le- chero, als Milchjunge, arbeiten. Was du zu tun hast, wird dir Señor Valdez sagen. Deine Arbeit wird am Mittag beendet sein. Dann gehst du in die Cantinas und auf die Plazas, auf den Bahnhof und in die Lagerhäuser und machst die Ohren auf. Höre auf jede Infor-, mation, belausche jedes Gespräch. Du wirst Geld genug haben, um den Hütejungen, den Kutschern und Eisenbahnschaffnern ein Bier oder einen Schnaps spendieren zu können. Aber merke dir: Gib nie mehr als einen Peso aus. Betrinke dich nie und vergiß nie, daß du nur ein Milchjunge bist.« Don Ignacio zündete sich eine neue Zigarette an. Er schnipste das Streichholz weg. »Hast du das alles begriffen?« Doroteo nickte. »Dann höre weiter. In der Calle Dolores, in der Nähe des Bahn- hofs liegt die Cantina de las Rosas. Sie gehört meinem Freund Ma- nuel Cazadero. Zu ihm wirst du alle zehn Tage gehen, um ihm Be- richt zu erstatten. Alle zehn Tage, hörst du? Zu keinem anderen Zeitpunkt. Mit einer Ausnahme: Wenn du erfährst, daß eine La- dung Silber von Guanaceri abgeht. In diesem Falle mußt du sofort Bericht erstatten. Mich interessiert alles: die Wege und Weiden des Viehs, die Verladung von Korn, Bohnen, Mais, Leder. Und merke dir: Du wirst niemals und unter keinen Umständen versuchen, mit mir oder meinen Männern Verbindung aufzunehmen. Du wendest dich stets nur an Señor Cazadero. Hast du alles behalten?« »Si, mi Jefe.« »Dann wiederhole es.« Wort für Wort sagte Doroteo noch einmal auf, was ihm Don Ignacio eingeschärft hatte. Der Bandido nickte befriedigt. »Gut, mein Junge. Hier hast du fünfzig Pesos. Gehe sorgsam da- mit um.« Doroteo nahm das Geld nur zögernd. »Ich … ich habe eine Bitte, mi Jefe.« »Nun?« »Ich habe eine Mutter und vier kleine Geschwister. Ich bin ihr Ernährer. Bitte, mi Jefe, lassen Sie etwas von diesem Geld meiner, Mutter zukommen.« Don Ignazio runzelte die Stirn. »Was sollen sie mit dem Geld anfangen?« »Wir haben Schulden, über hundert Pesos. Ich will sie freikau- fen.« Don Ignazio schüttelte den Kopf. »Du hast einen guten Verstand, mein Junge. Aber du hast nicht gelernt, ihn zu gebrauchen. Was glaubst du, wird der Krämer den- ken, wenn deine Mutter ihre Schulden bezahlt. Und die Capataces, die Aufseher, und der Verwalter und Don Augustin, der Pächter und die Rurales? Ich werde dir sagen, was sie sich denken: Woher hat Carmen Arango das viele Geld? Ist es möglich, das Doroteo doch nicht tot ist? Möglicherweise ist er ein Bandido geworden? Greifen wir uns seine Mutter und prügeln wir sie so lange, bis sie uns erzählt, woher sie das Geld hat. Das ist unser gutes Recht, denn sie steht im Verdacht, eine Straftat zu begünstigen. Und dann pa- cken sie deine Mutter und ziehen ihr das Fell über die Ohren …« Doroteo biß die Zähne zusammen. »Sie haben recht, mi Jefe. Ich bin ein Dummkopf. Aber was soll ich tun? Ich kann sie doch nicht verhungern lassen?« Don Ignacio strich über das struppige, rotbraune Haar Doroteos. »Mach dir keine Sorgen, muchacho. Sie werden kein Geld haben, aber Hunger werden sie nicht leiden. Das ist mehr, als du jemals hättest für sie tun können, wenn du bei ihnen geblieben wärst.« Doroteo schossen die Tränen in die Augen. Er ergriff die Hand Don Ignacios und küßte sie. »Mein Leben gehört Ihnen, mi Jefe, ich schwöre es Ihnen.« Don Ignacio lachte. »Dann möchte ich eigentlich nur noch wissen, wer mir da soeben sein Leben zugeeignet hat?« Doroteo schaute ihn verständnislos an. »Doroteo Arango wurde von den Rurales erschossen«, sagte Don, Ignacio. »Hast du das vergessen? Wie soll denn der Lechero heißen, der bei Señor Valdez seinen Dienst antritt?« Nur einen Augenblick lang dachte Doroteo nach. Dann straffte sich sein Rücken und er sagte: »Francisco Villa.« Don Ignacio lachte, als müßte er ersticken. Es war ein so unbän- diges, so herzliches Gelächter, daß es Doroteo schwerfiel, beleidigt zu sein. »Schau ihn dir an, unseren kleinen Doroteo!« sagte Don Ignacio, mühsam um Fassung ringend. »Ausgerechnet den Namen des gro- ßen Bandidos von Oaxaca hat er sich ausgewählt? Pancho Villa! Du bist nicht gerade bescheiden, kleiner Doroteo.« Francisco, genannt Pancho Villa, war bereits dreißig Jahre tot. Aber in den Tälern von Oaxaca und Sonora, von Durango und Chihuahua erzählte man sich noch immer von den großen Raub- zügen des Bandidos. Es war viel Erdichtetes und Erträumtes an diesen Geschichten. Denn in Wirklichkeit war dieser Pancho Villa weit eher ein Dieb und Räuber als ein Volksheld gewesen. Aber die muchachos brauchten ihre Geschichten und Abenteuer, die sie sich abends am Lagerfeuer erzählen konnten. Und bevor es Ignacio Parra gegeben hatte, war der Held dieser Geschichten nun einmal Pancho Villa gewesen. Doroteo fühlte sich keineswegs beschämt. »Ich bin froh, daß ich meinen Namen los bin. Doroteo Arango, das war der Name eines Sklaven. Wenn er ausgesprochen wurde, so klang das wie eine Kette, wie eine Fessel an meinen Beinen. Pancho Villa! Das klingt frei und stolz und kraftvoll. Ich werde wachsen, mi Jefe, und ich werde Taten vollbringen, die dieses Mannes würdig sind.« Hinter den schwarzen verklüfteten Bergen der Sierra ging die Son- ne unter wie ein Feuerball. Einige Minuten lang waren die Gipfel vergoldet. Dann lagen sie wieder da wie ein Haufen verbrannter, Kohle, grau und schorfig. Don Ignacio schüttelte seinem jüngsten Gefolgsmann die Hand: »Vaya con Dios, Pancho Villa!« Seit fünfzehn Jahren herrschte Don Ignacio über die Sierra. Aber nie war er so erfolgreich gewesen wie in dem Jahr, in dem ein ge- wisser Pancho Villa als Milchjunge seine Karre durch die Straßen von Chihuahua-City zog. Man kannte den jungen Pancho in den Cantinas, auf dem Bahn- hof und den Märkten der Stadt. Er war ein ruhiger, schweigsamer Junge, der immer ein paar Centavos für einen Tequilla oder ein Cerveza, ein Bier, übrig hatte. Man mochte ihn leiden und suchte seine Gesellschaft. In jenem Jahr fielen Don Ignacio fünf fette Herden und der größ- te Silbertransport in die Hände. Zweihundertfünfzigtausend Pesos hatte er auf einen Schlag erbeutet. Und ein Teil, ein kleiner Teil da- von, klimperte in den Taschen des Lechero Pancho Villa. Pancho selbst hatte sich selten so elend und verlassen gefühlt. Er war immer aufmerksam, immer angespannt, immer auf der Lauer. Er rauchte nicht, er trank nicht. Er schien nur aus Ohren zu beste- hen. Voller Erstaunen stellte er fest, wie leicht man die Menschen zu Freunden gewann, wenn man bereit war, ihnen zuzuhören, und nichts dagegen zu haben schien, immer derjenige zu sein, der gab und niemals etwas forderte. Wenn er sich abends spät in seiner kleinen Dachkammer zum Schlaf niederlegte, dachte er mit leisem Neid an die Kameraden in der Sierra. Sie konnten Pläne schmieden, kämpfen. Sie konnten sich streiten, sich in die Arme fallen. Sie waren zusammen. Es war ein drückendes, sehnsuchtsvolles Gefühl, das in ihm auf- stieg. Es machte seine Glieder schwer und nahm ihm die Lust zur Arbeit., Unwillig trat er früh um vier seinen Dienst an. Unwillig rechnete er am Mittag mit Señor Valdez ab. Und lustlos streifte er am Nach- mittag und Abend durch die Cantinas und über die Marktplätze, den großen Sombrero tief ins Gesicht gezogen, damit keine der vielen Patrouillen, die jetzt überall in der Gegend herumstreiften, ihn erkennen konnte. So war der Oktober 1894 gekommen. Ein schwerer heißer Regen ging nieder über Chihuahua. Pancho Villa zog seinen Milchkarren durch eine der vornehmen westlichen Vorstädte. Er konnte seine tägliche Route im Schlaf gehen. Heute hatte ihm Señor Valdez eine neue Adresse gegeben: Don Miguel Costilla. Er trottete durch die Straße und suchte die Hausnummer. Es war eine große, prächtige Villa. An dem reichgeschnitzten Mahagonitor hing ein kupferner Klöppel. Pancho ließ ihn zweimal fallen. Ein Dienstmädchen in einem schwarzen Kleid mit einer weißen Schürze öffnete. »Ich bringe die Milch für Señor Costilla«, sagte Pancho und trat über die Schwelle. Das Dienstmädchen stieß einen Schrei aus. »Was fällt dir ein, du Schmutzfink! Wirst du wohl draußen blei- ben! Hat man so was schon gesehen! Tritt patschnaß auf unsere schönen, sauberen Teppiche und versaut uns alles!« Pancho murmelte eine Entschuldigung und trat erschreckt ins Freie. Es schüttete wie aus Eimern. Der Regen hatte ihn völlig durchnäßt. Das Dienstmädchen war weggelaufen, um sich zunächst um den Wasserflecken auf dem Teppich zu kümmern. Pancho stand vor der Tür und hielt die Hand über die Kanne, damit der Regen die Milch nicht verwässerte. »Mein Gott, wie naß du bist!« hörte er in diesem Augenblick eine, Stimme. Er blickte auf, und es war ihm, als hätte ihn im gleichen Augen- blick ein Blitz getroffen. Er sah in das Gesicht eines Mädchens, das ihm schöner erschien als das Antlitz der Heiligen Mutter von Gua- dalupe. Er sah in zwei große, braune Augen, die ihn freundlich anblick- ten. Er sah einen weichen roten Mund, der lächelte. Er sah eine Haut, so edel und fein wie altes Elfenbein, und er sah dunkles, lo- ckiges Haar, das glänzte wie Seide. Er spürte den Regen nicht mehr. Er stand da wie erstarrt und schaute das Mädchen an. Es lief auf ihn zu, faßte ihn an der Hand und zog ihn ins Haus. »Es ist nicht recht von Dolores, dich im Regen stehenzulassen. Der Teppich ist sowieso schon naß. Soll ich dir ein Handtuch brin- gen?« Pancho konnte nicht antworten. Er war wie verzaubert. »Señorita Maria!« Das Dienstmädchen, das mit einem Lappen zu- rückgekommen war, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wie können Sie erlauben, daß dieser Gassenjunge das Haus betritt! Mach, daß du rauskommst!« fuhr sie Pancho an. Er gehorchte. Aber seine Augen hingen selbstvergessen an dem Mädchen. »Aber er ist doch so naß«, sagte das Engelsgesicht. »Das macht nichts, Señorita. Dieser Schmutzfink ist das gewöhnt. Außerdem wird er auf diese Weise wenigstens einmal sauber.« Pancho hörte nicht die Schmähungen. Die Milch wurde ihm aus der Hand genommen. Dann schlug die Tür vor seiner Nase zu. Pancho fuhr seine Milch aus wie im Traum. Durch das Rau- schen des Regens, das Holpern des Karrens hörte er immer nur den Namen Maria … Maria … Maria … An diesem Nachmittag ging er nicht über die Plazas und durch die Cantinas, er ging in die Geschäftsstraßen und sah sich die, Schaufenster an. Was für wundervolle Dinge gab es da: weiche, glänzende Sättel mit Silberbeschlägen, dünnhäutige, gelbe Lederanzüge mit langen Fransen und goldenen Knöpfen, riesige Sombreros mit feinen sil- bernen Ornamenten, Schuhe aus buntem Leder mit Schäften, die bis zur Hälfte der Waden reichten, silberne Sporen und großartiges Zaumzeug. In diesem Augenblick stand es für Pancho Villa fest: Er würde sich all diese Herrlichkeiten kaufen, und er würde sie auf dem Ro- deo tragen, der in vierzehn Tagen in Chihuahua stattfand. Er würde den wildesten Mustang reiten, und er würde siegen. Für Señorita Maria. Noch am gleichen Nachmittag kaufte er sich eine Gitarre. Auf ihr wollte er Liebeslieder spielen vor dem Fenster Marias, und er träumte davon, daß er am ersten Abend den Schatten ihres süßen Gesichts sehen würde. Am zweiten Abend würde sie ihm eine Rose zuwerfen. Am dritten Abend würde sie sagen: »Buenas noches, Señor.« Und irgendwann einmal würde er aus ihrem Mund die Worte hören: »Mañana, mió amor.« Der 23. Oktober war ein heißer, trockener Tag. Vom wolkenlosen Himmel prallte die Sonne herab. Schon am Mittag war die Plaza de Toros mit Menschen überfüllt. Von den umliegenden Dörfern waren die Indianer mit ihren gan- zen Sippen gekommen. Die Frauen trugen ihre Kinder auf dem Rü- cken und die Männer stützten die Alten. Die Landarbeiter der Ha- ciendas, die Peonen und die Vaqueros, sie alle strömten in die Stadt. Am frühen Nachmittag machten sich dann die Einwohner von Chihuahua-City auf den Weg. Die Frauen hatten ihre schönsten Mantillas umgelegt, und die Männer trugen Sombreros, groß wie, Wagenräder. Pancho Villa war schon am Vormittag zur Plaza de Toros gekom- men. Er hatte ein hellgelbes Kostüm aus feinstem Ziegenleder mit großen goldenen Knöpfen angezogen. Und seine Füße staken in hohen, glänzend schwarzen Stiefeln, an denen silberne Sporen be- festigt waren. Den riesigen Sombrero, dessen silberne Ornamente in der Sonne blitzten, hatte er tief ins Gesicht gezogen. Er verdeckte seine hohe, kantige Stirn und das struppige, rotbraune Haar. Pancho Villa sah nicht aus wie ein Bursche, der jungen Mädchen in ihren Träumen erschien. Er hatte eine kräftige, etwas untersetzte, bullige Figur und einen gewaltigen Brustkorb. Sein rundliches Ge- sicht mit dem bronzenen Teint der Indianer hatte nicht den feinen spanischen Schnitt, der das mexikanische Schönheitsideal war. Sei- ne Nase war ein wenig stumpf. Aber der Mund war schön ge- schwungen, und wenn er lachte, zeigte er gesunde, weiße Zähne. Pancho hatte heute alles darangesetzt, schön zu sein. Er hatte sein Haar gekämmt und mit Pomade eingerieben und seine Finger gebürstet, bis auch der letzte kleinste Trauerrand aus seinen Nägeln verschwunden war. Seit Stunden schon bemühte er sich, die Erlaubnis zu bekom- men, an diesem großen Rodeo teilzunehmen. Aber die Veranstalter zuckten nur mit den Schultern. Wer war dieser junge, elegante Bursche, der es mit so berühmten Reitern wie Juan Oros, Sebastian Vargas und José Papagos aufneh- men wollte? Pancho Villa? Der Name sagte ihnen nichts. »Ich … ich habe ein Milchgeschäft hier in der Stadt«, log Pancho. »Ah, da trägst du wohl deine Kannen hoch zu Roß aus«, spottete José. »Gebt mir eine Chance, dann werdet ihr sehen, wie ich mit Pfer- den umgehen kann.« »Da könnte ja jeder kommen!« »Ich bin nicht jeder«, begehrte Pancho auf. »Ihr habt nur Angst,, daß ich euch besiegen könnte.« »Das hättest du lieber nicht sagen sollen, du Bürschchen«, sagte Sebastian ärgerlich. »Vielleicht bekommst du deine Chance. Aber dann beklage dich nicht. Wir haben dich gewarnt.« Pancho hörte nicht mehr. Denn in diesem Augenblick betrat Maria mit ihrer Begleitung die Zuschauertribüne. Sie ging durch die Reihen zu jenen Plätzen im Schatten, die für die vornehmen spani- schen Familien reserviert waren. Maria sah würdevoll aus. Ihr Haar war hochgetürmt, und von ei- nem silbernen Kamm, der in die Locken gesteckt war, fiel eine dunkle Spitzenmantilla über ihre Schultern und ihren Rücken. Der alte hagere Mann und die wohlgenährte grauhaarige Dame, die Maria begleiteten, störten Pancho nicht. Aber da war noch ein junger, schlanker Caballero mit feurigen dunklen Augen und einem kleinen koketten Bart auf der Oberlippe. Sollte das etwa Marias Bräutigam sein? Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Er würde heute Helden- taten vollbringen. Alle Mädchen würden nach ihm seufzen. Und dieser geschniegelte Affe würde vor Scham versinken. Und wenn sie ihm dann zujubeln würden, dann würde er alle abweisen und zu Maria gehen, die ihn mit strahlenden Augen umarmen würde. Der Klang der Fanfaren riß Pancho aus seinen Träumen. Der Ro- deo hatte begonnen. Die besten Reiter aus Nordmexiko ritten in die Arena und zeigten ihre Kunststücke. Sie sprangen von galoppie- renden Pferden ab und waren mit einem riesigen Satz wieder im Sattel. Im vollen Lauf balancierten sie auf dem Rücken ihres Rosses, machten einen Salto, ließen sich seitwärts herabgleiten, hingen am Bauch ihrer Tiere und zogen sich auf der anderen Seite wieder in den Sattel. Eine Vorführung folgte der anderen, schnell, perfekt, wie im Zir- kus. Pancho stand hinter dem Tor der Arena und wartete auf die, Wildpferde, die von den Reitern niedergebrochen werden mußten. Hier galt die Regel: Wer aus dem Sattel geworfen wurde, scheidet aus. Die jungen ungezähmten Pferde stürmten in die Arena wie ein Tornado. Ihre Hufe wirbelten den Sand auf. Die Reiter sprangen auf. Manche hielten sich oben, manche wurden abgeworfen. Die Reihen wurden immer lichter. Es war bereits Nachmittag, und die Hitze, die über der Arena brütete, wurde immer unerträglicher. Die Männer hatten ihre Sombreros abgenommen und fächelten sich da- mit Luft zu. Die Frauen bewegten heftig ihre Fächer. Gegen fünf Uhr waren alle Reiter ausgeschieden, bis auf Juan, Se- bastian und José. Aber zwischen den dreien schien es keinen Sieger zu geben. Noch hatte jeder von ihnen jedes Wildpferd niedergebro- chen. In diesem Augenblick schrie einer der Veranstalter: »Der Satan ist hier, der Schwarze Satan aus Sonora!« Die Menge hielt den Atem an. Der Schwarze Satan war kein allzu junges Pferd mehr. Aber niemandem war bisher gelungen, es nieder- zubrechen. Man sagte dem schwarzen Hengst nicht nur besondere Wildheit, sondern auch besondere Bösartigkeit nach. Wenn es nach seinem Besitzer, einem Ranchero in Sonora, gegan- gen wäre, wäre das Pferd schon längst erschossen worden. Es hatte ihm einige Zäune mit den Hufen zertrampelt, einem Mann ein paar Rippen eingeschlagen und einen anderen so heftig gebissen, daß dessen Oberarm steif geblieben war. Seit dieser Zeit nannte man den Schwarzen Satan auch den ›Menschenfresser‹. Daß der Menschenfresser noch am Leben war, verdankte er einer mexikanischen Nationaleigenschaft: der Todesverachtung, wenn männliche Tapferkeit herausgefordert war. Und die Existenz des un- besiegten Schwarzen Satans war eine einzige Herausforderung. Bei jedem Rodeo, bei dem es nicht gelang, einen eindeutigen Sie- ger zu ermitteln, wurde der Hengst in Reserve gehalten. Bisher wa- ren Juan, Sebastian und José um diese lebensgefährliche Mutprobe, herumgekommen. Diesmal, das wußten sie, würden sie nicht darum herumkommen. Der Schwarze Satan kam im Schritt in die Arena. Langsam, fast gemächlich betrat er das Rund. Er senkte den Kopf und schaute fast neugierig auf Juan, der als erster aufgerufen war, den Hengst zu bezwingen. Der Schwarze Satan ließ es zu, daß Juan sich auf seinen Rücken schwang. Aber dann machte er drei so gewaltige Sprünge, daß der Reiter in hohem Bogen schließlich im Sand landete. Sebastian und José ging es nicht besser. Am längsten hatte sich José auf dem Rücken des Pferdes gehalten, ganze zwanzig Sekun- den. Als er jetzt, die Schulter hochziehend und mit dem linken Fuß hinkend, aus der Arena schlich, rief er Pancho zu: »Du wolltest doch eine Chance haben. Da steht sie. Los, du Großmaul, rein mit dir in die Arena!« Pancho lief der Schweiß von der Stirn. Er zitterte vor Aufregung und Spannung. Ohne die Veranstalter zu fragen, sprang er in die Arena, riß sich den Sombrero vom Kopf und schwenkte ihn mit einer tiefen Verbeugung vor dem Publikum. Erstauntes Gemurmel wurde laut. Die Menschen fragten, flüster- ten miteinander. Der Name Pancho Villa ging von Mund zu Mund. Pancho musterte den Schwarzen Satan, den die Versuche, ihn nie- derzubrechen, in höchste Wut versetzt hatten. Wie ein Stier raste er auf Pancho zu. Aus seinem Maul flogen weiße Schaumflocken. Pancho sprang zur Seite, packte im gleichen Augenblick den Schweif des Hengstes und schwang sich mit einem gewaltigen Satz auf dessen Rücken. Den Bruchteil einer Sekunde blieb der Menschenfresser stehen, wie erstarrt über die Kühnheit des Jungen. Dann stieg er kerzenge- rade hoch, um gleich darauf auf den Vorderbeinen zu stehen und, die Hinterbeine mit einem Mal in die Luft zu schlagen. Als der Hengst noch immer den Reiter auf seinem Rücken spürte, trommelte er ein wahres Feuerwerk von Hufschlägen auf den Bo- den. Er sprang in riesigen Sätzen vor und zurück, drehte sich wie ein Kreisel um seine eigene Achse und schlug wie wahnsinnig mit Vorder- und Hinterbeinen aus. Minuten waren vergangen. Das Pferd war schaumbedeckt. Aus seinen Lenden floß Blut. Wieder verharrte es mit fliegenden Flan- ken. In der Arena war es totenstill. Alle starrten in maßloser Verblüf- fung auf den jungen Burschen, der wie angewachsen auf dem Hengst saß. Da ging ein Schrei durch die Menge. Der Schwarze Satan war mit einer letzten, selbstmörderischen Anstrengung in die Luft gesprun- gen und hatte sich mit aller Kraft auf den Rücken geworfen. Hätte Pancho jetzt noch auf dem Pferd gesessen, wäre er durch den Aufprall zerschmettert worden. Aber er hatte sich mit schlan- genhafter Geschmeidigkeit zur Seite gleiten lassen, und als sich jetzt der Hengst, selbst halb betäubt von der Wucht des Aufpralls wieder aufrichtete, saß er bereits wieder oben. Das Pferd stand auf vier zitternden Beinen. Den schmalen Kopf hielt es tief gesenkt. Als könnte es nicht begreifen, was da soeben mit ihm geschehen war, bewegte sich der lange Hals wie in Zuckun- gen hin und her. Speichel floß aus seinem Maul. Endlich, nach einigen Sekunden, die Pancho wie eine Ewigkeit er- schienen, tat der Schwarze Satan die ersten Schritte, unsicher, stak- sig, wie betäubt von der Schmach der Niederlage. Der Schwarze Satan beugte sich unter dem Willen seines Bezwin- gers. Und Pancho ritt durch die Arena bis zu dem Platz, auf dem die Señorita Maria saß. Er nahm seinen riesigen Sombrero, der ihm auf den Rücken gerutscht war und schwenkte ihn mit einer tiefen Verbeugung vor dem Mädchen seiner Träume. Er glaubte noch zu, sehen, wie ihr die Röte in die Wangen schoß. Dann hörte er zum erstenmal, trunken vor Begeisterung, den frenetischen Schrei, der die Arena erzittern ließ: »Viva Villa! Viva Villa!« Als Pancho vor dem Haus Señorita Marias angekommen war, fiel ihm ein, daß er seine Gitarre vergessen hatte. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, seiner Auserwählten ein Ständchen zu bringen. Aber er hatte nach dem gewonnenen Rodeo ein solches Hochgefühl des Stolzes empfunden, daß er glaubte, sein bloßes Auftauchen würde die Señorita hinschmelzen lassen. Jetzt, da er vor den hohen, ab- weisenden Mauern des großen Hauses stand, spürte er Verzagtheit in sich aufsteigen. Er hatte ein paar Blumen, die man ihm jubelnd zugeworfen hatte, gesammelt. Sorgfältig steckte er sie zu einem klei- nen Strauß zusammen. Er saß noch immer auf dem Rücken des Satans. Niemand hatte gewagt, ihm das Pferd abzufordern. Pancho war entschlossen, noch heute den Besitzer zu fragen, ob er ihm den Hengst verkaufen woll- te. Aber die Sache mit Maria hatte keinen Aufschub geduldet. Jetzt war er wer! Jetzt kannte die ganze Stadt seinen Namen. Jetzt durfte er es wagen, sich Maria zu nähern. Pancho saß ab. Er schritt auf das hohe Mahagonitor zu und ließ den Kupferklöppel zweimal auf das Holz fallen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Seine Hände, die den schon etwas angewelkten Blumenstrauß hielten, zitterten. Er wartete. Und es schien ihm eine Ewigkeit, bis endlich das Tor geöffnet wurde. Aber nicht das ruppige Dienstmädchen stand ihm gegenüber, sondern der Caballero, den er in Begleitung Marias auf dem Rodeo gesehen hatte. Der junge Mann runzelte die Stirn. Die dunklen Augen blickten spöttisch an Pancho herab. Sein Mund unter dem kleinen, koket-, ten Bärtchen verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln. Er über- sah die Hand mit dem Blumenstrauß, die sich ihm entgegenstreck- te. »Ah, du bist es«, sagte er in herablassendem Ton. »Das ist doch gar nicht deine Zeit. Na, macht nichts. Die Señorita läßt dir bestel- len, daß sie keine Milch mehr braucht.« Das Tor schloß sich hinter dem Caballero. Pancho war zusammengezuckt, als hätte ihn ein Peitschenhieb ge- troffen. Ein maßloser, erstickender Zorn übermannte ihn. Und da er diesem geschniegelten Lackaffen nicht die Faust in die überhebli- che Visage stoßen konnte, sprang er auf sein Pferd und ritt wie von Furien gehetzt in die Calle de Libertad. Er hatte nur den einen Wunsch, sich in seine Dachkammer zu verkriechen und allein zu sein mit seiner Wut, seiner Schmach und seiner enttäuschten Liebe. Als Pancho vom Pferd gesprungen war, trat ihm Señor Valdez entgegen. »Was bist du für ein Teufelskerl!« empfing er ihn. »Gehst hin und gewinnst den Rodeo! Und so etwas arbeitet bei mir als Milchjun- ge!« Er lachte dröhnend. »Das muß gefeiert werden, mein Sohn. Heute abend werde ich ein Fest geben für dich.« Er zwinkerte ihm zu und stieß ihn mit der Schulter an. »Und Dolores, meine Nichte, wird auch da sein. Du darfst mit ihr tanzen, Pancho! Madre de Dios! Die Weiber werden hinter dir her sein wie der Teufel.« Er versuchte, Pancho in das Milchgeschäft zu ziehen. »Verzeihung, Señor, ich bin müde«, sagte Pancho gequält. »Ich möchte mich ausruhen.« »Natürlich. Wie konnte ich das nur vergessen. Leg dich aufs Ohr und schlaf eine Stunde. Dann komm ich dich wecken. Ach übri- gens, drei Rurales waren da. Sie fragten nach einem Doroteo Aran- go. Kenn ich nicht, hab ich gesagt. Und sie haben gesagt: Aber ei- nen Pancho Villa, den kennen Sie doch? Ja, hab ich gesagt, den, kenn ich. Der ist mein Milchjunge, und heute hat er den Rodeo gewonnen. Er wird in einer Cantina sein und seinen Sieg feiern, hab ich gesagt.« Pancho spürte, wie seine Knie weich wurden. »Die … die Rurales«, stammelte er. »Wann waren sie da?« Señor Valdez legte den Kopf schief und dachte nach. »Vielleicht vor einer halben, vielleicht vor einer dreiviertel Stunde. Hat es ir- gend etwas zu bedeuten?« »Nein, nein«, sagte Pancho, »es hat nichts zu bedeuten.« Und dann sprang er auf sein Pferd und ritt davon, als wäre der Teufel hinter ihm her. Mit einem Ausdruck unsäglichen Widerwillens schaute Don Igna- cio an Pancho herab. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er ihm den silberverzierten Sombrero vom Kopf und schleuderte ihn mit einer Geste des Ekels von sich. Dann ging er um Pancho herum, zupfte verachtungsvoll an den gelben Fransen des Lederanzugs und stellte sich breitbeinig vor ihm auf. Panchos Gesicht war blutübergossen. Ihm war, als müßte er ohne Stimme schreien, bis seine Kehle schmerzte. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen. »Schweig!« donnerte ihn Don Ignacio an, bevor der noch einen Ton herausbringen konnte. »Ich brauche dich nur anzusehen, um zu wissen, was geschehen ist: die Stadt, die Weiber, das Geld! Das war zuviel für einen so jungen, leichtsinnigen Hund, wie du es bist. Wo hatte ich nur meinen Verstand, als ich dich, Liederjan, mit ei- ner Aufgabe betraute! Wie konnte ich nur einem solchen Hans- wurst vertrauen, das Schicksal meiner Männer in die Hand eines Windbeutels legen! Aus Eitelkeit und Prahlsucht setzt dieser Hun- desohn unser aller Leben aufs Spiel! Wenn dir die Rurales gefolgt wären, dann hätten wir jetzt Kampf und Krieg, und meine Männer, müßten deinen Leichtsinn mit ihrem Leben bezahlen.« »Es ist mir keiner …«, wagte Pancho einzuwerfen. Aber Don Igna- cio ließ ihn nicht aussprechen. »Halt den Mund! Woher willst du das wissen? Du hast ja weder Augen im Kopf noch Verstand in deinem Schädel!« Er redete sich immer mehr in Wut. »Aufhängen sollte ich dich! In siedendem Pech muß man dich schmoren und mit glühenden Zangen zwi- cken! Einen Eisenpfahl sollte ich dir durch deinen geschniegelten Bauch jagen. Geht dieser Schwachkopf hin, verpraßt sein Geld, kümmert sich einen Dreck um seine Aufgabe und bringt seine Ka- meraden in Gefahr! Und das alles wegen eines Weiberrockes!« Noch einmal wollte Pancho etwas erwidern. Aber Don Ignacio wandte ihm brüsk den Rücken. »Geh mir aus den Augen!« fuhr er ihn an. Pancho schlich sich davon wie ein geprügelter Hund. Nie wieder, während des ganzen nächsten Jahres, verlor Don Igna- cio ein Wort über diesen Zwischenfall. Es schien, als hätte er ihn vergessen. Pancho dankte es ihm mit nie ermüdender Dienstwilligkeit, mit einem todesverachtenden Draufgängertum. Wo und wann immer ein Überfall geplant war, Pancho stand in der vordersten Reihe. Im- mer meldete er sich freiwillig. Die tollkühnsten Unternehmen wa- ren gerade recht für ihn. Mehr als einmal hatte er ein paar compañeros aus einer gefährli- chen Situation herausgehauen. Einige fette Beutezüge waren allein seinem Mut und seiner listenreichen Planung zu verdanken. Es gab keinen Zweifel mehr: Nach Don Ignacio genoß Pancho Villa das große Ansehen unter den Bandidos. Eines Tages kam Pancho mit ein paar Männern zurück von El Paso. Sie hatten einhundertzwanzig Rinder über die Grenze getrie-, ben. Keine große Herde, aber einen Beutel voller Silberdollars hatte sie doch eingebracht. Pancho ging direkt in Don Ignacios Zelt. »Ich bitte um Urlaub, mi Jefe«, sagte er. Don Ignacio sah überrascht auf. »Urlaub? Ich verstehe nicht …« »Ich muß auf die Hacienda de Gogojita.« »Bist du von Sinnen, Pancho?« »Don Augustin hat meiner Schwester Martina Gewalt angetan.« »Woher weißt du das?« »Einer der Peonen, die die Herde begleiten, hat es mir erzählt.« Don Ignacio wußte, daß es keinen Zweck haben würde, ihm den Plan auszureden. Er wußte: Pancho hatte das Todesurteil über Don Augustin gesprochen, und er würde nicht eher ruhen, bis er es voll- streckt hatte oder – bis er selbst getötet worden war. Don Ignacio nahm Panchos Hand. Einen Augenblick standen sich die beiden Männer gegenüber. ›Geh nicht‹, wollte Don Ignacio sagen, ›bleib bei uns.‹ Aber es kam nicht über seine Lippen. Statt dessen drückte er noch einmal Panchos Hand und sagte karg: »Adiós!« Don Augustin saß auf der Veranda seines Hauses. Er hatte die Bei- ne weit von sich gestreckt. Der zweiflügelige Ventilator, der sich knarrend drehte, wehte ihm nur unzulänglich Kühlung zu. Auf Don Augustins Stirn standen Schweißperlen, und zwischen den Wülsten seines fetten Nackens, der über den Kragen des Hem- des quoll, sammelten sich kleine Bäche. Don Augustin griff immer wieder zum Taschentuch und wischte sich den Schweiß von Gesicht und Hals. Die Hitze setzte ihm zu. Er langweilte sich erbärmlich. Sonst hatte er um diese Zeit immer eine Partie Domino mit, Doña Rosalia gespielt. Aber wie jedes Jahr während der heißen Mo- nate waren seine Frau und seine beiden Töchter nach Mexico-City gefahren. In der hoch gelegenen Stadt war das Klima erträglicher. Diesmal aber war Doña Rosalia zu einem bestimmten Zweck in die Hauptstadt gereist: Sie wollte passende Schwiegersöhne für die beiden heiratsfähigen Töchter finden; und dieses war gar nicht so leicht, zumal Eulalia und Clara trotz ihrer Jugend zur Fettleibigkeit neigten. Diese Eigenschaft hatten sie von der Mutter seiner lieben Frau geerbt. Er, das mußte Don Augustin gestehen, hätte, wäre er noch jung, seine Töchter nicht genommen. Er hatte mehr übrig für schlanke, zartgliedrige Figuren. Eine feingeschwungene Nackenlinie, der zarte Bogen einer schmalen Hüfte, die feste, schöne Rundung einer klei- nen Brust brachten sein Blut weit eher in Wallung. Don Augustin erinnerte sich mit Wohlgefallen an das kleine braunäugige, schwarzhaarige Küchenmädchen, mit dem er sich vor vierzehn Tagen vergnügt hatte. Teufel, war sie schön gewesen, diese blutjunge Indianerin! Und wie ihre Augen gefunkelt, wie sie gebissen und gekratzt hatte, diese kleine Wildkatze! Nun ja, die jungen Dinger wehrten sich immer, wenn man seinen Spaß mit ihnen haben wollte. Aber diese da – wie hieß sie doch gleich? Maria oder Marina oder Martina? Na, war ja auch egal – diese da hatte um sich geschlagen wie eine Verrückte. Er fuhr sich über die Wange. Die Kratzwunden, die sie ihm bei- gebracht hatte, waren inzwischen verheilt. Er hatte nichts gegen eine ungebärdige Spielgefährtin. Im Gegenteil, es machte ihm Spaß, diese Widerspenstigen zu zähmen. Und die Kleine von vor vierzehn Tagen hatte ihm ganz besonderen Spaß bereitet. Ganz gegen seine Gewohnheit, derartige Affären rasch zu vergessen, war sie ihm nicht aus dem Sinn gegangen. Jeden Tag war er einmal durch die Küche gestreift, um nach der Kleinen zu sehen., Aber sie war nicht wiedergekommen. Dabei wollte er ihr ein generöses Angebot machen. Er hatte die Absicht, sie zum Zimmer- mädchen zu erheben und ihr zusätzlich einen Peso die Woche zu geben. Natürlich erwartete Don Augustin, daß sie sich für dieses großzü- gige Angebot dankbar zeigen würde. Er schnalzte mit der Zunge. Die Kleine war wirklich eine Schönheit. Wer weiß, wenn sie sich als nett und anstellig erweisen sollte, wäre er vielleicht sogar bereit, ein bißchen mehr für sie zu tun: hübsche Wäsche, hin und wieder ein neues Kleid, ein Band fürs Haar … Don Augustin war so beeindruckt von seinen guten Absichten, daß er keine Minute zögern wollte, sie in die Tat umzusetzen. Er würde diesem alten Küchentrampel, der Juana, befehlen, ihm die Kleine herbeizuschaffen. Und zwar schnell! Ächzend erhob er sich. Als er ins Haus gehen wollte, hörte er Pferdegetrappel. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und starr- te gegen die gleißende Sonne zum Tor. Der Mann, der da auf einem prachtvollen schwarzen Hengst in den Hof einritt, schien ein Caballero zu sein: ein Sombrero mit sil- bernen Ornamenten, ein feiner gelber Lederanzug, hohe schwarze Stulpenstiefel. Don Augustin schritt die Verandatreppe herab und trat dem Fremden entgegen. »Womit kann ich Ihnen dienen, Señor?« fragte er verbindlich. Der Fremde sprang vom Pferd. Er trat dicht auf Don Augustin zu und nahm langsam, fast feierlich den Sombrero ab. »Sie kennen mich, Don Augustin«, sagte der Mann. »Nicht daß ich wüßte. Helfen Sie meinem Gedächtnis nach, Señor.« »Gern. Ich bin der Sohn des Mannes, der sich ein Leben lang auf ihrer Hacienda abgeschuftet hat und der sterben mußte, weil er nicht genug Geld hatte, um seinen vereiterten Blinddarm heraus-, operieren zu lassen. Ich bin der Bruder des Mädchens, das sie mit Gewalt dazu gezwungen haben, Ihnen zu Willen zu sein. Das Mäd- chen ist dreizehn Jahre alt, und ich bin Doroteo Arango, ihr Bru- der. Ich bin gekommen, um Sie zur Rechenschaft zu ziehen.« Erst jetzt fiel es Don Augustin auf, daß dieser Bursche bis zu den Zähnen bewaffnet war. Angst stieg in ihm auf. Sein Herz trommelte wie verrückt gegen seine Brust. Sein Magen schwoll an und stieg ihm bis zur Kehle. »Kommen … kommen Sie in mein Haus, Señor. Wir kö… können das in Ruhe besprechen«, stammelte er. »Was können wir in Ruhe besprechen?« Die Stimme des Bur- schen war eiskalt. »Das verpfuschte Leben von Hunderten versklav- ter, hungernder Peonen, die du zum Krüppel geschlagen oder vor- zeitig unter die Erde gebracht hast? Die Schuldknechtschaft, in der du uns ein Leben lang hältst? Den Hunger, den Schmutz, das Un- geziefer und die Dutzende von Mädchen, die du, Lump, geschän- det hast, als sie noch halbe Kinder waren? Wenn du das mit mir be- sprechen willst, so habe ich darauf nur eine Antwort.« Pancho hatte blitzschnell den Revolver gezogen und drückte den Lauf gegen den fetten Bauch Don Augustins. »Wenn du schreist, du Dreckskerl«, raunte er ihm zu, »wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, jage ich dir eine Kugel in deinen Wanst.« Don Augustin schnappte mit offenem Munde nach Luft. »Wieviel … wieviel wollen Sie«, keuchte er. Pancho lachte so, daß Don Augustin ein Schauer über den Rü- cken lief. »Alles!« »Was alles?« »Dein Leben.« »Señor … ich flehe Sie an … ich habe eine Frau und Kinder … ich gebe Ihnen, was Sie wollen. So lassen Sie doch mit sich reden …«, »Nein.« Don Augustins Lippen zitterten so, daß er die Worte kaum for- men konnte. Er hatte nur noch Angst, eine schreckliche, würgende Angst, die ihm die Kehle zuschnürte und die Knie schlottern ließ. »Nehmen Sie … nehmen Sie alles, was ich habe«, hechelte er. »Ich will kein reiches Leben mehr, auch kein glückliches Leben. Ich will nur noch leben. Was haben Sie davon, wenn Sie mich umbringen? Tot bin ich nichts wert. Wenn sie mich am Leben lassen, kann ich Ihnen Geld geben, viel Geld …« »Du wirst niemandem mehr etwas geben. Aber damit du siehst, daß ich nicht ein ebenso lausiger Hund bin wie du, will ich dir et- was geben: eine Chance. Ich zähle bis drei. Dann ziehst du deinen Revolver. Wer zuerst schießt, muß zuletzt sterben.« Pancho steckte seine Waffe wieder in den Gürtel. Dann ging er fünf Schritte zurück. Er hielt seinen Gegner fest im Auge. Mit ru- higer Stimme zählte er: »Eins …« Don Augustin schwankte, schwitzte. Fast wollte er erbrechen … »… zwei …« Seine Hand versuchte nach dem Revolver zu greifen. Sie war so naß von Schweiß, daß ihm der Knauf wegrutschte wie ein Stück Eis. »… drei!« Ein Schuß bellte auf. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank Don Augustin zusam- men. Zwischen seinen Brauen, direkt über der Nasenwurzel, war ein kleines rundes Loch. Es blutete nicht einmal. Im gleichen Augenblick wurde es lebendig auf dem Hof. Men- schen schrien, liefen durcheinander. Pancho sprang mit einem Satz auf sein Pferd. »Lauf, Satan, lauf! Es geht um unser Leben!« Und der schwarze Hengst stob davon in einem Wirbel von Sand, und Staub. Don Ignacios Kundschafter hatten wieder mal gute Arbeit geleistet. Sie hatten die Botschaft gebracht, daß am 10. Oktober eine Kut- sche, vollbeladen mit Goldbarren, von Camargo nach Guanacervi fahren würde. Die Bandidos brachen in frenetischen Jubel aus. Doch Don Igna- cio wiegte bedenklich den Kopf. »Man hat mir mitgeteilt, daß Luis Terraza nicht nur eine ganze Schwadron Rurales, sondern auch berittene Soldaten zum Schutz angefordert hat. Wenn das stimmt, ist das ein Unternehmen, bei dem wir uns die Finger verbrennen können.« Die Männer schwiegen betroffen. Schließlich sagte Salas Vaca leichtsinnig: »Na und? Wir siegen oder sterben. Das war schon im- mer unsere Devise. Aber noch nie haben wir aus Furcht einen An- griff nicht gewagt.« Don Ignacio runzelte die Stirn. »Es geht hier nicht um Furcht, sondern um Klugheit. Keiner wird mir vorwerfen können, daß ich jemals vor einem gewagten Überfall zurückgeschreckt sei. Aber man muß Risiko und Erfolg gegeneinan- der abwägen. Wenn die Auskunft richtig ist, steht das Risiko in kei- nem Verhältnis zum Erfolg.« »Eine ganze Kutsche voller Goldbarren soll kein Risiko wert sein!« ereiferte sich Tomás Urbina. »Muchachos, wenn uns dieser Schlag gelingt, dann haben wir ausgesorgt.« »Das haben wir auf alle Fälle«, stimmte Don Ignacio zu. »Tote haben keine Sorgen mehr.« Einen Augenblick schwiegen die Männer. Manche von ihnen ritten seit fünfzehn Jahren an Don Ignacios Seite. Der Tod hatte seinen Schrecken für sie verloren. Traf er nicht jeden einmal? In Gedanken zählten sie die Kameraden, die gestorben waren., Manch einer war erschossen worden, weil er sich im unrechten Au- genblick eine Zigarette angezündet hatte. Und da sollten sie Beden- ken haben, wenn es darum ging, eine Ladung Gold zu erobern? »Ich denke«, sagte Urbina, »wir sollten es wagen. Ich jedenfalls bin bereit, mein Leben zu riskieren. Ich hab's schon für weniger aufs Spiel gesetzt.« Don Ignacio schaute seine Männer an. »Ist das auch eure Meinung, amigos?« »Si, mi Jefe.« Don Ignacios Blick fiel auf Pancho Villa, der schweigend neben Urbina stand. »Und was sagst du, Pancho?« fragte er. Die Antwort kam prompt. »Welchen Weg wird die Kutsche nehmen?« »Er führt entlang der Grenze zwischen Chihuahua und Durango und folgt dann dem Lauf des Rio Florida.« »Das ist ein verdammt unwegsames Gelände. Ein schmaler Pfad, rechts und links hohe Berge …« »Das Gelände kann unser Vorteil sein«, warf Urbina ein. »Wer den schmalen Pfad entlang kommt, sitzt in der Falle.« Pancho schwieg. »Nun«, drängte ihn Don Ignacio, »was ist deine Meinung?« »Wann soll der Transport stattfinden?« kam die Gegenfrage. »Übermorgen.« »Dann, meine ich, haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Wir sollten den ganzen Weg abreiten, und uns nach einer Stelle umse- hen, die für einen Angriff am günstigsten ist.« »So soll's geschehen«, entschied Don Ignacio. Eine Stunde später ritten die Bandidos los. Die Erkundungsreise verlief ungünstiger, als sie gedacht hatten. Der Weg war nichts anderes als eine Schlucht, nur ein paar Meter breit. Rechts und links stiegen die Felsen steil und schroff an, un-, gefähr hundertzwanzig bis hundertfünfzig Meter hoch. Aus dieser Entfernung war an ein exaktes Treffen nicht zu den- ken. Selbst wenn sie in Rechnung zogen, daß sie moderne Winche- stergewehre hatten, während die Rurales und Kavalleristen nur mit Einzelladern ausgerüstet waren. »Nehmen wir an, es gelingt uns, die Wachen zu erledigen, wie sol- len wir an das Gold rankommen?« gab Don Ignacio zu bedenken. »Von diesen Felsen können wir uns höchstens abseilen.« Enttäuscht und ziemlich hoffnungslos ritten die Männer durch die Schlucht den schmalen Rio Florida entlang. Die Felsen waren hier so hoch, und sie standen so dicht beieinander, daß nur um die Mittagsstunden ein wenig Sonne auf den Pfad fiel. Endlich – es war schon gegen Abend – beschrieb der Fluß eine enge, hufeisenförmige Kurve. An seinem nördlichen Ufer wichen die Berge etwas zurück und die Felswände waren weniger steil. Ei- nige Sträucher und ein paar verkrüppelte Pinien klammerten sich mit ihren Wurzeln an den steinigen Grund. »Hier werden wir die Kutsche überfallen«, sagte Don Ignacio. »Aber es ist ein verdammt gefährliches Unternehmen. Durch die Kurve haben wir keine Übersicht über das Gelände.« »Die Rurales haben noch weniger Übersicht als wir. Sie sitzen in der Falle«, sagte Urbina. Don Ignacio antwortete nicht. Er hatte ein ungutes Gefühl. Als es dunkel war, ging er zu Pancho. »Wenn es schiefgehen sollte«, sagte er gepreßt, »dann laß mich nicht in ihre Hände fallen. Versprich es mir, amigo.« Pancho drückte Don Ignacios Hand. »Si, mi Jefe.« Die Bandidos ritten nicht ins Lager zurück. Sie brachten ihre Pferde an einen entfernten Ort und legten sich dann auf die Lauer. In dieser Nacht schlief Pancho nicht. Er sah die Sterne im Wasser des Flusses schwimmen. Überall raschelte und raunte es. Es waren, Stimmen und Geräusche, die das Sonnenlicht scheuten. Es war ein Reigen der Schatten, die kein Tag je gesehen hatte. ›Das sind die toten Indianer‹, dachte Pancho. ›Die von den frem- den Eroberern ermordeten Herren der Berge und Wälder. Jetzt, in der Nacht, kehren sie mit den Sternen in das Reich zurück, das ihnen nicht mehr gehört. Die Wasser des Flusses sind ihre Tränen, und diese Berge sind ihre Herzen, die zu Stein erstarrt sind.‹ Panchos Glieder waren schwer vor Müdigkeit. Er ließ den Kopf auf die Brust sinken. ›Es müßte schön sein‹, dachte er, ›die Lider über die brennenden Augen zu senken und allen Gedanken, Hoff- nungen und Ängsten entrückt zu sein.‹ Als die Dämmerung schon über die Hügel stieg, schlief Pancho ein. Der nächste Tag kam mit schwerer, heißer Stille. Die gleißende Sonne überflutete das Land. Die scharfen Kanten der Felsen flim- merten im Licht. Die Männer hatten sich hinter Geröll, Büschen und Steinbrocken verborgen. Dutzende von Augen starrten den Fluß entlang. Dutzen- de von Ohren lauschten gespannt in das Schweigen. Keiner sprach. Niemand wagte es, eine Zigarette anzuzünden. Jede Minute konnte die Entscheidung bringen über Leben und Tod. Die Männer waren bereit zu sterben. Aber sie hofften auf den Sieg. Für jeden Überfall gab es feste Regeln: Kein Bandido durfte an- greifen, bevor Don Ignacios gebieterisches: Alto! den Überfallenen eine Chance gab, sich ohne Blutvergießen zu ergeben. Kein Schuß durfte fallen, bevor Don Ignacios schriller Pfiff das Signal für ›Feuer frei!‹ gegeben hatte. Die Stunden schlichen dahin. Die Sonne hatte bereits den Zenit überschritten und sank langsam hinter die Gipfel der gegenüberlie- genden Berge. Bevor sie die Kutsche sahen, hörten sie sie. Ein Mann, der mit dem Ohr am Boden lag, meldete ihr Kommen. Die Bandidos spürten, wie ihnen das Blut zum Herzen schoß. Sie, starrten auf die Windung des Rio Florida. Als erste tauchten drei Berittene auf, zehn Meter dahinter die Kutsche. Die Bandidos glaubten, ihren Augen nicht trauen zu dür- fen: Es war eine ganz gewöhnliche Bewachung: Auf dem Bock neben dem Kutscher saß ein Polizist, das Gewehr über den Knien. Rechts und links ritten ebenfalls je ein Polizist, und zehn Meter da- hinter folgten zwölf Rurales auf ihren Pferden. Die Männer warteten, bis Kutsche und Bewacher genau unter ihnen waren, dann ertönte Don Ignacios scharfer Befehl: »Alto!« Im gleichen Augenblick rissen die Rurales die Gewehre hoch und feuerten in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Darauf hatten die Bandidos nur gewartet. Denn während die Ru- rales jetzt damit beschäftigt waren, die Gewehre neu zu laden, gellte der tödlichste Ton der Sierra über die Berge: der Pfiff Don Igna- cios. Aus fünfzig Winchesterbüchsen wurde geschossen. Die Rurales sanken von ihren Pferden. Einige blieben im Steigbügel hängen und wurden von den Tieren mitgeschleift. Der Polizist, der neben dem Kutscher saß, war aufgesprungen. Er stieß einen Schrei aus, griff sich ans Herz und fiel dann vom Bock. Die erschreckten, scheuenden Pferde zogen die Räder der Kutsche über seinen blutenden Leichnam. Nur der Kutscher saß totenblaß und zitternd, aber unverletzt auf seinem Bock. Er hatte die Zügel fallen lassen und hob beide Hände über den Kopf. »Keine Angst, muchacho, dir tun wir nichts!« rief einer der Män- ner. Die Bandidos sprangen, stolperten, rutschten den Hang hinab und umringten die Kutsche. »Raus mit dem Gold, compañero!« befahl Don Ignacio. Der Alte riß die Augen auf. »Gold, amigos? Ich weiß nichts von Gold. In meiner Kutsche, sind nur ein paar Säcke voller Bohnen.« Ein brüllendes Gelächter antwortete ihm. »Caramba! Weshalb riskierst du dein Leben für den Blutsauger Terraza!« rief Don Ignacio. »Seit wann werden Bohnensäcke so scharf bewacht.« Er riß die Tür der Kutsche auf. Sie war bis unters Dach mit Säcken vollgestopft. Don Ignacio zog seine Machete aus dem Gürtel und schlitzte ei- nen der Säcke auf. Schwarze, große Bohnen quollen hervor. Auf Don Ignacios Stirn trat kalter Schweiß. Er schlitzte den zwei- ten, den dritten, den fünften Sack auf. Bohnen, nichts als Bohnen! Voll sinnloser Wut, in die sich Furcht und Grauen mischten, zer- hieb Don Ignacio alle Säcke. Da hörte er Panchos Schrei: »Die Ru- rales! Da! Eine ganze Schwadron!« Fünfzig, hundert, hundertfünfzig berittene Soldaten bogen um die Kurve. »Compañeros, wir haben uns täuschen lassen!« schrie Pancho. »Da kommt die Kutsche mit dem Gold!« »Zurück auf den Felsen!« befahl Don Ignacio. Die Soldaten hatten ihren Pferden die Sporen gegeben und sprengten auf die Bandidos zu. »Verdammt noch mal, beeilt euch! Rauf auf den Felsen!« In das letzte Wort hinein explodierte eine Gewehrsalve. Sie kam von dem Hügel, auf den sie flüchten wollten. Die Rurales hatten sie umzingelt. Sie saßen jetzt in der Falle. »Verkauft euer Leben so teuer ihr könnt! Adiós compañeros!« schrie Don Ignacio. Ein Gemetzel begann. Die Rurales, die nach jedem Schuß neu laden mußten, schossen, bis ihre Gewehre heiß waren. Pancho hatte hinter der ersten Kutsche Deckung gesucht. Jetzt, da er wußte, daß es ums Leben ging, überkam ihn eine eiskalte, Ruhe. Er zielte genau, und jeder Schuß kostete einem Soldaten das Leben. Aber es waren zu viele. Pancho sah, wie seine Kameraden getroffen wurden, fielen und starben. Das war die Stunde der Rurales. Und sie nahmen blutige Rache für all die Niederlagen, die ihnen Don Ignacio und seine Männer bereitet hatten. Wenige Schritte vor Pancho hatte sich Don Ignacio hinter einige Bohnensäcke gekauert. Die Kugel traf ihn vom Felsen. Er fiel um, ohne einen Laut von sich zu geben. Pancho sprang aus seiner Deckung hervor. Die Kugeln pfiffen ihm um den Kopf. Mit einem riesigen Satz war er hinter Don Igna- cio, packte ihn unter den Armen und schleifte ihn hinter die Kut- sche. Wie Tiere in Todesnot griffen die wenigen Bandidos, die noch am Leben waren, nach allen Seiten an. »Her zu mir, amigos!« schrie Pancho durch das Bersten der Schüsse und das Heulen der Kugeln. Die Männer, sinnlos vor Schrecken, folgten der Stimme, ohne auf ihre Deckung zu achten. Sie brachen zusammen, fielen verwundet oder tot übereinander. Ungefähr ein Dutzend Männer erreichten Pancho. Er gab seine Befehle, kühl und klar. »Tomás, Dalas, Sanchez, ihr nehmt die Rurales auf der rechten Seite aufs Korn. Jacinte und Jorge die auf der linken. Behaltet kühles Blut! Schießt nicht alle auf dasselbe Ziel!« Die Reihen der Angreifer lichteten sich. Trotzdem sahen die Ban- didos keine Rettung. Es ging nur noch darum, sein Leben so teuer wie nur möglich zu verkaufen. Hinter sich hörte Pancho Don Ignacio stöhnen. Es war das Stöh- nen eines Sterbenden. Einen kurzen Augenblick wandte er den Kopf, um dem Freund zuzunicken. Da fiel sein Blick auf eine Höhle. Gebüsch stand davor und Ge-, röllhaufen lagen vor ihrem Eingang. ›Das ist die Rettung‹, dachte Pancho, ›das kann sie sein.‹ »Folgt mir nach, Kameraden!« schrie er. »In die Höhle!« Urbinas Kopf flog herum. »Da sitzen wir wie die Maus in der Falle. Wenn ich sterben muß, dann will ich erschossen und nicht abgeschlachtet werden.« Pancho nahm sich nicht die Zeit zu antworten. Auf dem Bauch kriechend robbte er zu Don Ignacio, faßte ihn unter den Armen und zog ihn hinter sich her. »Laß mich liegen, amigo«, keuchte Don Ignacio. »Ich bin verlo- ren. Rette dein Leben.« Pancho schüttelte den Kopf. Zentimeter um Zentimeter schleifte er Don Ignacio dem Eingang der Höhle zu. Er sah, wie Jacinte sich einmal um sich selbst drehte und dann auf den Rücken fiel. Ein Strom von Blut floß aus einer Wunde in der Brust. Jacinte schrie entsetzlich auf. Dann war er still. Panchos Hände und Knie waren zerschunden, die Knöchel blutig. Aber er hatte die Höhle erreicht. Mit einer letzten Kraftanstrengung zog er Don Ignacio hinein. Dann schrie er noch einmal: »Hierher, Kameraden! Zu mir!« Das Dutzend Männer, das noch lebte, war in Panik. Sie hatten keinen Willen mehr. Sie folgten der Stimme. Von Stein zu Stein, von Gebüsch zu Gebüsch springend, erreichten sie die Höhle. Für einige Sekunden durften sie verschnaufen. Jetzt erkannten sie die Chance. Von hier aus konnten sie schießen, ohne selbst getrof- fen zu werden. Sie hoben ihre Winchesterbüchsen. »Nicht schießen! Abwarten!« befahl Pancho. Die Rurales, deren Feuer plötzlich nicht mehr erwidert wurde, waren verwirrt. Sie sammelten sich, schlossen sich zu einer dichten Reihe zusammen und marschierten dann in die Richtung, in der sie die Bandidos vermuteten., Darauf hatte Pancho gehofft. Er kannte die Angriffsweise der Rurales: die geschlossene Schlachtreihe. »Laßt sie herankommen, Kameraden. Erst wenn sie so nahe sind, daß wir genau zielen können, werden wir schießen.« Sie hielten die Gewehre im Anschlag. Ihr Spannung war so groß, daß sie kaum zu atmen wagten. Die Sekunden verstrichen. Oder waren es Minuten … Stunden? Die Männer hielten den Zeigefinger um den Hahn gekrümmt. Die Rurales kamen näher. Ihre Schritte verlangsamten sich. Es war, als spürten sie, daß sie dem Tod in die Arme liefen. Da ertönte der Pfiff. Und zum erstenmal war es nicht Don Igna- cio, der ihn ausgestoßen hatte. Aus zwölf Winchesterbüchsen wur- de geschossen. Zwölf Rurales brachen zusammen. Einen Augenblick verharrte die Reihe. Dann gingen die Überle- benden weiter nach vorn, wie Maschinen, die, einmal in Bewegung, nicht mehr zu bremsen sind. Wieder krachten die Schüsse. Wieder sank ein Dutzend Rurales zu Boden. Die zweite Reihe stieg über die Toten und stürmte nach vorn. Die Bandidos zielten und schossen. Plötzlich kam Verwirrung in die Reihe. Ein paar Rurales wandten sich um. Andere folgten ihnen. Jetzt war kein Halten mehr. In wil- der Flucht liefen und ritten die Soldaten davon. Über die Felsen floß das letzte, blasse Licht des scheidenden Tages. Es beleuchtete eine grauenhafte Szene. Hunderte von Toten, Sterbenden und Verletzten lagen im Sand, verröchelten ihr Leben zwischen dem gelben Gras, das sich rot gefärbt hatte vom Blut der Gefallenen. Pancho wandte sich ab. Er kniete nieder und nahm Don Ignacios Hand. »Wir haben gesiegt, mi Jefe«, sagte er, und die Tränen liefen ihm über die Wangen. Mit unendlicher Anstrengung schüttelte Don Ignacio den Kopf., »Zu teuer … zu teuer bezahlt«, stöhnte er. Ein letztes Mal bäumte er sich auf. Steif lag er in Panchos Armen. Nur in seinen geweiteten Augen war noch Leben. »Alle?« flüsterte er kaum noch hörbar. »Sind das alle?« »Nein«, log Pancho. »Nein, mi Jefe. Die anderen sind bei der Kutsche. Wir haben Gold erbeutet, viel Gold.« Don Ignacios Lippen versuchten noch ein Wort zu formen. Aber es gelang ihm nicht mehr. Seine Zähne schlugen aufeinander. Aus seinem Mundwinkel floß ein dünner Blutfaden. Seine Augen schau- ten starr nach oben. Pancho fühlte, wie ihm diese Augen das Herz aus dem Leibe rissen und es zermalmten. Verworrene Bilder tauchten vor ihm auf: Don Ignacio, wie er ihn nach seiner Flucht bei sich aufnahm, wie er ihn gesund pflegen ließ. Wie er ihm seine törichten Streiche verzieh, wie er ihn wortlos gehen ließ, um die Schwester zu rächen, wie er dafür sorgte, daß die Mutter und die Geschwister nicht verhungerten. Don Ignacio, im- mer Don Ignacio zwischen ihm und dem Tod. Und jetzt lag er hier, der angebetete Jefe, der Freund und Be- schützer, und das Leben floß aus ihm heraus wie ein dünner, ver- siegender Bach. Panchos Hände falteten sich wie zu einem Gebet. »Hilf ihm, Heilige Mutter von Guadalupe, hilf ihm«, flehte er. Die Männer standen stumm und ergriffen um sie herum. In den Augen Don Ignacios glänzte ein letzter Lebensfunke auf. Er schaute die Männer an und wies auf Pancho. Jeder wußte, was das zu bedeuten hatte: Don Ignacio hatte seinen Nachfolger be- stimmt. Die Männer nickten ernst. Es war wie ein Schwur. Don Ignacio schloß die Augen. Der Sterbende erzitterte: Das Le- ben verließ die Hülle aus Fleisch und Blut. Als sich die Dunkelheit über diesen blutigsten Tag in der Ge-, schichte der Sierra senkte, nahmen die zwölf Männer ihre Mache- ten und gruben Gräber für Don Ignacio und ihre compañeros. Am zweiten Tag beluden sie ihre Pferde mit den Säcken voll Gold und ritten zurück in die Berge. Jetzt gab es niemanden in Nordmexiko, der den Namen Pancho Villa nicht kannte. Die Indianer, die Peonen nannten ihn voller Be- wunderung und Verehrung, die Hacienderos voller Haß und Rach- sucht. Pancho Villa war mehr noch als Don Ignacio der wirkliche Herr der Sierra. Niemand kannte die Berge, die versteckten Pfade, die Höhlen und Barrancas so gut wie er. Seine Menschenkenntnis war unübertrefflich. Über das ganze Land hatte er ein noch feinma- schigeres Netz von Kundschaftern gezogen. Jeder Eseltreiber, jeder Landarbeiter, jede Frau, die, ihr Kind auf dem Rücken, zur Feldar- beit ging, konnte ein Spion Pancho Villas sein. Pancho war in Wahrheit der Schutzpatron der Armen. Er zahlte ihre Schulden, und allein seine Drohung, daß er jede Roheit und Untat, die an den Schwachen begangen wurde, rächen würde, schützte die Indianer und Peonen vor der schlimmsten Willkür ihrer Unterdrücker. Wenn Pancho in einem Dorf auftauchte, verließ er es nie, ohne den Armen ein paar Pesos, den Kindern eine Handvoll Zuckerzeug gegeben zu haben. Längst waren auch auf seinen Kopf zehntausend Pesos gesetzt worden. Aber niemand, auch nicht der ärmste Landarbeiter, hätte sich dieses Geld verdienen wollen. Pancho war ein Bandit, ein Straßenräuber. Manche nannten ihn einen Mörder. Aber er war ein Volksheld. Die Menschen in Nordmexiko sangen Lieder über ihn. An den Lagerfeuern erzählten sich die Männer seine Heldentaten. Sie nann-, ten ihn den Tiger des Nordens. Pancho Villa war eine legendäre Ge- stalt geworden. Selbst die Angehörigen der Männer, die bei dem Gemetzel am Rio Florida getötet worden waren, segneten seinen Namen. Denn Pancho hatte ein Viertel der immensen Beute an die Hinterbliebe- nen der Getöteten verteilen lassen. Für seine Männer – es waren inzwischen wieder über dreihundert – war Pancho eine unumstrittene Autorität. Sie brachten ihm blin- den Gehorsam entgegen. Nicht weil sie ihn fürchteten, sondern weil sie ihm mit Leib und Leben ergeben waren. Es war an einem Julitag des Jahres 1910. Nach zehn Monaten Trockenheit kam endlich der Regen nach Nordmexiko. Die harte, ausgedörrte Erde sog gierig die Nässe in sich auf. Das junge Korn schoß hervor und bedeckte den roten, staubigen Boden mit einem grünen Teppich. Im Lager Panchos hatte man sich auf den Empfang Don Abra- ham Gonzales vorbereitet. Don Abraham war, wie man Pancho berichtet hatte, der Führer einer großen Partei in Chihuahua, deren wichtigster Programm- punkt es war, die Wiederwahl Porfirio Díaz' zu verhindern, der seit einunddreißig Jahren Präsident von Mexiko war. Pancho interessier- te sich nicht für Politik. Und als seine Kundschafter ihm die Bitte Don Abrahams um eine Unterredung überbracht hatten, hatte er unwirsch abgelehnt. Don Abraham hatte aber nicht aufgehört, ihm Botschaften zu senden. Und schließlich war der Señor aus Chihuahua sogar bereit gewesen, den Männern Panchos zehn Geiseln zu übergeben, die mit ihrem Leben dafür bürgten, daß die Sicherheit Villas nicht an- getastet würde. Pancho, der nicht ganz frei von Eitelkeit war, hatte sich in einen feinen braunen Wildlederanzug gekleidet und erwartete den Frem- den, auf seinem Hengst Satan sitzend, am Eingang zu seinem Lager-, platz. Don Abrahams Augen waren verbunden. Sein Pferd wurde von zwei Villisten, wie Panchos Männer genannt wurden, am Zügel ge- führt. »Nehmt ihm die Binde ab«, befahl Pancho. Don Abraham, ein Mann Mitte Fünfzig mit schütterem grauem Haar, schmalem Mund und einem langen, etwas vorstehenden Kinn, rieb sich die Augen. Dann sprang er vom Pferd und streckte Pancho die Hand entgegen. »Ich grüße Sie, Kapitän Villa.« Pancho runzelte die Stirn. »Warum nennen Sie mich Kapitän? Ich bin der Anführer dieser Männer. Und darauf bin ich stolz. Etwas anderes will ich nicht sein.« »Und doch haben Sie eine andere Aufgabe, eine größere. Sie werden der Retter Mexikos sein.« Pancho lachte. Dann schüttelte er den Kopf. »Lassen Sie diesen Unsinn, Señor. Ich kenne mich, meine Auf- gabe und meine Grenzen. Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß meine Eitelkeit größer wäre als mein Verstand.« Don Abraham sah in Panchos Augen. Er spürte, welche Kraft von ihnen ausging, welch eine Faszination dieser Mann ausstrahlte. Er fühlte, daß er seine Taktik würde ändern müssen. Nein, dieser Villa war nicht einfach ein wilder, unwissender Räu- berhauptmann, den man mit ein paar Phrasen leicht einwickeln konnte. Er war ein Mann, der sehr wohl wußte, was er wollte; der über eine beachtliche natürliche Intelligenz verfügte. Don Abraham nahm sich vor, einen anderen Weg einzuschlagen. Wenn man diesen Villa von etwas überzeugen wollte, mußte man selbst überzeugend wirken. Don Abraham hatte sich entschlossen, die Karten auf den Tisch zu legen. »Wir brauchen Sie, Señor Villa«, sagte er schlicht., »Wer ist wir?« »Alle jene, die verhindern wollten, daß dieser schurkische, korrup- te Blutsauger Díaz noch einmal Präsident wird. Seit mehr als drei- ßig Jahren hat er sich durch manipulierte Wahlen immer wieder im Amt bestätigen lassen. Damit muß jetzt Schluß sein.« »Wer schickt Sie?« »Don Francisco Madero.« »Nie gehört.« »Don Francisco hat in den USA eine provisorische, mexikanische Regierung gebildet …« »In den USA!« Pancho lachte schallend. »Das ist eine großartige Idee! Da sitzt er sicher. Nein, Don Abraham«, fuhr Pancho ernst- haft fort, »ich habe nichts übrig für einen Präsidenten, der Mexiko von den USA aus regieren will. Sagen Sie Ihrem Madero, wer in diesem Lande etwas ändern will, der muß auch den Mut haben, in diesem Land zu kämpfen.« »Aber das will Don Francisco eben. Deshalb hat er bereits die mexikanische Grenze überschritten. Er will kämpfen. Dafür braucht er aber Bundesgenossen.« »Und warum ist er nicht in Mexiko geblieben?« »Weil Díaz ihn ins Gefängnis werfen ließ. Madero konnte entflie- hen. Und hat sich zunächst in den Vereinigten Staaten in Sicherheit gebracht.« Pancho überlegte einen Augenblick. »Wer von Díaz ins Gefängnis geworfen wird, muß ein redlicher Mann sein«, sagte er dann. »Sagen Sie Ihrem Señor Madero, ich wünsche ihm viel Erfolg.« Don Abrahams Gesicht verriet deutlich seine Enttäuschung. »Mehr nicht? Mehr wollen Sie für die Sache der Freiheit und des Vaterlandes nicht tun?« Pancho schnalzte mit den Fingern. »Ihr Politiker seid groß in euren Worten, euren Versprechungen, und Erwartungen. Ich bin ein Bandit, Señor. Seit sechzehn Jahren lebe ich in diesen Bergen, ein Feind der Politiker, die die Gesetze machen und die nur eine Menge unbezahlter Rechnungen zu prä- sentieren haben. Ich pfeife darauf. Ich mache keine großen Worte, ich verspreche meinen Männern nichts, und wir alle erwarten nichts anderes als den Tod.« Panchos bernsteinfarbene Augen blickten kalt und abweisend auf seinen Besucher. »Ich habe Sie angehört, Señor Gonzales. Und ich danke Ihnen, daß Sie dem Räuber Pancho Villa Vertrauen entgegengebracht haben. Aber ich habe nichts zu tun mit den Dingen, für die Sie kämpfen. Meine Empfehlung an Señor Madero.« Pancho verbeugte sich und gab seinen Männern ein Zeichen, den Besucher wegzufüh- ren. Señor Gonzales packte Pancho am Arm. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Señor Villa. Die Partei, die Ma- dero führt, hat als obersten Grundsatz, daß jeder Mexikaner das Recht hat, in freier Wahl zu bestimmen, wie sich seine Zukunft ge- stalten, wer dieses Land regieren soll. Jeder, Don Pancho und nicht nur die Reichen und die Hacienderos. Und daß jeder wählbar ist …« »Jeder?« unterbrach ihn Pancho. »Wollen Sie damit sagen, daß ein Bauer, ein Indianer oder vielleicht sogar ein Mann wie ich ei- nen Präsidenten wählen kann?« »Natürlich. Ihr seid Mexikaner, und Mexiko ist euer Land.« Pancho schnaubte verächtlich durch die Nase. »Hören Sie auf, mich zum Narren zu halten«, sagte er unwillig. »Sie sind kein Peon. Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Sie haben nie die Peitsche der Aufseher auf Ihrem Rücken gespürt. Sie haben nicht Hunger gelit- ten und tausend Demütigungen geschluckt. Ihre Babys sterben nicht, weil die Brüste ihrer Mutter keine Milch haben. Eure Töch- ter und Schwestern sind nicht in die Betten der Hacienderos gezo- gen worden.«, Pancho hatte sich in Zorn geredet. Seine Wangen hatten sich ge- rötet und seine Augen sprühten. Don Abraham erschrak vor der Bitterkeit und dem Haß, die nicht nur in den Worten, sondern mehr noch in der Miene Pan- chos lagen. Er spürte die Gewalt dieses Willens, den nicht nur seine Feinde, sondern auch seine Freunde fürchteten. Noch mehr als zu- vor wünschte er, diesen Mann für sich gewinnen zu können. »Gegen all das, was Sie erlebt und erlitten haben, Don Pancho, kämpfen wir. Dafür brauchen wir Männer, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren.« »Sie wollen sagen, Sie brauchen Kanonenfutter.« »Nein, Señor Pancho. Wer sein Leben für die Demokratie opfert, stirbt nicht als Kanonenfutter.« »Demo …? Was sagten Sie?« »Demokratie.« »Was ist das?« Don Abraham starrte Pancho entgeistert an. »Das wissen Sie nicht?« »Nein, erklären Sie es mir.« »Es ist die einzige Staatsform, in der der Mensch seine Würde wahren kann.« Pancho schlug sich ungeduldig mit seinem Sombrero gegen die Stiefel. »Ich ahnte, daß Sie mir mit Phrasen kommen würden. Ich kann verstehen, daß Ihr Señor Madero gern Präsident werden möchte. Aber ich weiß nicht, was Sie unter Würde verstehen. Sehen Sie die- ses Pferd an meiner Seite? Das ist meine Würde, und dieses Gewehr an meiner Hüfte und die Männer da im Hintergrund? Das alles, Señor, ist meine Würde. Wenn Sie mir nicht sagen können, wie sich Ihr Señor Madero und Ihre Demokratie in Brot und Land für die Peonen ausdrücken lassen, dann bleiben Sie mir vom Leib mit Ihrer Würde.«, Don Abraham spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Wenn er mit diesem sturen Banditen nicht bald ins reine kam, wür- de er die Nacht in der Sierra verbringen müssen. Die Sonne stand schon am Horizont. Bleifarben ragten die Berge in die Regenwol- ken. Wie Kerzenleuchter reckten drei- und fünfarmige Kakteen ihre schmalen schmutziggrünen Arme in die feuchte, drückende Luft. »Ich bitte Sie, Señor Villa, schenken Sie mir eine halbe Stunde Ihrer Zeit«, bat Don Abraham erschöpft. Pancho machte eine ironische Verbeugung. »Meine Zeit und meine Sympathie, Don Abraham, gehören Ih- nen.« Seine Miene verfinsterte sich. »Aber niemand soll glauben, daß sich Pancho Villa übertölpeln läßt.« Die beiden Männer gingen in Panchos Zelt. »Ich trinke keinen Alkohol«, sagte Pancho. »Wenn Sie Ihre Kehle anfeuchten wollen, müssen Sie mit Tee vorlieb nehmen.« »Danke«, sagte Don Abraham, der sich immer mehr über diesen Banditen wunderte. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, zünde ich mir eine Zigarette an.« Er zog ein Etui aus der Tasche und reichte es Pancho. Der lächelte. »Ich rauche auch nicht«, sagte er wie entschuldigend. Don Abraham zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und sah dem weißlich blauen Rauch nach, der in dünnen Schwaden in die Luft stieg. »Wissen Sie, wie die Peonen und die Indianer ihr Land verloren haben?« fragte er. »Ja, die Spanier haben sie vertrieben.« Don Abraham unterdrückte einen Seufzer. Es war wirklich er- schütternd, wie unwissend dieser Villa war. »Ich will Ihnen keinen Geschichtsunterricht geben, Señor Villa. Ich will Ihnen bloß sagen, was gestern passiert ist, was heute ge- schieht und was morgen wieder geschehen wird, wenn wir – wenn, Sie es nicht verhindern.« Pancho lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und sagte geduldig: »Nun schießen Sie mal los, Don Abraham.« Zum erstenmal erfuhr Pancho, daß Mexiko sieben Millionen Ein- wohner hatte, von denen fünf Millionen Indios und Peonen waren, arm, unwissend, ausgebeutet. Und er hörte von Porfirio Díaz, diesem kleinen, lederhäutigen, bärtigen alten Mann, der in den über dreißig Jahren seiner Regie- rung reich geworden war und sein Land hatte ausbluten lassen. Er hatte die Minen und Bergwerke, die Ölquellen und Eisenbahnen an Ausländer verschleudert. Er hatte gewaltige Mengen von Schuldver- schreibungen ausgegeben. Und um den Fremden den Kauf dieser Papiere schmackhaft zu machen, hatte er den Käufern das Recht eingeräumt, die Papiere gegen Land einzutauschen, und zwar im Verhältnis drei zu eins. Wer also für zehntausend Pesos Papiere besaß, hatte das Recht, für dreißigtausend Pesos Staatsland in Besitz zu nehmen. Vermögende Ausländer, Minister und deren Verwandte und Günstlinge machten in reichem Maße von diesem Angebot, ihr Ka- pital zu verdreifachen, Gebrauch. Die Spekulanten fuhren in die Provinz, die sie sich ausgesucht hatten, erwiesen sich dem Gouverneur oder anderen zuständigen Stellen gefällig und bekamen das Land, das sie haben wollten. Gleichgültig, ob schon irgendwelche Indios oder Kleinbauern auf ihm lebten. Kam es zu Protesten oder Aufständen, rückten die Rurales an. Die Regierung in Mexico-City war aber auch jederzeit bereit, regu- läre Truppen zu schicken, um die Bauern mit Gewalt zu vertreiben. »Allein in Chihuahua haben Hunderttausende auf diese Weise ihr Land verloren«, schloß Don Abraham. »In Camanea haben die Mi- nenarbeiter aus Protest die Arbeit niedergelegt. Díaz schickte zwei Regimenter und ließ Männer, Frauen und Kinder niederschießen., In den Baumwollspinnereien von Orizaba wollten die Männer statt sechzehn nur noch vierzehn Stunden am Tag arbeiten. Diesmal setzte Díaz gleich eine ganze Division in Marsch, fünfzehntausend Mann. Ohne Warnung schossen sie in die Menge. Hunderte wälz- ten sich in ihrem Blut. Am nächsten Tag gingen die Männer wieder zur Arbeit, sechzehn Stunden lang.« Don Abraham schwieg. Die Zigarette in seiner Hand verglimmte. An dem Stummel verbrannte er sich die Finger. Mit einem unter- drückten Fluch warf er ihn zu Boden und trat die glühende Asche aus. Pancho war aufgestanden. Er ging in dem engen Zelt hin und her: vier Schritte von der Wand zum Eingang, vier Schritte vom Eingang zur Tür. Dann blieb er vor Don Abraham stehen. »Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir die Wahrheit gesagt haben. Aber ich werde es nicht tun. Ich fühle, daß es die Wahrheit ist. Ich habe diese Wahrheit erlitten. Ich und ungezählte andere. Bisher wußte ich nicht, warum wir hungern und leiden müssen. Ich glaub- te, Gott hätte es so gewollt. Aber damit habe ich dem lieben Gott unrecht getan. Jetzt weiß ich es besser. Und ich will verdammt sein, wenn ich nicht mein Leben dafür einsetze, dieses Unrecht aus der Welt zu schaffen.« Pancho streckte Don Abraham die Hand entgegen. »Bueno, sagen Sie Ihrem Señor Madero, daß Pancho Villa sein Mann ist. Sagen Sie ihm, daß ich zu kämpfen weiß. Jetzt soll er mir beibringen, wofür und gegen wen ich kämpfen muß.« Pancho bückte sich und trat aus dem Zelt ins Freie. »Urbina!« rief er. »Tomás, Salas! Kommt her! Kommt alle her und hört mir zu. Reitet durch das Land und sagt allen Indios und Peonen, daß Pancho Villa Soldaten für die Revolution braucht. Jeder Mann, der ein Pferd und eine Waffe hat, ist mir willkommen. Ich habe halb Chihuahua mit Brot versorgt, und der anderen Hälf- te habe ich Geld gegeben. Jetzt wollen wir einmal sehen, ob sie sich, daran erinnern, wenn ich sie brauche. Reitet los, und keiner von euch soll mit weniger als zehn Mann zurückkommen!« »He, Kapitän Villa, wachen Sie auf!« Pancho fuhr hoch. »Was ist los, Urbina?« fragte er. »Oberst Orozco ist eingetroffen. Er will Sie dringend sprechen.« Pancho schüttelte die Pferdedecke aus, auf der er gelegen hatte und warf sie sich über die Schulter. »Oberst Orozco? Sagtest du Oberst? Zum Teufel! Zum Teufel! Wieviel Vorgesetzte habe ich denn noch! Sag ihm, er soll warten.« Pancho hatte die vorige Nacht im Sattel verbracht. Er war hunde- müde. Mißmutig ging er zu dem Brunnen, pumpte dreimal kräftig und hielt dann den Kopf unter den dicken Wasserstrahl. Er prustete und schüttelte sich wie ein Hund. Mit nassen Händen und triefenden Haaren ging er zu dem Oberst, der ihn ungeduldig erwartete. Pascual Orozco war ein langer aufgeschossener, hagerer Mann. Er hatte ein schmales Gesicht, kalte, grausame Augen und einen dünn- lippigen Mund. »Ich bin erstaunt, Kapitän Villa, Sie immer noch in der Sierra an- zutreffen.« Die Mißbilligung in Orozcos Stimme war nicht zu über- hören. »Warum sind Sie darüber erstaunt, Oberst?« Orozco zog die Stirn in Falten. »Wenn ich richtig unterrichtet bin, hat Ihnen Oberst Herrera den Befehl gegeben, San Andrés anzugreifen. Sie sollten die Garnison in der Stadt aufreiben und die Baracken der Soldaten zerstören.« Pancho setzte sich. Er nickte bedächtig mit dem Kopf. »So, so, Herrera war das also. Wer kann sich die Namen aller Offiziere mer- ken, die mir Befehle geben?«, »Und warum haben Sie diesen Befehl nicht befolgt?« In Panchos bernsteinfarbenen Augen war ein gefährliches Fun- keln. »Weil es mir nicht gepaßt hat.« Orozco wollte auffahren. Pancho schnitt ihm aber mit einer brüsken Handbewegung das Wort ab. »Hören Sie, Oberst Orozco, ich habe mein Wort gegeben, Señor Madero zu dienen. Und dieses Wort werde ich halten. Das heißt jedoch nicht, daß ich mir von jedem hergelaufenen Hanswurst Be- fehle erteilen lasse.« »Kapitän Villa!« Orozco war aufgesprungen. »Ach, lassen wir doch die großen Worte.« Pancho wies hinter sich. »Sehen Sie, Orozco, da sind über dreitausend Mann. Wollen Sie mir einmal sagen, wer sie ernährt, wer für ihre Ausrüstung sorgt? Sie? Oder dieser Oberst Herrera? Oder Señor Madero? Das muß ich tun, Orozco, ich ganz allein. Wir sind keine Rurales und keine Soldaten, die gemästet werden und denen man Gewehre in die Hände drückt. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, daß Sie uns nichts geben, sondern immer nur etwas wollen. Aber ich will auch nicht von Ihnen herumkommandiert werden, als wäre ich Ihr Re- krut. Merken Sie sich eins: Zuerst muß ich dafür sorgen, daß sich meine Männer den Magen füllen können, dann müssen wir uns Ge- wehre und Munition verschaffen, und erst wenn das erledigt ist, kann ich Ihr verdammtes San Andrés angreifen. Ist das klar?« Orozco fühlte sich unbehaglich. Er war inmitten von Villas Män- nern, und er traute es diesen ungeschlachten Burschen zu, daß sie ihn kurzerhand gefangennehmen, wenn nicht sogar umbringen lie- ßen. Es war sein eigener Fehler, daß er einen Banditen für einen Offizier gehalten hatte. »Nichts für ungut, Kapitän.« Es kam Orozco schwer über die Lip- pen. »Die Zeit wird kommen, in der Sie für Ihre Dienste belohnt werden.«, »Danach habe ich nicht gefragt.« »Ich weiß, Kapitän. Aber wir müssen trotzdem dieses San Andrés besetzen. Madero befindet sich nahe der Grenze. Er will in Kürze in Chihuahua sein. Wir müssen ihm den Weg freikämpfen.« Pancho nickte. »Das verstehe ich. Wir werden San Andrés freikämpfen.« »Gut, Kapitän. Ich halte es für das beste, wenn Sie morgen nacht angreifen. Dann werden Sie die wenigsten Schwierigkeiten haben.« »Ich werde am Tag angreifen und gar keine Schwierigkeiten ha- ben.« »Eine Schlacht am hellichten Tag?« »Verdammt noch mal, Oberst, ich weiß, was ich sage. Die meis- ten Männer von San Andrés sind in meinem Lager. Bilden Sie sich ein, sie haben Lust, ihre eigene Stadt zu überfallen? In der Dunkel- heit ihre eigenen Frauen und Kinder zu erschießen, nur weil irgend so ein Klugscheißer es befohlen hat?« »Aber die Soldaten …«, wandte Orozco ein. »Die Soldaten sind mit meinen Männern verwandt und verschwä- gert. Es sind zweihundert müde Jungen und ein alter klappriger Hauptmann. Glauben Sie, die haben Lust, sich von meinen Leuten aufspießen zu lassen?« »Sicher nicht.« Pancho lächelte breit. »Ich wußte, daß wir einer Meinung sind, Oberst. Es war nett, daß Sie mich in meinem Lager besucht haben. Sie sind immer willkom- men.« Orozco war verblüfft und ein wenig aus der Fassung gebracht. »Danke, Kapitän Villa.« Pancho nahm Orozcos Hand und drückte sie. »Und grüßen Sie mir Oberst Herrera. Wenn es sich einrichten läßt, bin ich ihm immer gern zu Diensten.«, »Viva Villa! Viva la Revolución!« Die Einwohner von San Andrés säumten die Straßen, durch die Pancho und seine Männer ritten. Rot-weiß-grüne Fahnen wurden geschwenkt. Die Frauen hielten ihre Kinder hoch, damit sie später einmal sagen konnten: »Ich habe ihn gesehen, den Volkshelden Pancho Villa.« Pancho ritt stolz durch das Spalier der jubelnden Menschen. Er hatte recht gehabt: Die Soldaten waren davongelaufen wie die Ha- sen. San Andrés war ihm ohne Blutvergießen zugefallen. Er hatte ein breites Lachen auf seinem Gesicht und schwenkte seinen Som- brero. Wäre nicht das Gewehr gewesen und die beiden über der Brust gekreuzten Patronengürtel, man hätte ihn für einen Ranchero halten können. Die Mädchen, die ihren Sonntagsstaat trugen, warfen ihm Blu- men zu. Pancho bedankte sich mit einem Winken. Als er an der Kirchen vorbeiritt, fielen seine Blicke auf ein junges Mädchen, das auf den Stufen stand, um ihn besser sehen zu kön- nen. Sie trug eine rote Rose im Haar. Er lächelte sie an. Da nahm sie die Blume und warf sie ihm zu. Sie fiel neben seinem Pferd auf den Boden. Das Mädchen sprang die Stufen hinunter, hob die Rose auf, lief ihm nach und hielt sie ihm entgegen. Pancho parierte sein Pferd durch und beugte sich hinab. Er sah zwei große dunkelbraune Augen, einen weichen roten Mund und glänzendes dunkles Haar. Und plötzlich ging es ihm so wie damals, als er Maria in der Halle ihres Hauses stehen sah. Es war wie ein Blitz, der ihn traf und sein Herz in Flammen setzte. »Wie heißt du?« fragte er. Das Blut schoß ihr ins Gesicht. »Luz Corral, Señor.« »Und wo wohnst du?« »In der Calle Ébano, Señor.«, »Mit deinem Vater?« »Nein, Señor, mit meiner Mutter. Mein Vater ist tot.« »Gut, Luz. Sage deiner Mutter, daß Pancho Villa dich heiraten will. Ich komme heute abend und halte um deine Hand an.« Das Mädchen riß die Augen auf und starrte ihn an in fassungslo- sem Staunen. Dann ging ein Lächeln über ihr Gesicht. »Ja, Señor, danke Señor …« Pancho war schon weitergeritten. Der Jubel brauste an seinen Oh- ren vorbei. Vor seinen Augen stand immer nur ein schmales Ge- sicht mit einem Mandelteint und dunkle Samtaugen, aus denen ihm Verehrung und Anbetung entgegenleuchtete. An diesem Nachmittag entfaltete Pancho eine hektische Geschäf- tigkeit. Mit zehn seiner Männer drang er in die Bank von San An- drés ein. Sie kamen laut polternd mit vorgehaltenen Gewehren. In dem Schalterraum standen drei Männer. Sie hoben bleich und zitternd die Hände hoch. »Ihr könnt davonlaufen, wenn ihr wollt«, rief Pancho. »Nur den Schlüssel für den Geldschrank, den müßt ihr hierlassen.« Zwei der Männer gingen angstvoll rückwärts. Sie wagten nicht, die Banditen aus den Augen zu lassen. »Nun lauft schon!« lachte Pancho. »Ich schieße euch nicht in den Rücken.« Die Männer drehten sich um und stolperten vor Aufregung und Eile über die Schwelle. Pancho wandte sich an den dritten, der ruhig stehengeblieben war. »Und was ist mit dir? Willst du eine Kugel zwischen die Rip- pen haben?« »Nicht unbedingt.« Die Stimme des Mannes war ruhig. Sie verriet keinerlei Erregung. Pancho stutzte. Er war gewohnt, daß die Männer davonliefen, oder daß sie jammerten und um ihr Leben flehten., »Wer bist du?« fragte er barsch. »Benito Cuchillo. Ich bin der Direktor dieser Bank.« »Du scheinst mir vor allem ein mutiger Mann zu sein.« »Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen, Señor Villa. Auf alle Fälle hänge ich an meinem Leben.« »Gib mir den Schlüssel zum Tresor, dann kannst du es behalten.« Cuchilla faßte in die Tasche. Aber im gleichen Augenblick hatte er den Lauf eines Gewehres auf seiner Brust. »Nimm die Pfoten aus der Tasche!« schrie einer von Panchos Männern. Cuchilla gehorchte. »Dann müssen Sie sich schon selbst bemühen, Señores«, sagte er gleichmütig. »Na los!« befahl Pancho ungeduldig. Der Mann zog den Schlüssel aus der Tasche. »Gib ihn dem Direktor. Er soll selbst aufschließen.« Cuchillo ging zum Tresor, öffnete ihn und nahm mit beiden Händen große Bündel Geldscheine heraus. Die Augen der Männer leuchteten. »Donnerwetter!« entfuhr es Pancho. »Das war ein fetter Fischzug. Wieviel ist es denn?« »Zweihundertfünfzigtausend Pesos«, entgegnete Cuchillo ruhig. »Wenn Sie das Geld nehmen, werden die Arbeiter in den Kupfermi- nen morgen keinen Lohn bekommen.« »Caramba!« Pancho biß sich auf die Lippen. »Sind das alles Lohngelder?« »Ja.« »Du willst mir doch nicht weismachen, du verdammter Hunde- sohn, daß du in deiner stinkenden Bank keine Privatkonten hast!« »Natürlich nicht, Señor.« Die Stimme Cuchillos war sachlich, fast liebenswürdig. »Aber nicht in diesem Tresor. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«, Er führte Pancho und seine Männer in den Keller. Die Ausbeute war nicht sehr groß: zwanzigtausend Pesos. In Gedanken rechnete Pancho aus, wieviel Gewehre er dafür kaufen könnte. »Und was ist das?« Er zeigte auf viele kleine Türchen, die in der Wand eingelassen waren. »Schließfächer.« »Mach auf.« »Das kann ich nicht. Die Schlüssel dazu haben meine Kunden.« »Brecht sie auf!« befahl Pancho seinen Männern. Es dauerte nicht lange, bis sie geöffnet waren. Aber es war nicht viel drin, was Pancho brauchen konnte. Von Wertpapieren verstand er nichts, deshalb ließ er sie unbeachtet. Aber in einem der Schließ- fächer lagen eine Kette, Ohrringe, ein Armband und ein Ring. Der Schmuck war aus Gold und mit Rubinen und Brillanten besetzt. Pancho nahm ihn an sich. »Der ist für mich, Jungs«, erklärte er gutgelaunt. »Ich habe verges- sen, euch zu sagen, daß ich heute heirate. Das ist ein prächtiges Brautgeschenk.« Die Männer waren zunächst verblüfft. Dann gaben sie lärmend ihrer Überraschung und Freude Ausdruck. Cuchillo betrachtete die Szene angewidert und amüsiert zugleich. ›Sie sind wie Kinder‹, dachte er, ›impulsiv, unberechenbar und ge- fährlich.‹ Aber die Männer beachteten ihn nicht mehr. Sie umringten Pan- cho und wollten Näheres von ihm wissen. »Ihr werdet meine Braut heute abend kennenlernen. Seid um acht bei Señorita Luz Corral in der Calla Ébano. Und bringt einen Priester mit, egal wo ihr ihn auftreibt. Und noch etwas: Wascht euch und benehmt euch anständig. Denkt daran, daß ihr Gast im Hause der Señora Villa seid. Wer flucht oder sonst eine dreckige Bemerkung macht, den schmeiße ich eigenhändig zur Tür hinaus.«, Pancho hatte nicht gewußt, daß einem das Leben ein so atemberau- bendes Glück, eine so uferlose Seligkeit schenken konnte. Er lag ne- ben dem jungen, weichen, warmen Geschöpf, das seit einigen Stun- den seine Frau war, und eine nie gekannte Zärtlichkeit durchström- te ihn. »Mäuschen, mein kleines Mäuschen«, flüsterte er nahe an ihrem Ohr, »trägst du den Ring, den ich dir gegeben habe?« »Er paßt nicht.« »Steck ihn an den kleinen Finger, Mäuschen.« »O Panchito, mi Panchito.« »Lucita, kleines Mäuschen, Lucita …« Er küßte sie, und wieder erfaßte ihn ein Schwindel, der seine Sin- ne umnebelte. »Halt mich fest, Panchito, und laß mich nie mehr los.« »Kannst du mich fühlen, mein Mäuschen? Fühlst du, wie ich dich liebe?« »O Panchito, mir ist, als hätte ich mich ein Leben lang nach dir gesehnt. Geh nie mehr fort, Panchito.« »Wirst du mir treu sein, kleines Mäuschen?« »Immer, Panchito, immer. Aber ich lasse dich nie mehr fort.« »Ich komme ja wieder. Immer komme ich wieder.« »Du bist gerade erst mein Mann geworden und willst mich schon wieder verlassen! Du Schuft, du treuloser Schuft!« Luz stieß ihm ihre kleine Faust gegen die Brust. Er hielt sie fest und biß sanft hinein. »Du sollst doch den Ring tragen, kleines Mäuschen.« »Er liegt auf dem Tisch.« »Hol ihn.« »Dreh dich um, Panchito!« »Warum?« »Ich will den Ring holen. Dreh dich um.« »Nein, ich will dich sehen.«, »Das darfst du nicht.« Pancho lachte. »Na gut, dann dreh ich mich um.« Luz sprang aus dem Bett. Er hörte ihre nackten Füße über den Fußboden tapsen. Sie kam zurück und blieb vor dem Bett stehen. »Wenn … wenn du mich wirklich sehen willst …« Sie stockte. »Ich will es nicht, wenn du es nicht willst.« »Nein, nein, wenn du willst, dann kannst du dich jetzt umdre- hen.« Er faßte nach ihr und zog sie neben sich. Sie schmiegte sich an ihn. »Ich will nicht, daß du gehst, nie mehr.« »Sei still, kleines Mäuschen.« »Ich habe Angst.« »Vor mir?« »Nein, o nein. Aber wenn dir etwas zustößt, Panchito.« »Mir stößt nichts zu. Ich habe doch jetzt eine Frau und vielleicht bald auch ein Kind.« »O Panchito …« »Was ist, kleines Mäuschen?« »Warst … warst du schon mal so mit einer …?« »Mit keiner, die ich geliebt habe.« »Stimmt das?« »Fühlst du das nicht?« »Küß mich, Panchito.« »O mein Mäuschen, mein süßes kleines Mäuschen, mein Lieb- ling, mein Liebes …« Schmutzig, von einem strengen Geruch nach Schweiß, Leder und Pferden begleitet, stapfte Pancho Villa über die harten, von der Sonne ausgetrockneten Wege der Hacienda de Bustillos, die einige, Kilometer südlich von Ciudad Juárez lag. Pancho wurde von einem Aufruhr widerstreitender Gefühle be- herrscht. Er könnte stolz sein, denn er hatte gemeinsam mit Oroz- co die wichtige Grenzstadt Ciudad Juárez im Handstreich erobert. Es war ein Bravourstück ohnegleichen gewesen. Alle hatten von ei- nem Angriff auf die von einer starken Garnison besetzte Grenzstadt abgeraten. Aber er, Pancho, hatte darauf gedrängt, wieder und wie- der. Schließlich hatte Madero, dieser ferne, mächtige Mann, den jeder verehrte, auf dessen Kommando jeder hörte, seine Einwilligung ge- geben. Und Pancho hatte gesiegt. Zugegeben: Orozco hatte ein bißchen mitgeholfen. Aber der Hauptanteil am Sieg gebührte ihm. Die blu- tigste Arbeit hatten er und seine Männer verrichtet. Pancho konnte stolz sein. Und doch war er befangen. In wenigen Minuten würde er Francisco Madero gegenüberstehen, dem Mann, dem er Treue geschworen hatte, für den in den vergangenen Tagen zweihundert seiner besten Männer gefallen waren. Zweihundert seiner besten Männer! Pancho stieg das Blut ins Gesicht. Sie waren für Madero gestorben. Und was hatte dieser Madero für sie getan? Urbina hatte ihm da etwas berichtet, was ihm wie ein Kloß im Halse saß. Aber er würde ihn loswerden, diesen Kloß. Er würde ihn ausspucken, dem hohen Herrn mitten ins Gesicht. Vor der vornehmen Hacienda standen zwei Soldaten Wache. Sie traten Pancho in den Weg. »Wohin, mi capitán?« »Zu Señor Madero.« »Der Präsident ist nicht zu sprechen.« »Für mich schon. Ich bin Pancho Villa.« Die Soldaten, die zu den Männern Orozcos gehörten, salutierten. Sie hatten schon viel von Pancho Villa gehört, jetzt sahen sie ihn zum erstenmal: ein Kerl wie ein Baum, seltsame topas-farbene Au-, gen, struppiges rötliches Haar! Ein wilder Bursche, aber ein Mann, so recht nach dem Herzen eines mexikanischen Rebellen. Die bei- den Soldaten hatten den gleichen Gedanken: Dieser Pancho Villa war ein anderer Kerl als ihr etwas blutleerer Oberst Orozco. »Wo finde ich Señor Madero?« wollte Pancho wissen. »In der Bibliothek, den Gang hinunter, die letzte Tür links, mi capitán.« »Danke, compañeros.« Pancho ging mit schweren Schritten den Gang entlang. Er ritt furchtlos in jeden Kampf. Er hatte keine Angst vor dem Tod. Aber jetzt klopfte ihm das Herz bis zum Hals. Er hatte Mühe, sein heftiges Atmen zu unterdrücken. Mit einem entschlossenen Griff drückte er die Klinke herunter und stieß die Tür auf. Die Männer, die um einen langen Tisch saßen, blickten erstaunt auf. Pancho schloß die Tür hinter sich und betrat den Raum. »Ich bin …« Ein kleiner Mann, mit einem Spitzbart und einer Brille fiel ihm ins Wort. »Wer immer Sie sind, Señor, nehmen Sie bitte Platz und gedul- den Sie sich einen Augenblick. Ich möchte nur rasch mein Ge- spräch beenden.« Der Mann, der Pancho veranlaßte, sich auf einen Stuhl zu setzen, war Don Francisco Madero, der provisorische Präsident der Re- publik Mexiko. Er war schmal, nicht größer als 1,68 Meter. Dieser magere Körper mit der flachen Brust, das sah man, hielt nicht viel aus. Madero war Vegetarier und Idealist. Sein Großvater war Gouverneur des Staates Coahuila gewesen. Seine Familie besaß riesige Latifundien, zwei Banken und mehrere Industriebetriebe. Eigentlich war Madero kein Politiker gewesen. Menschliches Mitleiden und ein ausgeprägtes, Gefühl für Gerechtigkeit hatten ihn aufbegehren lassen gegen die Rechtlosigkeit und die schamlose Ausbeutung der Peonen und Indios. Anfangs hatte der feingebildete Madero, der in Europa studiert hatte, versucht auf Díaz einzuwirken. Aber er mußte sehr bald ein- sehen, daß dieses bis auf die Knochen korrupte Regime nicht bereit war, etwas für die Armen und Unterdrückten des Landes zu tun. Da hatte sich Madero von Díaz abgewandt und eine eigene Par- tei, die konstitutionell-progressive Partei gegründet. Sein Aufruf von San Luis-Potorsi, der Wahlrecht für alle und Rückgabe des willkür- lich geraubten Landes forderte, sprach nicht nur den Armen, son- dern auch den fortschrittlichen Bürgersöhnen aus dem Herzen. Es war ein Geheimnis, wie dieser kleine, schwächliche, immer lie- benswürdige, stets auf Ausgleich bedachte Mann zum politischen Führer der Massen werden konnte. Im Süden des Landes erhob sich der Indio Emiliano Zapata und zog mit seinen landlosen Bauern und Indios auf Mexico-City zu. Und im Norden war es Pancho Villa gewesen, der sein unstetes Räuber- und Banditentum nur allzu bereitwillig einer Sache unter- ordnete, die er von nun an Vaterland, Gerechtigkeit, Demokratie nennen konnte. Jetzt also saß Pancho verlegen, ungeduldig und sehr unzufrieden auf einem Stuhl am Ende des langen Tisches und wartete, daß diese feinen, sauberen, gutgekleideten Herren von ihm Notiz nahmen. Er brauchte nicht lange zu warten. Madero erhob sich und trat auf ihn zu. »Willkommen Señor, ich bin Francisco Madero.« Pancho fuhr von seinem Stuhl auf. »Und ich bin …« Madero hob die Hand. »Nein, sagen Sie es nicht, lassen Sie mich raten, mit wem ich die Ehre habe zu sprechen.«, Der kleine Mann, der Pancho nur bis zu den Schultern reichte, schaute bewundernd zu dem Offizier hoch, der schmutzig war und gar nicht gut roch. Plötzlich ging ein Lächeln über seine Züge, und er breitete seine Arme aus. »Sie sind Kapitän Villa. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich freue, Sie kennenzulernen.« Er wandte sich an die Männer, die am Tisch saßen. »Das, meine Herren, ist Pancho Villa. Gibt es einen ruhmreiche- ren Mann im Norden von Mexiko? Ihn und Oberst Orozco …« Jetzt bemerkte Pancho, daß Orozco am Ende des Tisches saß, »… habe ich den Sieg von Ciudad Juárez zu verdanken.« Er wandte sich wieder Pancho zu. »Ich bin kein Krieger und kein Feldherr wie Sie, Kapitän, aber ich bin ein guter Prophet. Wir werden uns wieder sprechen: Der Fall von Juárez öffnet uns den Weg nach Mexico-City.« Pancho spürte unwillig, wie sein Zorn schmolz. Dieser Madero hatte ein ungemein liebenswürdiges, gewinnendes Wesen. Wenn er noch lange reden würde, dann würde sein berechtigter Zorn schmelzen wie Butter in der Sonne. Pancho gab einen knurrenden Laut von sich. Madero ergriff Panchos Hand. »Darf ich Ihnen die Señores vorstellen, die sich ebenso freuen wie ich, den Helden von Juárez kennenzulernen?« Madero wies auf einen jungen Mann mit einem schmalen, aristo- kratischen Kopf und einem weichen sensiblen Mund. »Das ist mein Bruder Raul, und das …«, er wies auf einen schlan- ken, blonden, helläugigen Mann, »… ist Giuseppe Garibaldi, der Enkel des italienischen Nationalhelden. Er ist mein Stabschef. Und das ist unser Kriegsminister: Venustiano Carranza.« Ein hochgewachsener, vollbärtiger Mann mit kalten Augen, schmalen Lippen und einer breiten Nase machte die Andeutung, einer Verbeugung. »All diese Herren, Kapitän Villa, sind Ihre Freunde«, sagte Ma- dero lächelnd. Pancho schüttelte die Bezauberung ab, die von dem kleinen Mann an seiner Seite ausging. »Das glaube ich nicht, mi Jefe«, sagte er brüsk. »Ich glaube viel- mehr, daß es die Freunde meiner Feinde sind.« Madero schüttelte freundlich den Kopf. »Was für ein schrecklicher Irrtum, mein Freund.« Jetzt fiel die Befangenheit von Pancho ab, und er besann sich wieder auf den Zorn, der in ihm hochgestiegen war, als er die Nachricht empfangen hatte. »Sie haben diesen Hundesohn von einem General Navarro und seine verdammten Offiziere freigelassen, mi Jefe. Das nenne ich ei- ne verdammt hinterhältige Tat.« Carranza und Garibaldi wollten auffahren. Aber Madero gebot ihnen zu schweigen. »Sprechen Sie weiter, Kapitän.« »Diese elenden Schinder und Folterknechte haben ein paar hun- dert von meinen Männern umgebracht. Männer, die für Sie ge- kämpft und für Sie gestorben sind, mi presidente. Meine Männer sind tot, und diese Schurken leben. Sie haben ihnen sogar ihre Waffen zurückgegeben. Wer das tut, ist mein Feind. Denn er gibt diesem verdammten Navarro die Möglichkeit, uns zum zweitenmal abzuschlachten.« Garibaldi war aufgesprungen. Man spürte, daß es ihm Mühe machte, sich zu beherrschen. »Was erlauben Sie sich, Kapitän!« fuhr er Pancho an. »Sie stehen vor Ihrem Präsidenten und führen sich auf wie ein Fuhrknecht. Ich, Ihr General, war es, der Navarro und seine Offiziere freigelassen hat. Und ich bin froh, daß ich es getan habe. Ich habe genug ge- hört von den Blutbädern, die Sie mit Ihren Männern angerichtet, haben. Wir sind Soldaten und keine Schlächter. Lieber würde ich auf den Sieg Ciudad Juárez verzichten, als daß ich dulden würde, daß die Revolution durch Ihre Metzeleien besudelt wird. Merken Sie sich, Kapitän Villa, wir werden unsere kriegsgefangenen Offiziere gegen Sie verteidigen. Und wenn es sein muß, mit unserem Blut.« Pancho verfärbte sich. Er spürte, wie seine Schläfen gefährlich an- schwollen. »Und was ist mit den Soldaten, die wir getötet oder gefangenge- nommen haben? Die verteidigen Sie nicht. Für sie ist Ihnen Ihr Blut zu schade, was?« Pancho wandte sich an Madero. »Ich bin kein Politiker, und ich verstehe nichts von politischen Verhandlun- gen. Aber eines habe ich schon von Kind an begriffen: Der Sohn eines Peonen hat nicht das Recht, den Sohn eines Hacienderos zu töten. Selbst wenn dieser brutal, hinterhältig und gemein ist. Er kann meine Mutter schlagen, meine Schwester vergewaltigen und mich foltern, er bleibt der Sohn eines Hacienderos.« Carranza erhob sich. Seine Augen waren eiskalt. »Ich bin der Sohn eines Hacienderos und Señor Madero ist es auch …« »Ich weiß«, unterbrach ihn Pancho. »Aber ich bin es nicht. Und deshalb habe ich hier auch nichts mehr zu suchen. Ich glaubte für die Revolution zu kämpfen und nicht für eine Interessengemein- schaft der Großgrundbesitzer.« Carranza stieß einen unterdrückten Wutschrei aus. Seine Hand fuhr an den Revolver. Madero tat einen raschen Schritt auf ihn zu. »Ich verbiete Ihnen diesen Unsinn, Señor Carranza«, sagte er mit einer Schärfe, die ihm keiner zugetraut hätte. »Ich bin überzeugt, Kapitän Villa wollte niemanden beleidigen.« »Ich wollte sagen, was ich gesagt habe. Wenn es jemanden be- leidigt hat, so kann ich nichts dagegen tun«, entgegnete Pancho barsch. »War das alles, was Sie mir zu sagen hatten, Kapitän?« fragte Ma-, dero. Die ruhige Stimme des Präsidenten irritierte Pancho. Trotzdem fuhr er fort. »Das war alles, bevor ich hierherkam. Jetzt habe ich noch einiges hinzuzufügen. Vielleicht verstehe ich nichts davon, aber die Män- ner, die da um Sie herumsitzen und die uns einmal regieren wollen, gefallen mir nicht. Und ich will Ihnen auch sagen, mi presidente, warum. In diesem Kampf geht es um Leben oder Tod der Peonen und Indios. Was verstehen diese geschniegelten Herrchen von uns, von unserer Not und unserem Leiden? Wenn die Peonen gut genug sind, für Sie zu kämpfen und zu sterben, dann sind sie auch gut genug, an Ihrer Seite zu sitzen und über ihre eigene Zukunft zu be- raten. Mag sein, daß ich nicht gut genug bin, Ihr Kriegsminister zu werden. Aber warum haben Sie dann nicht Pascual Orozco ge- nommen? Er kann lesen und schreiben. Sein Vater hatte einen Ge- mischtwarenladen. Er versteht etwas von Organisation.« Madero hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. »Haben Sie mir noch etwas zu sagen, Kapitän?« Pancho biß sich auf die Lippen. »Nein, mi presidente, mehr habe ich nicht zu sagen. Und jetzt will ich Ihre Zeit nicht länger vergeuden.« Er wandte sich um. »Einen Augenblick, Kapitän. Ich habe Ihnen noch etwas zu über- geben.« Madero ging zu dem Tisch zurück und zog einige Schrift- stücke hervor. »Ich habe hier die Ernennungsurkunde von Oberst Orozco zum Brigade-General und von Kapitän Villa zum Oberst. Die wollte ich gerade unterschreiben, als Sie hereinkamen.« Er nickte Carranza zu. »Mein Kriegsminister hat mir dringend dazu geraten, nicht wahr?« Carranza brummte etwas Unverständliches. Madero unterschrieb, trocknete die Tinte und reichte dann Oroz- co und Villa die Papiere., »Wenn Sie jetzt gehen wollen, Oberst Villa, dann werde ich Sie nicht zurückhalten. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir vorher Gelegenheit geben würden, Ihre Vorwürfe zu beantworten.« Pancho drehte unschlüssig das Dokument in seinen Händen her- um. Daß er so unversehens Oberst geworden war, erstaunte und verwirrte ihn. Er hätte diesem kleinen überlegenen Mann gern den Rücken gewandt und wäre gegangen. Aber er brachte es nicht über sich. »Also gut, mi Jefe, reden Sie«, sagte er mürrisch. »Die Stadt, die Sie besiegt haben, Oberst, wurde nach Benito Juárez benannt, jenem Befreier Mexikos, der den fremden Kaiser Maximilian entthront hat. Er kämpfte für das gleiche, für das wir kämpfen: für Freiheit, für das Vaterland, für Gerechtigkeit. Und wis- sen Sie, wer an seiner Seite stand? Jener General Navarro, den Sie besiegt haben. Ich weiß nicht, warum er heute auf der falschen Seite steht. Aber ich weiß, daß er glaubte, seine Pflicht zu tun.« Madero ging zum Tisch, schenkte sich aus einer Karaffe ein Glas Wasser ein und trank einen kleinen Schluck. »Ich will nicht, daß Mexikaner Mexikaner töten. Dieser unselige Bürgerkrieg zerreißt mir das Herz. Aber wenn man die Mächtigen durch gutes Zureden, durch Bitten, Vorstellungen und Drohungen nicht davon abhalten kann, Unrecht zu tun, dann muß man Ge- walt anwenden. In dieser Lage befinde ich mich, Oberst. Aber ich will nicht mehr Gewalt anwenden, als unbedingt notwendig ist. Ge- neral Navarro gab mir sein Ehrenwort, gemeinsam mit seinen Offi- zieren in die Vereinigten Staaten zu gehen und dort zu bleiben, bis dieser Krieg beendet ist. Er wird sein Wort halten. Einen Feind zu töten, der sich ergeben hat, ist barbarisch, Oberst. Ich will es nicht tun, weil ich hoffe, daß auch meine Feinde es nicht tun, wenn einer meiner Männer sich ergeben hat.« Pancho runzelte die Stirn. Man sah ihm an, daß er angestrengt über das nachdachte, was Madero gesagt hatte. Dann schüttelte er, den Kopf. »Da hoffen Sie vergebens, mi Jefe. Juárez war nicht der erste Kampf, den ich für Sie gekämpft habe. In Santa Rosalia und Ca- margo haben die Porfiristas nicht nur bewaffnete Männer getötet, sondern sogar Frauen und Kinder.« »Ich weiß, Oberst. Aber wollen wir, die wir für die Freiheit, für die Gerechtigkeit und für eine bessere Zukunft kämpfen, ebenso scheußliche Untaten begehen wie die Soldaten von Porfirio Díaz?« Pancho fühlte sich in die Enge getrieben. Er besaß nicht die Be- redsamkeit Maderos. Aber er wußte, daß das Unrecht nicht auf sei- ner Seite war, und er sagte es. »Wenn wir diese verdammten Rurales und Porfiristas töten, dann üben wir nur Gerechtigkeit. Für die Verbrechen und Untaten, die sie uns angetan haben, hätten sie schon längst aufgehängt werden müssen.« Madero nickte. »Ich glaube, Oberst, daß Sie recht haben. In diesem Lande sind zu viele Verbrechen ungesühnt geblieben. Und zu viele Menschen wurden ohne Gerichtsverhandlung und ohne Urteil gefoltert oder sogar getötet. Es geschah, weil sie schwach waren und weil die an- deren die Macht hatten. In dem Mexiko, das wir schaffen wollen, soll kein Starker mehr einen Schwachen unterdrücken. Und nie- mand soll bestraft werden. Es sei denn, er wäre nach Recht und Ge- setz verurteilt worden.« Pancho schwieg. Madero nickte ihm zu. »Und nun zu Señor Carranza. Er war Senator. Er hatte hohe Äm- ter und genoß großes Ansehen. All das hat er aufgegeben, um uns und unserer Sache zu dienen. Aber nicht um der Dinge, die er auf- gegeben hat, sondern um jener willen, die er mitgebracht hat, habe ich ihn zum Kriegsminister gemacht: Er versteht etwas von der Ver- waltung, von Organisation, von Schreibtischarbeit und von Ver- handlungen. Señor Carranza ist seiner ganzen Veranlagung nach ein, Zivilist. Und das ist gut so. Denn er muß den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und für Ausrüstung und Sold sorgen.« Er wandte sich Pancho zu und lächelte. »Sie, Oberst, verstehen etwas von Strategie, von Schlachten und von der Führung von Männern. Möchten Sie wirklich lieber mit Señor Carranza tauschen?« Pancho schüttelte entsetzt den Kopf. »O nein, nein, mi Jefe.« »Das dachte ich mir. Und jetzt Oberst, setzen Sie sich bitte zu uns. Ich möchte unsere nächsten Pläne mit Ihnen besprechen.« Pancho kam zum Tisch. Da fiel sein Blick auf den blonden, hellhäutigen Italiener, der bisher geschwiegen hatte. »Und der da«, sagte er, »weshalb ist dieser Gringo hier?« Der blonde, junge Mann lächelte breit. »Wir Garibaldis, müssen Sie wissen, hatten schon immer etwas gegen Diktatoren.« Der Sieg Pancho Villas bei Ciudad Juárez war der Funke, der ins Pulverfaß gefallen war. Überall in Mexiko brachen Aufstände aus. Chihuahua-City ergab sich ohne Gegenwehr den Truppen, die für Madero kämpften. Damit war der Norden in den Händen der Auf- ständischen, die sich jetzt in Eilmärschen der Hauptstadt näherten. Aus dem Süden zog der Rebell Emiliano Zapata in Richtung Mexico-City. Er hatte sich noch nicht entschieden, ob er seine In- dios dem Kommando Francisco Maderos unterstellen würde. Er hatte vorerst nur ein Ziel: Porfirio Díaz mußte gestürzt werden. Über das, was danach kam, machte er sich wenig Gedanken. Inzwischen saß der einundachtzigjährige Präsident in seinem Ar- beitszimmer im Palacio Nacional und verstand die Welt nicht mehr. Er hatte sich tief zurückgelehnt in seinem Ledersessel und sah mit, seinen großen erstaunten Augen auf seine Frau, die Befehle erteilte, Anweisungen gab und sich immer wieder die neusten Meldungen über die Unruhen in der Stadt und im Lande anhörte. »Wo bleibt Señor Saucillo und Señor Suarez«, fuhr sie den eintre- tenden Adjutanten ihres Mannes an. »Haben Sie den Caballeros nicht gesagt, daß ich sie zu sprechen wünsche? Wo sind sie?« »Nicht mehr in der Stadt, Señora«, meldete der Adjutant. »Was soll das heißen?« »Sie haben mit ihren Familien Mexico-City verlassen.« Señora Díaz verfärbte sich. »Mexico-City verlassen? Wohin sind sie?« »Nach Vera Cruz, Señora. Sie versuchen, ein Schiff nach Le Havre zu bekommen.« »Und Señor Ramos? Luis Zamora?« Um die Lippen des Adjutanten spielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Bedaure, Señora, keine der Familien ist mehr in der Stadt. Die Herrschaften haben in der vergangenen Nacht ihre Autos vollgela- den und sind nach Vera Cruz gefahren.« In das faltige, hagere Gesicht von Señora Díaz stieg eine hekti- sche Röte. Sie ging zu ihrem Mann, faßte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Hast du das gehört, Porfirio?« Sie erwartete keine Antwort. Mit sich überhastender Stimme fuhr sie fort: »Dieses feige, hinterhältige Pack! Hab ich es dir nicht immer ge- sagt, daß es Schmarotzer sind, freche, faule Ratten, die du gemästet hast und die jetzt, da wir sie brauchen, uns bedenkenlos im Stich lassen.« Díaz schwieg. Der drahtige alte Mann, der bis zuletzt das Heft fest in der Hand gehalten hatte, war in den letzten Tagen sichtbar verfallen. War es, daß er nicht begriff, was um ihn herum vorging, war es die plötzliche Einsicht in die Ausweglosigkeit der Situation?, Jedenfalls merkte man dem greisen Präsidenten keine besondere Erregung an. Er schüttelte den Kopf. »Suarez? Sagtest du, daß Suarez verreist ist? Das bedaure ich, meine Liebe, das bedaure ich sehr. Ich hätte gern mit ihm eine Partie Schach gespielt heute abend. Nun ja, dann müssen wir es auf ein andermal verschieben.« Señora Díaz verschlug es die Sprache. Einen Augenblick schwieg sie. Von der Straße herauf tönte Tumult und Geschrei. »Nieder mit Díaz!« »Nieder mit der Tyrannei!« »Viva la Revolución!« »Viva Madero!« »Viva Villa!« Señora Díaz verzog angewidert das Gesicht. »Tu etwas!« fuhr sie ihren Mann an. »Wie kannst du es dulden, daß dieses Pack sich vor unserem Palast zusammenrottet!« Aber Díaz hatte mit der Macht über das Volk zugleich seine Kraft verloren. Er saß in sich zusammengesunken. Sein Kopf wa- ckelte, und er wiederholte immer wieder: »Ich fühle mich sehr elend, wirklich, sehr elend.« Señora Díaz warf ihrem Mann einen verächtlichen Blick zu. In ihren Augen war er ein Tropf, der es nicht verstand, im rechten Moment zu handeln. Jetzt war es an ihr, die Zügel fest in die Hand zu nehmen. Sie handelte sofort, befahl den Chef der Polizei zu sich und for- derte ihn auf zu schießen. »Auf das Volk?« fragte er erbleichend. »Auf diesen Pöbel, ja. Und nun reden Sie nicht lange. Erfüllen Sie Ihre Pflicht.« Señora Díaz wandte dem Mann den Rücken zu und ging zum Fenster. Sie wollte sehen, was da unten geschehen würde. Nach kurzer Zeit klangen scharfe Kommandostimmen zu ihr hin-, auf. »Zurück! Auseinandergehen!« Der Befehl wurde wiederholt. Einen Augenblick stand die Menge unschlüssig. Dann drängten sie auf die Soldaten und Polizisten ein, die mit Maschinengewehren und gefällten Bajonetten vor dem Pa- last standen. Drohrufe wurden laut. Fäuste erhoben sich, dann peitschte eine Maschinengewehrsalve durch die Luft. Mit Schmerzensschreien brachen die Getroffenen zusammen, wälzten sich auf dem Boden. Jetzt loderte die Wut der Menge zu heller Flamme auf. Wie eine riesige Woge stürmten die Massen gegen die schießenden Soldaten. Niemand kümmerte sich um die Verwundeten und Toten. Die to- desverachtende Wildheit kostete Hunderten das Leben. Es waren Frauen und Kinder darunter, die einfach mitgerissen worden waren von diesen Zornesflammen. Señora Díaz stand am Fenster. Sie war leichenblaß, aber in ihren Augen loderte ein fanatisches Feuer. Sie sah unter sich verknäulte, niedergetretene Menschen sich in ihren Qualen winden. Sie sah, wie sich aus schrecklichen Verwundungen und Verstümmelungen Blutströme über die Erde ergossen. Ihr Ohr nahm das Stöhnen und Wimmern nicht auf. Nur die lau- testen, die gräßlichsten Schreie drangen bis zu ihr herauf. Sie emp- fand weder Angst, noch Grauen, noch Mitleid. Nur so etwas wie Genugtuung, ein befriedigtes Rachegefühl war in ihr. Was man ihr und ihrem Mann angetan hatte, war in ihren Augen so ungeheuerlich, daß es nicht zu teuer mit dem Blut des Volkes, das gegen sie rebellierte, bezahlt war. Erst am späten Abend hörte das Schießen, das Schreien und Tö- ten auf. Auf den Straßen lagen mehr als tausend Menschen, Män- ner, Frauen und Kinder in ihrem Blut., Am nächsten Morgen betrat Señor Ramos, der Chef der Polizei- truppen, das Arbeitszimmer des Präsidenten. Er hielt ein Doku- ment in seiner Hand, legte es vor Díaz auf den Tisch, reichte dem schlotternden Diktator den Federhalter und befahl: »Unterschreiben Sie!« »Was … was ist das?« wollte Díaz wissen. »Ihre Abdankungsurkunde.« Díaz nickte. Apathisch nahm er den Federhalter und wollte un- terschreiben. Aber da war schon seine Frau hinter ihm. Mit einer brüsken Be- wegung riß sie ihm die Feder aus der Hand. »Sie sind ein Verräter!« schrie sie Ramos an. »Sie sehen, daß sich der Präsident nicht wohlfühlt. Wie können Sie es wagen, ihm ein derartiges Schanddokument unterzuschieben.« Sie nahm das Papier und warf es Ramos mit einer weitausholen- den Handbewegung vor die Füße. »Ich werde Sie vor ein Kriegsgericht stellen!« schrie sie Ramos an. »Man wird Sie erschießen.« »In diesem Lande geben nicht Sie die Befehle, Señora«, sagte er kalt. Er hob das Dokument auf und zuckte mit den Schultern. »Es steht ganz bei dem Präsidenten, ob er unterschreibt oder nicht. Sie sollten nur wissen, Señora, daß die Abdankung die einzige Mög- lichkeit ist, Ihnen und Ihrem Mann das Leben zu retten.« »Haben Sie den Verstand verloren? Wir haben Soldaten, Polizis- ten …« »Die sich weigern, auf das Volk zu schießen«, fiel ihr Ramos ins Wort. »Ich weiß nicht einmal, wieviel Mann ich noch habe. Sie lau- fen scharenweise über.« »Und das dulden Sie?« schrie ihn Señora Díaz an. Ramos zuckte mit den Schultern. Es hatte keinen Zweck, dieser alten, starren Frau zu erklären, daß er nichts mehr zu dulden hatte. José Ivés Limantour, einer der wenigen Minister, der die Stadt, noch nicht verlassen hatte, kam ins Zimmer gestürmt. Er beugte sich über den Präsidenten, der mit offenem Mund und abwesenden Blicken im Sessel lehnte. »Unterschreiben Sie, Exzellenz«, drängte er. »Vom Süden nähern sich die Horden Zapatas der Hauptstadt und vom Norden her kommt Madero mit diesem Banditen Villa. Vielleicht haben sie schon die Vorstädte erreicht. Dann ist Ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert.« Wieder wurde Díaz die Abdankungsurkunde auf den Tisch gelegt. Wieder drückte man ihm den Federhalter in die Hand. »Unterschreiben Sie«, drängte Limantour. Aber der Präsident unterschrieb nicht. Die Señora, der jetzt auch der Schreck in die Glieder gefahren war, trat auf ihren Mann zu. Sie musterte ihn. Dann wandte sie sich an die beiden Herren. »Es tut mir leid, Caballeros, aber der Präsident kann jetzt nicht mehr unterschreiben. Er ist eingeschlafen.« Die Männer fuhren zurück. In ihren Mienen stand ungläubiges Erstaunen. Sie wußten nicht, was sie tun sollten. Die Situation war von einer makabren Lächerlichkeit. Limantour fand als erster die Sprache wieder. »Dann wecken Sie ihn, Señora«, sagte er kalt. »Aber, Señor!« Limantours Geduld war am Ende. »Caramba, wecken Sie ihn! Sonst gibt es für ihn überhaupt kein Erwachen mehr. Ich bin hierher gekommen, um Ihr Leben zu ret- ten, nicht um den Schlaf eines altersschwachen Greises zu bewa- chen und mir die Narrheiten einer starrköpfigen Frau anzuhören.« »Das ist eine Unverschämtheit!« kreischte Señora Díaz auf. »Ich lasse Sie einsperren, und zwar lebenslang!« »Ach, machen Sie sich doch nicht lächerlich!« Auf dem Platz vor dem Palast wurden wieder Stimmen laut., Die Señora ging zum Fenster. Mehr als das gestrige Blutbad er- schreckte sie die sichtliche Hochstimmung der Menge. Soldaten, Männer und Frauen bildeten eine Kette. »Nach Norden!« schrien sie. Und warfen ihre Sombreros in die Luft. »Viva Madero!« »Viva Villa!« gellte es durch den Morgen. Señora Díaz begann zu zittern. Mit wankenden Knien ging sie zu ihrem Mann und schüttelte ihn. Er schrak hoch. »Was … was erwartet man von mir?« fragte er noch halb im Schlaf. Sie drückte ihm den Federhalter in die Hand. »Unterschreib!« Díaz nahm ihn und setzte seinen Namen unter das Dokument. Er war einunddreißig Jahre, drei Monate und achtzehn Tage Dik- tator von Mexiko gewesen. Über das welke, faltige Gesicht der Señora liefen zwei Tränen. Das graue Haar hing ihr strähnig über die Stirn. Mit ihrer spitzen Nase und den kalten, jetzt matt gewordenen Augen sah sie aus wie ein alter, vom Sturm zerzauster Geier, der nicht mehr die Kraft hat, mit seinem Schnabel zuzuhacken. Über den glänzenden, glatten Marmorboden des Palacio Nacionale stampften die schweren Stiefel Pancho Villas. Sie waren naß und nicht ganz sauber. Jeder Schritt ließ eine Spur von Schmutz und trüben Wassers zurück. Vor der großen Flügeltür zur Bibliothek blieb Pancho einen Au- genblick stehen. Er atmete tief, dann stieß er die Tür auf. Madero, der mit seinem Bruder Raul und Kriegsminister Carranza über eini- ge Schriftstücke gebeugt war, schaute irritiert auf. Als er Pancho Villa sah, runzelte er zunächst die Stirn, aber dann versuchte er ein Lächeln., »Wie schön, Oberst Villa, daß Sie mich besuchen kommen«, sagte er und streckte ihm die Hand entgegen. »Es betrübt mich nur, daß ich im Augenblick so wenig Zeit habe. Ich würde mich Ihnen si- cherlich besser widmen können, wenn Sie meiner Bitte, sich vorher anzumelden, entsprechen würden.« Pancho hörte die leise Ungeduld in Maderos Stimme. »Es tut mir leid, mi Jefe, ich hatte es vergessen.« »Schon gut, amigo.« Madero musterte Villa. Er trug noch immer die abgerissene, schmutzige Jacke, die er getragen hatte, als er das erstemal vor ihm erschienen war. »Wie wäre es, Oberst«, fuhr Madero fort, »wenn Sie zu einem guten Schneider gingen und sich eine neue Uniform anfertigen ließen?« »Es lohnt sich nicht mehr, mi Jefe.« »Wie soll ich das verstehen.« »Ich bin nicht gekommen, Ihnen einen Besuch zu machen. Ich bin gekommen, mich zu verabschieden.« Madero schüttelte den Kopf. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Oberst.« Pancho sah dem Mann, den er mehr als jeden anderen verehrte und bewunderte, in die Augen. »Doch, mi Jefe, es ist mein Ernst, und es ist hohe Zeit, daß ich gehe. In meinen Bergen, auf dem Rücken meines Pferdes, im Kampf inmitten meiner Männer war ich am richtigen Platz. Hier, in Mexico-City, in diesem Palast, zwischen den gelehrten Herren und den feinen Damen fühle ich mich nicht wohl. Und die ande- ren fühlen sich nicht wohl, wenn ich in ihrer Nähe bin. Wofür ich gekämpft habe, ist erreicht. Sie, mi Jefe, sind Präsident der Republik Mexiko. Darüber bin ich glücklich. Jetzt gehe ich zurück zu meiner Frau und zu meinen beiden Kindern. Das jüngste ist eine Tochter. Und ich habe sie noch nie gesehen.« Madero ergriff Panchos Hand. Er fühlte Rührung in sich aufstei-, gen, aber auch so etwas wie Erleichterung. Dieser wilde, ungebär- dige Bursche war großartig im Kampf. Aber hier unter der kultivier- ten Gesellschaft der Hauptstadt, auf dem glatten Parkett diplomati- scher Empfänge, hatte er ihn schon mehr als einmal in Verlegenheit gebracht. »Was wollen Sie denn tun, Oberst?« fragte er. »Glauben Sie denn, daß Sie sich in einem bürgerlichen Leben wohlfühlen werden?« »Ja, mi Jefe. Ja, das glaube ich. Seit meinem sechzehnten Lebens- jahr war ich in den Bergen. Ich habe im Sattel oder auf der Erde ge- schlafen. Und ständig war der Geruch von Blut um mich. Jetzt will ich im Bett schlafen und mit meiner Familie leben. Ich werde mir schon irgendeine Arbeit verschaffen.« Madero nickte. »Gut, mein Freund. Dann werde ich Ihnen einen Brief für Don Abraham, den Gouverneur von Chihuahua mitgeben. Er soll Sie in jeder Weise unterstützen. Gibt es noch etwas, was ich für Sie tun kann?« »Nein, mein Präsident. Ich bin es gewohnt, mir selbst zu helfen. Ich bitte Sie nur um einen Gefallen.« Madero atmete auf. Er war froh, doch noch etwas für den Mann tun zu können, dem er die Herrschaft über Mexiko verdankte und der jetzt ärmer von ihm ging, als er einst zu ihm gestoßen war. »Reden Sie, mein Freund.« »Erweisen Sie mir die Ehre, mich zu rufen, wenn Sie mich brau- chen, mi Jefe.« Madero konnte nicht sprechen. Er drückte die Hand, die er noch immer umfaßt hielt, fester und nickte. Pancho Villa machte eine etwas verunglückte militärische Ehren- bezeugung und schloß die Tür hinter sich. In seinem Zimmer, im Westflügel des Palastes, wartete Pascual Orozco auf ihn. »Was werden Sie jetzt tun?« fragte er Pancho., »Ich werde einen Fleischerladen aufmachen. Einen ganz großen. All die Rinderherden von Luis Terraza werden nicht mehr über die Grenze verkauft werden, damit sich die Gringos die Bäuche voll- schlagen können. Sie werden in Mexiko bleiben und die Peonen und Indios sattmachen. Ich werde gutes Fleisch verkaufen und bil- liges Fleisch. So billig, daß jeder es sich kaufen kann.« Während seiner ganzen Kindheit hatten Pancho und seinesglei- chen kaum jemals einen Brocken Fleisch zu essen bekommen. Jetzt erschien es ihm als die Erfüllung seines Lebens, Fleisch in Hülle und Fülle unter die Landbevölkerung zu bringen. Er merkte gar nicht, daß Orozco ihm gar nicht zuhörte. »Und was werden Sie tun, General?« fragte er. Orozco sprang auf. »Tun!« wiederholte er giftig. »Was soll ich denn tun! Raten Sie mal, was mir diese schäbigen Hunde gegeben haben.« Pancho verstand nicht. Er wußte nicht, wen Orozco meinte und von was er sprach. Orozco beugte sich zu Pancho. »Fünfundzwanzigtausend Pesos! Lächerliche fünfundzwanzigtau- send! Mir, einem Brigade-General der Revolutionsarmee. Dafür habe ich die besten Jahre meines Lebens geopfert. Dafür habe ich meinen Kopf riskiert. Wer hat ihm denn zur Präsidentschaft verhol- fen? Ich! Und jetzt speist man mich mit einem Trinkgeld ab!« Pancho spürte Widerwillen in sich aufsteigen. Mit dem Atem des Mannes, der sich in ohnmächtigem Zorn vor ihm abzappelte, schlug ihm der scharfe Geruch von Kaktusschnaps entgegen. Er wi- derstand der Regung, Orozco in das rote, wutverzerrte Gesicht zu schlagen. Mit einem verächtlichen Lächeln fragte er: »Und was hatten Sie sich denn erwartet, mein General?« »Was ich erwartet habe? Das habe ich denen gesagt. Und zwar mit allem Anstand. Ich habe Madero gebeten, mir einen Palast in Mexico-City zu geben und fünfzigtausend Pesos.«, Pancho pfiff durch die Zähne. Orozco beugte sich vor. »Und was hat man Ihnen gegeben, Villa?« »Genau das, worum ich gebeten habe.« »Und was ist das?« »Nichts.« Orozco kniff die Augen zusammen. Er begriff nicht. Seine Zähne gruben sich in die Unterlippe. Nach einer Weile sagte er: »Sie sind ganz schön raffiniert, Villa. Jetzt weiß ich, worauf Sie hinaus wollen.« »Ich will auf gar nichts hinaus.« Pancho wandte sich ab. Er hatte nur den einen Wunsch, aus diesem Zimmer zu kommen, aus dieser Stadt. Seit sie Mexico-City betreten hatten, war alles anders gewor- den. Hier war nicht mehr die Rede von Revolution, hier waren nur noch Kriecherei, Habsucht, die Jagd nach Ämtern. Das lächerliche, verächtliche Karussell der Eitelkeiten war in Schwung gekommen. Pancho ging zur Tür. Aber Orozco stellte sich ihm in den Weg. Seine Augen glühten, und sein Atem ging heftig. »Hören Sie zu, Kamerad«, sagte Orozco und faßte Pancho am Arm. »Wir zwei waren es, die ihn an die Macht gebracht haben. Wir zwei können ihn wieder stürzen. Wenn wir zusammenstehen, dann gehört Mexiko uns.« Pancho nahm Orozcos Hand von seinem Arm. Seine Augen blickten kalt, und seine Stimme war eisig. »Jetzt hören Sie mir ein- mal zu, mein General. Sie haben fünfundzwanzigtausend Pesos be- kommen. Das ist mehr Geld, als Sie sich je erträumen konnten. Nehmen Sie es, und gehen Sie zurück in den Laden, wohin Sie ge- hören. Sie sind ein Krämer, und ich rate Ihnen gut, es zu bleiben. Sollten Sie sich jedoch entschließen, ein Verräter zu werden, dann werde ich Sie töten, so wahr ich Pancho Villa heiße. Adiós.« Er stieß Orozco zur Seite, verließ den Palast und Mexico-City., Die Zeit von Mai 1911 bis Januar 1912 war die glücklichste in Pan- chos Leben. Er war zu Hause in San Andrés, bei Lucita, dem Mäd- chen, das er geheiratet, das ihm zwei Kinder geboren und das er noch gar nicht kannte. Jetzt stellte er erstaunt fest, was für eine zärtliche, hingebungs- volle, opferbereite Frau sie war. Pancho warf sich mit dem gleichen Eifer ins Familien- und Ge- schäftsleben, mit dem er sich einst in den Kampf geworfen hatte. Ein paar Freunde waren ihm gefolgt. Und seine tägliche Auffor- derung an sie, glücklich zu sein, das Leben zu genießen, war von fast kindlichem Enthusiasmus. »Por Dios!« pflegte er zu sagen. »Schaut mich an, mich Pancho Villa! Den Bauern, den Fleischer! Jetzt weiß ich, wofür Madero und ich gekämpft haben. Das ist Freiheit und Frieden, Freunde! Keine Schüsse, keine Toten! Nur leben …!« Als es Nacht wurde, nahm er Lucita in die Arme. »Warst du mir treu, kleines Mäuschen?« »Und du?« »Ich hab dich zuerst gefragt.« »Ja. Aber ich hab von dir geträumt.« »Jede Nacht?« »Jede Nacht, mein Panchito. Und du?« Er verschloß ihr den Mund mit einem Kuß. Sie drehte den Kopf zur Seite. »Warum antwortest du mir nicht?« schmollte sie. »Worauf soll ich dir denn antworten?« »Ob du von mir geträumt hast. Ob du mir treu warst?« »Kleines Mäuschen …« »Du warst es nicht. Du Schurke, du, warst du mir treu?« »Mein Mäuschen …« Sie schlug ihre kleinen Fäuste gegen seine Brust. »Ich hasse dich, du hast mich betrogen. Du bist ein gemeiner,, treuloser Schuft. Laß mich los.« »Sei nicht dumm, kleines Mäuschen.« »Laß mich, du lügst. Ich will dich nicht mehr sehen. Mach, daß du fortkommst.« »Was redest du für einen Unsinn, kleines Mäuschen. Ich habe gekämpft. Ich war schmutzig, verschwitzt, blutig, zu Tode er- schöpft. Wie kann ich da an Frauen denken?« »Du kannst es. Du kannst alles. Ich weiß es.« Er legte seine Hand auf ihren Mund. »Sei still, mein kleines Mäuschen.« Sie prustete, versuchte seine Hand wegzustoßen. »Willst du wohl still sein?« fragte er ganz nahe an ihrem Ohr. Sie nickte. Er nahm seine Hand von ihrem Mund und küßte sie. »Ist jetzt alles gut, kleines Mäuschen?« »Ja, Panchito, ja, es ist alles gut.« Panchos Geschäfte gingen gut. Er kaufte die Herden von der Ranch, die jetzt dem Staat gehörte, ließ sie schlachten und verkauf- te das Fleisch mit mäßigem Gewinn in San Andrés und Chihuahua- City. Bald hatte er mehrere Läden, und in San Andrés hatte er sich eine kleine Farm gekauft. Lucita blühte auf. Die Wandlung ihres Mannes vom Banditen zum Kaufmann erfüllte sie mit Stolz und Genugtuung. Sie war eine Bürgersfrau geworden. Und sie dankte Pancho diesen Aufstieg mit stürmischer Bewunderung. »O mein Panchito, mein berühmter Panchito!« begrüßte sie ihn, wenn er am Abend nach Hause kam. »Du bist ein großer Ge- schäftsmann, so wie die reichen Americanos.« Sie umarmte ihn und zog ihn ins Kinderzimmer. Und Pancho kniete sich auf den Fußboden zu seinem Sohn Antonio und seiner kleinen Tochter Juanita und redete in einer wirren, närrischen Ba-, bysprache mit seinen Kindern. Am 25. Januar 1912 erhielt Pancho Villa ein Telegramm. Es kam aus Mexico-City. Francisco Madero rief ihn. Pascual Orozco hatte sich gegen den Präsidenten erhoben. Und wieder brannte das Land. Die Peonen und Indios, die vierzig Jahre lang in einer Art Leibeigenschaft gelebt hatten, konnten jetzt nicht vierzig Tage auf das versprochene Land warten. Der Name Orozco war ihnen aus den Revolutionskämpfen bekannt. Und als ihnen der General sagte, sie seien um den Lohn ihres Kampfes be- trogen worden, zogen sie mit ihm. Bald war ein großer Teil der Provinz Durango in der Hand Orozcos. Pancho Villa war zurück in die Sierra geritten. Hier in seinen Bergen, wo er jeden Pfad und jedes Tal kannte, wollte er die alten Getreuen wieder um sich sam- meln. Und sie kamen. Sie verließen die Slums der Städte, ihre kleinen Ranchos und Felder und Äcker, ihre Frauen und Kinder und stell- ten sich wieder an Panchos Seite. Am zehnten Tag, nachdem er sein Lager in den Bergen aufge- schlagen hatte, meldete ihm ein junger Soldat, daß einige Männer ihn zu sprechen wünschten. »Bring sie zu mir«, sagte er kurz. Aber noch bevor der Bursche seinen Auftrag erfüllen konnte, preschten an die fünfzig Reiter ins Lager. Pancho sah ihren Anführer, einen rotgesichtigen, hageren Mann, auf dessen Gesicht ein breites Lachen lag. Pancho sprang auf und breitete die Arme aus. »Urbina! Mi compadre! Wo, zum Teufel, kommst du her?« Urbina sprang vom Pferd und umarmte Pancho. »Aus dem Himmel, mein Freund, direkt aus dem Himmel!« »Wo ist der, compadre?«, »In Las Nieves, mein Rancho. Da hättest du sein müssen, Freund!« Er schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen. »Da gab es Frauen, schön wie der junge Morgen und tempera- mentvoll! Und Schnaps, Junge, in Hülle und Fülle! Ich habe gelebt wie ein reicher Haciendero. Es war das Paradies, amigo.« »Und trotzdem bist du gekommen, Freund?« Urbina lachte. »Wo werd' ich denn nicht! Als ich gehört habe, daß dieser Hun- desohn Orozco gegen deinen kleinen Präsidenten vom Leder zieht, da wußte, ich, daß Pancho Villa wieder reitet. Ich habe meine Freunde zusammengetrommelt. Und hier sind wir, mi Colonel.« »Ich bin kein Oberst mehr. Präsident Madero hat mich zum Ge- neral ernannt.« Urbina schlug sich auf die Schenkel. »Zum Teufel, das nenne ich eine Karriere! General Villa!« Panchos Rücken straffte sich. »Jawohl, kein Bandit und kein Guerillero mehr, sondern General der Regierungstruppen!« »Und wo sind deine Truppen, General?« »In der Nähe von Mapimi. In der ganzen Gegend wimmelt es von Orozcos Banden. Wir haben fünfhundert Mann, Urbina. Wir werden uns durchschlagen müssen.« »Si, mi General! Das ist ein Wort nach dem Herzen eines alten Banditen! Wann brechen wir auf?« »Morgen, bei Sonnenaufgang.« Pancho und seine Männer kamen wie ein Sturmwind über Duran- go. Das Volk, das plötzlich merkte, daß der Volksheld Villa nicht mehr Seite an Seite mit Orozco kämpfte, wandte sich mit erbitter- tem Zorn gegen den Mann, dem es noch eben gefolgt war. Und Pancho kannte keine Gnade. Er nahm keine Gefangenen. Auf dem Schlachtfeld, das er verließ, gab es keine Überlebenden. Pancho war unfähig, in Nuancen oder Schattierungen zu denken,, zu fühlen oder zu handeln. Für ihn war alles grenzenlos: die Liebe und der Haß, der Krieg und der Frieden, die Treue und der Verrat. Und jetzt haßte Pancho. Canutillo und Conejos eroberte er im Handstreich. Der nördliche Teil Durangos war freigekämpft, als er in Mapimi einzog. Ein junger Leutnant mit etwa zwanzig Mann war ihm entgegen- geritten und geleitete ihn in eine Schule, in der er sein Hauptquar- tier aufschlagen sollte. Pancho wunderte sich. »Ich glaubte, Mapimi sei noch in den Händen von Orozco.« »Es war, mein General. General Huerta hat es freigekämpft.« »General Huerta? Wer ist das?« »Der Oberkommandierende der Regierungstruppen.« Pancho spürte, wie sein Herz einige harte, schnelle Schläge tat. Der Oberkommandierende der Regierungstruppen? Als Madero ihn zum General ernannt hatte, war er der Meinung gewesen, das sei er. Etwas wie Bitterkeit wollte in ihm aufsteigen. Erst hatte man ihm Orozco vor die Nase gesetzt, und das war ein Verräter. Jetzt Huer- ta. Aber Panchos Treue und Verehrung für Madero war viel zu groß, als daß er gegen eine Anordnung seines ›kleinen Präsidenten‹ rebelliert hätte. In der Schule war ein großer Raum für ihn hergerichtet. Ein Bett stand darin, ein Tisch, einige Stühle und sogar ein Teppich lag auf dem Boden. Ein Hauptmann wartete auf ihn. »General Huerta hat mich Ihnen zugeteilt, mein General.« »Wozu?« fragte Pancho. »Als Ihren Ordonnanzoffizier.« »Brauch ich nicht. Ich habe meine eigenen Leute.« Der Hauptmann schlug die Hacken zusammen. »Ich soll Ihnen das überreichen, mein General.« Es war ein Brief. Pancho nahm ihn. Als er die Unterschrift sah,, bedeckte sich sein Gesicht mit einer freudigen Röte. Das Schreiben kam von Francisco Madero. Pancho hielt es unschlüssig in der Hand. Wie immer, wenn er daran erinnert wurde, daß er nicht lesen konnte, erfüllte ihn Scham und Zorn. Er gab das Schreiben dem Hauptmann. »Lesen Sie vor!« befahl er barsch. Der Hauptmann warf ihm einen erstaunten Blick zu, dann las er: »Pancho, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer unwandelbaren Treue, und ich hoffe, daß sich daran nie etwas ändern wird. Alles, was Sie be- nötigen, Ausrüstung und Verpflegung, werden Sie von Señor Gene- ral Huerta erhalten. Ich wäre außerordentlich erfreut, wenn Sie mit diesem Caballero zu einem guten Einvernehmen kommen würden. Francisco Madero« Pancho nahm den Brief zurück, faltete ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche. Ein gutes Einvernehmen erwartete sein kleiner Präsident von ihm. Nun ja, er würde tun, was Madero von ihm wollte, heute und mor- gen und bis zu seinem Tod. Er wandte sich an den Hauptmann. »Sagen Sie General Huerta, daß ich seine Befehle erwarte.« Eine halbe Stunde später stand Pancho vor seinem Oberkom- mandierenden. Huerta hatte in einem geräumigen Landhaus Quar- tier bezogen. Als Pancho eintrat, versuchte er, sich zu erheben. Einen Augen- blick stand er auf seinen schwankenden Beinen, dann fiel er wieder zurück in den Ledersessel. »Komm, Kamerad, setz dich zu mir«, sagte Huerta mit schwerer Zunge. »Komm und trink mit mir, Kamerad.« Pancho blieb wie angewurzelt stehen. Dieser kleine betrunkene Kerl, mit dem glatzköpfigen Schädel und dem Zwicker vor den, kurzsichtigen Augen sollte sein Oberkommandierender sein? Dieser geschleckte Affe in Uniform mit den Orden auf der Brust sollte die Revolution verteidigen? In Pancho mischten sich Empörung und Widerwillen. »Nun setz dich schon, Kamerad«, krähte Huerta. »Zu Befehl.« Pancho setzte sich an die andere Seite des Tisches. »Einschenken!« befahl Huerta. Ein junger Leutnant füllte die Gläser. »Auf dein Wohl, Kamerad! Auf unser Wohl!« rief Huerta. Pancho wehrte ab. »Ich trinke nicht.« Huerta starrte ihn verblüfft an. Dann lachte er so, daß er sich den Zwicker von der Nase nehmen mußte, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen. »Trinkt nicht! Hat man so etwas schon gehört! Der berühmte Pancho Villa trinkt nicht!« grölte er. »Jetzt sag mir bloß, Pancho, woher hast du deinen Ruf, ein verdammter Kerl zu sein? Sind es deine Stiefel? Verdammt, Bursche, was hast du für dreckige klobige Stiefel!« Er stemmte sich hoch, kam schwankend um den Tisch herum und nahm vor Pancho Aufstellung. »Ich will auch solche Stiefel, Señor General. Gib mir deine Stiefel. Dann werden mich die Señoritas auch für einen verdammten Kerl halten. Und dann werden wir … dann werden wir …« Er rülpste und hielt sich am Tisch fest. Pancho stand auf und trat einige Schritte zurück. Der Schnapsge- ruch, der aus Huertas Mund kam, machte ihm Übel. Huerta kam ihm nach und packte ihn am Arm. »Wovon sprach ich doch gleich? Ach ja, paß auf: Ich und du, wir werden diesen dreckigen Schweinekerl Orozco schlagen, zu Klum- pen werden wir ihn schlagen, ich und du, Bruderherz, nicht wahr?« »Zu Befehl, General.« »Aber deine Uniform, Panchito …« Huerta hatte seinen Zwicker, wieder aufgesetzt und musterte ihn von Kopf bis zu den Füßen. »Deine Uniform, Panchito, gefällt mir nicht. Zerknautscht, dreckig, stinkig. Keine schöne Uniform, Panchito.« Huerta griff hinter sich, nahm ein Glas vom Tisch und trank es in einem Zug aus. Seine Augen verschleierten sich. Aus seinem Mundwinkel troff Speichel. »Drecksuniform, Sauuniform!« schrie er plötzlich. »Was erlauben Sie sich, so vor Ihrem General zu erscheinen! Ziehen Sie sich eine anständige Uniform an!« »Zu Befehl, General!« Huerta stolperte. Pancho sprang rasch hinzu und hielt ihn fest. Huerta sah ihn erstaunt an. »Was … was sagte ich doch gleich?« »Sie befahlen mir, eine andere Uniform anzuziehen.« »Ja … ja … das war es: eine andere Uniform. Du bist ein ver- dammter Kerl, Panchito. Wir werden Freunde sein. Aber eine an- dere Uniform mußt du anziehen, hörst du? Eine andere Uniform.« »Zu Befehl, General.« Pancho ließ Huerta in den Sessel fallen und verließ den Raum. Tage und Wochen im Sattel, auf dem Schlachtfeld. Kämpfe am Morgen und am Abend. Ritte in der Nacht. Aber Durango war wie- der frei. Orozco floh nach Norden. Widerwillig mußte sich Pancho eingestehen, daß diese Siege nicht allein sein Verdienst waren. General Victoriano Huerta war ein Trunkenbold und Weiberknecht, aber er war ein großartiger Soldat. Er kämpfte voller Energie und mit taktischem Geschick. Was ihn in Panchos Augen so verächtlich erscheinen ließ, war die Tatsache, daß Huerta bereits unter Díaz Offizier gewesen war. Hu- erta kam es nicht darauf an, welcher Sache er diente; ihm ging es allein darum, Ruhe und Ordnung herzustellen. Pancho Villa und, Victoriano Huerta waren wie Feuer und Wasser. Mit seiner Division del Norte überschritt Pancho die Grenze zwi- schen Durango und Chihuahua. Immer näher kam er jener Ge- gend, in der er als Bandit gelebt, wo er zum erstenmal gekämpft und getötet hatte. Immer näher kam er jenem Ort, an dem sein Vater gestorben war, in dem seine Kindheit, seine Ängste und Leiden und seine Träume vom Frieden begraben lagen. »Komm mit, Urbina«, sagte Pancho eines Morgens. »Laß uns auf die Hacienda de Gogojita reiten.« »Welchen Sinn sollte das haben, Panchito?« »Keinen, amigo. Ich will sie nur einmal wiedersehen.« »Niemand von deiner Familie ist mehr da.« »Nein, niemand mehr. Die Schwestern sind verheiratet. Und mei- nem Bruder habe ich einen Posten in Juárez verschafft.« »Also laß uns weiterreiten.« Pancho schüttelte den Kopf. »Nein, einer ist noch da. Vielleicht … Don Luis Terraza.« »Du Narr!« sagte Urbina, aber er ritt hinter Pancho her. Sie erreichten die Hacienda am Nachmittag. Die Division del Norte hatte in Santa Rosalia Quartier bezogen. Pancho hatte sich nur von einigen Freunden begleiten lassen. Am großen Eingangstor standen Don Luis Terraza, seine Frau, seine beiden Töchter, der Verwalter und einige Dienstboten. Pan- chos Lippen waren schmal. Er biß die Zähne so hart aufeinander, daß die Backenknochen heraustraten. »Buenos dias, Don Luis.« Panchos Stimme klang gleichgültig. Terraza verbeugte sich. »Habe ich die Ehre, mit dem berühmten General Francisco Villa zu sprechen?« »Laßt den General Villa beiseite«, antwortete Pancho. »Der Mann, der Ihnen einen Besuch abstatten will, ist Doroteo Arango.«, »Doroteo Arango?« »Sie erinnern sich nicht, Don Luis?« Um Panchos Mund lag ein böses Lächeln. »Denken Sie doch einmal nach, Don Luis. Mein Va- ter war Augustin Arango. Er starb, weil er das Geld für den Arzt nicht hatte. Und meinem Großvater haben Sie das Land genom- men, das ihm gehörte. Es war wenig Land, gerade so viel, daß wir satt zu essen hatten. Sie hätten es nicht gebraucht, Don Luis. Sie wollten es nur haben, weil es die Grenzziehung erleichterte. Und Sie haben es sich genommen. Ohne zu fragen, ohne dafür zu be- zahlen.« »Damit habe ich nichts zu tun«, wehrte Don Luis ab. »Ich habe dieses Land von meinem Vater geerbt.« »So, so, geerbt haben Sie es also.« Pancho stieg vom Pferd. Er nahm seinen Sombrero ab und fächelte sich mit ihm gemächlich Luft zu. »Schön, wenn man etwas erbt, nicht wahr? Mein Erbe hat leider Ihr Vater gestohlen.« Don Luis verfärbte sich. Er gab seiner Frau und seinen beiden Töchtern einen Wink, ins Haus zu gehen. Nachdem sich die Damen entfernt hatten, trat er auf Pancho zu. »Es ist besser, General, wenn wir diese Angelegenheit unter uns Männern besprechen. Sie werden mir zugestehen, daß ich Dinge, die mein Vater, getan hat, nicht zu verantworten habe. Aber ich kann sie wiedergutmachen. Und das will ich in einer Weise tun, die alle Ihre Wünsche befriedigt.« »Das glaube ich kaum.« Pancho lächelte nicht mehr. Seine bern- steinfarbenen Augen blitzten drohend. Es lag Haß in ihnen. Don Luis sah es, und er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stir- ne trat. »Soll ich Ihnen meinen Rücken zeigen, Don Luis?« fragte Pancho. »Er ist voller Narben. Als ich fünfzehn war, schlugen mir Ihre Auf- seher das Fleisch von den Rippen. Und wissen Sie weshalb, Don Luis? Weil ich nicht länger wie ein Sklave auf Ihren Feldern schuf-, ten wollte. Weil ich frei sein wollte, um meine Mutter und meine Geschwister vor dem Hungertod zu bewahren. Haben Sie das auch nicht zu verantworten, Don Luis?« Die Stimme Terrazas flatterte. »Das war Sache meiner Aufseher, meiner Verwalter. Ich weiß nichts davon.« »Es kommt ein Tag, an dem man wissen muß und an dem man sich verantworten muß. Heute, Don Luis, ist so ein Tag.« Es klang, als hätte Pancho ein Todesurteil gesprochen. Tomás Urbina war neben seinen Freund getreten. Er hielt den Re- volver im Anschlag. Terraza, dem noch eben der Schweiß von der Stirn gelaufen war, erschauerte. Eine Gänsehaut lief ihm über Arme und Rücken. Die- ser Villa, das war ihm klar, war gekommen, ihn umzubringen. Er würde ihn erschießen, erhängen oder ganz einfach erschlagen. Er, Luis Terraza, stand vor diesem ehemaligen Landarbeiter wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor der Schlange. Wenn es ein anderes Leben gab, dann würden ihn diese bernsteinfarbenen Augen auch da nicht mehr loslassen. Diese Blicke würden ihn bis zum Jüngsten Tag verfolgen. Später wußte Terraza nicht mehr, woher er den Mut genommen hatte, diesen Blicken standzuhalten, wie er es fertiggebracht hatte, gegen den schon beschlossenen Mord an ihm zu revoltieren. »Sie sind ein General Präsident Maderos«, sagte er mit einer Stim- me, die nicht ihm zu gehören schien. »Sie kämpfen, daß in diesem Land Gesetz und Gerechtigkeit herrschen. Wenn Sie mich jetzt und hier ohne Gerichtsurteil erschießen, dann verraten Sie Madero ebenso, wie es Orozco getan hat. Haben Sie jedoch eine private Rechnung mit mir zu begleichen, so tun Sie es fair und anständig, Mann gegen Mann.« Pancho schoß das Blut ins Gesicht. Er hob die Faust, aber der Arm, der hochgeschnellt war, fiel wieder herab. In den aufwallen- den Zorn hatte sich Verblüffung gemischt. Diese Worte hätte Ma-, dero sprechen können. Wie war es möglich, daß so ein hundsfötti- scher Haciendero ebenso argumentierte wie sein verehrter Präsi- dent? Der Haß, die Rachsucht, der Zorn fielen in sich zusammen. Hilflosigkeit überkam ihn. »Er hat ja recht«, sagte er leise vor sich hin. »Caramba, er hat ja recht.« Pancho wandte den Blick ab, verschränkte die Arme auf dem Rü- cken und ging um Terraza herum. Nach einigen Sekunden blieb er vor ihm stehen. »Das heißt also, daß Sie lieber erschossen als gehängt werden wol- len. War es das, was Sie mir sagen wollten?« »Ja, mein General. Und noch etwas will ich Ihnen sagen: Wenn das ein Zweikampf und kein Mord sein soll, dann befehlen Sie Ihren Männern, meine Hacienda zu verlasen und meine Familie zu verschonen, wer immer von uns beiden überleben wird.« Jetzt hatte Pancho seine Überlegenheit zurückgewonnen. Er lachte schallend. »Wer immer von uns beiden überleben wird?! Sie sind ein Witz- bold, Don Luis. Aber ich verspreche Ihnen, Ihre Frau und Ihre Töchter nicht anzurühren. Sie haben nicht die leiseste Chance ge- gen mich.« »Das weiß ich, General Villa.« Urbina trat an Panchos Seite. »Warum sprichst du mit diesem Dreckskerl? Er ist es nicht wert, daß du auch nur das Wort an ihn richtest. Reite zurück nach Santa Rosalia. Den da erledige ich für dich.« Pancho stieß ihn zurück. »Misch du dich nicht ein, Urbina!« Er wandte sich an Terraza. »Sie sind ein schlauer Fuchs, Don Luis. Was Sie mir da eben gesagt haben, ist doch wohl folgendes: Wenn ich Sie ohne Gerichtsurteil töte, ist das Mord. Wenn ich mich aber mit Ihnen schieße, ist das soviel wie Mord. Was also, schlagen Sie vor?« Terraza spürte, wie der ungeheure Druck von seiner Brust wich. Mit einem tiefen Atemzug sog er die frische, köstliche Luft ein. »Wenn ich oder meine Familie Ihnen unrecht getan hat, mein General, so bitte ich Sie um Vergebung. Und ich bin bereit gutzu- machen, so weit man begangenes Unrecht gutmachen kann. Ver- mögen habe ich nicht mehr. Das Land kann ich nicht verschenken, denn der Präsident will es aufteilen. Die Hälfte meines Viehs haben die Rebellen über die Grenze getrieben, die andere Hälfte hat Oroz- co genommen. Aber ich habe noch einige Pferde. Und vier von ihnen sind die schönsten und edelsten von ganz Mexiko. Erlauben Sie mir, mein General, sie Ihnen zum Geschenk zu machen.« »Bring sie her!« Panchos Ton war unwillig. Er konnte sich nicht verhehlen, daß seine Auseinandersetzung mit Terraza einen höchst unerwünschten Verlauf genommen hatte. Urbina sagte es gerade heraus. »Wir sind nicht hierhergekommen, um uns Pferde schenken zu lassen, sondern diesen Bastard und das ganze Gezücht zur Hölle zu schicken. Hast du den Verstand verloren, daß du dich derart von ihm beschwatzen läßt?« Pancho war es unbehaglich zumute. Er mochte sich nicht einge- stehen, daß er sich der Situation nicht gewachsen fühlte. »Wir sind keine Banditen mehr und keine Rebellen«, sagte er schroffer als beabsichtigt. »Wir sind Offiziere der Regierung von Mexiko und seines Präsidenten. Merk dir das, Urbina.« In diesem Augenblick kam Terraza mit zwei Stallknechten zurück. Sie führten die vier Pferde am Zügel. Pancho mußte sich eingestehen, daß er nie zuvor schönere Tiere gesehen hatte – bis auf ›Satan‹. Aber dem hatte er vor zwei Jahren den Gnadentod geben müssen. »Wie gefallen sie Ihnen, mein General?« fragte Terraza. »Caramba, das sind prachtvolle Rösser!« Pancho untersuchte ihre, Nüstern, ihre Zähne, ihre Gelenke und ihre Ohren. »Sie sind fehlerlos, mein General«, sagte Terraza. »Wenn Sie sie annehmen würden, wäre ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet. Ich hätte das beruhigende Gefühl, einen Teil meiner Schuld beglichen zu haben. Und Sie, General Villa, würden die schönsten Pferde von ganz Mexiko Ihr eigen nennen.« Pancho lachte. »Der Handel gilt, Don Luis, unter einer Bedingung.« »Sie ist im voraus erfüllt.« »Sie müssen mir Ihr Wort geben, alle Schuldbücher, die auf Ihren Haciendas und Ranchos geführt werden, zu verbrennen.« »Sie haben es, mein General.« Pancho schwang sich auf sein Pferd und gab seinen Männern ein Zeichen, die vier Rösser am Zügel zu führen. »Ich komme wieder, Don Luis!« rief er. »Und wenn ich dann noch ein einziges Schuldbuch finde, dann werfe ich sie ins Feuer und Sie, Don Luis, auch.« »Vaya con dios, mein General!« rief Terraza und schaute Pancho nach, bis sich die Staubwolken, die von den Hufen der Pferde auf- gewirbelt worden waren, verzogen hatten. Dann ging er ins Haus. Einen Augenblick dachte er nach. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, nahm einen Federhalter und einen Briefbogen. Er wählte die Worte sorgfältig und schrieb sie in seiner gestochenen Handschrift nieder. Zum Schluß schrieb er die Adresse: »General Victoriano Huerta.« Noch in der gleichen Nacht fuhr Luis Terraza nach Vera Cruz und belegte für sich und seine Familie Plätze auf dem nächsten Schiff, das nach Frankreich fuhr. Immer unterwegs. Immer zu Pferde. Manchmal ein paar Stunden, Schlaf unter einem Strauch. Selten eine ruhige Nacht in einem schnell requirierten Haus. Der Feind war in der Übermacht. Orozco hatte 8.500 Mann unter Waffen. Huerta und Villa brachten es zusammen nur auf 6.500 Mann. Trotzdem trieben sie ihn vor sich her. Huerta war der überlegene Taktiker, der die Schlachten Napoleons studiert hatte. Villa war der todesmutige Draufgänger, der weder nach Gunst noch Ungunst der Stunde fragte und über den Feind herfiel wie ein Tiger, der ständig auf dem Sprung war. Sie ergänzten sich gut, der Oberkommandierende und sein Gene- ral, und sie brachten Orozco so viele Niederlagen bei, bis er mit den Resten seiner geschlagenen Armee über die Grenze in die Ver- einigten Staaten floh. Der Norden Mexikos war befreit, von Huerta und Villa. Aber als die beiden Sieger in die Stadt Parral einritten, da schien es nur ei- nen Sieger zu geben: Pancho Villa. Es war, als sei eine Massenhysterie ausgebrochen. Die Menschen schrien, jubelten, schluchzten »Viva, Villa!« Die Mädchen rissen sich ihre Tücher von den Schultern und leg- ten sie auf den Weg, über den Panchos Pferd trabte. Sie warfen ihm Blumen zu, und die Männer schlossen sich seinen Soldaten an und waren nur von dem einen Wunsch beseelt: In Panchos Armee auf- genommen zu werden. An diesem 2. Juni des Jahres 1912 war Pancho Villa der Retter, der Held, der Abgott eines ganzen Volkes. Huerta ritt neben ihm, blaß, fahl, mit verkniffenem Gesicht und bösen Augen. Er gab nichts um Volkes Liebe oder Volkes Gunst. Aber das hier, dieser frenetische Jubel, diese schrankenlose Begeiste- rung, die nicht ihm galt, sondern diesem Räuber und Banditen, die- sem ungehobelten Analphabeten, fraß in seinen Gedärmen und trieb ihm das Blut in die Stirn. Er hatte ihn nie gemocht, diesen bäurischen Rundschädel mit, den struppigen roten Haaren, der nicht rauchte und nicht trank und sich nur wohl fühlte, wenn er mit seinen Landsknechten im Sattel saß. Bisher hatte er Villa gebraucht. Ohne ihn hätte er Orozco nie be- siegen können. Er, Huerta, brachte es nicht fertig, neunzig Stunden ohne Schlaf hinter dem Flüchtenden herzuhetzen. Das hatte Villa getan. Und jetzt saß dieser Bursche zu Pferde, lachte und winkte mit seinem Sombrero, als hätte er keine Anstrengungen und Strapa- zen hinter sich. Huerta biß die Zähne zusammen. Lange würde er Villa nicht mehr ertragen müssen. Die Schlacht war gewonnen. Und wenn er heute abend in seinem Quartier angekommen war, dann würde er endlich den Brief verwerten können, der seit einigen Wochen in sei- ner Tasche steckte. Er trug die Unterschrift von Don Luis Terraza. »Mein General, ich bringe Ihnen den Befehl General Huertas. Er er- wartet Sie sofort zum Rapport.« Pancho fuhr auf. Er war todmüde. Nur mit Mühe konnte er die Augen offenhalten. Er blinzelte. Vor ihm stand Kapitän Navarrete, ein Ordonnanzoffizier Huertas. Pancho gähnte herzhaft. »Sagen Sie dem General, ich werde kom- men, wenn ich ausgeschlafen habe.« Pancho legte sich wieder hin und schloß die Augen. »Pardon, mein General«, sagte Navarrete. »General Huerta will Sie unverzüglich sprechen.« Pancho stieß einen Fluch aus. »Dann sagen Sie Ihrem General, daß er sich zum Teufel scheren soll. Ich war neunzig Stunden im Sattel. Und jetzt bin ich müde und will schlafen. Und nun trollen Sie sich, Kapitän.« Pancho legte sich auf die andere Seite, räkelte sich ein bißchen, und war schon wieder eingeschlafen. Wie lange er geschlafen hatte, wußte er nicht. Mit dem Instinkt eines Tieres, das im Augenblick der Gefahr hellwach ist, sprang er plötzlich auf die Füße. Im Raum stand Navarrete und Kapitän Hernandez. Hinter den beiden sah er noch einige Leutnants und Soldaten. »Was soll das heißen?« fragte Pancho. »Es … es tut mir leid, mein General«, antwortete Navarrete. »Aber Sie stehen unter Arrest.« Pancho riß die Augen auf. »Was? Was sagen Sie?« Dann schüttelte er den Kopf. »Verdammt noch mal, ich bin jetzt nicht aufgelegt zu spaßen.« »Das ist kein Spaß, mein General, leider. Ich habe den Befehl von General Huerta, Sie zu entwaffnen und unter Bewachung in sein Hauptquartier zu bringen. Dort werden Sie bis morgen früh um vier festgehalten werden.« Pancho war noch immer nicht bereit, die Angelegenheit ernst zu nehmen. »Bis morgen früh um vier? Wieso bis morgen früh um vier? Und was geschieht dann?« »Dann werden Sie erschossen. Von einem Exekutionskomman- do.« Pancho riß die Augen auf. Dann schlug er sich auf die Schenkel und lachte laut und schallend. »Erschossen!« prustete er. »Erschossen! Und dann sagen Sie, das sei kein Spaß.« Aber niemand im Raum wollte in sein Gelächter einstimmen. Die Männer sahen blaß und verstört aus. Pancho strich sich das struppige Haar aus der Stirn. Er schaute von einem zum anderen, in der Hoffnung, ein Augenzwinkern, ein halbes Lächeln wahrnehmen zu können. Aber die Männer wichen seinen Blicken aus., »Erschossen? Sagten Sie erschossen?« fragte Pancho ungläubig. »Ja, mein General.« »Und wofür will man mich erschießen?« »Die Anklage lautet auf Befehlsverweigerung und Pferdediebstahl. Das Militärgericht hat Sie für schuldig befunden und in Abwesen- heit zum Tod durch Erschießen verurteilt.« Pancho schwankte hin und her wie ein Ochse, dem man mit einem Hammer vor den Kopf geschlagen hatte. »Bitte, folgen Sie mir, mein General.« Navarrete gab sich keine Mühe mehr, zu verbergen, wie peinlich es ihm war, diesen Befehl ausführen zu müssen. Pancho griff nach seinem Gewehr und dem Gurt, in dem seine Revolver steckten. »Bedaure, mein General, aber Sie dürfen sich nicht mehr bewaff- nen.« Pancho legte seine Waffen auf das Bett. Hinter seiner Stirn jagten die Gedanken. Natürlich war das alles Unsinn. Natürlich konnte man ihn weder verhaften noch gar erschießen. Dieser verdammte Huerta hatte ihn nie leiden mögen. Er ihn übrigens auch nicht. Und nun wollte dieser räudige Bastard ihm einmal zeigen, wer hier der Oberkommandierende war. Pancho zog die Mundwinkel herab. Na schön, sollte er seinen Spaß haben. Er, Pancho, hatte nichts übrig für diese stupide militä- rische Hierarchie. Aber für Huerta war sie lebenswichtig. Sollte er sie haben. Pancho zuckte mit den Schultern. Er wollte dem Oberkomman- dierenden den Spaß nicht verderben. Aber wenn sie alleine wären, dann würde er ihm gehörig die Meinung sagen. »Also gehen wir.« Pancho ging an Navarrete und Hernandez vor- bei aus dem Raum. Im Korridor sah er Raul Madero, den Bruder des Präsidenten. »Können Sie mir sagen, was das zu bedeuten hat?« wandte er sich, an Raul. »Das wollte ich Sie fragen, General.« »Ich habe keine Ahnung. Man hat mir lediglich mitgeteilt, daß ich morgen früh um vier erschossen werden soll.« Raul Madero verfärbte sich. »Machen Sie sich keine Sorgen, Señor Madero. Aber Sie können mir einen Gefallen tun. Sagen Sie Urbina und meinen Männern, sie sollen sich still verhalten. Die Burschen glauben am Ende, daß ich wirklich in Gefahr bin und schlagen los. Es wäre doch ein Jammer, wenn wegen eines so dummen Spaßes Blut fließen würde.« Pancho nickte Madero zu und ließ sich von dem Begleitkom- mando abführen. Einen Augenblick stand Raul wie erstarrt und sah Villa nach. Dann lief er ein paar Straßenzüge weiter zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und galoppierte zu dem zwei Ki- lometer entfernten Bahnhof, der eine kleine Telegrafenstation hatte. Es war acht Uhr abends. Noch neun Stunden bis zu Pancho Vil- las Hinrichtung. Raul stürmte in das Büro. Ein verschlafener Posten sprang auf. »Gib mir Mexico-City, schnell. Ich muß den Präsidenten spre- chen.« Der Posten begriff nicht. »Den Präsidenten? Welchen Präsidenten?« »Francisco Madero, den Präsidenten von Mexiko.« Der Posten schüttelte den Kopf. »Den Präsidenten! Na so was! Da könnte ja jeder kommen!« »Ich bin Raul Madero, der Bruder des Präsidenten.« Der Posten straffte sich. »Können Sie sich ausweisen, Señor?« »Verdammt noch mal, ja.« Raul war nahe daran, die Nerven zu verlieren. Er kramte in seinen Taschen und zog seinen Ausweis her- vor. Der Posten stand stramm., »Jawohl, Señor. Sofort, Señor.« Er setzte sich an sein Pult, wählte, drückte Tasten, zog Stöpsel heraus und steckte sie wieder rein. Minuten vergingen. Raul stand der Schweiß auf der Stirn. Endlich stand der Posten auf. »Es tut mir leid, Señor, aber die Leitung ist in Torreón unterbro- chen. Ich kann Mexico-City nicht erreichen.« Raul spürte, wie seine Schläfen schwollen. Er rang nach Atem. »Ich muß Mexico-City erreichen«, sagte er heiser vor Aufregung. »Hörst du, ich muß. Es geht um Leben und Tod.« Der Posten kratzte sich am Hinterkopf. »Wie wäre es, Señor, wenn Sie telegrafierten? Ein Telegramm be- komme ich durch.« Raul atmete auf. »Also los, dann telegrafiere: ›General Huerta hat Befehl gegeben, Pancho Villa morgen früh um vier zu erschießen. Stop. Telegrafiere umgehend Aufschub, oder die Exekution wird durchgeführt.‹« Der Posten starrte Raul an. »Pancho Villa erschießen? Das ist unmöglich, Señor.« »Zum Teufel, rede nicht, telegrafiere!« Der Posten drückte die Taste. »Der Befehl ist ausgeführt, Señor.« »Telegrafiere noch einmal.« »Warum, Señor?« »Tue, was ich dir sage.« Der Posten gehorchte. Raul lehnte sich zurück. Er sah sich nach einem Stuhl um. In der Ecke stand nur ein Hocker. Mit einem Seufzer setzte er sich. Seine Knie zitterten. »Bist du sicher, daß das Telegramm durchgeht?« fragte er. »Ja, Señor.« »Gut. Ich werde hierbleiben, bis die Antwort eintrifft.« Der Posten nickte., Plötzlich erinnerte sich Raul, daß ihm Villa eine Botschaft für Ur- bina aufgetragen hatte. Er sprang auf. »Ich habe etwas zu erledigen. In einer halben Stunde bin ich wie- der da. Verlasse diesen Platz nicht.« »Ich werde hier sein, Señor.« Raul Madero war schon in zwanzig Minuten wieder da. »Antwort?« fragte er noch in der Tür. Der Posten schüttelte den Kopf. Sie warteten. Mitternacht ging vorbei, ein Uhr, zwei Uhr. »Telegrafiere noch einmal.« Raul war bleich, seine Hände zitter- ten. Zwei Uhr dreißig. Der Telegraf tickte. Antwort aus Mexico-City. Der Posten schrieb mit: »Der Präsident ist nicht in der Stadt. Ich versuche ihn zu errei- chen. Benavides, Sekretär.« Der Schreck ließ Rauls Herz gegen die Rippen schmettern. Er spürte, wie ihm der Schweiß aus der Haut brach. »Telegrafiere zurück: ›Der Präsident wird Sie persönlich für Villas Tod verantwortlich machen.‹ Hast du das?« »Ja, Señor.« Die Minuten rasten dahin. Drei Uhr, drei Uhr dreißig. Und noch immer keine Antwort aus Mexico-City. Pancho hatte tief und fest geschlafen. Daß er in einer Zelle war und auf einer Pritsche lag, machte ihm nichts aus. Wie oft hatte er auf der nackten Erde gelegen und nur den Himmel über sich gehabt! Was er brauchte, war ein bißchen Ruhe, ein wenig Atemholen. Jetzt hatte er es. Einige Minuten vor vier öffnete sich die Tür. Pancho richtete sich auf. »Mein General, ich bin Kapitän Hernandez, der Kommandant, Ihres Exekutionskommandos«, sagte der Offizier. Pancho stand auf. Er rieb sich die Augen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Beeilen Sie sich bitte, mein General.« Pancho schüttelte den Kopf. »Das ist ein verdammt dummer Spaß, Kapitän, und ich bin es leid, für Huerta den Narren zu spielen.« »Das ist kein Spiel, mein General.« Der Ton ließ Pancho aufhorchen. Zum erstenmal spürte er so et- was wie Zweifel, Unbehagen. »Ich … ich will zu meinen Männern, zu meiner Brigade«, sagte er. »Es tut mir leid, mein General, es gibt keine Brigada Villa mehr.« »Wie? Was?« »Auf General Huertas Befehl wurden Ihre Offiziere so lange unter Arrest genommen, bis Ihre Männer in andere Einheiten verteilt worden sind.« Pancho schüttelte den Kopf. Er begriff nichts mehr. So weit konnte es Huerta doch nicht treiben. Ihn erschießen lassen? Un- möglich. Wahrscheinlich wollte dieser verdammte Hurensohn ihm lediglich einen Mordsschrecken einjagen. Wahrscheinlich erwartete er, daß er, Pancho, um Gnade winseln würde. Aber da sollte sich dieser Dreckskerl, dieses versoffene Schwein von einem General, verrechnet haben. Keiner sollte sagen können, er hätte Pancho Villa zittern sehen. Pancho schritt zur Tür. »Also gehen wir, Kapitän«, sagte er. Draußen standen Soldaten in zwei Reihen. Pancho ging zwischen ihnen. Sein Kopf war ganz leer. Am Horizont zog die Dämmerung herauf, violett und darüber ein orangefarbener Streifen. Die Bäume rechts und links waren schwarz-grün, eine leichte Brise spielte in ihnen. Der Tag würde heiß werden. Sie waren in einem großen Hof. Kapitän Hernandez führte Pan-, cho an die Mauer, die den Hof im Osten begrenzte. Die Soldaten nahmen im Halbrund Aufstellung. »Wollen Sie, daß ich Ihnen die Augen verbinde, mein General?« fragte Hernandez. Pancho starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. »Nein, wozu?« »Dann frage ich Sie, ob Sie einen letzten Wunsch haben?« »Ja!« brüllte Pancho, »ja, daß ihr endlich aufhört mit diesem Af- fentheater.« Hernandez zuckte mit den Schultern. Dann wandte er sich den Soldaten zu, zog sein Schwert, hob es hoch und rief: »Achtung!« Die Gewehrläufe richteten sich auf Pancho. In diesem Augenblick überfiel ihn eine nackte, schreckliche Angst. ›Sie tun es doch‹, dachte er. ›Mein Gott, sie tun es wirklich.‹ Er konnte den Verzweiflungsschrei hören, der von seinem Herzen aus- ging. Nein, nein, nein, er würde das nicht dulden. Hitzewogen stiegen in ihm auf. Sein Magen kippte um. Und er hatte das Gefühl, daß alle Muskeln seines Körpers zu Wasser würden. Im letzten Augen- blick seines Bewußtseins öffnete er den Mund zu einem Schrei. Er hörte diesen Schrei. Aber es war nicht er, der ihn ausgestoßen hatte. Es war Raul Madero. »Halt!« schrie er, »nicht schießen! Ein Telegramm vom Präsiden- ten. Die Exekution ist ausgesetzt!« Die Worte erstickten in einem Keuchen. Raul Madero, fahl, übernächtigt, noch immer geschüttelt von der panischen Angst, er könnte zu spät kommen, ließ sich vom Pferd fallen und reichte Hernandez das Telegramm. Die Gewehre senkten sich. Hernandez gab Befehle. Sie rauschten vorbei an Panchos Ohren. Nur langsam tauchte er wieder auf aus, der Dunkelheit, Einsamkeit, Schweigen, Angst und Entsetzen. Er sah Madero auf sich zukommen, spürte dessen Hand auf sei- ner Schulter. »Sie sind begnadigt, Pancho. Der Präsident hat Befehl gegeben, Sie sofort nach Mexico-City zu bringen.« Pancho versuchte, die Lähmung von sich abzuschütteln. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Ich wußte ja, daß es ein Spaß war«, sagte er mit zitternden Lip- pen. »Ein verdammt blöder Spaß …« Sechs Schritte hin, sechs Schritte zurück. Ein Tisch, ein Sessel, ein Bett, ein Schrank. Und oben, nahe der Decke, ein vergittertes Fens- ter. Wenn er den Kopf weit zurückbeugte, konnte er am Tage einen Fetzen blauen Himmels sehen und in der Nacht ein paar Sterne, die auf einem schwarzen Viereck aufgeheftet schienen. Wochen vergingen in Einsamkeit. In Pancho war etwas zerbro- chen. Als man ihn unter Bewachung nach Mexico-City brachte, hatte er gedacht: Jetzt wird Madero mich rehabilitieren. Er wird öffentlich verkünden, welch ein himmelschreiendes Unrecht mir widerfahren ist, und er wird Huerta zur Rechenschaft ziehen und ihn streng bestrafen. Aber nichts dergleichen war geschehen. Statt dessen stellte man ihn vor ein Militärgericht, das ihn am 18. Juni zu zwei Jahren Ker- ker wegen Befehlsverweigerung, Ungehorsam und Diebstahls verur- teilte. Eine Woche später hatte man ihn in das Gefängnis von Tlatelol- co gebracht. Es war das beste Gefängnis im Lande, sozusagen eine Luxusherberge hinter Gittern. Die Mahlzeiten wurden Pancho aus einem nahegelegenen Hotel gebracht, das bekannt war für seine gute Küche., Pancho legte keinen Wert darauf. Er hatte nie mehr gebraucht als ein Stück Brot, einen Becher Wasser und hin und wieder ein Stück Fleisch. Aber die Freiheit, die brauchte er wie die Luft zum Atmen. Hier, in diesem Gefängnis, legten sich Nebel und Dumpfheit über seine Gedanken. Jedesmal, wenn er sich von seinem Bett erhob, war es ihm, als habe er ein unendliches Gewicht zu heben. Sein Gehirn schien zu schrumpfen. Sein ganzer Körper wurde von Schläfrigkeit eingehüllt. Und immer wartete er. Er wartete darauf, daß sich die Tür auftäte und Francisco Madero käme, die Arme um seine Schultern legte und sagte: »Es tut mir leid. Draußen steht die Brigada Villa und wartet auf ihren General.« Hundertmal hatte er sich überlegt, was er antworten würde. Ob er großmütig verzeihen, ob er anklagen oder ob er verfluchen wür- de. Er wußte es nicht. Er wußte nur, daß er keinem anderen Men- schen so in unwandelbarer Treue verbunden war wie Francisco Ma- dero, seinem ›kleinen Präsidenten‹. Und dann, eines Tages, ganz unvorbereitet, war es soweit. Der Posten öffnete die Tür und meldete: »Mi general, Señor Madero wünscht Sie zu sprechen.« Pancho, der auf seinem Bett gesessen hatte, sprang auf. Über sein Gesicht ging ein Leuchten. Aber es erlosch ebenso plötzlich, wie es aufgeflammt war, als er den Besucher erkannte. Es war Gustavo Madero, der ältere Bruder des Präsidenten. Sie standen sich gegenüber, der Minister und der ehemalige Ban- dit und Guerillo. Pancho war es, der als erster das Schweigen brach. »Warum … sagen Sie mir, warum kommt er nicht selbst?« Madero legte den Arm um Panchos Schultern. Sie setzten sich auf das Bett., »Ich will aufrichtig zu Ihnen sein, General. Er fürchtet sich davor, Sie zu besuchen.« Pancho begriff nicht. »Er fürchtet sich? Wovor? Er ist der Präsident. Wen hätte er zu fürchten?« »Alle. Er fürchtet sich vor seinen Ministern, vor den Komplotten, die gegen ihn geschmiedet werden. In der Gegend von Vera Cruz sammelt Felix Díaz, ein Neffe des gestürzten Diktators, Anhänger, um zu putschen. Im Süden stiftet Zapata mit seinen Männern neue Unruhen.« »Zapata?« Pancho konnte es nicht glauben. »Zapata war dem Prä- sidenten mit Leib und Seele ergeben. Warum sollte er Unruhe stif- ten?« »Weil der Präsident ihm das Land nicht gibt, das er fordert.« »Das ist unrecht«, erklärte Pancho bestimmt. »Der Präsident hat den Peonen das Land versprochen.« »Ja, aber wenn er es ihnen jetzt gäbe, würden die Gouverneure von Campeche, Oayaca und Chiapos gegen ihn putschen. Und im Norden flackern neue Unruhen auf in Chihuahua und Coahuile. Glauben Sie mir, General, der Präsident ist wahrhaftig nicht zu be- neiden.« »Mag sein, Don Gustavo, aber dieses Gefängnis ist auch nicht ge- rade ein Paradies.« »Das weiß ich, General. Und der Präsident weiß es auch. Wenn es nach ihm gegangen wäre, Sie wären nicht hierhergekommen. Ein dutzendmal wollte er Sie schon besuchen.« »Und warum tut er es nicht?« »Wegen Huerta. Der General war außer sich, daß der Präsident ihm in die Suppe gespuckt hat. Er ist noch heute der Meinung, daß dadurch seine Autorität untergraben wurde. Wenn der Präsi- dent Sie besuchen würde, könnte das ungeahnte Folgen haben. Hu- erta würde es fertigbringen, seine Truppen gegen Mexico-City mar-, schieren zu lassen. Das ganze Land würde in ein blutiges Chaos stürzen. Nein, General, der Präsident muß sich auf Huerta stützen. Wer außer ihm könnte jetzt meinen Bruder schützen und die De- mokratie retten?« Pancho hatte ein Gefühl, als würde sein Herz in Ohnmacht fal- len. Er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. ›Ich‹, hätte er am liebsten herausgeschrien, ›ich, Pancho Villa, würde ihn schützen, ich, der ich ihm in Juárez die Präsidentschaft erkämpft habe.‹ Aber er sagte es nicht. Er schluckte den Kloß herunter, der ihm in der Kehle saß und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »So ist das also«, antwortete er schließlich. Dann stand er auf und schaute zu dem kleinen Fenster hinauf, durch das ein schräger Son- nenstrahl ein helles Kringel auf die gegenüberliegende Wand malte. Eine Weile stand er so. Dann wandte er sich um und reichte Ma- dero die Hand. »Ich danke Ihnen, Don Gustavo. Bitte sagen Sie dem Präsidenten, daß ich mich bemühen will, alles zu verstehen. Ich will nicht, daß er mich besucht, wenn er dadurch in Schwierigkeiten geraten sollte. Sagen Sie ihm, ob auf dem Schlachtfeld oder im Gefängnis – mein Leben gehört ihm.« Von morgens um acht bis abends um neun war Panchos Zelle un- verschlossen. Er konnte auf den Gängen auf und ab wandern oder im Hof Spazierengehen. Eines Tages sprach ihn ein Mann an. Er war hager und hochge- wachsen. Sein Gesicht hatte den rötlichen Teint der Indianer aus dem Süden. »Verzeihen Sie, Señor. Sind Sie nicht General Francisco Villa?« Pancho blieb stehen., »Ja, amigo, der bin ich.« »Dann sollten wir miteinander bekannt werden, General. Ich bin Gildardo Magaña, Adjutant von General Emiliano Zapata.« »Und weshalb hat man Sie eingesperrt?« »Weil ich die Hacienderos aus Morelos vertrieben und ihr Land an die Peonen verteilt habe. Man hat es Raub genannt.« Pancho dachte nach. Dann sagte er: »Ich glaube, Sie waren im Unrecht, Señor Magaña. Sie hätten war- ten müssen, bis es der Präsident tut.« Magaña lachte. »Wie lange hätte ich denn warten müssen, General? Bis zum Jüng- sten Tag? General Zapata wartet. Aber ich glaube, er wird bald die Geduld verlieren.« »Ich hörte, daß Zapata den Süden besetzt hält. Warum tut er das?« »Weil er ein vorsichtiger Mann ist. Dieses Land ist sein Faust- pfand. Er wird es nicht eher räumen, bis Madero sein Wort einge- löst hat. Wollte Gott, er täte es bald.« »Er wird es tun«, sagte Pancho. »Der Präsident ist ein Mann von Ehre.« Magaña zuckte mit den Schultern. »Ich würde es gern glauben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die Hacienderos freiwillig hergeben, was sie zusammengeraubt haben. Ich habe gelesen, daß …« »Sie … Sie können lesen?« unterbrach ihn Pancho. »Ja, ich bin zur Schule gegangen, vier Jahre lang. Ich habe viel ge- lesen.« Panchos Herz tat einige harte Schläge. Er ergriff die Hand Ma- gañas und drückte sie. »Wollen … wollen Sie es mich lehren, amigo?« »Was? Geschichte, Geographie?« »Nein, lesen. Nur lesen.«, Magaña blickte dem Rauch seiner Zigarette nach, der sich lang- sam in Luft auflöste. Der Gedanke, daß dieser Mann, von dessen Taten ein ganzes Volks sang, dessen Name in aller Munde war, nicht lesen konnte, erschütterte ihn. Er wandte sich um und blickte in Panchos Augen, die mit einem Ausdruck gespannter Erwartung an ihm hingen. »Ich will, mein Freund«, sagte er, »von ganzem Herzen will ich.« Pancho lernte mit der Verbissenheit, mit der er alles tat. Jeden Tag von acht Uhr bis mittags um zwölf saß er mit Magaña über Büchern. Er buchstabierte mühsam. Seine Lippen formten die Laute, sein Zeigefinger fuhr die Linien entlang. Es dauerte lange, bis er das er- ste Wort entziffern konnte. Aber dann machte er schnelle Fort- schritte. Nach zwei Monaten schon konnte er die Zeitungen lesen. Er las, daß Huerta Felix Díaz und General Reyes geschlagen hat- te. Er las, daß der Präsident General Zapata, dem er militärisch nicht beikommen konnte, Geld geboten hatte, damit er außer Lan- des gehe. Es war lachhaft. Und immer öfter war der Name Victoriano Huerta zu lesen. Im- mer häufiger wurde der energische Gouverneur des Staates Coa- huila, Venustiano Carranza, genannt. Er war nicht mehr Kriegsmi- nister, und er äußerte seine Unzufriedenheit mit dem immer zö- gernden Präsidenten Madero ohne jede Rücksicht. Pancho hatte genug gelesen. »Heilige Mutter von Guadalupe«, stöhnte er. »Er hat nichts ge- lernt, mein kleiner Präsident. Er vertraut immer den falschen Män- nern. Er hat immer die falschen Freunde. Merkt er nicht, daß sie sich gegen ihn verschwören? Ich muß ihm helfen. Ich muß hier raus!«, Immer wenn Pancho an der Schreibstube des Gefängnisses vorbei- kam, sprang ein junger Mann auf und verbeugte sich. In seinen Au- gen lag Bewunderung und Verehrung. Es war nicht Panchos Art, lange darüber nachzudenken, ob ein Unternehmen gefährlich war oder nicht, ob er einem Mann ver- trauen konnte oder besser schweigen sollte. An einem Dezembertag sprach er den jungen Mann an. »Wie heißen Sie, muchacho?« fragte er. Der Junge errötete vor Stolz und Verlegenheit. »Carlos Jáuregui, mein General.« »Und was wissen Sie von mir?« »Daß … daß Sie Mexiko befreit haben, mein General.« Pancho lachte. »Ich wollte es, mein Freund. Aber leider ist da einiges schiefge- gangen.« Er machte eine Handbewegung, die das Gefängnis um- faßte. »Sonst wäre ich ja wohl nicht hier.« Der Junge trat einen Schritt näher. »Es ist unrecht, mein General. Wir alle sind der Meinung, daß Ihnen Unrecht geschieht.« Pancho musterte den Jungen. Er hatte ein ehrliches, offenes Ge- sicht und große melancholische Augen, die voller Bewunderung an ihm hingen. ›Dieser Carlos Jáuregui‹, dachte Pancho, ›könnte ganz brauchbar sein.‹ Er mußte herausfinden, inwieweit der Junge ver- trauenswürdig war. »Was verdienen Sie im Monat?« fragte Pancho. »Vierzig Pesos.« »Das ist nicht eben viel.« »Nein, viel ist es wahrhaftig nicht.« »Wollen Sie sich etwas hinzuverdienen?« Carlos zögerte einen Moment, dann fragte er: »Wofür, mein General?« Pancho lächelte. »Sie sind ein kluger Junge, Carlos. Sie kommen, immer sofort aufs Wesentliche – ist es so?« »Ich bemühe mich darum.« »Gut, amigo, dann will ich es Ihnen sagen: Ich wollte Sie bitten, einen Brief für mich abzuschreiben. Wollen Sie das tun?« »Mit Freuden, mein General.« Pancho gab Jáuregui einen Zettel mit einer belanglosen Mittei- lung an seine Frau Luz. »Wann werden Sie das geschrieben haben?« fragte er. »Wann brauchen Sie es?« »Heute abend. Ist Ihnen das recht?« »Ja.« »Wann haben Sie Feierabend?« wollte Pancho wissen. »Um sechs.« »Gut, treffen wir uns um sechs auf dem Hof.« »Ja, mein General.« Als Pancho vier Stunden später den Gefängnishof betrat, wartete der Junge schon. Er reichte Pancho den Brief. »Ist es so gut, mein General?« Pancho warf nur einen flüchtigen Blick darauf und drückte Car- los einen Geldschein in die Hand. »Ja, Carlitos«, sagte er, »so ist es sehr gut.« Er wandte sich um und ging mit dem Brief in der Hand zurück in das Gefängnisge- bäude. Er war noch nicht weit gekommen, da hörte er hinter sich Schrit- te. »General Villa!« rief Jáuregui. »Bitte warten Sie einen Augenblick!« Pancho blieb stehen. Der Junge hatte einen roten Kopf. »Sie … Sie müssen sich geirrt haben, mein General«, stammelte er. »Nicht daß ich wüßte«, entgegnete Pancho. Carlos hielt ihm den Schein entgegen., »Das sind hundert Pesos.« »Ich weiß.« »Aber … aber die Arbeit, die ich für Sie geleistet habe, wäre mit einem halben Peso gut bezahlt.« Pancho gab dem Jungen einen gutmütigen Klaps auf die Wange. »Merken Sie sich eines, amigo: Was man Ihnen gibt, das sollten Sie nehmen, ohne allzu viele Fragen und Bedenklichkeiten.« Carlos schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie so viel Geld gehabt, mein General. Ich gebe auch zu, daß ich es gern behalten möchte. Aber vorher muß ich wissen, was ich dafür zu tun habe.« Pancho dachte einen Augenblick nach. »Gut«, sagte er dann, »ich will es Ihnen sagen. Kommen Sie mit in meine Zelle. Da sind wir ungestört.« Pancho schloß die Tür hinter sich, setzte sich selbst aufs Bett und bot Carlos den Sessel an. Der Junge nahm Platz. Man sah ihm an, wie nervös und aufge- regt er war. Er knetete fortgesetzt seine Finger und zog die Oberlip- pe durch die Zähne. »Sie sagten mir, daß Sie meine Verurteilung zu zwei Jahren Ge- fängnis für ein Unrecht hielten.« »Ja, mein General.« »Würden Sie es dann nicht für recht halten, wenn meine Freunde mir helfen würden, aus diesem Gefängnis herauszukommen?« Carlos warf Pancho einen schrägen Blick zu. »Ihre Freunde, ja.« Er betonte das Wort ›Freunde‹. Pancho besaß eine natürliche Herzlichkeit, die ihm alle Men- schen gewann. Jetzt setzte er sie bewußt ein. »Ein gestürzter General, Carlos, hat nicht mehr viele Freunde. Und von den wenigen, die mir geblieben sind, hat man mich ge- trennt. Ich hatte gehofft, du seist mein Freund, Carlitos.« Jáuregui errötete vor Freude über das Du. Gleichzeitig war er sich, aber auch klar, auf was für ein gewagtes Abenteuer er sich da ein- ließ. »Und … und wenn es mißlingt?« fragte er. Pancho, der in diesem Gespräch alles auf eine Karte gesetzt hatte, atmete befreit auf: Der Junge zögerte. Also war er schon halb ge- wonnen. »Mißlingt?« lachte er. »Bei all meinen Kämpfen, Unternehmungen und Streifzügen, habe ich nie daran gedacht, daß etwas mißlingen könnte. Glaube mir, amigo, nichts macht so erfolgreich wie der Glaube an den Erfolg.« Carlos nickte. »Sie müssen es wissen. Sie sind ein General, ein berühmter Mann. Ich … ich bin nicht sehr tatkräftig. Ich bin nur ein kleiner Schrei- ber.« Pancho stand auf und legte Carlos beide Hände auf die Schulter. »Wenn du wüßtest, mein Junge, wieviel du mir damit voraushast. Ich will dir ein Geständnis machen: Vor vier Wochen konnte ich weder schreiben noch lesen. Ich habe es erst hier im Gefängnis ge- lernt.« Man sah es dem Jungen an, wie sehr er sich durch diese Vertrau- lichkeit geschmeichelt fühlte. Heute früh noch war er ein kleiner Niemand gewesen. Jetzt plötzlich war er der Freund und Vertraute des großen Pancho Villa. Ein Abglanz des Ruhms, der den Volks- helden verklärte, war auch auf ihn gefallen. Er erhob sich, griff in die Tasche und hielt Pancho den Hundert- Pesos-Schein hin. »Bitte, nehmen Sie ihn zurück, mein General.« »Aber warum denn?« »Wenn ich Ihr Freund bin, dann helfe ich Ihnen aus Freund- schaft, nicht wegen des Geldes.« Pancho legte den Arm um Carlos' Schulter. »Steck das Geld weg, Junge«, sagte er ernst. »Wenn du mein, Freund bist, dann mußt du mir auch erlauben, dir zu helfen: Du brauchst Geld, und ich kann es dir geben. Ich brauche die Freiheit, und die kannst du mir geben. Und obwohl man unter Freunden nicht so genau nachrechnen soll, kann ich dir versichern: Du gibst mir mehr, viel mehr.« Carlos konnte der Versuchung nicht widerstehen. Er steckte das Geld ein. Aber dann schüttelte er den Kopf. »Selbst wenn ich wollte, wie könnte ich Ihnen denn helfen. Alle Ausgänge sind verschlossen. Wenn ich hinein oder hinaus will, muß mir der Posten aufschließen. Und an allen Türen stehen Wa- chen …« »Das laß nur meine Sorge sein, amigo. Ich habe da einen Plan …« Panchos Plan, den er Carlos erklärte, war ebenso einfach wie ge- nial. Er basierte auf der Lage des Schreibraums, in dem Carlos seine Arbeit verrichtete. Er befand sich im Erdgeschoß und war nur durch eine Tür zu be- treten, die zu einem langen Gang führte, von dem aus eine Treppe in die Obergeschosse führte, wo die Zellen lagen. Am Ende des Ganges war eine Gittertür, vor der zwei Wachen standen. Vor dem Gitter war eine kleine Halle mit Stühlen und Bänken für Besucher. Eine mächtige Mahagonitür, mit zwei gro- ßen, schweren Eisenriegeln gesichert, führte von der Halle ins Freie. Beide Türen waren immer verschlossen und immer bewacht. Durch sie führte kein Weg. Die einzige Fluchtmöglichkeit bot das Fenster in Carlos' Zimmer. Es war durch dicke, sehr engstehende Eisenstäbe gesichert. Aus jedem dieser Eisenstäbe, das war Panchos Plan, sollte Carlos Abend für Abend ein 50 Zentimeter großes Stück heraussägen. Und da er an einem Abend nie mehr als einen Stab zersägen konn- te, sollte er, damit es nicht auffiele, die Stücke mit schwarzem Wachs wieder befestigen. Acht Stäbe, so hatte Pancho ausgerechnet, mußten herausgesägt, werden, damit er hindurchschlüpfen konnte. »Ich gebe dir Geld, damit du mir einen eleganten Anzug beschaf- fen kannst, und außerdem werde ich mir meinen Bart abrasieren. Wetten, daß mich so niemand erkennt?« erklärte Pancho. Carlos dachte nach. Er fand Panchos Plan zwar durchaus erfolg- versprechend, aber auch sehr gefährlich – vor allem für sich selbst. »Wenn wir das so durchführen, weiß jeder, daß ich es war, der Ihnen geholfen hat. Statt Ihrer wird man mich einsperren.« »Aber, amigo, wie können sie dich einsperren, wenn sie dich gar nicht haben?« »Aber … aber wo soll ich denn hin?« »Wo du hinsollst? Hat man so etwas schon gehört!« entrüstete sich Pancho. »Du gehst mit mir.« »Mit Ihnen, General?« »Ja, was denn sonst! Hast du geglaubt, amigo, ich würde dich hier zurücklassen und meine eigene Haut in Sicherheit bringen? Da kennst du Pancho Villa schlecht. Mag sein, daß ich eine ganze Menge Schandtaten begangen habe, aber einen Freund habe ich noch nie im Stich gelassen.« »Post für mich?« fragte der untersetzte, breitschultrige Gentleman den Portier des Hotels La Loma in El Paso. »Bedaure, Señor Arango«, war die Antwort. Der Gentleman nickte trübe. Langsam stieg er die zwei Etagen hoch zu dem Zimmer, das er gemeinsam mit seinem jungen Freund bewohnte. »Nichts, wieder nichts, Carlos«, sagte er und ließ sich schwer in den Sessel fallen, der nahe dem Fenster stand. »Sie wissen ja gar nicht, General, ob der Präsident Ihre Briefe überhaupt erhält. Ich bin sicher, sie werden abgefangen.« »Ja, Carlos, so wird es sein.«, Seit ungefähr sechs Wochen lebte Pancho Villa unter dem Na- men Doroteo Arango in diesem drittklassigen Hotel, keine zwei- hundert Meter von der Grenze Mexikos entfernt. Er mußte sich eingestehen, nie zuvor so hilflos, ohnmächtig und verzweifelt gewe- sen zu sein. Nach der glücklichen Flucht am 26. Dezember war er zunächst zu seinem Freund, José Maria Maytorena, dem Gouverneur von So- nora, gefahren. Maytorena hatte sich zwar aufrichtig über das Wiedersehen mit Pancho gefreut. Aber nach der ersten Begeisterung war er doch recht bedenklich geworden, ob er, ein von der Regierung eingesetz- ter Gouverneur, diesem prominenten Staatsgefangenen Zuflucht ge- währen durfte. »Ich weiß es«, hatte Pancho wieder und wieder gesagt, »der Präsi- dent ist in Gefahr. Er ist von Feinden und Verrätern umgeben. Nur ich kann ihn schützen. Keiner von all den Kreaturen, die um ihn herum sind, will das gleiche, was er will: die República de los In- dios. Wenn er die Brigada Villa nicht wieder herstellt, wird es ein böses Ende nehmen.« Maytorena hatte ihm versprochen, persönlich nach Mexico-City zu fahren und mit Präsident Madero zu sprechen. »Gehen Sie inzwischen in die Vereinigten Staaten, amigo, und warten Sie meine Nachricht ab«, hatte Maytorena ihm geraten. Zunächst hatte Pancho empört abgelehnt. Mexiko verlassen? Nie- mals! Er war nicht aus dem Gefängnis ausgebrochen, um sich ir- gendwo im Ausland zu verstecken. Natürlich wollte er frei sein, aber in erster Linie ging es ihm darum, seinen ›kleinen Präsidenten‹ zu schützen, mitzuhelfen, daß dessen Ideen, die einst die trägen Peonen mobilisiert hatten, endlich verwirklicht würden. »Wie kann ich helfen, wenn ich in den Vereinigten Staaten sitze?« hatte er gesagt. »Das können Sie aber auch nicht, wenn Sie in einem mexikani-, schen Gefängnis sitzen«, hatte Maytorena erwidert. »Hören Sie, Panchito, wenn Sie jetzt losschlagen, dann tun Sie es gegen den Präsidenten, nicht für ihn. Sie sind kein Guerillero mehr, Sie sind General der mexikanischen Streitkräfte. Und im Moment sind Sie ein Staatsgefangener auf der Flucht. Bevor der Präsident Sie nicht begnadigt hat, sind Ihnen die Hände gebunden. Alles, was Sie jetzt unternehmen, tun Sie zum Schaden der legitimen Regierung.« Pancho hatte eine Weile über das nachgedacht, was ihm der Gou- verneur gesagt hatte. »Für mich wäre es besser gewesen, amigo, ich wäre ein Bandit ge- blieben«, hatte er dann geantwortet. »Da war alles klar und einfach. Und ich habe die Welt verstanden. Wer für mich war, war mein Freund. Wer gegen mich war, war mein Feind. Jetzt sind diejenigen meine Freunde, die mich ins Gefängnis geworfen haben. Und Gene- ral Zapata, der für die gleiche Sache kämpft wie ich, muß mein Feind sein.« Pancho schüttelte den Kopf. Aber schließlich war er doch über die Grenze nach El Paso ge- gangen. Aber die Untätigkeit, das Warten auf Post, zermürbten ihn. Täglich kaufte er sich einen Packen Zeitungen. Mit dem Zeigefin- ger die Zeilen entlangfahrend, die Worte leise vor sich hinspre- chend, las er. Nach ein bis zwei Stunden hatte er genug. Dann befahl er: »Lies weiter, Carlitos.« Und Carlos Jáuregui, glücklich, dem verehrten Freund dienlich- sein zu können, las mit Eifer und beachtlichem dramatischen Ta- lent über die Ereignisse in Mexico-City. Am 9. Februar 1913 schrien die Zeitungsjungen Extrablätter auf der Straße aus. »Lauf, Carlos! Kauf mir alle Zeitungen, die du bekommen kannst!« befahl Pancho. Er war voller Unruhe und böser Vorahnun- gen. Während der letzten Tage hatte er gespürt, daß irgend etwas Un-, heilvolles in der Luft lag. Jetzt, das wußte er, war es geschehen. Nervös lief Pancho im Zimmer auf und ab. Als Carlos endlich zurückkam, ließ er ihm keine Zeit, Atem zu schöpfen. »Was ist geschehen? Los! Lies schon vor.« Carlos zögerte einen Augenblick. Dann las er mit belegter Stim- me die Schreckensnachrichten. Pancho verfärbte sich. Obwohl er es längst geahnt hatte, dauerte es eine Weile, bis er die ganze Tragweite des Geschehens begriffen hatte. Ein hoher Offizier war mit achthundert Mann und einigen Kano- nen zum Staatsgefängnis marschiert und hatte Felix Díaz und Ge- neral Reyes befreit. Die beiden setzten sich sofort an die Spitze des Zuges, der sich zum Regierungssitz des Präsidenten hin bewegte. In der Kathedrale war gerade die Messe zu Ende. Eine große Menschenmenge strömte heraus auf den Platz. Was dann kam, war ein Inferno. Unter dem Donner der Ge- schütze stürmten die Rebellen gegen den National-Palast. Die Wachen gerieten in Panik. Sie schossen zurück. Ihre Kugeln machten keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten. Die Menschen flüchteten voller Entsetzen in Hauseingänge und Seitenstraßen. Die Rebellen konnten noch einmal zurückgeschlagen werden. Ge- neral Reyes war gefallen. Aber die Bilanz dieses blutigen Tages war schrecklich: Fünfhundert Menschen lagen tot oder schwer verwun- det auf dem Pflaster. Pancho war aufgestanden. Er lief ruhelos im Zimmer auf und ab. »Das ist das Ende«, murmelte er vor sich hin. »Das ist das Ende.« Plötzlich trat er auf Carlos zu und packte ihn am Jackett. »Und wo ist Huerta?« schrie er. »Sag mir, wo dieser Schuft gesteckt hat?« In seinen Augen standen Tränen. »Ich bring ihn um, diesen Huren- sohn«, wütete er. »Mit meinen eigenen Händen erwürge ich ihn!«, Carlos zitterte. So hatte er Villa noch nie gesehen. »Um Himmels willen, General, beruhigen Sie sich. Sie können doch nichts tun …« »Nichts tun?« ereiferte sich Pancho. »Ich habe schon viel zu lange nichts getan. Jetzt ist es vorbei mit Geduld und Mäßigung. Jetzt werde ich diesen niederträchtigen Verrätern zeigen, wer Pancho Villa ist. Auf, Carlos! Wir gehen nach Mexiko!« Francisco Madero, der Träumer und Idealist, war in Chapultepec, als ihn die Nachricht von dem Blutbad in Mexico-City erreichte. Er, der niemals ein Gewehr in der Hand gehabt, der keine Ah- nung von Strategie hatte, setzte sich an die Spitze von zweitausend schnell zusammengetrommelten Polizisten und Soldaten und ritt den Pasea de la Reforma entlang in Mexico-City ein. Und seltsam: Seine bloße Erscheinung, klein und fast zerbrechlich, mit einem unzerstörbaren, visionären Lächeln auf dem Gesicht, beschwichtigte die Aufrührer. Sie wichen zurück. Unangegriffen erreichte er den Nationalpalast. Sein Bruder Gustavo erwartete ihn. Sie fielen sich in die Arme. Gustavo hatte das Gefühl, daß der Präsident gar nicht recht begriff, was vor sich ging. »Mit zweitausend Mann können wir die Aufständischen nicht niederringen«, sagte er. Madero schüttelte erstaunt den Kopf. »Wer spricht von niederrin- gen? Man muß sie überzeugen. Wofür sie kämpfen, will ich ihnen ja geben. Ich werde zu ihnen sprechen, an ihre Vernunft appellie- ren …« »An ihre Vernunft?« fiel ihm Gustavo ins Wort. »Du weißt nicht, wovon du redest, Francisco. Diese Meute hat keine Ahnung, was sie eigentlich will. Das sind Anarchisten, Kriminelle, Aufgehetzte, gekaufte Subjekte, blind Gehorchende. Und denen willst du Ver-, nunft predigen? Wenn dieser Pöbel etwas versteht, dann ist es die Sprache der Gewehre.« Madero hob entsetzt die Hände. »Das hieße, alle meine Pläne, meine Überzeugungen in Frage zu stellen. Was fällt dir ein, Gustavo! Wir haben Díaz mit Waffenge- walt zur Abdankung gezwungen. Das war schlimm genug. Wenn wir uns jetzt nur noch mit Waffengewalt an der Macht halten kön- nen, worin unterscheiden wir uns dann von Díaz?« »In unseren Absichten, Bruder, in unseren Zielen.« »Ich halte nichts von dem Sprichwort, daß der Zweck die Mittel heiligt.« »Du hast schon immer über den Realitäten geschwebt. Aber da- mit kann man keine Politik machen. Pancho Villa hat das begriffen. Er ist auch ein Idealist. Aber er weiß auch, daß man bestimmte Ziele nicht allein durch gütliches Zureden erreichen kann. Es war ein Fehler, ihn gefangenzusetzen.« Madero nickte. »Ich war bestimmt nicht glücklich darüber, und ich bin froh, daß er entkommen konnte.« »Keiner war dir so treu ergeben wie er.« »Ich weiß es.« Madero war aufgestanden. Es war ihm klar, daß Villa Unrecht geschehen war. Der Gedanke an ihn bereitete ihm Unbehagen. »Was hätte ich denn tun sollen?« fragte er. »Ich hatte nur die Wahl: Villa oder Huerta.« »Du hättest Villa wählen sollen.« »Nein, nein«, wehrte Madero ab. »Villa ist im Grunde seines We- sens ein Bandit, ungebildet und ohne Erziehung. Er ist gutmütig, sentimental und dann wieder hemmungslos, grausam und brutal. Als Guerillero war er großartig. Als General der legitimen Streitkräf- te war er eine ständige Gefahr. Ich war nie sicher, daß er nicht et- was Unbedachtes, Ungestümes tat.« »Mag sein. Aber du warst sicher, daß er dich nie verraten würde., Ich weiß nicht, ob du das von Huerta behaupten kannst.« »Was redest du da!« wehrte Madero ab. »Huerta hat mir den Treueeid geleistet.« Gustavo zuckte mit den Schultern. »Du bist ein Narr, Francisco«, sagte er und in seinem Ton lag ein tiefes Mitgefühl. In der Stadt flammten die Unruhen wieder auf. Die Aufständischen hielten das Stadthaus besetzt. General Huerta war mit seinen Trup- pen in Eilmärschen nach Mexico-City zurückgekehrt. Aber er konnte die Ruhe nicht wieder herstellen. Sein Zögern, seine Unentschlossenheit entschuldigte er damit, daß er Blutvergießen vermeiden wollte. Der Präsident stimmte ihm zu, während Gustavo dafür sorgte, daß die Wachtruppen des Pa- lastes verstärkt wurden. Am 17. Februar, der Präsident beriet sich gerade mit Gustavo und dem Vizepräsidenten Pino Suarez, dröhnte plötzlich der Schritt schwerer Stiefel über den Marmorboden des Palastes. Madero schaute irritiert auf. »Es genügt, wenn an allen Eingängen Soldaten paradieren«, sagte er unwillig. »Ich will sie nicht auch noch im Palast haben.« »Ich werde nachsehen, was los ist.« Gustavo stand auf. An der Tür prallte er mit Victoriano Huerta zusammen. Hinter dem General standen ein Dutzend Offiziere und eine Hundert- schaft Soldaten. »Was soll das heißen?« fuhr Gustavo den General an. Huerta schob ihn beiseite und ging auf den Präsidenten zu. »Ich erkläre Sie, Señor Suarez und Ihren Bruder Gustavo für ver- haftet. Bitte folgen Sie mir, Señor Madero, und machen Sie keine Schwierigkeiten.« Der Präsident wankte. Suarez stützte ihn und schob ihm einen, Stuhl hin. Madero setzte sich. Er schien nicht zu begreifen. Mit zitternden Händen nahm er seinen Kneifer ab und rieb die Gläser zwischen Daumen und Zeigefinger. Er machte den Eindruck, als würde er weder seinen Augen noch seinen Ohren trauen. Gustavo faßte sich als erster. »Das ist Verrat, Huerta«, sagte er. »Im Namen des Präsidenten« – er wandte sich an die Offiziere – »verhaftet diesen Verräter und stellt ihn unter Arrest.« »Sie verkennen die Situation, Señor«, erwiderte Huerta mit eisiger Kälte. »Es gibt keinen Präsidenten Madero mehr. Die Macht ist in meinen Händen. Mit Zustimmung des Senats habe ich die vollzieh- ende Gewalt übernommen. Die Gouverneure der Bundesstaaten wurden bereits benachrichtigt.« Madero rieb sich die kurzsichtigen Augen. »Warum nur, warum?« murmelte er. »Warum?« echote Huerta. »Weil Sie versagt haben. Nichts von dem, was Sie versprochen haben, konnten Sie halten. Sie waren nie ein Präsident, Sie waren immer nur ein idealistischer Narr.« Jetzt, da Huerta den Präsidenten ebenso bezeichnete, wie er, Gus- tavo, es getan hatte, flammte dessen Zorn hell auf. »Sie Lump, Sie elender«, schrie er und packte Huerta an den Auf- schlägen seines Uniformrockes. »Ich wußte immer, daß Sie ein Ver- räter sind.« Weiter kam er nicht. Einer der Offiziere hatte seinen Revolver gezogen und abgedrückt. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte Gustavo zu Boden. Mit einem Schrei sprang Madero auf und sank neben dem Bru- der auf die Knie. »Er ist tot«, sagte er leise. »Mein Gott, sie haben ihn ermordet.« Auf einen Wink Huertas wurde Madero von zwei Offizieren ge- packt und hochgezerrt. Zwei andere Offiziere nahmen Suarez in, ihre Mitte. »Abführen!« kommandierte Huerta. In der Nacht zum 22. Februar wurden Francisco Madero und Pino Suarez von den Soldaten des Begleitkommandos, das sie in ein anderes Gefängnis bringen sollte, erschossen. Sie hätten Anstal- ten gemacht zu fliehen, hieß es. Das Volk, das auf den Idealisten und Toren Madero seine Hoff- nungen gesetzt hatte, heulte auf vor Wut und Empörung. Eine dunkle Nacht, sternenlos, wolkenverhangen. Über dem Rio Grande lagen Dunstschwaden. Die beiden Reiter, die das Ufer entlang ritten, parierten ihre Pfer- de durch. Sie neigten die Köpfe und lauschten. Das Knacken von Zweigen, das Rascheln von Laub war zu hören. »Halt! Wer da?« rief einer der Reiter. »Tomás! Tomás Urbina. Und hinter mir sind hundert Mann.« Der Reiter sprang vom Pferd und öffnete weit die Arme. »Tomás! Tomás!« Es war ein Jubeln und Schluchzen. »Pancho, mi Panchito! Endlich! Ich habe eine Ewigkeit darauf ge- wartet, daß du mich rufst.« Sie lagen sich in den Armen, schweigend, tief ergriffen. Dann drehte sich Urbina herum und rief laut in die Dunkelheit hinein: »He, muchachos! Gebt das Losungswort!« Aus hundert Kehlen gellte der Ruf: »Viva Villa!« Pancho schluckte. Die Rührung saß ihm in der Kehle. »Zu Pferde, compañeros!« rief er. »Wir müssen nach Westen, nach Casas Grandes!« Die Männer fragten nicht. Sie gehorchten. Urbina wollte Näheres wissen., »Warum reiten wir nach Casas Grandes?« »Nicht in die Stadt. Aber in die Gegend«, antwortete Pancho. »Terraza hat noch eine Rechnung an mich zu zahlen.« »Ist Terraza denn noch im Land?« »Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß seine Herden noch im Lande sind. Die Händler warten in Douglas. Terraza hat Díaz, Orozco und Huerta unterstützt. Jetzt wird er die Waffen für die Brigada Villa bezahlen«, setzte er grimmig hinzu. »Komm jetzt! Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Sie ritten schweigend durch die Nacht. Nur das Stampfen der Hufe durchschnitt die Stille. Pancho atmete tief auf. Er saß wieder im Sattel. Er war wieder ein Guerillero. Er führte wieder das Leben, das ihm gemäß war. Vor fünf Wochen, als er von dem Mord an Madero erfahren hat- te, war er fast rasend vor Zorn und Schmerz gewesen. Schon zwei Tage später war er heimlich über die Grenze gegangen und hatte seinen Freund, den Gouverneur Maytorena, aufgesucht. »Ich brau- che Geld für Waffen und Pferde. Geben Sie es mir«, hatte er gefor- dert. Maytorena, der selbst zutiefst betroffen war über den feigen Mord an Madero, hatte Pancho tausend Pesos gegeben. »Mehr habe ich nicht«, hatte er gesagt. »Aber für ein paar Pferde und ein paar Winchesterbüchsen reicht es.« Und dann hatte er ihm noch gesagt, daß er Urbina verständigen wolle. »Wenn Sie mehr Geld brauchen, Panchito, reiten Sie in Terrazas Land. Da weiden noch einige tausend Kühe.« »Gracias, amigo.« Dann hatten sich die beiden Freunde umarmt. Maytorena, der jeden Tag darauf wartete, von Huerta seines Postens enthoben zu werden, hatte Tränen in den Augen, als Pancho wieder in der Nacht verschwunden war. Vier Wochen hatte es noch gedauert, bis alles arrangiert war. Aber, nun war es soweit. Nun war er aufgebrochen, um Rache zu neh- men. Das Geschäft mit den Rinderherden war schnell getätigt. Die Händler in Douglas bekamen tausend Stück Vieh für den Spott- preis von fünfunddreißigtausend Pesos. Pancho stopfte das Geld in die Satteltasche und kaufte am näch- sten Tag Pferde, Winchesterbüchsen und Munition in Agua Prieta. Die Nachricht, daß Pancho Villa gegen den Mörder Maderos ins Feld ziehen wollte, verbreitete sich in Windeseile. Die Peonen lie- fen von Hütte zu Hütte. Jeder erzählte es seinem Nachbarn. Der Ruf: »Pancho Villa reitet wieder!« flog durchs ganze Land. Von allen Seiten strömten sie ihm zu, bloßfüßig, eine Axt oder einen alten Karabiner über der Schulter. Was sie am Leibe trugen, war alles, was sie auf dieser Welt besaßen: ein baumwollenes Hemd und ein paar ausgefranste Hosen. Aus hundert Mann wurden dreihundert, aus dreihundert fünfhun- dert. Nach einem Monat waren es tausend. Und mit den Männern kamen ihre ›viejitas‹, ihre Alten. So nann- ten sie die Frauen, die mit ihnen lebten, ob sie ihnen angetraut waren oder nicht, ob sie achtzehn oder achtzig Jahre zählten. Pancho Villas berühmte Nordarmee war eine Armee von Män- nern und Frauen. Jeder Soldat hatte seine ›soldadera‹. Was sollten diese Frauen auch tun ohne ihre Männer? In den meisten Fällen waren sie nicht einmal verheiratet, weil das Geld nicht für die Eheschließungsgebühr gereicht hatte. Ohne den Mann, der für sie und die Kinder sorgte, wären sie ver- loren gewesen. Also zogen sie mit ihm, hungerten mit ihm und suchten sich, wenn er gefallen war, einen anderen Mann, der ihnen zu essen gab. Sie waren gekommen mit gewaltigen Bündeln auf ihrem Rücken. Das jüngste Kind, ein paar Decken, Töpfe und Pfannen waren ein- fach zusammengeschnürt worden., Unterwegs auf den langen Märschen lasen die viejitas Holz fürs Lagerfeuer zusammen. Sie kochten Suppen aus Wurzeln und Res- ten, die ein Geier verschmäht hätte. Sie gebaren Kinder, stillten sie und – begruben sie. Wenn der Mann, mit dem sie sich zusammengetan hatten, ver- wundet wurde, pflegten sie ihn. Wenn er starb, war ihr Lager für eine Nacht verwaist. Am nächsten Tag hielten sie Ausschau nach ei- nem anderen Mann. Fanden sie einen, begann alles wieder von vorn. Fanden sie kei- nen, nahmen sie das Gewehr des Toten in die Hand und reihten sich ein in die endlose Kolonne. Sie taten es ohne Klage, ohne Trä- nen, ohne Furcht. Aber auch ohne Hoffnung. Diesen zusammengelaufenen, zerlumpten, hungernden Haufen zu verpflegen, zu kleiden, zu bewaffnen und – zu disziplinieren, war eine gigantische Arbeit. Daß Pancho Villa sie schaffte, war eines der größten Wunder dieses an erstaunlichen Dingen so reichen Feld- zuges. Pancho hatte sich die viejitas, die für jeden anderen Heerführer eine unerträgliche Belastung gewesen wären, nützlich gemacht. Sie sorgten für Verpflegung, Kleidung und Nachtlager des riesigen Tros- ses und trugen aber vor allem dazu bei, daß die Männer guter Lau- ne blieben, auch wenn sie einmal hungrig und übermüdet waren. Keiner von ihnen fragte nach Lohn oder Zweck dieses Feldzuges. Pancho Villa führte sie. Das war Lohn und Zweck genug. War er nicht der ›gran bandido‹, der die Mächtigen beraubt hatte, damit sie genug zu essen hatten? Und war er jetzt nicht ›el gran general‹? Sie sangen Lieder und Balladen über ihn, waren stolz auf ihn und glücklich, zu seiner Armee zu gehören. Auf diese Weise hatte Pancho Villa den ganzen Norden und Nordwesten des Landes erobert. Bis auf Ciudad Juárez und Chihua- hua, die von einer starken Garnison gehalten wurden … Es war abends. Die Armee Pancho Villas hatte nach einem zwölf-, stündigen Marsch das Lager nördlich von Parral aufgeschlagen. Pancho besaß jetzt ein Zelt. Nicht, daß er es benötigte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er lieber unter freiem Himmel ge- schlafen. Aber seine Offiziere hatten ihm klargemacht, daß ein Ge- neral unter einem Zelt zu nächtigen hätte. Also tat er's. Urbina saß neben ihm. »Wir marschieren nach Torreón«, sagte Pancho. »Das ist der wich- tigste Eisenbahnknotenpunkt. Wenn wir Torreón erobert haben, ist Juárez von Mexico-City und Mexico-City von Juárez abgeschnit- ten.« »Hast du gehört, daß Orozco wieder im Lande ist? Er soll sich in Torreón unter den Befehl von General Mercado gestellt haben.« »Das ist gut. Das höre ich gern«, sagte Pancho grimmig. »Ich habe es nie ganz verwunden, daß dieser niederträchtige Verräter ent- kommen ist. Diesmal wird er mir nicht entkommen.« Er schürfte mit dem Absatz seines Stiefels tiefe Rillen in die Erde. »Du weißt, Tomás«, setzte er leise hinzu, »ich war Madero immer ergeben. Aber verstanden habe ich ihn nie. Ich glaube, sein größter Fehler war, daß er zu vielen Menschen vergeben hat. Ich werde diesen Fehler nicht machen, Tomás.« Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da wurde die Zelt- plane zur Seite geschoben und ein junger Offizier steckte seinen Kopf herein. »Sie haben Besuch, mi Jefe. Darf ich ihn hereinlassen?« Pancho schaute überrascht auf. »Wer ist es?« In diesem Augenblick fühlte sich der Offizier unsanft zur Seite geschoben. Pancho sprang auf. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. In der Zeltöffnung stand Lucita. Genau wie alle anderen viejitas trug sie ein großes dunkles Tuch über Kopf und Schultern, und auf dem Rücken hatte sie ein gewaltiges Bündel, das ihren Oberkörper, nach vorn drückte. Pancho ging auf sie zu, nahm ihr das Bündel ab und schloß sie in seine Arme. Urbina ging leise hinaus und ließ die Zeltplane hinter sich herab. Pancho hatte Lucitas Kinn gefaßt und ihren Kopf zu sich erho- ben. »Was ist los, kleines Mäuschen?« fragte er zärtlich. »Wie kommst du hierher, und was schleppst du mit dir herum?« Lucita antwortete nicht. Sie stellte sich auf die Zehen, hängte sich ihrem Mann an den Hals und küßte ihn leidenschaftlich. Panchos Herz begann wild zu hämmern. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Seine Hände spürten die Weichheit ihrer Hüften. Sein Mund schmeckte die Süße ihrer Lippen. Er war viel zu lange allein gewesen. Jetzt schlug das Verlangen über ihm zusammen. Er war glücklich, daß es Lucita war, die in sei- nen Armen lag. Aber er spürte dumpf, daß auch jede andere Frau dieses Verlangen gestillt hätte, wenn sie nur verstanden hätte, es zu wecken. Er empfand eine so übermächtige Lust, ein so uferloses Glücksge- fühl, daß er nicht mehr begriff, wie er so lange ohne diese Seligkeit hatte leben können. Lucita, tief befriedigt und voller zärtlicher Dankbarkeit schmiegte sich an ihn. »Jetzt weißt du, warum ich gekommen bin, nicht wahr?« schnurrte sie. »Ja, jetzt weiß ich es«, antwortete er und atmete tief und zufrie- den. »Von nun an, mi Panchito, wird alles anders. Ich werde für dich kochen, dein Zelt sauberhalten, und nachts werde ich mit dir schla- fen.« »Ja, nachts wirst du mit mir schlafen«, wiederholte Pancho. Aber dann stutzte er und richtete sich auf. »Was redest du da, Lucita?, Für mich kochen? Das Zelt sauberhalten? Soll das heißen, daß du gekommen bist, um hierzubleiben?« »Ja, Panchito, ich bleibe jetzt bei dir.« »Und … und was soll aus den Kindern werden?« »Ich habe sie zu deiner Schwester Martina gebracht.« Eine Weile schwieg Pancho. Dann schüttelte er energisch den Kopf. »Schlag dir das aus dem Kopf, Lucita. Daraus wird nichts.« Jetzt fuhr auch sie hoch. Ihre Augen, die noch eben zärtlich ver- schleiert waren, sprühten Blitze. »Und ich bleibe doch. Gerade bleibe ich. Du brauchst eine Frau. Das weiß ich. Und du weißt es auch. Also weshalb willst du mich nach Hause schicken?« »Weil du eine Frau bist, Lucita, und eine Frau hier nichts zu su- chen hat!« »Und die anderen Frauen, he, haben die hier auch nichts zu su- chen?« »Das ist doch etwas anderes.« »Das ist gar nichts anderes. Ich bin eine Frau, und du bist ein Mann. Und ich bin nun schon monatelang allein. Und du auch. Und das geht nicht mehr so weiter.« Pancho suchte nach Worten. »Du … du bist nicht irgendeine Frau«, erklärte er mühsam. »Du bist meine Frau. Du bist die Señora Villa, die Frau des Generals. Du kannst hier nicht leben wie irgendeine andere viejita!« »Und warum kann ich das nicht?« »Weil du eben keine viejita bist.« »Doch bin ich eine.« Pancho nagte an seiner Unterlippe. Er war nicht imstande, es ihr klarzumachen. Er gestand sich wohl selbst nicht ein, daß irgendein unterschwelliges Gefühl in ihm sich nach einem Hauch von Wohl- anständigkeit und Achtbarkeit sehnte. Er trug zwar den Titel eines, Generals, im Grunde seines Herzens aber blieb er immer ein Ban- dido, ein Guerillero. Trotzdem wünschte er, daß die Mutter seiner Kinder nicht wie die Frau eines Bandidos lebte, sondern wie die Frau eines Generals. Er fand jedoch nicht die Worte, ihr das zu er- klären. Deshalb sagte er schroffer als beabsichtigt. »Du wirst tun, was ich dir sage. Morgen oder spätestens übermorgen werde ich einem Soldaten befehlen, dieses blödsinnige Bündel zu schleppen und dich wieder nach Haus zu begleiten.« Jetzt war es vorbei mit Lucitas Beherrschung. Sie sprang auf und stellte sich drohend vor ihren Mann. »Das könnte dir so passen!« schrie sie ihn an. »Daß du dich hier jede Nacht mit einem anderen Weib abgeben kannst. Und ich wer- de nach Haus geschickt, was? Damit du hier ungestört herumhuren kannst …« Jetzt war auch Pancho aufgesprungen, packte sie an den Schul- tern und schüttelte sie. »Willst du wohl aufhören, einen solchen Unsinn zu reden. Hier gibt es keine andere Frau …« »So, gibt es die nicht? Und was wimmelt denn da draußen her- um? Hier gibt es mehr Weiber als Soldaten. Und jede wartet darauf, mit dir ins Bett gehen zu können. Eine schöne Armee ist mir das! Ein Haufen von verkommenen …« »Schluß!« schrie Pancho. »Du hältst jetzt den Mund! Ich habe dir doch gesagt, daß ich mit keiner anderen Frau schlafe.« »Ja, sagen kannst du mir alles. Aber bilde dir bloß nicht ein, daß ich dir das glaube. Ich kenne dich doch. Ich weiß doch, wie du bist. Jeden Abend gehst du mit einer anderen ins Bett, jeden Abend …« Sie konnte nicht weitersprechen. Tränen liefen ihr über die Wangen, und ein Schluchzen kam über ihre Lippen. Pancho, der tatsächlich zornig geworden war, spürte ein zärtliches Mitleid in sich aufsteigen. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und küßte ihr die Tränen von den Wangen., Lucita stieß ihm ihre Fäuste gegen die Brust. »Geh weg«, schluchzte sie. »Ich sage dir, du sollst weggehen! Ich hasse dich!« Er packte noch fester zu und drückte seinen Mund gegen ihre Lippen. »Und ich liebe dich, kleines Mäuschen«, sagte er ganz nahe an ihrem Ohr. Sie versuchte, ihn wegzustoßen, aber er lachte nur. »Willst du mit mir kämpfen, kleines Mäuschen? Dann komm, schlag zu. Aber wenn ich dich zu packen kriege, dann drücke ich dich so, daß du keine Luft mehr bekommst.« Sie stieß einen unterdrückten Schrei aus und fuhr ihm mit beiden Händen ins Gesicht. Er umfaßte ihre Handgelenke und drehte ihr die Arme sanft auf den Rücken. Dann preßte er sich gegen sie. Sie stöhnte leise und bog den Kopf zurück. Er beugte sich über sie und küßte sie wieder. »Sag es mir noch einmal«, flüsterte er zwischen zwei Küssen. »Sag mir noch einmal, daß du mich haßt, kleines Mäuschen.« »Ich … ich …«, weiter kam sie nicht. Pancho nahm sie auf seine Arme. »Ich dich auch, kleines Mäuschen, ich dich auch«, sagte er und legte sie auf die Decke. Als er sich an sie schmiegte, spürte er, wie sie erzitterte. »Du Schuft, du Scheusal, du Bandido«, sagte sie mit einem klei- nen glucksenden Lachen. Venustiano Carranza, der ehrgeizige Gouverneur von Sonora, war verbittert: Von der ersten Stunde an hatte er Victoriano Huerta gegen Madero unterstützt, und jetzt, nachdem Huerta sich zum Präsidenten gemacht hatte, war nichts für ihn abgefallen. Kein Pos-, ten, kein Titel, kein Geld. Nicht einmal ein Wort der Anerkennung. Carranza, der eine gute Witterung hatte für Stimmungen und politische Ströme, spürte, wie der Wind im Lande umschlug. War die Bevölkerung erst enttäuscht über den wenig tatkräftigen, immer zögernden Madero, so war sie jetzt erfüllt von Zorn und Empörung über dessen Mörder. Blitzschnell hatte Carranza umgeschwenkt. Es gab jetzt keinen in ganz Mexiko, der lauter das heimtückische Attentat auf Madero verdammte, keinen, der entschiedener nach Rache rief. Um Carran- za sammelten sich bald alle jene Offiziere und Politiker, die von Maderos Idee und Visionen fasziniert waren: Adolfo de la Huerta, der aber nicht verwandt war mit Victoriano Huerta, Manuel Chao, ein junger Gymnasiallehrer, der das besondere Vertrauen Carranzas genoß, und Oberst Felipe Angeles, ein gebildeter, hochbegabter Ar- tillerieoffizier, ein gutaussehender Mann mit dunklen, melancholi- schen Augen, der in Paris und Berlin studiert hatte. Sie alle umstanden nun Carranza, der ihnen gute Nachrichten übermittelte. »Die Wahl Woodrow Wilsons zum Präsidenten der Vereinigten Staaten ist für uns ein unglaublicher Glücksfall, meine Herren.« Er lehnte sich zurück und zog an seiner Zigarre. Sein weißer, wallender Bart reichte ihm bis zur Brust. Er hatte eine breite Nase und viele kleine Fältchen um die kalten Augen. Carranza strich sich über das korrekt gescheitelte Haar. »Wovon sprach ich eben, meine Herren?« Er blies dicke Rauch- wolken in die Luft. »Ach ja, von Präsident Wilson. Eine seiner ersten Amtshandlungen war eine Erklärung, daß er die Regierung Huertas niemals anerkennen würde. Er ließ durchblicken, daß die Vereinigten Staaten mit einem Mann, der seine Macht auf einen Mord gegründet hat, nichts zu tun haben wollen.« »Ich finde«, entgegnete Angeles, »daß eine solche Haltung weni- ger mit Glück zu tun hat als mit Anstand.«, Carranza lachte. »Sie sind noch sehr jung, amigo. Sonst wüßten Sie, daß Politik und Anstand zwei ganz verschiedene Dinge sind. Wenn dieser Wil- son die wohlverstandenen Interessen Amerikas im Auge hätte, dann müßte er Huerta mit allen Mitteln unterstützen. Was glauben Sie, wieviel amerikanische Dollars im Lande sind? All das schöne, gute Geld ist in Gefahr, wenn Maderos Ideen verwirklicht werden: Land für das riesige Heer der Peonen und die Verstaatlichung der Boden- schätze.« »Haben Sie die Absicht, diese Ideen zu verwirklichen, wenn es uns gelingt, Huerta zu stürzen?« fragte Angeles. »Natürlich, amigo, natürlich. Aber wir müssen langsam vorgehen, vorsichtig. Und vor allen Dingen müssen wir auf die etwas puritani- schen Moralbegriffe des neuen Präsidenten Rücksicht nehmen. Also bitte, meine Herren: Keine Übergriffe, keine Plünderungen und bei- leibe keine Erschießungen.« Obregón, der rundgesichtige, junge Oberst mit dem kleinen schwarzen Bart, nickte belustigt. »Das müssen Sie Señor Villa sagen, mi Jefe. Er hat Torreón ge- nommen und sämtliche Offiziere Huertas aufgehängt oder an die Wand stellen lassen. Übrigens, wenn Sie meine Meinung dazu hö- ren wollen: Er hat es richtig gemacht.« »Ich will aber Ihre Meinung nicht hören.« In der Stimme Carran- zas lag eine ungewohnte Schärfe. »Und ich bitte auch die anderen Herren, sich zurückzuhalten. Ich erwarte jeden Augenblick Señor Villa. Und ich möchte die Unterredung ohne jede Assistenz füh- ren.« Als Carranza merkte, wie sich die Gesichter der Männer verfin- sterten, nahm seine Stimme wieder einen geschmeidigen Ton an. »Verstehen Sie mich recht, amigos. Ich möchte nicht, daß das ohnehin stark ausgeprägte Selbstbewußtsein Villas durch Zustim- mung zu seiner rüden Kriegsführung noch gestärkt wird. Ich freue, mich über Ihre Anwesenheit. Aber ich muß Sie bitten, mir die Füh- rung des Gesprächs zu überlassen.« Wenig später betrat Pancho Villa den Raum. Er war allein. Aber vor dem Haus saßen ungefähr hundert Mann auf ihren Pferden und hielten ihre Gewehre quer über den Knien. Carranza stand auf. Sein Gesicht war von einem freundlichen, väterlichen Lächeln erhellt. Mit einer herzlichen Geste streckte er Villa beide Hände entgegen. »Willkommen, willkommen, Señor Villa! Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind.« Pancho musterte den Mann, von dem er wußte, daß er studiert hatte und daß er ein Haciendero war. Es war ein mißtrauischer Blick, den er ihm zuwarf. Trotzdem konnte er sich nicht verhehlen, daß Carranza sympathisch wirkte. »Also gut«, sagte er mürrisch, »ich bin gekommen. Und nun sagen Sie mir, weshalb Sie mich sprechen wollten.« Carranza räusperte sich. »Die Freunde unseres unvergessenen Präsidenten haben mir ihr Vertrauen geschenkt. Sie haben mich zum Chef der Konstitutionel- len Partei gemacht. Ich weiß, daß auch Sie dieser Partei dienen. Deshalb ersuche ich Sie, sich unter meinen Befehl zu stellen.« Pancho antwortete mit undurchdringlicher Miene. »Ich habe nur ein Ziel: diesen Kampf zu beenden. Wenn ich da- bei Ihre offizielle Unterstützung habe, Señor Carranza, soll mich das freuen. Aber Sie verstehen nichts vom Kriegführen. Weshalb also sollte ich mich unter Ihren Befehl stellen?« Carranza unterdrückte eine scharfe Antwort. Er wußte nur zu gut: Aller Einfluß und alles Ansehen, die er besaß, war ihm durch die Siege Pancho Villas zugewachsen. Ohne Villa war er nichts als ein ohnmächtiger, alter Mann, der nur die Wahl hatte, vor Huerta zu Kreuze zu kriechen oder von ihm erschossen zu werden. »Ich will Ihnen nicht in Ihre militärischen Operationen hineinre-, den, Señor Villa«, begütigte er seinen Besucher. »Ich wollte Ihnen nur klarmachen, daß diese Operationen mit den Absichten der pro- visorischen Regierung, als deren Präsident ich mich betrachten darf, in Einklang gebracht werden müssen.« »Und wie soll das geschehen?« wollte Pancho wissen. »Zunächst, in dem ich Ihnen dieses Dokument überreiche.« Er übergab Pancho eine Papierrolle, an der mehrere Siegel hingen. Pancho entfaltete sie und las. Es war die Ernennung Francisco Vil- las zum Kommandierenden General der Nordarmee und der Revo- lutionsstreitkräfte. Pancho rollte das Dokument langsam wieder zusammen. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Señor Carranza«, sagte er ohne sichtliche Bewegung. »Und ich danke Ihnen auch für die Er- nennung zum Kommandierenden General. Aber es wäre nicht nö- tig gewesen. Denn ich habe Sie weder um Geld noch um Waffen oder Soldaten gebeten. Trotzdem nehme ich die Ernennung an. Danke, Don Venustiano.« Er stopfte die Urkunde in seine Tasche, als handelte es sich um ein Stück Butterbrotpapier. Carranza spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. »Soll das heißen, General Villa, daß Sie mich und die Provisorische Regie- rung nicht anerkennen?« Pancho wiegte den Kopf hin und her. »So habe ich das nicht gemeint. Ich weiß, daß dieses Geschäft einen Mann braucht, der die Schreibtischarbeit macht, Konferen- zen abhält und Delegationen empfängt. Das ist etwas für gebildete Leute. Sie sind gebildet, Señor. Deshalb will ich Sie anerkennen. Und solange Sie dafür sorgen wollen, daß meine braven Soldaten Land und deren Kinder Schulen bekommen, bin ich Ihr Mann. Aber die Armee, die ich kommandiere, ist meine Armee. Das war es, was ich sagen wollte.« Pancho nickte Señor Carranza und den anderen Männern kurz, zu und verließ den Raum. Carranza brach als erster das verlegene Schweigen. »Für die nächsten Wochen müssen wir die rauhen Manieren des Generals ertragen. Wenn wir unser Ziel erreicht haben, werden wir ja sehen, ob er von seinem hohen Roß heruntersteigt. Wenn nicht, werden wir Mittel und Wege finden müssen, uns seiner zu entledi- gen.« Sie lagen ein paar Meilen südlich von Chihuahua. Pancho war un- geduldig. Er war es nicht gewohnt zu warten, zu zögern und die Dinge hin und her zu wenden. Aber im Augenblick blieb ihm nichts anderes übrig. Die Lage war nicht besonders gut. Achttausend Mann standen unter seinem Kommando, tapfere, todesmutige Burschen, aber mi- serabel ausgerüstet. In Chihuahua lagen nur siebentausend Mann, aber sie hatten schwere Artillerie und Tausende von Maschinengewehren. Außer- dem waren sie gut verschanzt, während seine Männer von der freien Ebene her angreifen mußten. Dreimal bereits hatten sie die Stadt berannt, und jedesmal waren sie zurückgeschlagen worden. Pancho, der nie etwas von General- stabsarbeit gehört hatte, kniete sich auf den Boden und begann, die Lage der Stadt, ihre Umgebung und die Eisenbahnlinien in den Sand zu zeichnen. Er war mit Feuereifer bei der Arbeit, als ein Schatten auf seine Linien fiel. Er schaute auf. Vor ihm stand Urbina mit einem hochgewachse- nen, schlaksigen Mann. Er hatte die helle Haut der Spanier und die breiten Backenknochen der Indianer. Seine Haltung war lässig. Die Nähe des berühmten, gefürchteten Villas schien ihn nicht zu beein- drucken. »Wer ist das?« fragte Pancho., »Er heißt Rodolfo Fierro«, antwortete Urbina. »Und was soll ich mit ihm?« »Du hast doch gesagt, daß du einen Offizier brauchst, der etwas von Zügen versteht. Dieser Fierro kennt Eisenbahnen und Lokomo- tiven von außen und innen.« Pancho schaute sich den Mann genauer an. Sein Äußeres gefiel ihm. Aber in seiner Haltung lag etwas Gleichgültiges, Unbeteiligtes. Trotzdem hatte er den Eindruck, einen schlafenden Tiger vor sich zu haben, der ihm in jedem Augenblick einen Prankenhieb verset- zen könnte. »Hm«, machte Pancho. »Fierro heißt er also. Und von Eisenbah- nen versteht er was. Woher weißt du das, Tomás?« »Weil ich ihn in Torreón beobachtet habe. Er stand auf einer Lo- komotive und hatte ein Maschinengewehr in der Hand. Und ich kann dir versichern, er konnte damit umgehen.« Pancho schaute interessiert auf. »Er wollte mit seinem Zug aus Torreón herausfahren«, fuhr Ur- bina fort. »Wir waren schon in der Stadt, und die verdammten Huertistas konnten nicht schnell genug herauskommen. Als sie den Zug sahen, versuchten sie, ihn zu stürmen. Aber dieser Teufelskerl schoß, was sein Gewehr hergab. ›Ihr dreckiges Lumpenpack, ihr fei- ges, wollt ihr wohl von meinem Zug heruntergehen! Ich bring euch um, ihr Stinktiere!‹ schrie er. Und dann hat er ein gutes Dutzend umgelegt.« Pancho richtete sich auf. »Und dann?« Urbina grinste breit. »Dann haben wir den Zug gestürmt, und ich habe ihn gefragt, ob er als Oberst in mein Regiment eintreten wollte.« »Und was hat er gesagt?« »Er hat gesagt, diese Frage soll ihm General Villa stellen.« »Dann ist die Sache in Ordnung«, entgegnete Pancho. »Oberst, Fierro ist meinem Stab zugeteilt.« Fierro legte den Kopf zur Seite und schaute interessiert zu einer kleinen Wolke auf, die am Horizont stand. »Das ist wirklich spaßig«, sagte er wie zu sich selbst. »Ich hätte ge- schworen, daß mich noch keiner gefragt hat.« »Gut, dann frage ich Sie«, sagte Pancho. »Haben Sie irgendwelche Einwände?« »Ich? Nein. Wenn Sie keine haben, General, dann geht die Sache in Ordnung.« »Na also. Und merken Sie sich eines: Sollte ich erfahren, daß Sie irgend etwas gegen uns …« »Wenn ich irgend etwas gegen Sie hätte«, unterbrach ihn Fierra, »dann brauchen Sie das nicht zu erfahren, dann sage ich Ihnen das schon selbst.« »Und dann«, fuhr Pancho fort, »werde ich in Zukunft auf Sie ver- zichten müssen, Oberst. Denn Männer, die etwas gegen uns haben, pflege ich zu erschießen.« »Das ist ein guter Grundsatz«, sagte Fierro und beugte sich inte- ressiert über Panchos Sandlinien. »Ich habe das Gefühl, ich werde mich bei Ihnen wohl fühlen.« Am nächsten Morgen machten sie wieder einen Angriff. Und wie- der wurden sie zurückgeschlagen. Diesmal war Pancho nicht der letzte, sondern der erste, der wie gehetzt nach Süden ritt. Seine Männer konnten ihm kaum folgen. Es sah aus wie eine wilde, chao- tische Flucht. General Mercado, der Chihuahua verteidigte, brach in lauten Triumph aus. Er rief Huerta in Mexico-City an und berichtete wortreich von seinem großen Sieg für die Rebellen. Während man in Chihuahua feierte, war Pancho mit seinen Män- nern in einem großen Bogen um die Stadt herummarschiert und, hatte eine kleine Bahnstation, zwischen Chihuahua und Ciudad Juárez überfallen. Von Panchos Armee war nichts zu sehen. Sie hielt sich in dem bergigen Land versteckt. Nur Villa, Fierro und ein halbes Dutzend Offiziere waren in der kleinen Bahnstation. Der Mestize, der den Telegrafen bediente, spürte Tag und Nacht den Lauf einer Pistole an seinen Rippen. Alles, was er empfing, alles, was er sendete, mußte er Pancho mitteilen. Nach fünf Tagen kam die Nachricht: General Mercado schickte einen Zug mit Waffen und Munition nach Juárez. Diese Nachricht hat Juárez nie erreicht. Aber eine Stunde später waren hundert Mann zur Stelle. Sie schleppten Baumstämme heran und legten sie über die Gleise. Fierro selbst setzte sich neben die Schienen, eine Laterne in der Hand. Abends gegen neun Uhr sah er die Lichter des Zuges in der Ferne. Panchos Männer legten sich entlang der Gleise auf den Erdbo- den. Fierro brannte die Laterne an und schwenkte sie im Kreis. Die Lokomotive pfiff mehrmals. Dann kreischten die Bremsen. Kurz vor dem Hindernis kam der Zug zum Stehen. Fierro sprang zur Seite. Der Lokomotivführer steckte den Kopf aus dem Fenster. »Zum Teufel, was ist denn hier los?« schrie er. »Irgendein Idiot hat ein paar Baumstämme auf die Schienen ge- legt«, schrie Fierro zurück. »Wenn ich euch nicht gewarnt hätte, wärt ihr in die Hölle gefahren.« Der Lokomotivführer sprang herunter. »Komm, amigo, faß mit an«, sagte Fierro. »Zu zweit haben wir die Dinger rasch beiseite geschafft.« Der Eisenbahner schüttelte den Kopf. »Gracias, aber das ist nicht meine Arbeit. Im Zug sitzen genug Soldaten. Sollen die doch schuften.«, Er wandte sich um und rief: »He, compañeros, kommt heraus und packt an!« Im Zug wurde es lebendig. Rufe wurden laut, Türen wurden ge- öffnet und zugeschlagen. Fierro, der nahe bei dem Lokomotivführer stand, zog seine Pisto- le und schoß. Der Mann riß die Augen auf wie in maßlosem Staunen, dann fiel er um. In diesem Moment ging eine wilde Schießerei los. Noch bevor die Soldaten an Gegenwehr denken konnten, waren sie niederge- schossen. Von allen Seiten kamen Panchos Männer. Jetzt hörten alle auf Fierros Kommando. Er fuhr den Zug auf ein Nebengleis. Alles, außer Waffen und Munition, wurde aus den Wagen herausgewor- fen. Sogar die Sitzbänke ließ er zerschlagen. Binnen einer Stunde hatten sich achthundert Mann in den weni- gen Waggons zusammengedrängt. Während Urbina mit der Armee bereits in Eilmärschen auf Ciu- dad Juárez zu marschierte, gingen Pancho und Fierro noch einmal in die Bahnstation zurück. Der Mestize, der von zwei Soldaten bewacht worden war, sah ihnen angstvoll entgegen. »Gib nach Juárez durch, daß der Zug eben passiert hat«, befahl Fierro. »Nein!« fuhr Pancho dazwischen. »Ich werde dir diktieren, was du durchzugeben hast.« »Glauben Sie mir, mein General …« »Halten Sie die Klappe, Fierro. Hier habe immer noch ich das Kommando.« Der Mestize setzte sich zitternd auf seinen Stuhl und legte den Finger auf die Taste. »Los! Telegrafiere: ›General Castro. Der Feind ist in voller Flucht,, Richtung Süden. Ein Zug mit achthundert Mann Verstärkung, Waffen und Munition ist um 8 Uhr abends an Sie abgegangen. Mercado.‹« »Hast du das?« fragte Pancho. Der Mestize nickte. Fierro zerschnitt den Draht. Pancho nickte. »Nehmen Sie den Jungen mit, Fierro. Wenn ihn die Huertistas zu fassen bekommen, machen sie Hackfleisch aus ihm.« Fierro zog die Stirn kraus. »Mitnehmen? Wozu, mein General? Es wäre einfacher, ihn zu er- schießen, als sich mit ihm zu belasten.« Pancho lachte. »Es wäre auch einfacher, Sie zu erschießen, als mit Ihnen zu strei- ten. Also: Wofür entscheiden Sie sich?« Fierro steckte seine Pistole ein und grinste. Dann gab er dem Mestizen einen Rippenstoß. »Arriba, muchacho!« Am Morgen des 15. November 1913, kurz nach ein Uhr nachts, er- reichte der Zug den Bahnhof von Ciudad Juárez. Fünf Minuten später stand Fierro, ein Maschinengewehr in der Hand, in der Bahnmeisterei. »Hände hoch, ihr Hundesöhne, der Bahnhof ist in der Hand von Pancho Villa!« Die Männer ergaben sich. Noch bevor sich die Soldaten in den Kasernen aus ihren Betten erheben konnten, waren sie entwaffnet. In den Nachtclubs und Spielcasinos, in den Saloons und Kneipen verstummte das Lachen und Kreischen für einige Minuten. Dann gellten Schreie durch die Straßen., »Viva Villa!« »Arriba la revolución!« Die rasch entflammten Mexikaner, gleichgültig auf welcher Seite sie standen, waren begeistert von diesem Bravourstück Villas, der mit achthundert Mann eine schwerbewaffnete Garnison aufs Kreuz gelegt hatte. Und nicht nur Juárez jubelte. Die Vereinigten Staaten, die sich noch immer nicht von ihrer heroisierten Wildwestvergangenheit lösen konnten, sahen in Pancho Villa einen Helden, der so recht nach ihrem Herzen war. Der Name Pancho Villa ging um den ganzen Globus. Er stand in Riesenlettern in den Zeitungen. Sein Bild war auf allen Titelseiten. Er war über Nacht berühmt geworden. Von nun an sah die Welt auf ihn. Alles, was er tat oder ließ, war von öffentlichem Interesse. Wer sprach noch von Carranza? Von Huerta? Pancho Villa war der Mann der Zukunft, der Herr von Mexiko. Chihuahua, die letzte Stadt, die Pancho den Weg nach Mexico-City versperrte, war gefallen. Fierro, den die Welt bald Pancho Villas Schlächter nannte, hatte sie wieder durch einen Eisenbahntrick zur Übergabe gezwungen. Er hatte eine Lokomotive voll mit Dynamit und hochexplosiven Zündern geladen. Und dann war er losgefahren. Mit einem wilden Lachen war er durch die engen Kurven gerast. In einem Vorstadtbahnhof standen elf Züge. Einige hundert feindliche Soldaten warteten auf den Bahnsteigen. Kurz bevor die Lokomotive gegen einige abgestellte Wagen prall- te, sprang Fierro in voller Fahrt ab, überkugelte sich ein paarmal, und noch bevor er wieder auf den Füßen stand, hörte er den gewal- tigen Explosionsknall, der die Erde erschütterte. Im Nu glich der Bahnhof einem Schlachtfeld. Tote, Verstümmelte, Verletzte lagen, übereinander. Durch Rauch- und Staubwolken drangen Schreie und Stöhnen. In diesem Chaos beobachtete niemand den Mann, der dieses Inferno verursacht hatte. Im gleichen Augenblick stürmte Pancho Villas Division del Norte von drei Seiten in die Stadt. Die Regimenter General Mercados flohen in wilder Hast. Aber Panchos Kavallerie ließ ihnen nur einen Fluchtweg: nach Osten, durch die endlose Wüste. In diesen Bergen und Tälern aus Sand und Steinen, die tagsüber von der Hitze verbrannt und nachts von der Kälte gegeißelt wur- den, gab es für die wenigsten ein Überleben. Niemand wußte das besser als Pancho, der zehn Jahre lang in dieser Wüste gelebt hatte. Er befahl seinen Männern, die Verfolgung abzubrechen. Chihuahua, in der er einst als Milchjunge gedemütigt worden war, bereitete ihm einen triumphalen Empfang. Am Palacio traf er gleichzeitig mit Manuel Chao ein, den Carran- za zum Gouverneur ernannt hatte. Chao drängte auf eine Unterredung. Pancho gewährte sie widerwillig. Nirgendwo sonst genoß er sei- nen Sieg so von ganzem Herzen, wie in Chihuahua. Es störte ihn, daß Chao ihn aus der Menge der feiernden Soldaten, der jubelnden Bewohner herausbitten ließ. »Was wollen Sie, Señor Chao?« fragte er ungeduldig. »Machen Sie es kurz. Ich will mit meinen Männern feiern. Und ich glaube, ich habe ein Recht dazu.« »Gewiß, gewiß, General«, beeilte sich Chao zu erwidern. »Aber Sie müssen verstehen, daß ich einige dringende Fragen habe.« »Und die wären?« »Ihre Armee zählt nunmehr zehntausend Mann. Sie müßte untergebracht und verpflegt werden.« Pancho runzelte die Stirn. »Und was haben Sie damit zu tun, Señor Chao?« »Wenn ich die Verwaltung von Stadt und Land übernehme …«, »Die Verwaltung von Stadt und Land übernehme ich«, entgegnete Pancho mit Schärfe. »Ich werde Chihuahua nicht verlassen, bis alles hier so organisiert ist, wie ich es im Sinn habe. Dafür habe ich ge- kämpft, und dafür sind meine Männer gefallen. Nehmen Sie das zur Kenntnis, Señor Chao.« Der neu ernannte Gouverneur, der sich gleich am ersten Tag sei- nes Amtes enthoben sah, schüttelte unwillig den Kopf. »Die Verwaltung einer Stadt und eines Landes erfordert Kenntnis- se und Vorbildung. Was verstehen Sie von Finanzen, Bildungswe- sen …« »Was ich davon verstehe?« Pancho war ganz dicht an Chao herangetreten. Sein mächtiger Brustkorb berührte fast den des schmächtigen Gouverneurs. »Was habe ich denn von Strategie ver- standen? Und von Kriegsführung? Und trotzdem habe ich all diese langgedienten, wohlausgebildeten Generäle zusammengeschlagen. Und was verstehen eigentlich Carranza und Obregón und Sie selbst von dieser Revolution?« Langsam ging Pancho Schritt für Schritt nach vorn. Chao wich Schritt um Schritt zurück. Panchos Stimme klang drohend. »Das könnt ihr alle: in euren Palästen sitzen, endlose Konferen- zen halten, Befehle geben und klug daherschwatzen. Aber könnt ihr auch diesen Saustall ausräumen, den Díaz unserem Volk hinterlas- sen hat? Du kleiner, wohlerzogener Knabe solltest besser zu Hause bleiben, bis wir Männer unsere Arbeit getan haben. Dann kannst du meinetwegen kommen, dich in den Palast setzen und regieren.« Chao spürte, wie ihm das Blut zu Kopf schoß. Er war zwar kein Soldat, aber er war immerhin Mexikaner. Und den Schimpf, den ihm dieser barbarische Bandit angetan hatte, konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Seine Fäuste schnellten so plötzlich vor, daß Pancho, der nicht darauf gefaßt war, zurücktaumelte., »Das werden Sie mir bezahlen, General«, schrie er und seine Hand griff nach dem Revolver. Aber noch bevor er ihn ziehen konnte, stieß Pancho die Mündung seines Colts in Chaos Leib. »Hände hoch!« Chao ließ die Waffe fallen und hob beide Hände über den Kopf. Pancho grinste. »Haben dich deine schlauen Bücher nicht gelehrt, was du in einer solchen Situation tun mußt, he?« Er stieß ihn mit seiner Pistole in den Bauch. Dann lachte er laut auf und steckte seine Waffe wieder in den Gurt. »Ich denke, wir verstehen uns, amigo. Du bist der erste Mann, der gegen Pancho Villa die Waffe gezogen hat und mit heiler Haut davongekommen ist. Das ist mehr Glück, als du verdient hast.« Pancho verbeugte sich ironisch. »So, Señor Chao, und wenn Sie mir jetzt Ihre Unterstützung an- bieten wollen, so ist sie akzeptiert. Aber der Herr im Haus bin ich, verstanden?« Pancho Villa verwaltete Stadt und Land auf seine Weise. Alle Solda- ten, die er nicht dringend brauchte, wurden zur Arbeit eingeteilt. Einige hundert ritten über Land und trieben das Vieh von den Wei- den in die Schlachthöfe, damit das Volk zu essen hatte, andere wa- ren zur Straßenreinigung eingeteilt. Jene Soldaten, die lesen und schreiben konnten, richteten in den Villen der geflohenen Großkaufleute Schulen ein und lehrten Er- wachsene und Kinder. Pancho Villa ließ Straßen bauen und einfache Häuser für Ob- dachlose errichten. Er hatte ein Dutzend guter Ärzte in seiner Divi- sion del Norte. Die schickte er jetzt in die städtischen Hospitäler. Er verfügte einen Preisstopp. Mit einem Federstrich enteignete er die riesigen Ländereien Don, Luis Terrazas und und gab jedem Peonen und jedem Campesino 63,5 Acres Land. Hacienderos, die ihr Land behalten durften, wur- den mit einer Abgabe belegt, und wer mehr als tausend Stück Vieh hatte, mußte eine Kopfsteuer bezahlen. Unter der Hand eines Mannes, der nur langsam lesen und nur mühevoll schreiben konnte, der keine Ahnung von wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen hatte, blühte Chihuahua auf wie nie zuvor. Präsident Wilson, der die Geschehnisse in Mexiko mit Aufmerk- samkeit verfolgte, dachte, daß dieser Pancho Villa vielleicht doch mehr war als der bravouröse Haudegen, für den er ihn gehalten hat- te. Daß er vielleicht doch aus dem Holz geschnitzt war, aus dem man Präsidenten machte. Da ereignete sich jener unglückselige Zwischenfall, dessen schreckliche Auswirkungen Pancho erst viel später zu spüren be- kam. Pancho hatte beide Ellbogen auf seinen Schreibtisch gestützt. Vor ihm lagen dicke Schriftstücke. Er las sie, indem sein Zeigefinger über das Papier fuhr und seine Lippen unhörbar die Worte formu- lierten. Als Benavides, einst Maderos, jetzt Villas Sekretär, ins Zimmer trat, sah er irritiert auf. »Was gibt es, amigo?« »Señor William Benton will Sie sprechen.« »Sagen Sie ihm, daß ich keine Zeit habe.« »Er läßt sich nicht abweisen.« Pancho überlegte. Benton? Den Namen hatte er schon gehört. Er erinnerte sich. Benton war ein reicher Haciendero im Norden Chihuahuas. Er besaß riesige Landstriche und gewaltige Herden. Pancho hatte sich überlegt, ob er einen Teil seines Landes enteig-, nen sollte. Aber er hatte es doch nicht getan. In erster Linie, weil Benton britischer Staatsbürger war. Pancho hatte nichts übrig für reiche Landbesitzer und für Grin- gos schon gar nicht. Außerdem sollte dieser Benton ein Raufbold sein, der mit allen Nachbarn in Streit lebte. Nein, Pancho hatte nicht die leiseste Lust, mit ihm zu sprechen. Unwillig fragte er: »Was will er denn?« »Er will mit Ihnen über die Steuer sprechen, die Sie auf die nicht- enteigneten Haciendas gelegt haben.« »Sagen Sie ihm, daß es darüber nichts zu sprechen gäbe. Er hat zu bezahlen, und das ist alles.« »Das wollen wir doch einmal sehen!« Benton hatte Benavides einfach beiseite gestoßen und stellte sich vor Villa auf. Hinter ihm hatte Fierro das Zimmer betreten. Pancho sah auf. Vor ihm stand ein braungebrannter lederhäutiger Mann. Der Zorn hatte sein Gesicht gerötet. Er atmete schwer. »Verdammt noch mal, wer, glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Villa!« Pancho blieb sitzen. Seine Stimme war ganz ruhig. »Wer ich bin, weiß ich. Ich würde aber gern erfahren, wer Sie sind und was Sie wollen.« »Sie wissen verdammt gut, was ich will, Villa. Wenn Sie sich ein- bilden, daß ich Ihre gottverdammte, räuberische Steuer bezahle, dann sind Sie übergeschnappt. Außerdem wollte ich Ihnen noch ei- nes sagen: Wenn Ihre diebischen Peonen noch einmal ihr verlaustes Vieh über mein Land treiben, dann schieße ich sie nieder.« »Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen, Engländer.« Panchos Stimme klang gefährlich leise. »Zum ersten: Alle Hacienderos, die in Chihuahua Land besitzen, werden die Steuer bezahlen. Zum zweiten: Ich hätte Ihre Hacienda enteignen können. Ich tat es nicht. Nicht Ihretwegen, sondern wegen Ihres Konsuls, der mein, Freund ist. Zum dritten: Ich kann es nicht leiden, wenn man meine Landsleute Diebe nennt. Und zum letzten: Was, zum Teufel, fällt Ihnen ein, in mein Haus einzudringen und sich hier aufzuführen wie ein verrückt gewordener Cowboy? Wenn Sie nicht sofort gehen, dann lasse ich Sie hinauswerfen.« Benton sah aus, als wolle er vor Wut zerspringen. »Sie verdammter Viehdieb«, schrie er und zog seine entsicherte Pistole. Im gleichen Augenblick warf sich Fierro auf ihn. Ein Schuß aus Bentons Waffe ging los. Die Kugel bohrte sich in die Wand. Pan- cho war aufgestanden. Wenn er erregt war, so sah man es ihm nicht an. »Señor Benton, Sie sind verhaftet«, sagte er mit schneidender Kälte. Vier Soldaten betraten den Raum und führten Benton ab. Eine Stunde später war George Carothers, der britische Konsul, bei Pancho Villa. Carothers empfand eine große Sympathie für den rauhen Volkshelden. »Sie müssen ihn freilassen, General«, sagte er eindringlich. »Ich spreche nicht nur für Benton, der sich wie ein Narr benommen hat. Ich spreche auch in Ihrem Interesse.« »Lassen Sie mein Interesse aus dem Spiel«, entgegnete Pancho unwillig. »Ihr Señor Benton hat sich nicht nur wie ein Narr be- nommen, sondern wie ein Revolverheld. Ich denke gar nicht daran, ihn freizulassen.« »Was wollen Sie denn mit ihm tun?« »Er wird morgen früh standrechtlich erschossen.« Carothers verfärbte sich. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, General. Sie wollen einen briti- schen Staatsangehörigen ohne ein ordentliches Gerichtsverfahren erschießen? Das wäre Mord.« Pancho, der hinter seinem Schreibtisch gestanden und mit einem, Brieföffner gespielt hatte, schlug mit der Faust auf die Holzplatte. »Ohne Oberst Fierros Dazwischentreten wäre ich ermordet wor- den, und zwar von Ihrem sauberen Señor Benton. Das scheinen Sie zu vergessen, Konsul.« Pancho machte eine wegwerfende Handbe- wegung. »Worüber streiten wir uns überhaupt? Hätte ich meine Pistole zur Hand gehabt, wäre Benton schon ein toter Mann.« »Und niemand hätte Sie getadelt, General. Aber Benton im Kampf zu erschießen ist etwas anderes als ihn kaltblütig ohne Ge- richtsurteil hinrichten zu lassen. Das eine, General, nennt die Welt Notwehr, das andere – Mord.« Pancho war ans Fenster getreten. Sein Blick fiel auf eine Gruppe Indios, die mit Fiedeln, Flöten und Klarinetten am Straßenrand standen und den Passanten aufspielten. Einige blieben stehen und warfen den Musikanten kleine Münzen in den aufgestellten Hut. Um Panchos Lippen hatte ein weiches Lächeln gelegen, das aber sofort verschwand, als er sich jetzt wieder dem Konsul zuwandte. »Ich will Ihnen etwas sagen, Señor Carothers: Dieser Benton ge- hört zu jenen habgierigen, jähzornigen, blutsaugerischen Haciende- ros, die seit Jahrzehnten meinen Landsleuten das Leben zur Hölle machen. Für sie ist ein mexikanischer Landarbeiter nicht viel mehr als ein Haufen Dreck, auf den sie spucken können. Ich weiß das, und ich hasse sie dafür. Trotzdem habe ich ihnen eine Chance ge- geben. Sie haben ihr Land und ihr Vermögen behalten, und ich habe nur eines von ihnen gefordert: Sie sollten einen Bruchteil von dem zurückgeben, was sie meinen Landsleuten geraubt haben. Ben- ton hat nicht nur diese Forderung mißachtet. Er ist gegen meinen Willen in mein Haus eingedrungen. Er hat die Waffe erhoben ge- gen mich und meinen Freund, zwei Männer die unbewaffnet waren. Und …« Pancho trat ganz dicht an Carothers heran, sein Atem ging heftig, und er hatte die Augen zusammengekniffen. »… dieser Benton hat es gewagt, zu mir zu sprechen wie zu einem Peonen, als wäre ich, Staub zu seinen Füßen. Und deshalb, Konsul, werde ich dafür sor- gen, daß er selbst zu Staub wird.« Mit Schrecken erkannte Carothers, daß es Pancho in diesem Falle nicht um Gerechtigkeit, sondern um Rache ging. Der unselige Ben- ton hatte Villa genau an der Stelle getroffen, an der er am empfind- lichsten war: an seinem gedemütigten, hundertfach mit Füßen ge- tretenen Stolz als Mexikaner. Der Konsul appellierte an Panchos Vernunft, an seine bessere Einsicht. Er versuchte ihm klarzumachen, daß hinter jedem briti- schen Staatsbürger die Macht und das Ansehen des Vereinigten Königreichs stünden. Pancho schüttelte stumm den Kopf. Nach einer Stunde gab es Carothers auf, Villa umzustimmen. Es war ihm bitterer Ernst, als er sagte: »Bis heute, General, war dieser Benton ein Niemand, ein mexika- nischer Farmer, den kein Mensch kannte. Den toten Benton aber wird morgen die ganze Welt kennen. Und alle Länder, auch Ameri- ka, werden durch die Schüsse Ihres Exekutionskommandos darauf aufmerksam gemacht werden, daß in Pancho Villas Mexiko Willkür herrscht und fremde Staatsbürger ihres Lebens nicht mehr sicher sind.« Man sah Pancho an, welche Anstrengungen es ihn kostete, sich zu beherrschen. Er hatte die Zähne so fest zusammengebissen, daß seine Backenknochen hervortraten, und seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Genug!« stieß er schließlich hervor. »Wir waren Freunde. Des- halb will ich vergessen, was Sie gesagt haben. Sie, Konsul, sind ein Ehrenmann. Aber Sie sind Engländer, und deshalb werden Sie nie verstehen, weshalb ich so und nicht anders handeln muß. Bitte, lassen Sie mich jetzt allein.« Pancho irrte. Carothers verstand ihn nur zu gut. Und sein Be- dauern galt nicht nur dem britischen Staatsbürger William Benton,, sondern auch dem Mexikaner Pancho Villa. »Ich fürchte, mein General, Sie werden das bereuen«, sagte er. Konsul George Carothers sollte recht behalten. Die Schüsse, die Benton trafen, wurden in der ganzen Welt gehört. Die englische Re- gierung verlangte Erklärungen, Entschuldigungen, Wiedergutma- chung. Huerta versprach, Pancho Villa zur Rechenschaft zu ziehen – wenn er ihn hätte. Carranza spielte den Unwissenden, Erstaunten, Entsetzten. Woodrow Wilson, der Pancho bisher bewundert hatte, ging nicht so weit, seine Sympathie nunmehr Huerta zuzuwenden. Aber er hielt es für unmöglich, seine Unterstützung einem Mann angedei- hen zu lassen, der ebenso wie Huerta vor den Augen der Welt ein Mörder war. Insgeheim setzte sich der amerikanische Präsident mit Carranza in Verbindung. Der Chef der Konstitutionellen Partei ließ wissen, daß er General Villa fallenlassen würde, sobald es ihm die Umstände, das heißt: die Machtverhältnisse, erlauben würden. Da- für versprach ihm Wilson, daß seine Torpedoboote deutsche Schif- fe, die Waffen für Huerta brachten, kapern würden. Carranza triumphierte. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Huerta zur Abdankung gezwungen wurde. Von außen blockier- ten ihn die Vereinigten Staaten. Im Innern bereitete ihm Villa eine Niederlage nach der anderen. Er, Carranza, brauchte eigentlich nur noch zu warten, bis ihm Mexiko wie eine reife Frucht in den Schoß fallen würde. Die Sache hatte nur einen Haken: Pancho Villa. Würde ›Der Tiger des Nordens‹ die Macht wieder aus der Hand geben, die seine Division del Norte erkämpft hatte? Würden nicht letzten Endes die Waffen bestimmen, wer Präsident würde? Carranza war kein Mann von schneller Tatkraft und kühnen Ent- schlüssen. Seine Stärke lag auf dem Gebiet der Intrige. Er brauchte einen Offizier in der Division del Norte, dem er ver-, trauen konnte und der sich zugleich in das Vertrauen von Villa schlich. Wenn es dann zum letzten Kampf um Mexiko kommen würde, dann würde dieser Mann den Tiger des Nordens in die Falle locken. Carranzas Wahl fiel auf Felipe Angeles, den jungen hervorragen- den Artillerieoffizier von reinstem spanischen Blut. Er ging davon aus, daß dessen militärisches Wissen Villa imponieren würde. Ande- rerseits glaubte er sicher sein zu können, daß der kultivierte, hoch- gebildete Angeles den ruppigen, unwissenden, halbindianischen Bauern verabscheuen würde. Carranza ließ Angeles zu sich kommen. Der junge Mann mit dem schmalen aristokratischen Hidalgo- Kopf, den langen, nervösen Händen und den großen, fast ein wenig verträumten Augen, hörte sich die wortreichen Erklärungen schwei- gend an. Nachdem Carranza ihm mit viel Umschreibungen klargemacht hatte, was er von ihm erwartete, erhob sich Angeles brüsk. »Verzeihen Sie, mi Jefe, aber das ist eine Aufgabe, für die ich nicht geeignet bin.« »Ich denke«, antwortete Carranza, »Sie wollen Mexiko dienen.« »Ja, aber nur ehrenvoll.« »Ich kenne keine ehrenvollere Aufgabe, als dieses Land vor Bür- gerkrieg und Blutvergießen zu bewahren.« »Dafür stehe ich Ihnen zur Verfügung. Aber als Artillerieoffizier, nicht als Verräter.« Don Venustiano legte den Arm um Angeles' Schulter. »Sie haben mich mißverstanden, amigo. Sie sollen General Villa siegen helfen, solange er kämpft, um einer demokratischen Regie- rung zur Macht zu verhelfen. Wenn er jedoch so weit gehen sollte, eine Diktatur des Pöbels, der Banditen und des Faustrechts errich- ten zu wollen, dann erwarte ich von jedem Mexikaner, daß er ihm in den Arm fällt. Wollen Sie das erst tun, wenn ganz Mexiko in, einem Blutbad ertrunken ist?« »General Villa kämpft für unsere gemeinsame Sache, Don Venus- tiano«, gab Angeles zu bedenken. »Ja, ich weiß. Nur wünschte ich, er täte es etwas humaner, zivili- sierter. Seine Eskapaden schaden unserem Ansehen in der Welt. Er hängt Gefangene auf und läßt ausländische Staatsbürger erschießen. In Chihuahua hat er sich die Regierungsgewalt angemaßt.« Carranza, der erregt auf und ab gegangen war, blieb vor Angeles stehen und fuhr in beschwörendem Ton fort: »Ich bitte Sie, Don Felipe, helfen Sie mir, daß diese große Pro- vinz wieder eine Verwaltung bekommt, die den Einwohnern ein menschenwürdiges Dasein bereitet. Sorgen Sie dafür, daß Villa das bleibt, was er ist: ein Soldat. Und wachen Sie darüber, daß er die Waffen aus der Hand legt, wenn endlich wieder Frieden im Lande herrscht.« Angeles schaute in Carranzas Augen, kleine, kurzsichtige Augen, die hinter dem Kneifer fast wimpernlos erschienen. »Bueno«, sagte er schließlich. »Schicken Sie mich zu General Villa und teilen Sie ihm mit, daß ich ihm als Artillerieoffizier zugeordnet werde.« Carranza atmete erleichtert auf und streckte Angeles beide Hände entgegen. »Gracias, amigo. Sie erweisen Ihrem Vaterland einen großen Dienst.« »Das hoffe ich, mi Jefe«, entgegnete Angeles. »Sie können dessen ganz sicher sein. Vergessen Sie nicht, daß auch Madero diesen Pancho Villa hinter Schloß und Riegel gesetzt hat.« »Ich weiß«, sagte Angeles. »Und ich will, daß dieses Land, das schon viel zu lange von Opportunisten, Erpressern und Karrieristen beherrscht wird, endlich wieder einmal die Hand eines Menschen zu spüren bekommt.« Don Venustiano war sicher, daß Angeles damit nur seine, Carran-, zas Hand, gemeint haben konnte. Pancho hatte Torreón, das von den Truppen Huertas besetzt wor- den war, zurückerobert. Es war ein langer blutiger Kampf gewesen. Zwölf Tage hatte die Schlacht hin und her gewogt. Schließlich hat- te Pancho gesiegt. Mehr als fünfhundert seiner Männer waren gefal- len, aber fast zehntausend waren ihm zugeströmt. Sie kamen aus allen Gegenden des Landes, zerlumpt, hungrig, aber erfüllt von dem tiefen Glauben, daß dieser Pancho Villa der Mann sei, der sie alle aus Not und Elend in eine glückliche Zukunft führen würde. Pancho Villa war zur Legende geworden. Man erzählte sich, daß er unbesiegbar, unverwundbar sei. Einige wußten zu berichten, daß sie mit eigenen Augen gesehen hätten, wie eine Kugel ihn durch- bohrt hätte, ohne daß die geringste Verwundung zu sehen gewesen wäre. Die Männer versuchten, in seine Nähe zu gelangen, ihn zu berüh- ren, weil sie glaubten, daß sie dann vielleicht ein wenig an diesen wunderbaren Eigenschaften teilhaben könnten. Der Mann, an dem so viel Hoffnung, Glauben und Vertrauen hing, saß derweil in dem Waggon eines Zuges, den er für sich selbst eingerichtet hatte. Er war schmutzig, unrasiert, aber strahlender Laune. »Das ist das erstemal, daß mir Señor Carranza einen Dienst er- weist«, sagte er und schüttelte seinem Besucher die Hand. »Wirk- lich, Señor Angeles, ich weiß, was für ein großartiger Artillerist Sie sind. Ich ernenne Sie zum General. Wenn wir uns das Blut und den Schmutz der Kämpfe abgewaschen haben, werde ich eine Parade für Sie veranstalten.« »Das ist nicht nötig, mein General«, entgegnete Angeles zurück- haltend. Pancho lachte., »Nicht nötig? Na hören Sie! Ich bekomme den besten Artilleris- ten Mexikos, und das soll mir nicht mal eine Parade wert sein? Nein, nein, amigo, sie sollen Sie alle sehen: die Brigade Urbina, die Brigade Fierro, die Brigade Juárez und nun auch eine Brigade An- geles.« »Gracias, mein General, aber bevor Sie mich so herzlich bei sich aufnehmen, muß ich Ihnen sagen, daß mir Señor Carranza aufge- tragen hat …« Pancho machte eine wegwerfende Handbewegung. »Verderben Sie mir die Freude nicht, amigo. Ich weiß, daß der Langbart noch immer böse ist wegen der Benton-Affäre. Aber er ist im Unrecht. Alle sind im Unrecht, die mich tadeln. Was hätten denn die Amerikaner getan, wenn ein halbbesoffener Mexikaner in ihr Rathaus in El Paso eingedrungen wäre und versucht hätte, ihren Bürgermeister zu erschießen, he?« »Ich weiß es nicht«, entgegnete Angeles. »Aber mein Auftrag be- zog sich nicht auf die Benton-Affäre.« »Sondern?« »Señor Carranza wünscht, daß Sie Torreón möglichst bald verlas- sen und Saltillo von den Truppen Huertas befreien.« Pancho fuhr herum. »Saltillo? Warum Saltillo? Ich hatte die Absicht Zacatecas zu er- obern. Das liegt auf dem Weg nach Mexico-City. In vierzehn Tagen könnten wir in der Hauptstadt sein.« »Señor Carranza wünscht, daß Sie erst Saltillo erobern«, entgeg- nete Angeles einsilbig. Pancho kniff die Augen zusammen. »So, wünscht er das? Und General Obregón wünscht das sicher- lich auch. Wenn ich erst einmal weit genug im Westen bin, dann wird er als erster in der Hauptstadt sein. So ist es doch, Señor An- geles, oder …?« Angeles schwieg, aber er dachte, daß jeder, der diesen Mann für, dumm hielt, entschieden auf dem Holzweg wäre. Pancho ging in dem Waggon auf und ab. »Ich weiß, warum Carranza will, daß ich nach Saltillo marschiere. Erstens hält mich dieser Kampf von Mexico-City fern, und zweitens ist Saltillo die Hauptstadt von Coahuila, dessen Gouverneur er war. Es würde sein Ansehen mächtig aufpolieren, wenn ich ihm seine Stadt zurückerobern würde.« Angeles nahm eine Zigarette aus seinem silbernen Etui. Seine schlanken, gut manikürten Finger entzündeten ein Streichholz. Er tat einen tiefen Zug und sah dem Rauch nach, der in feinen Schwa- den zu der niedrigen Decke zog. Pancho unterbrach seine Wanderung und blieb vor Angeles ste- hen. »Also gut, nehmen wir einmal an, ich erobere Saltillo für Car- ranza. Unterstütze ich damit einen guten Mann oder helfe ich einer Laus, zu Macht und Ansehen zu gelangen? Das muß ich wissen, amigo.« Angeles zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht meine Art, über einen anderen Mann zu sprechen. Es sei denn, er wäre anwesend und könnte sich verteidigen.« »Verschonen Sie mich mit diesem Schnickschnack«, begehrte Pan- cho auf. »Es geht hier nicht um Empfindlichkeiten, sondern darum, daß ich zehntausend Mann in einen Kampf werfe, in dem vielleicht tausend sterben werden. Diese tausend Mann haben Frauen und Kinder, die nicht mehr wissen werden, wovon sie leben sollen. Die paar Pesos, die ich ihnen gebe, sind kein Ausgleich dafür, daß ich sie in den Tod jage. Verstehen Sie das, Señor? Ich muß wissen, ob diese Kämpfe gut sind für Mexiko. Denn ich bezahle sie mit guten Männern. Ich muß wissen, ob ich ihren Tod verantworten kann. Danach habe ich Sie gefragt, Señor. Ihre Ehrbegriffe interessieren mich einen Dreck.« Angeles hatte mit wachsendem Erstaunen zugehört. War das der Mörder, der Schlächter, der Bandit und Marodeur, von dem man, ihm berichtet hatte? »Ich … ich ahnte nicht, daß Sie sich derartige Gedanken machen. Ich dachte, Sie seien …« »Ein Tier, was?« unterbrach ihn Pancho. »Vielleicht bin ich ein Tier. Aber auch Tiere schreien manchmal. Aber ich schreie nicht. Ich liege nur ungezählte Nächte wach und denke darüber nach, was ich einmal war: ein Mann, der Freude am Kampf hatte, der lachte, sang und eine Frau umarmte wie jeder andere Mann. Und heute? Heute jage ich von Sieg zu Sieg und frage mich, wer wird die Früchte dieser Siege ernten? Madero ist tot. Carranza? Ist er es wert, daß auch nur ein Mann für ihn stirbt? Ist er ein Patriot oder ein Verräter? Und wenn er ein Verräter ist, soll ich ihn töten? Kann ich alle Verräter töten? Und wie kann ich einen Schurken von einem anständigen Mann unterscheiden?« Pancho fuhr sich mit den Fingern durch das struppige Haar und seufzte. »Manchmal wünschte ich, ich könnte mich betrinken. Dann wür- de ich all diese Gedanken und Sorgen, diese Zweifel und Ängste vergessen.« Angeles, der aristokratische, in Europa erzogene Mexikaner mit den tadellosen Manieren reichte dem schmutzigen Mann, in dem er bisher nichts anderes als einen Banditen gesehen hatte, beide Hände. »Es ist mir eine Ehre, mein General«, sagte er, »unter Ihnen die- nen zu dürfen. Und um Ihnen zu beweisen, daß ich Ihnen ergeben bin, will ich Ihnen sagen, daß mich Carranza zu Ihnen geschickt hat, um Ihnen im gegebenen Augenblick in den Rücken zu fallen. Jetzt, mein General, stehe ich zu Ihrer Verfügung.« Pancho schloß Angeles wortlos in seine Arme. Ganz Mexico-City war auf den Beinen. Die Stadt glich einem riesi-, gen Rummelplatz. Über die Straßen waren Blumengirlanden ge- spannt. An allen Fenstern flatterten die rot-weiß-grünen Fahnen der Revolution. Die Frauen trugen Blüten im Haar, und die Männer hatten ihre schönsten Charro-Kostüme angezogen. Die Stadt hatte Feiertag. Niemand war zur Arbeit gegangen. An allen Ecken spielten Musikanten auf. Durch die Straßen wogte, drängte und schob eine unübersehbare Menschenmenge. Dicht bei dicht standen die Einwohner an den Bürgersteigen und warteten. Sie warteten auf Pancho Villa, auf den Tiger des Nordens und auf seine sagenumwobene Division del Norte. Und sie warteten auf Emiliano Zapata, den Puma des Südens, der mit seinen sechzigtau- send Reitern an Villas Seite in die Hauptstadt einziehen würde. Der 6. Dezember 1914 war ein warmer, sonniger Tag. Das Tief- blau des Himmels, das frühlingshafte Wetter, eine Sonne, die nicht brannte, sondern vergoldete, lag über der Stadt, die seit vier Jahren von Macht- und Revolutionskämpfen erschüttert wurde. Würde dieser Tag alles wenden? Würde die Revolution endlich, endlich siegreich sein? Da ertönten im Westen der Stadt die ersten Arriba-Rufe. Aus tau- send Kehlen kam ein donnerndes »Viva Villa!« Es war ein unvergleichlicher Anblick, als die beiden legendären Gestalten der Revolution in die Stadt einritten. Pancho Villa, der kantige, vierschrötige Tagelöhner, Bandit und Guerillero im schwar- zen Sweater, den Patronengürtel um Brust und Schultern geschlun- gen und das Gewehr auf dem Rücken. Und der schmale, geschmei- dige Zapata in dem malerischen Charro-Kostüm und den silberbe- schlagenen Sombrero auf dem Kopf. Und hinter diesen fast mythi- schen Figuren wälzten sich ihre Heere und Divisionen über die Prachtavenuen: die rauhen, martialischen Burschen, die Landarbei- ter und Viehtreiber Villas und die zerlumpten, braunen, abenteuer-, lich bewaffneten Indianer Zapatas. Die reichen Bürger und Kaufleute schlossen entsetzt ihre Häuser und Läden und ließen die Rolläden herab. Das Volk aber jubelte. Ein wahrer Blumenregen fiel auf Villa und Zapata herab. Männer und Frauen lachten und weinten vor Rührung und fielen sich in die Arme: Jetzt würde sich alles, alles wenden. Huerta, dieser Mörder, Säufer und Tyrann hatte aus der Staats- kasse zwei Millionen Pesos gestohlen und war nach Paris geflohen. Soll er doch! Nur fort mit ihm! Nur fort mit allen diesen Lum- pen, Beutelschneidern und Volksbedrückern! Carranza saß auch schon in Vera Cruz. Gute Reise, Premier Jefe, oberster Chef, der so gern Präsident geworden wäre! Jetzt haben wir unseren Villa, unseren Pancho, unseren Panchito! Und er und Zapata reiten zusammen, Seite an Seite wie Freunde. Nicht wie Hunde, die sich zähnefletschend die Beute streitig ma- chen wollen. Villa und Zapata waren Freunde, und sie wußten, daß dieser Sieg, den sie errungen hatten, allein dem Volke gebührte. Was kann ein anständiger, aufrechter Mann auch anders tun mit einem Sieg, als ihn dem Volk geben und sagen: »Ihr habt für ihn gekämpft und ge- blutet. Nun nehmt den Sieg und die Freiheit und macht das Beste daraus.« Das dachten die Menschen auf den Straßen von Mexico-City und deshalb schrien sie: »Viva Villa! Viva Zapata! Viva Villa!« Und sie schrien sich die Kehlen trocken, tranken Wein und schrien weiter. Gegen drei Uhr am Nachmittag betraten Villa und Zapata mit ih- ren Stäben den National-Palast. Ein großer Teil der Provisorischen Regierung war mit Carranza nach Vera Cruz geflohen. Einige Staatssekretäre und Beamte aber hatten in der Stadt ausgeharrt. Ge- meinsam mit einer Schar in- und ausländischer Journalisten erwarte-, ten sie Pancho Villa im großen Audienzsaal. Panchos Schritte wurden zögernd, als seine derben Stiefel auf dem glänzenden Parkett dröhnten. Er hatte nie Hemmungen, nie Verlegenheit gespürt. Jetzt überfielen sie ihn in einem Maße, daß ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Er fühlte die Blicke all der Männer, die es gewohnt waren, sich auf glattem Parkett zu bewegen, auf sich gerichtet. Und er hörte förmlich die Gedanken, die sich hinter deren Stirnen bewegten: ›Auf dem Schlachtfeld mag er eine ganz gute Figur machen, die- ser Bandit, dieser Landsknecht und Analphabet. Jetzt soll er mal zeigen, wie er sich in einem Palast in großer Gesellschaft, auf diplo- matischen Empfängen zu bewegen weiß.‹ Pancho ging vorwärts, Schritt für Schritt, mit feuchten Händen und weichen Knien. Am Ende des Saales, auf einem Podest, stand der riesige, vergoldete Präsidentenstuhl, auf dem schon Kaiser Maxi- milian gesessen hatte. Es geschah fast ohne seinen Willen. Die Männer hinter ihm drängten nach. Er ging voran. Und plötzlich stand er vor dem Stuhl, zu seiner Rechten Urbina, zu seiner Linken Zapata. Im Saal war es totenstill. Alle sahen zu Pancho Villa auf. Alle war- teten, daß er sprechen würde. Er schluckte einigemal. Sein Hals war trocken. Er wußte nicht, was er sagen sollte, und er hatte das Gefühl, keinen Ton aus der Kehle zu bekommen. Das Schweigen wurde drückend, peinigend. Ein paar Leute räus- perten sich. Pancho holte tief Luft. »Meine Freunde«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich habe noch nie an einem solchen Ort und vor Männern, wie Sie es sind, ge- sprochen. Ich bin ein Soldat und kein Staatsmann. Das habe ich immer gewußt. Und an einem Tag wie dem heutigen darf ich es nicht vergessen. Es ist nicht ganz leicht, die Macht auszuschlagen,, wenn sie einem geboten wird. Es ist um so schwerer, wenn man Träume und Pläne hat, die man mit dieser Macht verwirklichen könnte. Meine Träume sind die gleichen, die Madero hatte: den Hunger und die Unwissenheit aus diesem Lande zu vertreiben, dem Volk, das jahrhundertelang geknechtet war, die Freiheit zu schen- ken und den Bauern das Land zurückzugeben, das ihnen durch Un- recht und Willkür geraubt worden ist. Aber ich weiß, daß ich das nicht werde durchführen können. Der ehrliche Wille allein genügt nicht. Dieses Land hat einen besseren Präsidenten verdient als einen unwissenden Bauern. Deshalb verspreche ich Ihnen, daß ich dahin zurückkehren werde, woher ich gekommen bin, wenn in Mexiko endlich Ruhe herrscht und eine konstitutionelle Regierung gebildet worden ist.« Die Menschen, die am Eingang gestanden hatten, drängten sich um Pancho. Ein paar Journalisten zerrten ihn auf den Präsidenten- stuhl. »Viva, Präsident Villa!« schrien einige, und andere fielen ein. Urbina und Zapata setzten sich neben Villa. Die Kameras klickten. Pancho erhob sich unwillig. Er kam sich überrumpelt vor. Das Foto ging um die Welt. Am Abend saßen er und Zapato allein in zwei riesigen Lehnses- seln neben dem Kamin. Die beiden Männer schwiegen. Zapata rauchte, und Pancho sah auf die Spitzen seiner Stiefel, die geputzt waren und glänzten wie nie zuvor. »Ich möchte dir etwas sagen, Emiliano«, brach Pancho das Schweigen, und er fand es ganz selbstverständlich, daß er Zapata duzte. »Und ich möchte es nur dir sagen: Als ich auf diesem ver- dammten Stuhl saß, dachte ich: Er ist wie ein Thron, und es ist ein höllisches Gefühl, auf ihm zu sitzen. Und wenn ich wollte, dann könnte ich sitzen bleiben, und niemand würde mich daraus vertrei- ben. Ich sage dir, Emiliano, das ist eine teuflische Versuchung. Und, deshalb kann ich es kaum erwarten, wieder wegzukommen.« Emiliano lächelte. »Ich verstehe dich, Panchito mio. Als ich den Präsidentenstuhl vor mir sah, war es mir, als hinge ein großes Schild daran: Präsident gesucht. Wo, zum Teufel, gibt es in diesem ganzen weiten Land einen Mann mit Bildung, Anstand, Tapferkeit und Würde?« »Vielleicht bist du der Mann?« Zapata schüttelte den Kopf. »O nein, amigo. Ich gehe zurück nach Morelos. Alles, was ich mir wünsche, ist ein Stück eigenes Land. Dafür haben ich und mei- ne Männer gekämpft. Jetzt wollen wir es haben. Es wäre schön, amigo, wenn du der Mann wärest, der es uns gibt. So ganz nach Recht und Gesetz, mit einem Papier und einem Siegel und einer Unterschrift darauf. Überleg es dir noch einmal, amigo.« Pancho hatte seine Nachdenklichkeit abgeschüttelt. Er lachte. »Das hätte Mexiko gerade noch gefehlt! Nach den Schurken nun einen Narren zum Präsidenten! Nein, Emiliano, ich gehe nach Hau- se, so schnell ich kann. Das hier ist kein Platz für mich. Und für meine Männer auch nicht. Ich habe ihnen gesagt, daß ich jeden von ihnen an die Wand stellen werde, der plündert, stiehlt oder ver- gewaltigt. Aber könnte ich es ihnen verdenken? Sie kennen nur die Wüste, die Berge, Schmutz, Blut und Tod. Und nun diese Stadt hier, mit ihrem Reichtum und Tand und Überfluß. Nein, compa- dre, meine Männer und ich, wir müssen marschieren, lieber heute als morgen.« Emiliano Zapata faßte Panchos Hand und drückte sie. In seinem Arbeitszimmer im National-Palast ging Pancho auf und ab wie ein gefangenes Raubtier. Seine Schläfenadern waren ge- schwollen, und sein Gesicht war rot vor Zorn. Plötzlich wandte er sich um und blieb vor Fierro stehen., »Bringen Sie ihn mir, Rodolfo, bringen Sie mir diesen verdamm- ten Hundesohn, damit ich ihn mit meinen eigenen Händen erwür- gen kann.« Fierro schüttelte den Kopf. »Sie sind zu erregt, mein General. Sie sollten sich erst ein wenig beruhigen.« »Ich will mich nicht beruhigen!« schrie Pancho. »Und ich will nicht, daß Sie mir Ratschläge geben. Holen Sie mir Urbina, sofort! Sonst stelle ich Sie neben ihn an die Wand.« Zwei Minuten später betrat Urbina, gefolgt von Fierro, das Zim- mer. Urbina war kreidebleich. Seine Augen waren schreckensweit geöff- net und mit einem angstvollen Flehen auf Villa gerichtet. Pancho spürte, wie die Wut von ihm abfiel. Aber er wollte zornig sein. »Nun, General, ich warte auf Ihre Erklärung.« Urbina war bei dem ungewohnten ›Sie‹ zusammengefahren. »Höre, Panchito … hören Sie, mein General. Das war so ein Wir- bel und Trubel, so ein Hin und Her und Kommen und Gehen, daß ich davon ganz wirr im Kopf geworden bin.« »So wirr, daß Sie die halbe Stadt ausgeplündert haben! Und wenn ich es nicht erfahren hätte, dann würden Sie jetzt die andere Hälfte ausplündern!« Urbina kannte Pancho sehr genau. Er wußte jeden Augenauf- schlag und jedes Stirnrunzeln zu deuten, und er spürte, daß der Freund sich gewaltig aufblähen mußte, um seinen Zorn am Kochen zu halten. Er versuchte ein Lächeln. »Eigentlich … eigentlich war es eine Kriegslist. Ich … ich dachte, wenn ich den reichen Kaufleuten das Geld wegnehme, dann kön- nen sie es nicht Carranza geben …« »Schweigen Sie, General Urbina«, unterbrach ihn Pancho. »Wenn Sie noch eine Minute weiterreden, werden Sie mir erzählen, Sie ha-, ben das Geld geraubt, um der Revolution zu nützen.« »So ist es, Panchito, mein General, genauso. Und der Blitz soll mich treffen, wenn ich einen anderen Gedanken hatte.« Pancho trat einen Schritt näher auf Urbina zu. »Ich will Ihnen sagen, General Urbina, was sie treffen wird: sechs Kugeln. Sechs Stück Eisen aus den Gewehrläufen eines Exekutions- kommandos werden Ihren wirren Kopf treffen. Und ich selbst wer- de dieses Kommando führen. Haben wir uns verstanden, General Urbina?« Urbina begann zu zittern. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »O Panchito, amigo, compadre, verzeih mir. Aber du hast ja recht: Bring mich um! Laß mich erschießen! Wie kannst du von deinen Männern noch Disziplin verlangen, wenn dein General dei- ne Befehle mißachtet.« In Urbinas Stimme war ein Schluchzen. »Laß mich erschießen, Panchito, aber verzeih mir …« Pancho hatte sich abgewandt. Er stand vor dem Fenster und hatte Urbina den Rücken zugedreht. »Bring mir das Geld«, sagte er nach einer Weile. »Sofort und alles. Jeden Peso. Ich weiß nicht, wieviel du geraubt hast. Aber die Be- stohlenen werden es wissen. Gnade dir Gott, wenn auch nur ein Centavo fehlt.« Urbina nahm Panchos Hand und küßte sie. »Danke, amigo, danke. Das werde ich dir nie vergessen. Und ich verspreche dir, daß es nie wieder geschieht. Ich schwöre es dir.« Pancho zog seine Hand zurück. »Mach, daß du rauskommst«, knurrte er. Als sich die Tür hinter Urbina geschlossen hatte, nahm Fierro seine Zigarre aus dem Mund, warf sie auf den Boden und zertrat sie mit dem Absatz. »Das war schlecht, mein General, ganz schlecht. Und Sie wissen es.« »Was soll ich wissen?« fuhr Pancho herum. »Urbina hat sich wie, ein Narr benommen. Das ist alles.« »So, das ist alles!« höhnte Fierro. »Eine Viertelmillion Pesos hat dieser saubere Bursche beiseite bringen wollen. Und Sie gehen darü- ber hinweg, als sei es ein Katzendreck.« »Seien Sie still, Fierro.« »O nein, mein General, ich bin nicht still. Jeden anderen hätten Sie gegen die Wand gestellt. Aber nicht Urbina. Der kann tun und lassen, was er will. Er schluchzt ein bißchen, er zerdrückt ein paar Tränen, und schon schmilzen Sie hin. Wann endlich werden Sie diesen Hundesohn durchschauen? Er ist ein Dieb, ein Heuchler und ein gottverdammter Lügner. Jeder weiß es, nur Sie nicht.« »Halten Sie den Mund, Fierro! Das ist ein Befehl!« Aber Panchos Stimme klang unsicher. Mit schweren Schritten ging er zu seinem Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen. Mit einer müden Be- wegung stützte er den Ellbogen auf die Platte und legte die Hand über beide Augen. »Ich weiß nicht, was er ist«, sagte er leise. »Aber kann ich es ihm übelnehmen? Kann ich es irgendeinem meiner Männer übelneh- men, wenn das alles zuviel für sie ist? Schauen Sie sie sich doch an, die großen Herren, die gebildeten Männer mit den feinen Manie- ren, was haben sie als erstes getan, als sie an der Macht waren? Sie haben sich die Taschen vollgestopft. Und wer war Urbina? Ein Landarbeiter, ein Räuber, ein Bandit, genau wie Sie und ich. Wie kann ich es ihm übelnehmen?« »Eben weil er sich genauso benommen hat wie diese Lumpen und Tyrannen, gegen die wir kämpfen. Wofür sind unsere Männer gestorben, wenn wir nicht besser sind als diese geldgierigen Kreatu- ren? Glauben Sie mir, mein General, Urbina ist ein Schurke.« »Er ist mein Kamerad«, sagte Pancho und ließ seine Hand auf die Schreibtischplatte fallen. »Wir haben zusammen gehungert und ge- froren. Wir haben unter der gleichen Pferdedecke geschlafen. Er und ich, und sonst niemand. Wir hätten unser Blut füreinander ge-, geben. Ich habe Tage und Stunden erlebt, da war seine Gegenwart das einzige, das mich davor bewahrte, den Verstand zu verlieren. Sie meinen, Fierro, das hält mich davon ab, seine Fehler zu sehen? Sie irren sich. Ich sehe sie. Aber ich sehe auch die Ihren.« Das Blut schoß in Fierros Gesicht. Zum erstenmal, seit Pancho ihn getroffen hatte, verlor dieser kühle Zyniker seinen Gleichmut. »Es ist falsch, General, wenn Sie glauben, daß ich aus persönli- chen Gründen seine Bestrafung gefordert habe. Sie haben anders entschieden. Gut, Sie sind der Jefe. Ich hoffe nur, daß Sie es nicht bereuen werden.« »Gehen Sie«, sagte Pancho müde. »Gehen Sie und veranlassen Sie, daß sich die Truppen marschfertig machen. Morgen in der Früh verlassen wir Mexico-City.« Es war ein Entschluß ohne Vernunft und ohne Überlegung. In- stinktiv wußte Pancho, daß er nur im Norden, in den Bergen und in der Wüste der Herr von Mexiko und der Herr seiner Männer war. Aber kaum hatte er die Hauptstadt verlassen, waren Carranza und Alvaro Obregón von Vera Cruz aufgebrochen, hatten alle Züge re- quiriert und waren nach Mexico-City gefahren. Die Generäle Gutiérrez, Benavidez und Robles, die Pancho zu- rückgelassen hatte, um die Hauptstadt zu verteidigen, flohen. Sie hatten zehn Millionen Pesos aus der Staatskasse mitgenommen. Als Pancho dies hörte, war er wie vernichtet. Er wußte, daß er Mexico-City nicht in der Hand Carranzas lassen durfte. Noch ein- mal machte er kehrt und marschierte nach Süden. Carranza, nun wieder Präsident, befahl seinem General Obregón, sich an die Spitze der Regierungstruppen zu setzen und den Rebel- len Francisco Villa zu schlagen, wo immer er ihn träfe. Sie trafen sich bei Calaya., Pancho wollte den Kampf so führen, wie er es gewohnt war: nach Raubtierart von vorn, dem Feind direkt an die Kehle springen. Hinter der vorstürmenden Kavallerie sollte Angeles mit seiner Ar- tillerie ihm Feuerschutz geben. Fierro würde mit der Infanterie nachstoßen. Urbina sollte in der Nacht vor der Schlacht die Stadt umgehen und dem Feind von Süden her in den Rücken fallen. Am Morgen des 6. April, bei Sonnenaufgang, stürmte Pancho an der Spitze seiner Truppen gegen Calaya. Ein Gewitter von Maschinengewehrfeuer und Granaten ging über die Männer nieder. Rechts und links von sich sah Pancho Pferde zusammenbrechen, Kameraden zu Boden sinken. Die Hufe der nachfolgenden Tiere erschlugen Verwundete, zer- stampften Tote. »Viva Villa!« hörte er die Männer Fierros schreien, die hinter der Kavallerie vorrückten. Von einem Hügel im Süden strömte die unübersehbare Masse von Carranzas Soldaten gegen Villas Männer. Es war ein Blutbad, ein Gemetzel. Irgendwann einmal, am Nachmittag zwischen Staubwolken, zwi- schen Granaten und dampfenden Pferdeleibern, standen sich Pan- cho und Obregón in einer Entfernung von dreißig Metern gegen- über. Der Rebell und der General legten zur gleichen Zeit das Gewehr aufeinander an. Es war, als hätte nur ein Schuß den Höllenlärm durchschlagen. Obregóns Körper flog vom Pferd. Als seine Offiziere auf ihn zu- stürzten, um ihn aufzufangen, hing sein rechter Arm nur noch an einem dünnen, blutigen Hautfetzen. Pancho blieb unverletzt. Er schrie seinen Männer zu, ihm zu fol- gen, vorwärts zu stürmen. Aber Obregón hatte diese Schlacht sorgfältig vorbereitet. Nach, europäischem Vorbild hatte er Schützengräben und Drahtverhaue anlegen lassen. Sein Verteidigungssystem war gestaffelt und weit nach hinten ge- zogen. Auf beiden Flanken stand Kavallerie in Reserve. Die Artille- rie war für einen konzentrierten Einsatz bereit. Trotzdem war Villas Angriff so ungestüm, daß die beiden ersten Gräben fielen. Die Verluste waren furchtbar. Im Stacheldraht blie- ben Pferdeleiber hängen, verbluteten Männer. Und die Maschinengewehre, die Obregón in den hinteren Stel- lungen plaziert hatte, feuerten weiter. Panchos Attacke brach im Kugelhagel zusammen. Seine Armee mußte Stellung um Stellung räumen. Und als es Nacht wurde, war die Schlacht von Calaya verloren. Panchos gesamte Artillerie war vernichtet. Er mußte viertausend Tote und sechstausend Gefangene auf dem Schlachtfeld zurücklas- sen. Obregón kostete seinen Sieg voll aus. Den Arm, den Pancho ihm abgeschossen hatte, mußten zweitausend Gefangene mit ihrem Le- ben bezahlen. Es waren alte Kämpfer der Division del Norte. Obregón hatte sie sorgfältig aussortieren und in einen Viehpferch treiben lassen. Dort wurden sie mit Maschinengewehren erschossen. Bis zum letzten Mann. Pancho Villa war geschlagen. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er eine Niederlage erlitten. Aber es war eine vernichtende Nieder- lage, ein völliger Zusammenbruch. Pancho saß auf der Erde, die Beine angezogen, den Rücken gegen einen Felsen gelehnt. Seine Augen starrten blicklos in die Dunkel- heit. So saß er da, besiegt, Wut im Herzen, ohne Hoffnung, ohne Illu-, sionen, entsetzt von den Strömen von Blut, die vergossen waren. Fierro trat vor ihn hin. »Sie wissen, General, wer unsere Männer ermordet hat?« fragte er und sein Gesicht war starr und weiß im Mondlicht. Panchos Hände ballten sich zu Fäusten. »Obregón«, stöhnte er. »Ich wollte, es wäre Obregón«, entgegnete Fierro kalt. »Aber es war Urbina. Wo war er? Wo waren seine Männer? Hatten Sie ihm nicht befohlen, einen Entlastungsangriff vom Süden zu machen? Unser ganzer Plan war auf diesen Angriff aufgebaut. Aber Urbina hat nicht angegriffen. Wo war er?« Fierros Stimme schrie es in die Dunkelheit: »Wo war Urbina?« Pancho spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. In diesem Augenblick wurde er alt, so alt wie nach einem langen Leben. Ihm war, als würde er sein Herz verlieren, als würde er sich in nichts auf- lösen. In seinem Innern brach ein kaltes Feuer aus und entzündete ei- nen brennenden Schmerz. Er wollte schreien. Aber der Schrei blieb in seiner Kehle stecken. »Soll ich Ihnen sagen, wo Tomás Urbina ist?« fuhr die kalte, mit- leidlose Stimme Fierros fort. »Er ist niemals auf der anderen Seite von Calaya angekommen. Er hat seine Männer im Stich gelassen und hat meinen Zug genommen, meinen Zug!« Fierro schrie es her- aus. »Und er hat noch etwas mitgenommen. Soll ich es Ihnen sa- gen, General Villa? Er hat eine Million Pesos mitgenommen, den Sold für Ihre Soldaten, die besiegt, verwundet, tot und massakriert sind.« Panchos Kopf schlug gegen den Felsen. Es war, als hätte ihm je- mand gegen die Stirn geschlagen. »Tomás«, röchelte er. »Tomás soll mir das angetan haben? Mein Gott, mein Gott.« Dann verbarg er sein Gesicht in den Händen und weinte., Pancho Villa war auf dem Höhepunkt seiner Macht geschlagen worden, nach einem Siegeszug ohnegleichen: Ojinage, Santa Rosa- lia, Conejos, Bermejillo, San Pedro de las Colinas, Saltillo, Zacate- cas, Monterrey – alle diese Städte hatte er im Sturm genommen, mit einer Armee, die nicht als solche zu bezeichnen war. Mit Hor- den, die nichts zusammenhielt als der mythische Glaube an die überragende Gestalt ihres genialischen Führers: Pancho Villa. Als er in Mexico-City einzog, hatten viele in ihm einen zweiten Napoleon gesehen. Andere hatten sich vor ihm gebeugt, als wäre er der wiederauferstandene Messias. Als er Mexico-City verließ, aus Kleinmut, aus Sorge, aus Zweifel und dem nagenden Gefühl der Unzulänglichkeit, hatte er, der bisher ganz von seinem Instinkt ge- leitet worden war, dem Glauben an seine Unfehlbarkeit den ersten Stoß versetzt. Es war nicht so sehr diese eine Niederlage, die seine Männer de- moralisierte, es war die niederschmetternde Erkenntnis, daß Pancho Villa, dieser Mann des Schicksals, ein Mensch war wie jeder andere, verwundbar, besiegbar, sterblich. All das, was Panchos Persönlichkeit ausmachte, die elementare Kraft, das Unbedingte, Überzeugende, mit einem Wort: die Größe, war nichts im Vergleich zu dem Mythos, der plötzlich zusammen- gebrochen war. Seine Generäle verließen ihn, die Soldaten, müde des langen Blut- vergießens, betrogen um ihren Glauben an den Sieg der gerechten Sache, kehrten verwundet, zerlumpt, ärmer als je zuvor in ihre Hüt- ten und Höhlen zurück. Pancho und seine geschlagene, dezimierte Armee floh nach Nor- den. Guadalajara, Leon, Encarnación, Aguascalientes, San Luis Po- tosi und Zacatecas fielen in die Hände der Carranzisten. Felipe Angeles und die Reste seiner Artillerie waren bei Léon von ihm abgeschnitten worden. Von allen seinen alten Freunden war nur noch Fierro bei ihm geblieben., Sie hatten ein Ziel: Chihuahua-City, die Wüste, die Berge: das Land Pancho Villas, in dem er geboren war, in dem er gekämpft hatte als Bandit, als Guerillero. An Panchos Seite ritt Rodolfo Fierro, und ihnen folgten sechstau- send Mann, der Rest der stolzen Division del Norte. Es war ein Morgen im September. Fast ohne Übergang war es Tag geworden. Am Horizont stand die Sonne in einem Flammen- kranz. Das Heerlager der Sechstausend brach auf. Weiter nach Norden. Mit Liedern der Revolution auf den Lippen und Verzweiflung im Herzen, sattelten sie die Pferde, beluden die Wagen und Karren. »Wird Angeles zurückkehren?« fragte Pancho. Fierro, der sein Pferd gesattelt hatte, antwortete einsilbig: »Ja.« »Wie kannst du dessen so sicher sein?« Es war das erstemal, daß Pancho ihn geduzt hatte, und dieser harte, düstere Mann errötete vor Freude. Aber er war trotzdem nicht bereit, Pancho, der jetzt sein Freund war, zu schonen. »Weil Angeles kein Verräter ist wie Urbina.« »Wenn wir gut vorankommen, könnten wir am Abend in Parral sein«, sagte Pancho. Fierro schüttelte den Kopf. »Wir haben ein anderes Ziel. Wir reiten nach Nordwesten.« Pancho blitzte ihn an. »Bestimmst du das?« »Nicht ich, sondern die fünftausend Ermordeten von Calaya.« Pancho schwang sich wortlos auf sein Pferd. Er wies mit der Hand nach Nordwesten. »Nach Las Nieves!« Es war der Ort, in dessen Umgebung Urbina eine kleine Ranch hatte. Fierro hatte sein Pferd dicht neben das von Pancho dirigiert. »Sie wissen, mein General, daß ich ihn töten werde.«, »Nicht du, Rodolfo, ich werde es tun.« Fierro zuckte mit den Schultern. »Du glaubst mir nicht?« Panchos bernsteinfarbene Augen sahen an Fierro vorbei. Er keuchte wie ein zu Tode gehetztes Tier. »Ich werde ihn töten. Alle werde ich töten: Carranza, Obregón, Benavi- des und Robles. Aber Urbina werde ich zuerst töten.« »Wir werden sehen«, entgegnete Fierro ironisch. »Irgendwann ein- mal, vielleicht.« Pancho griff Fierro in den Zügel. Die beiden Pferde standen. Die Männer sahen sich an. »Du denkst, ich bringe es nicht fertig, he? Ich werde es dir bewei- sen. Fünfzig Männer zu Pferde sollen uns begleiten. Der Armee gib Befehl, nach Parral zu marschieren. Los, Fierro, worauf wartest du noch!« Fierro beugte sich vor. In seinen dunklen, tiefliegenden Augen brannte Haß. »Hören Sie mir zu, General. Ich kenne Sie. Dieser Dreckskerl sitzt vergnügt in Las Nieves mit allem, was er gestohlen hat. Aber er braucht nur einen kleinen Seufzer auszustoßen, nur eine Träne zu zerdrücken, und Sie verzeihen ihm. Ich werde keinen Schritt mit Ihnen gehen, bevor Sie mir nicht geschworen haben, daß dieser Verräter seine Gemeinheit mit dem Leben büßen muß.« Pancho wich dem Blick Fierros aus. Er sah auf den Hals seines Pferdes. Das Fell glänzte rotbraun, und die dunkle Mähne war frisch gestriegelt. »Du hast mein Wort«, sagte Pancho leise und gab seinem Pferd die Sporen. Sie erreichten Las Nieves am Nachmittag. »Nimm fünfundzwanzig Männer und umstelle das Haus, Fierro«, befahl Pancho. »Der Rest soll vor dem Eingang Aufstellung neh- men. Ich werde hineingehen.« »Nein«, widersprach Fierro. »Ich rühre mich nicht von Ihrer Seite., Dieser Hundesohn ist imstande, Ihnen hinter der Tür aufzulauern und Sie umzubringen.« »Rede keinen Unsinn, Fierro. Tu, was ich dir sage.« »Nein.« »Das ist ein Befehl, General Fierro.« »Den ich nicht befolgen werde.« In Panchos Augen war ein drohendes Funkeln. Aber Fierro hielt diesem Blick stand. »Bueno, amigo«, sagte Pancho schließlich, und wieder errötete Fierro vor Freude. Im Haus wurde es lebendig. Ein Fenster öffnete sich. Urbina im Nachthemd, einen Revolver in der Hand, beugte sich hinaus. Sein Haar war zerzaust, seine Augen verquollen. Als er Pancho sah, verzerrte sich sein Gesicht zu einer schreckhaf- ten Grimasse. Er hatte bis in die frühen Morgenstunden getrunken. Ein paar Frauen waren oben im ersten Stock. Eine lag neben ihm im Bett. Er wußte nicht mehr, welche es war. Er würde sie sich spä- ter genauer ansehen müssen. Urbina fuhr zurück und schlug das Fenster hinter sich zu. Mit zitternden Händen griff er nach seinen Hosen. Im gleichen Augenblick wurde die Tür aufgestoßen, Pancho stand im Raum und hinter ihm Fierro mit einem Dutzend Männer. Um Panchos Mund lag ein grimmiges Lächeln. »Ole, compadre. Ich habe einen weiten Weg gemacht, um dich einmal wiederzusehen. Mir scheint, du bist nicht gerade erfreut über meinen Besuch.« Urbina stand im Hemd. In der zitternden Hand hielt er noch im- mer seine Hose. Er schlotterte am ganzen Körper. »Ich hatte einen … einen Unfall, Panchito. Ich kann es dir erklä- ren …« Pancho wies mit dem Kinn auf die Frau in Urbinas Bett. »Ein Unfall mit der Señorita? Ein etwas erfreulicherer Unfall als, in Calaya, scheint mir. Du erinnerst dich doch noch an Calaya, oder …? Das war dieser kleine Ort, nördlich von Mexico-City, wo du mich auf so niederträchtige Art im Stich gelassen hast.« »O nein, nein, Panchito, hör mich an …« Panchos Stimme war von eisiger Kälte. »Gern, Tomás. Aber möchtest du nicht vorher die Señorita bit- ten, das Zimmer zu verlassen?« Urbina wandte sich um. »Raus!« schrie er das dunkelhaarige Mädchen an. »Mach, daß du rauskommst.« Das Mädchen griff verlegen nach einem Tuch, das auf dem Stuhl neben dem Bett lag, schlang es sich rasch um den nackten Körper und ging dann hastig zur Tür. Die Männer machten ihr mit einem breiten Grinsen Platz. Inzwischen hatte sich Urbina seine Hosen angezogen. Jetzt, da er nicht mehr in einem so lächerlichen Aufzug vor Pancho stand, fühlte er sich etwas sicherer. »Glaub mir, Panchito, ich wollte dich nicht verlassen. Ich war nur …« »Ich weiß«, unterbrach ihn Pancho. »Du warst zu sehr damit be- schäftigt, die Banken und Geschäfte auszurauben und die Leute zu töten, denen deine Art ›Guten Morgen‹ zu sagen und in ihre Ta- schen zu greifen nicht so recht gefiel.« Urbina versuchte nach Panchos Hand zu fassen. Aber der entzog sie ihm brüsk und hielt sie auf dem Rücken verschränkt. »Du kannst mich nicht verurteilen, ohne mich gehört zu haben«, flehte Urbina. »Ich wollte angreifen, wirklich. Aber dann hatte ich einen Unfall mit dem Zug. Ich weiß nicht, was passiert ist. Aber ich war verletzt. So verletzt, daß ich dachte, ich würde sterben. Ich bin nur hierher gekommen, um wieder gesund zu werden. Ich bin doch kein Deserteur, Pancho. Ich wäre zurückgekommen. Das schwöre ich dir. Wir sind doch wie Brüder. Erinnere dich an die Berge, wie, wir die Rurales zusammengeschlagen haben …« »Jetzt wird er gleich heulen«, sagte Fierro verächtlich. »Erspare dir dieses Theater«, fuhr ihn Pancho an. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mir von dir den Hals mit Lügen vollstopfen zu lassen. Gib das Geld raus!« »Welches Geld? Ich habe kein Geld.« »Das Geld, das du meinen und deinen Männern gestohlen hast, du Lump. Das Geld, das sie mit ihrem Blut verdient und mit ihrem Leben bezahlt haben. Wo ist es?« »Ich … ich habe kein Geld.« »Durchsucht das Haus!« Fierro gab den Befehl weiter an die Männer, die auf dem Hof warteten. Nach einer halben Stunde hatten sie alles gefunden: über eine Million Pesos, etwa fünfzig Goldbarren und ein Säckchen voll Schmuck und Juwelen. Fierro zog seine Pistole und richtete sie auf Urbina. Der wankte, taumelte zurück und umklammerte einen Bettpfos- ten. »Ich bin krank, Panchito«, schluchzte er mit bebenden Lippen. »Schwer krank, ich schwöre es dir. Bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich dir, daß ich krank bin. Ich habe die Schwindsucht …« Er zog unter dem Kopfkissen ein Taschentuch hervor, riß es ausein- ander und zeigte den Männern den blutigen Auswurf. Fierro wandte sich angeekelt ab. »Laß uns allein«, sagte Pancho. Die Männer verließen den Raum. Sie setzten sich in die Halle. Die Steinbänke waren kühl. Sie saßen da, als wären sie selbst ver- steint. Ihre Augen waren starr auf die Tür gerichtet, hinter der Pan- cho und Urbina waren. Sie warteten. Sie warteten auf einen Schuß. Sie warteten … Endlich öffnete sich die Tür. Pancho kam heraus, bleich, mit mü- den, schleppenden Schritten. Er trat auf Fierro zu, legte ihm die, Hand auf die Schulter und sagte mit gebrochener Stimme: »Ich kann es nicht, Rodolfo. Ich kann nicht. Er … er stand mir näher als mein Bruder. Ich bringe es nicht fertig, ihn zu töten.« »Aber ich«, sagte Fierro und zog seinen Revolver. Pancho hielt seinen Arm fest. »Nein, Fierro. Ich lasse es nicht zu, erinnere dich, Rodolfo, er war es, der dich angeworben hat. Er hat dich zum Hauptmann ge- macht.« »Ich erinnere mich nur, daß er ein Verräter ist und daß er unsere Niederlage bei Calaya verschuldet hat. Und ich erinnere mich an noch etwas: an Ihr Wort, General. Habe ich Ihr Wort oder nicht?« Panchos Hand sank kraftlos von Fierros Schulter. »Es ist gut, Fierro. Aber … aber tue es auf eine Weise, daß er es nicht merkt. Erspare ihm die Todesangst, hörst du? Sage ihm, daß du gekommen bist, um ihn mit nach Chihuahua zu nehmen, ins Krankenhaus. Laß ihn nicht leiden, amigo.« Fierro wandte sich schweigend ab. Seine Schritte dröhnten über den Steinboden der Halle. Er hatte drei Männer herangewinkt. Gemeinsam mit ihnen betrat er Urbinas Zimmer. Pancho war zum Tor gegangen. Er stand da, mit hängenden Ar- men, die Stirn gegen das dunkle, glatte Holz gepreßt. Als der Schuß fiel, zuckte er zusammen. Er biß sich auf die Lip- pen und schloß die Augen. Und über seine Wangen liefen Tränen, unaufhaltsam … In Chihuahua trafen sich Pancho und Felipe Angeles, der einen Teil der Artillerie hatte retten können. Pancho schöpfte neuen Mut. Noch war der Norden in seiner Hand. Hier, in Chihuahua, in Pancho Villas Bergen, war der Zauber sei- nes Namens noch nicht erloschen. Wieder stießen Männer zu ihm. In Guadalupe, San Ignacio, Villa Ahumada, Casas Grandes und, Juárez richtete er starke Garnisonen ein. Chihuahua-City, die Schicksalsstadt Panchos, sollte von Angeles gehalten werden, um jeden Preis. Aber Pancho brauchte Waffen. Seit die USA die Regierung Car- ranzas anerkannt hatten, bekam die Division del Norte keinen Nachschub mehr aus dem Norden. Zwar gab es mehr als genug mexikanische Patrioten, amerika- nische Rebellen und Idealisten und natürlich auch eine Menge Schmuggler, die Pancho jede Art von Waffen heimlich über die Grenze gebracht hätten. Aber die einzige schwache Stelle an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, über die größere Mengen Waffen gebracht werden konnten, war in der Nähe von Agua Prie- ta. »In Agua Prieta steht Carranzas General Plutarco Elias Callas«, gab Angeles zu bedenken. »Dann werde ich ihn schlagen«, entgegnete Pancho trotzig. Angeles schüttelte den Kopf. »Zwischen Chihuahua und Agua Prieta liegt das Bergland von So- nora. Die schnee- und eisbedeckte Madre Occidental. Im Winter führt kein Weg darüber.« Um Panchos Mund lag ein bitteres Lächeln. »Wie war das mit dem kleinen Korsen, von dem Sie mir erzählt haben, Felipe? Hat man ihm nicht das gleiche gesagt, als er seine Truppe über die Alpen nach Italien führen wollte. Und hat er da- rauf gehört?« »Nein. Aber sind Sie bereit, General, auch Napoleons Preis zu zahlen?« »Ich habe den Preis bereits gezahlt.« Fierro war mit Leidenschaft dafür, Callas zu besiegen. Schließlich einigte man sich, daß Pancho mit Fierro und sechstausendfünfhun- dert Mann aufbrechen sollten. Fierro stürzte sich mit Feuereifer in die Vorbereitungen. Er war, Tag und Nacht auf den Beinen. Er schien nie zu ermüden, nie zu schlafen. Er kontrollierte das Gepäck, sorgte für Vorräte, für Waffen, für Maulesel, denen man die Lasten aufbürden konnte. Pancho, der es Fierro nicht vergessen konnte, daß er es gewesen war, der Urbina erschossen hatte, wandte sich ihm langsam wieder zu. Keiner seiner Männer diente ihm mit solchem Eifer und solcher Ergebenheit. Am 10. Oktober brach der Troß auf. Während der ersten drei Tage kamen sie gut voran. Aber am Abend des 13. setzte in den Bergen ein ungewöhnlich heftiger Schneefall ein, der in den tiefer gelegenen Schluchten als Regen niederprasselte. Innerhalb weniger Stunden verwandelten sich die Bäche und Flüs- se in gewaltige Ströme. Immer wieder mußten sich Menschen und Tiere durch das reißende Wasser kämpfen. Schließlich, am Rio Ascension ging es nicht mehr weiter. Mehr als ein Dutzend Versuche, den Fluß zu durchqueren, scheiterten. Die Männer fanden keinen Grund mehr. Es war völlig unmög- lich, mit den Waffen, Maschinengewehren und Munition ans an- dere Ufer zu schwimmen. Schließlich befahl Pancho, die Versuche einzustellen. »Ich werde mit ein paar Männern den Fluß hinaufreiten und nach einer Furt Ausschau halten«, sagte Pancho. »Lassen Sie mich das tun, General«, bat Fierro. Pancho schüttelte den Kopf. Fierro war Zahlmeister, Transport- chef und Quartiermeister, alles in einem. Das Geld und die Juwe- len, die er Urbina abgenommen hatte, trug er ständig bei sich. Eine halbe Million Pesos hatte er Angeles übergeben. Aber den Rest hatte er in seinen Satteltaschen, und auf denen saß er am Tag und schlief er in der Nacht. »Du bleibst hier, Rodolfo«, bestimmte Pancho. »Du bist viel zu schwer beladen, um einen solchen Erkundungsritt zu machen.«, Fierro fuhr herum. Er hatte die Zähne so fest zusammengebissen, daß seine Backenknochen hervortraten. In seinen dunklen Augen loderte ein gefährliches Feuer. Pancho hatte eine solche Reaktion nicht erwartet. »Was … was hast du?« fragte er erstaunt. »Sie mißtrauen mir!« stieß Fierro hervor. »Du verrückter Kerl«, sagte Pancho und legte seinen Arm um Fierros Schultern. »Reite los, aber nimm dir ein paar tüchtige Män- ner mit. Und riskiere nicht Kopf und Kragen.« Fierro, sein Sergeant Desedero Espinoza und fünf weitere Männer ritten den Fluß hinauf. Aber es war wie verhext: je schmaler das Bett wurde, um so wilder, um so reißender wurden die Fluten. Nach etwa einer Stunde befahl Fierro zu halten. Er sprang vom Pferd und schaute auf die gelben, gischtenden Strudel. »Hier müßte es gehen«, sagte er. Die Männer stellten sich neben ihn, schauten hinab und schüttel- ten die Köpfe. »Los! Espinoza, spring hinein und wate hinüber. Wir folgen dir.« Der Sergeant rührte sich nicht von der Stelle. »Hier kommt keiner rüber«, sagte er. »Unsinn, mach doch deine Augen auf. Da! Man kann ja den Grund sehen!« »Das ist kein Grund, General.« »Widersprich mir nicht, du Schwachkopf. Mach, daß du in den Fluß kommst! Oder soll ich dir Beine machen?« Fierro bekam ei- nen roten Kopf. Seine Männer wußten, daß er nicht davor zurück- schreckte, sie zu schlagen. Aber Espinoza blieb ganz ruhig. »In den Fluß zu gehen, wäre Selbstmord, General. Wenn Sie mich umbringen wollen, können Sie mich auch gleich erschießen.« Es war Fierros jähes, heftiges Temperament, eine Reaktion der Wut und des Trotzes, die ihn vom Pferd springen und in das Was- ser waten ließ., Er trug um seine Brust mehrere Gurte Munition. In einem brei- ten Ledergürtel steckten zwei Pistolen, und an seinen schweren Stie- feln waren ein Paar mächtige Sporen befestigt. Darüber hinaus hatte er in den Innentaschen seines Rocks stets einige Beutel mit Geld und Gold. Bereits nach den ersten Schritten spürte Fierro, daß er das Gleich- gewicht nicht würde halten können. Er wollte zurückwaten. Aber in dem Augenblick, als er eine halbe Wendung gemacht hatte, wurde er von einer Gischtwoge erfaßt und verlor den Boden unter den Füßen. Eine Sekunde später kämpfte er um sein Leben. Die Fluten schlu- gen über seinem Kopf zusammen, seine schwere Ausrüstung zog ihn zu Boden. Mit letzter, verzweifelter Kraft versuchte er, sich über Wasser zu halten. Als ihn eine Woge noch einmal nach oben schleuderte, schrie er seinen Männern zu: »Wollt ihr zusehen, wie ich absaufe? Werft mir ein Seil zu.« Die letzten Worte gingen schon in einem gurgelnden Röcheln unter. Ein Soldat war vom Pferd gesprungen und mit einem Seil in den Fluß gewatet. »Komm zurück, du Idiot«, rief ihm Espinoza zu. »Willst du auch ersaufen? Dem da ist nicht mehr zu helfen.« Eine Stunde später standen die sechs Männer vor Pancho. »Wir alle haben versucht ihn zu retten«, sagten sie. »Aber es war vergeblich. General Fierro ist ertrunken.« Pancho hörte es mit unbeweglicher Miene. Irgend etwas klopfte und klapperte und wirbelte wie wild in seinem Schädel herum. Der Schreck ließ sein Herz gegen die Rippen schmettern. Es dauerte eine Stunde, bevor er das erste Wort sprechen konnte. »Es ist, als hätte man mir meinen rechten Arm genommen«, sagte er heiser. »Was kann mir das Schicksal jetzt noch nehmen?« Bald sollte er es erfahren., Der Marsch über die verschneiten Bergpässe der Sierra war mörde- risch. Ihre Füße fanden auf dem vereisten Boden keinen Halt mehr. Stolpernd, oft auf allen vieren kriechend, kamen sie vorwärts. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte, und trotzdem mußten sie weiter. Von ihren Händen war die Haut abgerissen, und jedesmal, wenn sie die vereisten Felsen packten, um sich an ihnen hochzuziehen, konnten sie den Schmerz bis in ihren Kopf spüren. Nur eines hielt sie aufrecht: das Ziel Agua Prieta, Rache an Carranza, dem sie zur Macht verholfen hatten und der es ihnen so schändlich vergolten hatte. Sie kamen nach Agua Prieta, und alle Erschöpfung fiel von ihnen ab. Pancho befahl, die Stadt zu umgehen und von Norden, von der amerikanischen Grenze her anzugreifen. Dann hatte er den Rücken frei und konnte Callas und seine Armee nach Süden treiben, hinein in die mörderische Sierra, der sie gerade noch entronnen waren. Die Schlacht begann am Morgen des 1. November. Und es war wie ein Wunder. Die abgezehrten, ausgemergelten Soldaten Pan- chos stürmten mit einer so elementaren Kraft, daß die Truppen Ge- neral Callas' zurückwichen. Gegen Mittag hatte Pancho die ersten Vororte der Stadt genom- men. Aus tausend Kehlen tönte wieder der Schrei: »Viva Villa!« Als die Dämmerung aufkam, war Agua Prieta in Panchos Hand. Die Carranzisten waren vertrieben. Da ertönte plötzlich im Norden Kanonendonner. Der Himmel färbte sich blutrot. Pancho fuhr herum. Anfangs begriff er nicht, was da geschehen war. Aber er sollte nicht lange im unklaren bleiben: Die Truppen Carranzas kamen von Norden! Während Pancho mit seinen Männern die Eiswüste der Sierra durchquerte, hatte Carranza mit Präsident Wilsons Genehmigung, seine Armeen mit Zügen über amerikanisches Territorium nach Douglas bringen lassen. Von dieser amerikanischen Grenzstadt aus fielen sie Pancho in den Rücken. Von beiden Seiten unter Feuer genommen, war er verloren. Ver- nichtet mit der Hilfe der Amerikaner, gejagt von Obregóns Solda- ten, hatte er nur noch einen Fluchtweg aus dieser Sackgasse: zurück in die Eiswüste der Sierra. Im Herbst waren sie aufgebrochen. Jetzt war es Winter. Sie hatten keine warme Kleidung, keine Vorräte mehr. Zweitausend Männer waren bei Agua Prieta gefallen, und fast tausend Verwundete trugen sie jetzt mit sich. Pancho erinnerte sich an Angeles Worte: »Wollen Sie auch Napoleons Preis zahlen?« Jetzt zahlte er ihn. Der Weg zurück in die Sierra wurde markiert von den Toten, die Pancho zurücklassen mußte. Die Verwundeten waren die ersten, die starben. Hunderte erfro- ren, Dutzende verloren auf den eisigen Felsen den Halt, stürzten in die Tiefe und blieben zerschmettert liegen. Manche ließen sich ein- fach in den Schnee fallen, schlossen die Augen und starben. Schon nach vier Tagen hatten sie nichts mehr zu essen. Eine Zeit- lang hungerten sie, dann töteten sie ihre erschöpften Pferde und ernährten sich von deren Fleisch. Pancho Villas Division del Norte war keine Armee mehr. Es war ein verlorener, zerlumpter, hungernder und verzweifelter Haufen. Von den sechstausendfünfhundert Mann, die sich auf den Weg nach Agua Prieta gemacht hatten, waren sechshundert übriggeblie- ben. Die anderen waren tot, erschossen, erfroren, verhungert. Pancho versuchte, die Augen zu öffnen. Er sah ein Gesicht, das sich über ihn beugte. Es kam näher und zog sich wieder zurück., Alles wurde fließend und schwebend. Er träumte. Nein, er war wach. Doch er konnte nichts sehen. Und die Stimmen der Männer strichen an seinem Ohr vorbei. Er riß die Hände hoch, rieb sich die Augen. Aus einem zerfließenden Nebel zeichneten sich die Konturen eines Gesichts ab. Felipe An- geles! Pancho richtete sich mit Mühe auf. Angeles beugte sich zu ihm herab und schob ihm einige Kissen unter den Rücken. »Was … was ist geschehen?« fragte Pancho, mühsam die Worte formend. »Später, mein General, später«, entgegnete Angeles. »Sie müssen sich noch schonen. Sie waren sehr krank.« Pancho fiel wieder zurück. Er spürte, wie ihm der Schweiß aus der Haut brach. Sein Herz schlug so hart, daß er den Puls in den Ohren hören konnte. »Ich bin nicht mehr krank«, sagte er mit schwerer Zunge. »Ich will wissen, was geschehen ist. Wo sind meine Männer?« »Hier, in Ihrer Nähe, mein General. Aber sie sollten jetzt nicht so viel sprechen. Sie hatten zwei Wochen lang hohes Fieber.« Pancho stemmte sich auf den Ellbogen. Es gelang ihm, den Ober- körper wieder aufzurichten. »Das ist vorbei. Ich will wissen, wo ich bin!« »Östlich von Santa Rosalia. In einem Lager in der Sierra Madre.« »Und Chihuahua, Juárez, Casas Grandes, Guadalupe? Warum bin ich nicht in einer meiner Garnisonen?« Angeles schwieg. Pancho packte seinen Arm und schüttelte ihn. »Bin ich ein kleines Kind oder ein heulendes Weib, das die Wahr- heit nicht verträgt? Wenn ich krank bin, General Angeles, warum quälen Sie mich dann? Glauben Sie im Ernst, ich könnte mich jetzt niederlegen und schlafen, ohne zu wissen, was geschehen ist?«, Angeles zog sich einen Stuhl neben Panchos Bett und setzte sich. Er schaute Villa nicht an, als er leise sagte: »Ihre Garnisonen haben sich ergeben.« »Ergeben? Wem?« »Den Carranzisten.« Pancho stöhnte. Sein Kopf war groß wie ein Kürbis, und sein Ma- gen drehte sich um und um. »War es Obregón?« »Nein, es gab keinen Kampf.« »Keinen Kampf?« »Alle Zeitungen schrieben über die Niederlage bei Agua Prieta. Wir hofften auf Ihre Rückkehr. Drei Monate lang haben wir gewar- tet. Dann brachte irgendwer die Nachricht, Sie wären tot. Da haben die Männer die Waffen weggeworfen und sind nach Hause gelau- fen. Nur ich und ein paar hundert Mann sind in die Berge gegan- gen. Wir haben auf Sie gewartet, mein General …« »Und … und wie steht es in Mexico-City? Hat Carranza seine Ver- sprechungen gehalten? Hat er den Peonen Land gegeben?« Angeles lachte bitter auf. »Nichts hat sich geändert, gar nichts. Das Elend ist größer als je zuvor. Die Fabriken sind geschlossen, die Äcker verdorren. Zehn- tausende hungern. Die Peonen, die um ihre Freiheit und ihre Rech- te gekämpft haben, sind nicht mehr zurückgekehrt auf die Hacien- das. Sie leben als Flüchtlinge in den Bergen und Städten.« »Und was tut Zapata?« »Er ist tot. Carranza hatte hunderttausend Pesos auf seinen Kopf gesetzt, und General Gonzales hat sich das Geld verdient.« Das war eine der schmutzigsten Affären der mexikanischen Revo- lution, die Angeles Pancho erzählte. General Gonzales hatte Zapata wissen lassen, daß er aus Enttäu- schung über die Politik Carranzas bereit sei, mit seinem ganzen Re- giment überzulaufen. Um seine Glaubhaftigkeit zu beweisen, lie-, ferte er sechzig ehemalige zapatische Offiziere und Soldaten, die zu ihm übergegangen waren, an den Revolutionär aus. In einer Hacienda bei Acapulco sollte der Vertrag zwischen Gon- zales und Zapata besiegelt werden. Gonzales hatte seine Offiziere in dem Vorhof der Hacienda Aufstellung nehmen lassen. »Als Zapata durch das Tor ritt, wurde er wie ein Volksheld mit allen militärischen Ehren empfangen. Aber plötzlich gaben die Offiziere, die eben noch präsentiert hatten, Feuer. Zapatas Körper war von Kugeln förmlich durchsiebt.« Pancho hatte schweigend zugehört. Er hielt die Augen geschlos- sen. Sein Atem ging schwer. Er hatte das wilde Verlangen zu ster- ben, sich selbst zu töten. Man konnte nicht so viel verlieren und immer noch am Leben sein. »Lassen Sie mich allein, Felipe«, sagte er tonlos und wandte An- geles den Rücken zu, um zu verbergen, daß aus seinen geschlosse- nen Augen Tränen quollen. Pancho Villas Kampf sollte enden, wo er begonnen hatte: in den Bergen von Chihuahua, in der Sierra Madre. Fünf lange Jahre hatte er Carranza bekämpft, wo immer er ihn getroffen hatte. Mit ein paar hundert Männern, die wie er nicht da- ran glauben konnten, daß die Ströme von Blut umsonst geflossen seien, fiel er in Carmargo und Jiménez, in Torreón und Parral ein. Er nahm die Städte und verlor sie wieder. Aber sein Kampf, sein unerschütterliches Festhalten an den Zielen der Revolution, mobilisierten immer wieder neue Massen. Carranza saß im Nationalpalast und regierte nach Diktatorenma- nier. Im Süden und in Mittelmexiko hatte das Volk resigniert. Den Peonen blieb nur noch ein Trost: Die Verhältnisse waren so er- bärmlich, daß sie nur noch besser werden konnten. Da schlug auch für Carranza der Tag der Rechenschaft und des Gerichts: General, Gonzales, der Zapata ermordet hatte, fiel von ihm ab. Auch Obre- gón und Callas bereiteten den militärischen Widerstand vor, und de la Huerta, der Gouverneur von Sonora, trat mit seinem Staat aus der Föderation aus. Carranzas Schicksal war besiegelt. Am Abend des 20. Mai floh er, wie schon so viele vor ihm, nach Vera Cruz. Er sollte die Hafenstadt nie erreichen. In den frühen Morgenstun- den des 21. Mai wurde sein Zug von den Männern Obregóns über- fallen. Carranza starb im Kugelhagel. Seine Taschenuhr zeigte die Stun- de seines Todes: Sie war um drei Uhr dreißig stehengeblieben. Der neue Provisorische Präsident von Mexiko hieß Adolfo de la Huerta. Die Wüste war leer, endlos und voller Stille. Das Schnauben der Pferde, die Stimmen der Männer waren ein Teil dieser Stille. Sie ge- hörten zu dieser Wüste. Pancho Villa saß in seinem Zelt und lauschte. Vor zwei Tagen war ihm gemeldet worden, daß sich in der Nähe des kleinen Ortes Valle de los Óvidos einige Kompanien von Carranzisten in einer Hacienda verschanzt hatten. Felipe Angeles und seine Männer hatten sich aufgemacht, sie zu schlagen. Jetzt erwartete Pancho sie zurück. Eigentlich hätten sie schon am Morgen wieder im Lager sein müssen. Nun war es Nach- mittag, und sie waren noch immer nicht da. Pancho hatte Miguel Trillo und Ramón Contreras, zwei seiner Unterführer, auf die umliegenden Hügel postiert, damit sie Angeles Ankunft rechtzeitig sahen und ihm melden konnten. Aber die Stunden flossen langsam und zäh dahin, und Pancho wartete mit immer größerer Sorge und Unruhe. Es war gegen fünf, als er den schnellen Hufschlag eines Pferdes, hörte. Er sprang auf und trat vor das Zelt. Ramón Contreras kam in vollem Galopp angesprengt. Mit einem Satz war er aus dem Sattel und salutierte vor Pancho. »General Ignacio Enriquez mit dreißig Mann nähert sich dem La- ger zu Pferde«, stieß er außer Atem hervor. »Enriquez will mit Ih- nen sprechen, mein General. Er bittet um freies Geleit.« Pancho runzelte die Stirn. »Enriquez? Wer ist das? Auf welcher Seite steht er? Verdammt noch mal, heute weiß kein Mensch mehr, ob er Freund oder Feind vor sich hat.« »Der General behauptet, er käme als Freund. Er habe Ihnen eine Botschaft zu überbringen.« Pancho dachte an Angeles. »Von wem?« fragte er schnell. Contreras zuckte mit den Schultern. »Das will er nur Ihnen sagen.« Pancho war unschlüssig. Im ganzen Land herrschten Verrat und Korruption. Carranza hatte hunderttausend Pesos auf seinen Kopf gesetzt. Als Pancho es erfahren hatte, hatte er gelacht: »Hunderttausend Pesos! Vor acht Jahren waren es nur zehntausend. Es scheint, daß ich im Wert gestiegen bin.« Trotz dieser zur Schau getragenen Sorglosigkeit war er ständig auf der Hut. Er hatte vier seiner Leute zu Leibwächtern gemacht, die nicht mehr von seiner Seite wichen. Aber seine Sorge um Angeles war größer als seine Vorsicht. »Sage diesem General Enriquez, daß er kommen kann. Aber al- lein. Und nimm ihm vorher die Waffen ab. Trillo und seine Män- ner sollen mit dir reiten. Haltet die Begleiter des Generals in Schach. Stellt sie in die Mitte und richtet eure Revolver auf sie. Laßt die Burschen nicht aus den Augen.« Zwanzig Minuten später stand Enriquez vor Pancho. Er hatte eis-, graues Haar. Und sein langer Bart erinnerte Pancho unangenehm an Carranza. Hinter Enriquez hatten Trillo und Contreras Aufstel- lung genommen. »Ich hätte gern mit Ihnen allein gesprochen, Don Pancho«, sagte Enriquez. Pancho zögerte einen Augenblick. Dann gab er Trillo und Con- treras ein Zeichen. Die beiden Männer wandten sich um, entfernten sich ein paar Schritte, aber nur so weit, daß sie in Rufweite blieben. »Ich habe keinen Komfort, den ich Ihnen anbieten könnte, Señor Enriquez«, sagte Pancho. »Sie können sich hier auf die Erde setzen oder mit in mein Zelt kommen. Da kann ich Ihnen eine Decke an- bieten.« »Ich zöge es vor, mit Ihnen ein wenig auf und ab zu gehen«, ent- gegnete Enriquez. Pancho nickte. Sie gingen ein paar Schritte, dann hielt er es nicht mehr aus. »Ich erwarte meinen Freund und Kameraden Felipe Angeles. Bringen Sie uns Nachricht von ihm?« Enriquez schwieg. Pancho blieb stehen. Er spürte, wie sein Herz ein paar schnelle harte Schläge tat. »Was ist mit Angeles? Dios mió, sprechen Sie!« »Er … er ist tot.« Pancho rührte sich nicht. Es war, als wäre er erstarrt. Der Boden unter ihm wankte. Der Himmel verfinsterte sich, und die Sonne fiel in einen dunklen Abgrund. Der Schmerz überwältigte ihn. Angeles tot … tot … tot hämmerte es in seinen Schläfen, seinen Ohren, in seinem Herzen. Der letzte der Freunde: tot. Nur er, Pancho, war noch am Leben. Warum? Warum konnte nicht er es sein, der tot war? Er war fahl im Gesicht, als er mit bebenden Lippen fragte: »Ist er, gefallen?« Enriquez schüttelte den Kopf. »Nein. Er wurde gefangengenommen. Ein Haufen versprengter Carranzisten hat ihm in einem Hinterhalt aufgelauert, und nach einer phrasenhaften Gerichtsverhandlung zum Tode verurteilt. Ein Exekutionskommando hat ihn erschossen. Das war vor drei Stun- den. Ich kam zehn Minuten zu spät. Sonst hätte ich es verhindert.« Enriquez kramte in seinen Taschen und zog einen kleinen Zettel heraus. »Das ist für Sie, Señor Villa. Ich fand es bei dem Toten.« Villa las: »Pancho, mein General und mein Freund, ich sterbe in der Ge- wißheit, daß über meinem Grab die Demokratie errichtet wird. Das Blut der Märtyrer kann große Dinge bewirken. Mein Leben für die Freiheit!« Pancho wandte sich ab. Wie im Traum verließ er das Lager. Als Enriquez, Trillo und Contreras ihm folgen wollten, sagte er barsch: »Laßt mich allein.« Er entfernte sich immer weiter vom Lager. Unter seinen Füßen war Wüste. Und in seinem Kopf hämmerten Angeles' letzte Worte. Für die Demokratie war der Freund gestorben, für die Freiheit. Verdammt noch mal, was war denn das? War ein Mann wie Angeles nicht mehr wert als all die tönenden Worte, für die Zehntausende gestorben waren? Für die Freiheit! Für wieviel Freiheit und für wessen Idee von der Freiheit waren diese Tausende eigentlich gestorben? Vielleicht hat- ten sie für die Freiheit gekämpft, ihr Leben lang umsonst Fleisch und Tortillas essen und jede Frau vergewaltigen zu dürfen, die ih- nen gefiel? Vielleicht war zu viel Freiheit genauso schlimm wie zu wenig. Und wer konnte ihm sagen, was das richtige Maß an Freiheit war? War sein Maß das gleiche gewesen wie das von Angeles? Vielleicht., Urbinas Maß war ein anderes, und Fierros auch. Er, Pancho, war ein Sklave gewesen, und deshalb hatte er die Freiheit geliebt, sich nach ihr gesehnt und für sie gekämpft. Aber Angeles war immer frei gewesen. Er hatte die Freiheit gehabt zu gehen, zu sehen, zu hören und mit einem Mädchen zu schlafen. Und jetzt lag er da, ein Stück Fleisch, das verfaulte und eines Tages als Dung untergepflügt wür- de. Pancho preßte die Faust gegen seinen Mund, um nicht aufzu- schreien. Mein Gott, was war das für eine Freiheit, für die die besten Män- ner immer wieder ins Gras beißen mußten! Da kämpften sie nun in den Bergen, in der Wüste. Aus einem Dutzend gewonnener und verlorener Schlachten hatte sie der Zufall zusammengeführt. Und sie kämpften weiter. Wofür? War es nicht nur noch ihr Haß und ihre Bitterkeit, die sie zusammenhielten? Sie könnten noch Jahre kämpfen, und es würde Verrat geben und Heldentum und Selbstverleugnung und Opfer. Und Tote, immer wieder Tote. Wenn nur Angeles noch lebte! Dann könnte er mit ihm spre- chen. Das nächste Mal würde er ihn fragen, wieviel von der Freiheit sie kriegen würden, wenn sie ihr Leben für sie geben sollten. Aber es würde kein nächstes Mal geben. Angeles war tot. Er hatte ihn geliebt. Angeles war sein Lehrer, sein Ratgeber, sein Vorbild ge- wesen. In Angeles hatte er alles gefunden, wonach er sich sehnte: Würde, Anstand, Ehre und Stille. Zorn, Schmerz, Wut, Verzweiflung, alles hatte er schon empfun- den und bis zur Neige ausgekostet. Jetzt lernte er ein neues Gefühl kennen: Traurigkeit. Er warf sich in den Sand der Wüste und weinte. Als er nach Stunden ins Lager zurückkam, war es Nacht. General, Enriquez saß im Zelt. Er hatte auf Pancho gewartet. »Ich muß mit Ihnen sprechen, Señor Villa«, sagte er. Pancho schaute ihn nicht an. Es war, als sähe er durch ihn hin- durch. Enriquez sprach weiter. »Carranza ist tot. Wissen Sie das, Señor Villa?« In Panchos Augen kam Leben. »Ich hörte es«, sagte er. »Wenn es stimmt, was Sie sagen, dann ist das eine gute Nachricht. Carranza war der schlimmste von allen. Er war ein Heuchler.« »Adolfe de la Huerta ist jetzt Präsident von Mexiko. Sie kennen ihn, Don Pancho. Er ist ein Mann, dem Sie vertrauen können.« »Ich vertraue niemandem mehr.« »Huerta wird fortsetzen, was Madero begonnen hat.« Pancho zuckte mit den Schultern. »Das haben sie alle behauptet. Einer von ihnen hieß auch Huer- ta. Und er war ein Mörder.« Enriquez rückte näher an Pancho. »Versuchen Sie zu vergessen, was geschehen ist. Ich habe Ihnen ein Angebot von Präsident de la Huerta zu machen.« »Mich interessiert kein Angebot mehr.« »Huerta ist Ihr Freund. Und er weiß, daß Sie und er eines ge- meinsam haben: die Liebe zu Mexiko, zu seinen Bauern und India- nern. Um dieses Land und seiner Menschen willen, bittet der Präsi- dent Sie, die Waffen niederzulegen. Alle Anklagen, die gegen Sie und Ihre Männer erhoben wurden, werden fallengelassen. Ihnen wird feierlich Straffreiheit zugesagt. Außerdem bietet Ihnen der Prä- sident fünfhunderttausend Pesos in Gold und die Hacienda el Can- utillo im Norden von Durango.« Pancho lächelte bitter. »Ist das alles?« »Es ist eine riesige Hacienda, Señor Villa.«, Pancho nickte. »Das glaube ich Ihnen. Sagen Sie dem Präsidenten Huerta, daß ich ihm für sein Angebot danke – wenn er es ehrlich gemeint hat.« »Sie nehmen an?« »Das habe ich nicht gesagt.« »Don Pancho, ich bitte Sie …« Enriquez Stimme klang beschwö- rend. »Alles, was das Land jetzt braucht, ist Ruhe und Frieden. Die Waffen müssen endlich ruhen. Mexiko ist ausgeblutet.« Pancho nickte. »Ich weiß.« Er erhob sich. »Wer, sagten Sie, hat Angeles erschos- sen?« »Eine Horde Carranzisten, die noch nicht wußte, daß ihr Präsi- dent tot ist. Wir haben sie gefangengenommen.« »Wer war ihr Anführer?« »Ein Unteroffizier. Ich glaube, er hieß Abram Vargas.« »Was geschieht mit ihnen?« »Sie wurden nach Salinas gebracht. Wahrscheinlich werden sie amnestiert.« Pancho reichte Enriquez die Hand. »Ich danke Ihnen. Würden Sie mich jetzt allein lassen.« Der General fuhr zurück. »Und Ihre Antwort, Don Pancho?« »Sie werden Sie bekommen, Señor Enriquez. Später …« Sie ritten durch die heiße Wüste aus Sand und Steinen nach Osten. Pancho sah in die Sonne, die den ganzen Himmel mit Strahlengar- ben bedeckte. Er blickte auf einen Berg, der wie ein Lavastrom zer- schmolz, und auf einen zweiten, und dann wieder auf einen. Und so ging es weiter, immer weiter. Er würde über die Berge rei- ten, über die er schon tausendmal zuvor geritten war, das Gewehr immer schußbereit, müde, vergessen von der Welt, ohne Zweck,, ohne Ziel. Pancho schloß die brennenden Augen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann wandte er sich an den Mann, der an seiner Seite ritt. »Ich bin müde, Trillo.« »Gut, mein General, ruhen Sie sich aus. Ich werde eine Rast be- fehlen.« »So meine ich das nicht, Trillo. Nicht meine Augen sind müde, mein Herz ist es. Alles in mir ist müde, mein Kopf, meine Beine, meine Gedanken. Ich habe dieses Leben so satt, diese Wüste, dieses Reiten ohne Ende, dieses Sterben ohne Sinn.« »Ja, mein General.« »Du auch, Trillo?« »Ja, mein General.« »Ich habe mir die Männer angesehen, treue, arme Hunde. Sie sa- gen kein Wort, aber man braucht nur in ihre Augen zu sehen …« »Sie würden Sie niemals verlassen, mein General.« »Glaubst du, ich würde sie im Stich lassen?« »Nein, mein General.« Pancho parierte sein Pferd durch. Er und Trillo standen am Rand des schmalen Pfades. Die Männer ritten an ihnen vorbei. Pancho sah sie an. In seinen Blicken war Zuneigung und Mitleid. »Es muß ein Ende haben«, sagte er schließlich, als der Zug an ihm vorbeigeritten war und sie sich ihm als letzte anschlossen. »Ich will nicht, daß diese Männer sterben«, sagte Pancho. »Sie sollen Mais säen, aus dem Tortillas gebacken werden und Häuser bauen, und Kraftwerke und Dämme und Pflüge und Nähmaschinen … Wir wollen Schluß machen, Trillo.« In Miguel Trillos Augen flackerte eine irrsinnige Hoffnung auf. »Wann, mein General?« »Bald, Trillo. Erst müssen wir Sabinas nehmen.«, »Ja, mein General.« »Und du fragst nicht einmal, warum?« »Ich weiß es, mein General: Weil Sie es befehlen.« »Ich werde es dir trotzdem sagen, Trillo: Wir werden diese Stadt nehmen, weil sie ein Telegrafenamt hat. Wir werden sie nehmen, weil wir ihnen zum letztenmal zeigen wollen: Pancho Villa geht, wohin er will, und er nimmt sich, was er will. Und wir werden sie erobern, weil ich in ihr einen Mann treffen will. Er heißt Abram Vargas. Aber das ist meine Sache.« Am Morgen des 25. Juli 1920 ritten Pancho Villa und seine Män- ner in Salinas ein. Es fielen ein paar Schüsse, weil niemand so recht wußte, wer auf welcher Seite stand. Als die Bevölkerung Pancho Villa erkannte, jubelte sie ihm zu. Aber die Soldaten aus der Kaserne, die im Süden der Stadt lag, leisteten erbitterten Widerstand. Pancho verteilte seine Männer rund um den Block. »Nicht stürmen«, befahl er. »Wir haben Zeit. Notfalls hungern wir sie aus.« »Und wenn sie Verstärkung aus Parral anfordern?« fragte Ramón Contreras. »Hierher führt keine Eisenbahn. Sie müßten durch die Wüste. Dazu brauchen sie mindestens fünf Tage. Wir haben Zeit.« Aber Panchos Stärke war nie die Geduld gewesen. Als er am Abend des dritten Tages erfuhr, daß in dem Arrestgebäude im In- nern des Kasernenhofes die Carranzisten saßen, die Angeles er- schossen hatten, befahl er zu stürmen. Das Kommando übergab er Oberst Trillo. Nachdem die ersten Maschinengewehrgarben die hölzernen Tore zersplittert hatten, sprang Pancho vom Pferd und lief zum Hinter- eingang der Kaserne., Er hatte die Situation richtig eingeschätzt: Die Schüsse vor dem Hauptgebäude hatten alle Soldaten alarmiert. Sie hatten ihre Ge- wehre ergriffen und waren zu den Fenstern gerannt, von denen aus sie die Angreifer beschießen konnten. Aber auch seine Männer hatten Zeit gehabt, für gute Deckung zu sorgen. Pancho konnte das Gefecht Trillo überlassen. In das Tor zum hinteren Eingang hatten die Soldaten ein Loch gesägt. Der Lauf eines Gewehres glänzte in der Dunkelheit. Pancho drückte sich eng an die Mauer und schlich sich zu dem Tor. Auf diese Weise war er nicht im Blickfeld des Mannes, der das hintere Tor bewachte. Pancho rechnete damit, daß es nur einer war. Wenn mehrere hin- ter dem Tor standen, war er verloren. Schritt für Schritt tastete er sich vorwärts. Endlich hatte er das Tor erreicht. Er duckte sich. Der Lauf des Gewehres ragte unmittel- bar über ihm in die Luft. Mit der rechten Hand packte Pancho sein Maschinengewehr, mit der Linken riß er den Gewehrlauf nach unten. Ein Schrei wurde laut, und im gleichen Augenblick zerfetzten die Kugeln aus Panchos Maschinengewehr das Tor. Nur ein Mann lag dahinter. Er war verwundet und starrte Pancho aus großen entsetzten Augen an. Pancho kümmerte sich nicht um ihn. Er mußte schnell handeln. In den Gängen dröhnten schwere Soldatenstiefel. Die Schüsse wa- ren gehört worden. In wenigen Augenblicken würde ein Teil der Soldaten wieder hier sein, um ihrem bedrängten Kameraden zu helfen. Pancho hastete ein paar Treppen hinauf, durch einen langen Kor- ridor, an dessen Ende eine Tür war, die zu den Arresträumen führ- te. Ihre Fenster gingen zu einem Hof, der an drei Seiten von der Kaserne, an der vierten Seite von Wohnhäusern eingeschlossen war. Ein Mann aus der Stadt, der einmal Soldat in dieser Kaserne ge-, wesen war, hatte ihm die Lage des Arresthauses genau beschrieben. Pancho fand die Tür. Sie war unverschlossen. Wahrscheinlich hat- ten die Soldaten, als die Belagerung begann, ihren Gefangenen die Türen geöffnet. Sicherlich aber hatten sie ihnen die Waffen nicht wiedergegeben. Er würde allein einem guten Dutzend Männern ge- genüberstehen. Aber er war bewaffnet. Er ging durch einen kleinen Vorraum und stieß eine Tür auf. Ein Dutzend Augenpaare starrten ihn an. Pancho wußte sofort: Dieser da, dieser große, plumpe Kerl mit dem von Alkohol aufgedunsenen Gesicht mußte Abram Vargas sein. Pancho hielt sein Maschinengewehr schußbereit, dann ging er langsam auf Vargas zu. »Wo ist Felipe Angeles? Weißt du, wo er ist?« Aus seiner Stimme klang eiskalte Entschlossenheit. Als Vargas und seine Männer Pancho erkannten, blieben sie zu- nächst wie erstarrt. Sie rissen die Augen auf, als hätten sie ein Ge- spenst gesehen. Dann sprang einer auf und stürzte zu der rückwärtigen Tür. Die andern liefen ihm nach, stolperten in Todesangst über die Schwelle und schrien, von Panik erfaßt. Nur Vargas hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Panchos Bli- cke schienen ihn bewegungsunfähig zu machen. Pancho ging auf ihn zu. »Ich habe dich etwas gefragt, Vargas. Und ich verlange Antwort: Wer hat den Befehl gegeben, Felipe Angeles zu erschießen?« Die Antwort war ein unartikulierter Schrei. »Ich war es nicht.« »So, du warst es also nicht. Dann sag mir, wer es war. Ich will den Namen wissen, los!« Vargas zitterte am ganzen Leib. »Was wollen Sie denn, General Villa? Wie können Sie denn glau-, ben, daß ich … Ich kenne doch Señor Angeles gar nicht.« Seine Blässe, seine zitternden Lippen waren für Pancho Beweis genug. Trotzdem zögerte er einen Augenblick. Vargas nutzte ihn und griff in die Tasche. Da schoß Pancho. Er sah, wie Vargas niederstürzte, wie das Blut von der Stirn über sein Gesicht lief. Im gleichen Augenblick brach die Hölle los. Von allen Seiten näherten sich Schritte. Über ihm in der Wand schlug eine Kugel ein. Pancho schwang sich aus dem Fenster. Gleich daneben schloß sich in einem Winkel von neunzig Grad das Wohnhaus an. Zwei Meter schräg unter ihm war der Dachvorsprung dieses Hauses. Er ließ sich hinabgleiten. Rundherum hörte er die Detonation von Schüssen. Er hielt an, rang nach Atem und lehnte sich an die Mauer, um das Gebäude zu erkunden. In dem Hof unter ihm standen eine Gruppe Soldaten und schoß auf Schatten. Er mußte über das Dach und auf der anderen Seite hinunter auf die Straße. Dann war er gerettet. Er versuchte sich hochzuziehen. Aber der Dachziegel, den er mit der linken Hand gepackt hatte, löste sich und zerschellte auf dem Pflaster des Hofes. Um ihn herum schlugen Schüsse in den Mauerverputz ein. Er hing nur noch an seiner rechten Hand, und seine Füße suchten nach einem Halt. Er fand ihn in der Halterung einer Dachrinne. Einen Augenblick konnte er verschnaufen. Von unten herauf tönte Geschrei, Stiefelgetrampel, Kommando- rufe, Schüsse: Der Hof begann zu brodeln. Nach ein paar Minuten war es still. Dann hörte er eine Stimme: »He! Hallo! General Villa! Wo sind Sie?« Es war Trillos Stimme. Pancho ließ sich an der Dachrinne herabgleiten. Als er auf dem Hof stand, wischte er sich die zerschrammten, blutigen Hände an, seinem Hemd ab. »Das habt ihr großartig gemacht, muchachos«, sagte er und um- armte Trillo. »Diesen Sieg habt ihr ganz allein erkämpft.« Die Männer umringten ihn, glücklich, daß er wieder bei ihnen war. Pancho holte tief Atem, und dann sagte er mit klarer Stimme: »Und jetzt werde ich mit Mexico-City telefonieren und Präsident de la Huerta sagen, daß General Francisco Villa bereit ist, seinen Frieden mit der Regierung zu machen.« Am 28. Juli nahm Pancho das Angebot de la Huertas an. Es war keine Niederlage. Aber es war ein Rückzug vom Schlachtfeld. Zwanzig Jahre Kampf und Blutvergießen, Siegesjubel und Todes- schreie, Triumphe und Verzweiflung waren vorüber. Das Ende wurde nicht mit Blut, sondern mit Tinte geschrieben. »Heute, am 28. Juli 1920, übergibt Francisco Villa, el general de Division del Norte, die folgenden Truppen an General Eugenio Martinez, der die Regierung von el señor presidente de la Repú- blica, Don Alfonso de la Huerta, vertritt: 1 Division General, 1 Brigade General, 7 Brigade Kommandeure, 131 Offiziere, 511 Soldaten. Insgesamt 651 Offiziere und Mann- schaften. Sämtliche 651 Mann werden auf Ehrenwort des Generals Francisco Villa entlassen.« »Hallo, Lucita.« »Hallo, Panchito. Wie geht es dir?« »Gut, gut geht es mir, Lucita. Bist … bist du mit der Arbeit fer- tig?« »Ich habe gerade abgewaschen.« »Das ist gut, Lucita.« »Ja …« Sie standen sich gegenüber. Seit fünf Jahren zum erstenmal wie-, der standen sie sich gegenüber, sahen sich in die Augen und hielten sich an den Händen. Neben Lucita waren die Kinder: der zwölfjährige Antonio, die zehnjährige Juanita, die neunjährige Lucita. Pancho musterte einen kleinen Jungen, der erstaunt und ein we- nig verängstigt zu ihm aufsah. »Und wer ist das?« »Francisco. Er wird fünf. Als du das letzte Mal da warst, weißt du …« Sie schwieg verlegen. Über Panchos Gesicht ging ein Leuchten. Er legte den Arm um sie und drückte sie an sich. »O mein Mäuschen, mein liebes, kleines Mäuschen.« Sie barg den Kopf an seiner Brust und schluchzte auf. Er strich ihr über das Haar. »Nicht weinen, kleines Mäuschen, bitte nicht weinen.« Er ließ die Kinder stehen und ging mit ihr ins Haus. »Ich hab dich lieb, kleines Mäuschen. Immer hab ich dich lieb gehabt.« Er faßte sie am Kinn und hob ihren Kopf hoch. In ihren Augen glänzten Tränen. Ihre Wangen waren feucht. Pancho sah sie an. Ein paar vereinzelte, silberne Haare waren an ihren Schläfen. Um die Augenwinkel standen drei winzige Fältchen. Pancho fühlte Rührung und Zärtlichkeit in sich aufsteigen. Lucita spürte seine Blicke. Sie wischte sich mit dem Handrücken über Augen und Wangen. »Du sollst mich nicht so ansehen«, klagte sie. »Warum hast du mir nicht gesagt, daß du kommst. Dann hätte ich mir das Haar ge- waschen und ein hübsches Kleid angezogen. Schau mich nicht so an. Ich bin so häßlich.« Pancho küßte sie auf die Augen und auf die Nasenspitze. »Red keinen solchen Unsinn, kleines Mäuschen. Du bist wunder- schön. Und ich hab dich sehr lieb.« »O Panchito, mi Panchito, daß du nur da bist. Daß du endlich da bist. Ich …« Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. »… ich, hab mich so nach dir gesehnt. Und ich hatte solche Angst um dich. Oft bin ich fast wahnsinnig geworden vor Angst. Und manch- mal – bitte verzeih mir, Panchito – manchmal hab ich gedacht: Wenn er nur verwundet würde, wenn er nur einen Arm oder nur ein Bein hätte, dann müßte er nach Hause kommen. Dann hätte ich ihn endlich für mich. Ich … ich …« Sie konnte nicht weitersprechen. Ihr ganzer Körper wurde von Schluchzen erschüttert. Pancho nahm ein Taschentuch und putzte ihr die Nase. »Ist ja schon gut, kleines Mäuschen. Ist ja alles wieder gut. Jetzt bin ich ja da. Und ich gehe nie mehr fort.« Er nahm sie in seine Arme. »Nie mehr?« fragte sie zitternd. »Wirklich nie mehr? Schwöre es mir. Schwöre mir, daß du nie mehr fortgehst.« »Mein kleines Mäuschen.« Sie klammerte sich an ihn, als wäre sie verloren und verirrt gewe- sen und hätte ihn eben wiedergefunden. Sie lagen hinter ihm: die Berge der Sierra, die Wüste, der Hufschlag der Pferde, das Mündungsfeuer der Gewehre, der Tod, der Hunger, die kalten Nächte und die Einsamkeit. Einst hatte Pancho zu Felipe Angeles gesagt: »Mi amigo, visiones grandes son pintadas en mi carazón« – mein Freund, große Zukunftsträume sind in meinem Herzen eingezeich- net. Die großen Träume waren kleiner geworden. Aber dafür hatte Pancho sie verwirklichen können. Aus Mexiko war nicht ›la Repú- blica de los Indios‹ geworden. Aber auf Canutillo war ein Teil da- von entstanden. Jedem seiner Männer, der bei ihm bleiben wollte, hatte Pancho ein Stück Land gegeben, groß genug, daß es ihn und seine Familie, ernährte. Er hatte es nicht verliehen oder verpachtet, er hatte es verschenkt. Auf Canutillo baute er eine Schule und errichtete eine Bibliothek. Aus den USA führte er moderne Landmaschinen ein, die er jedem, der sie brauchte, auslieh. Canutillo wurde zum Mustergut von ganz Mexiko. In der Hauptstadt hatte inzwischen de la Huerta die Macht an Obregón übergeben. Wieder war ein General Präsident von Mexiko geworden. Aber der einarmige Obregón hatte de la Huerta sein Wort ver- pfändet, den Vertrag mit Pancho Villa zu halten und ihn durch sei- ne Unterschrift neu zu bestätigen. Auch Pancho war bereit, seinen Frieden mit Obregón zu machen. Canutillo, mit den Äckern für seine Soldaten, aus denen Bauern ge- worden waren, mit seiner Schule, seiner Bibliothek, seinen moder- nen Maschinen, mit Lucita und den Kindern – das war jetzt seine Welt. Das sollte sie bleiben. Deshalb fuhr Pancho nach Mexico-City um das Dokument, per- sönlich in Empfang zu nehmen. Er hatte seinen Besuch nicht angekündigt und stieg in einem klei- nen Hotel nahe dem Palacio Nacional ab. Aber die Nachricht von seiner Ankunft verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In kurzer Zeit hatte sich eine riesige Menschenmenge vor seinem Hotel versam- melt. Und wieder toste der Ruf »Viva Villa! Viva Villa!« durch die Hauptstadt. Und immer mehr Menschen strömten zusammen. Es wurde eine Demonstration, die das Viertel rund um Panchos Hotel für Stunden blockierte. Pancho trat schließlich auf den kleinen Balkon vor seinem Zim- mer, öffnete die Arme weit und winkte den Menschen zu. »Viva Villa! Viva Villa!« Es brauste wie ein Orkan durch die Stadt. Im Palacio Nacional saß Präsident Obregón im Kreis der Depu- tierten von Durango. Unter ihnen war Jesus Salas Barrazas, ein ha-, gerer Mestize mit schwarzem, glattem Haar, dunklen Augen und buschigen Brauen. Er starrte den Präsidenten an. In seinen Blicken war eine Mi- schung von Unterwürfigkeit und brennendem Ehrgeiz. Die Rufe »Viva Villa!« drangen bis in den Palacio Nacional. Obre- gón biß die Zähne aufeinander. Eine Weile lauschte er. Dann sagte der Präsident mit schmalen Lippen. »Dieser Mann bräuchte nur seine Fahne zu zeigen, und das ganze Land würde ihm wieder folgen.« Obregón rief einen Offizier und gab ihm das Dokument, auf das er seine Unterschrift gesetzt hatte. »Bringen Sie das Señor Villa und geleiten Sie ihn aus der Stadt, und zwar so schnell wie möglich.« Dann wandte er sich wieder an die Deputierten aus Durango. Aber Barrazas hörte nicht mehr, was der Präsident sagte. Seine Gedanken waren mit einem Plan beschäftigt, der, wenn er gelänge, aus dem kleinen Abgeordneten über Nacht einen berühmten Mann machen würde. Pancho Villa – ganz Amerika kannte diesen Namen. Er, Jesus Sa- las Barrazas, würde Pancho Villa töten. Dieser Mann, unverwund- bar, unbesiegbar, würde von ihm besiegt werden. Der Ruhm des toten Pancho Villa würde über ihn kommen. In Gedanken sah er seinen Namen in Riesenlettern auf den Titel- seiten der Zeitungen: ›Jesus Salas Barrazas – der Mann, der Pancho Villa tötete.‹ Wohin er auch gehen würde, an jeder Straßenecke würden sich die Leute anstoßen, auf ihn zeigen und sagen: »Seht, da geht der Mann, der Pancho Villa tötete.« Und nicht nur Ruhm würde ihm die Tat einbringen, auch Geld. Er hatte Obregóns Gesicht gesehen, als ihm die Rufe »Viva Villa!« in die Ohren gegellt waren. Der Präsident würde froh sein, wenn er endlich von diesem ›Tiger des Nordens‹ befreit wäre. Er würde es, sich etwas kosten lassen. Fünfzigtausend Pesos, vielleicht auch hun- derttausend. Wäre das denn zu wenig für eine große, patriotische Tat? Jesus Salas Barrazas sah sich reich und berühmt. In Gedanken war er schon der Mann, der Pancho Villa tötete. Dieser Gedanke war nicht nur erhebend, er jagte ihm auch einen Angstschauer über den Rücken. Was war er, daß er eine solche Tat wagen konnte? Hunderte, Tausende hatten versucht, Pancho Villa zu töten. Niemandem war es gelungen. Nur ihm? Warum sollte er es allein tun? Ins Kreuzfeuer mußte er genommen werden. Und sei- ne Leibwächter, die immer um ihn waren, mußten auch erschossen werden. Barrazas dachte nach. Er war nicht der einzige, der nach Ruhm und Geld gierte. Da waren noch Meliton Losoya, Ramon Guerra und Ruperto Vara. Sie würden mit von der Partie sein. Dessen war er ganz sicher. Aber sie dürften ihm nur Handlangerdienste leisten. Es war sein Plan. Er war der Kopf. Der Mann, der Pancho Villa tötete, war Jesus Salas Barrazas. Es war der 23. Juli 1923, morgens sieben Uhr. Pancho erwachte. Er rieb sich die Augen, und es dauerte eine Weile, bis er sich besann, wo er war. An der rechten Wand war ein Waschbecken. Daneben stand ein Tisch, ein Stuhl, und vor seinem Bett war ein großer Schrank. Pan- cho haßte die Ödigkeit der Hotelzimmer. Und dieses Hotel ›Hidal- go‹ in Parral war noch öder als die anderen, die er kannte. Er sprang aus dem Bett. Je eher er hier fortkam, desto eher war er wieder daheim, auf seiner Hacienda, bei Lucita und den Kindern. Er schlug mit der Faust gegen die Verbindungstür, die ins Neben- zimmer führte. »He! Trillo, Contreras! Raus aus den Betten! In einer halben Stun-, de fahren wir los!« Aus dem Nebenzimmer hörte man ein Grunzen, das Knarren einer Bettstelle und ein herzhaftes Gähnen. »In Ordnung, Jefe, aber wir sind noch verdammt müde«, tönte es verschlafen durch die Tür. »Wir trinken einen starken Kaffee, muchachos, und dann geht's los.« Eine Viertelstunde später saßen sie im Frühstücksraum. »Wir haben gestern abend zu lange gefeiert«, sagte Trillo und un- terdrückte ein Gähnen. »Und du hast wieder zuviel getrunken, compadre«, lachte Pan- cho. »Einen prächtigen Jungen hat dieser Sanches bekommen. Auf den mußte man doch anstoßen«, meinte Contreras. Pancho warf sich in die Brust. »Und ich bin Pate geworden. Großartig, was?« Er stieß Trillo an. »Du solltest dich auch ein wenig 'ranhalten, amigo. Deine Rosalia ist eine prächtige Frau. Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich wie- der Pate stehen kann.« Trillo schlürfte den heißen Kaffee. »Ich hab doch erst vor drei Monaten geheiratet.« »Na und?« Pancho grinste. »Du kennst sie doch schon seit einem Jahr. Da könnte der Kleine jetzt schon drei Monate alt sein.« »Was du manchmal für Unsinn redest«, sagte Trillo verlegen. »Ein paar Monate wirst du auf den kleinen Pancho schon noch warten müssen.« »Pancho! Willst du ihn wirklich Pancho nennen?« Pancho sprang auf, warf einen Peso auf den Tisch und schlug Trillo auf die Schul- ter. »Ole, amigo, laßt uns rasch zurück nach Canutillo fahren. Ich will keine Stunde länger als nötig auf den kleinen Pancho warten.« Vor der Tür stand Panchos Auto, ein grauer ›Dodge‹. Er hatte ihn vor einem Jahr gebraucht gekauft und war mächtig stolz auf ihn., Als ihn ein alter Kampfgefährte, der sich am Rio Florida, im Nor- den von Durango, eine kleine Ranch gekauft hatte, zur Taufe seines Erstgeborenen eingeladen hatte, hatte Pancho sofort entschieden, daß er mit dem Wagen fahren würde. Ein Teil seiner Männer hatte protestiert. Sie wären gern mit zu dem Fest geritten. Aber Pancho war hart geblieben. »Mit dem Wagen sind wir in fünf Stunden da. Zu Pferde brau- chen wir anderthalb Tage. Und außerdem: Was bildet ihr euch ein? Sanches ist nicht reich. Wenn wir mit fünfzig Mann bei ihm an- rückten, würden wir ihn kahl fressen.« Pancho war also mit Trillo und Contreras ins Auto gestiegen und zu der Taufe gefahren. Lucita hatte ihm noch nachgerufen: »Vergiß nicht, den Kindern etwas mitzubringen.« Zwei Tage hatten sie gefeiert. Und gestern abend waren sie nach Parral gefahren, hatten noch einige Einkäufe gemacht, noch ein bißchen weitergefeiert, und gegen zwei Uhr morgens war Sanches, der sie begleitet hatte, auf seine Ranch zurückgeritten. Pancho wischte mit seinem Ärmel über den linken Kotflügel des Dodge. »Er ist schon wieder staubig«, sagte er. »Er wird noch staubiger werden«, entgegnete Trillo und wollte sich ans Steuer setzen. Aber Pancho hielt ihn zurück. »Nein, laß mich fahren. Du weißt, daß es mir Spaß macht.« Trillo zuckte mit den Schultern und trat zurück. Pancho setzte sich hinter das Lenkrad. Es war fünf Minuten vor acht, als er losfuhr. Jesus Salas Barrazas und seine Komplizen hatten schon mehr als ein dutzendmal an den Fenstern des Hauses an der Ecke der Ave- nida Juárez und der Calle Gabino Barreda gewartet. Jedesmal, wenn Pancho Villa nach Parral gekommen war, hatten, sie es erfahren. Jedesmal hatten sie ihm aufgelauert, an den Fenstern hockend, eine Winchester im Anschlag. Aber immer war etwas da- zwischengekommen. Mal hatte Pancho einen anderen Weg genom- men. Mal war der Schußwinkel ungünstig, mal war es schon zu dunkel, so daß an ein exaktes Zielen nicht zu denken war. Heute wollten sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Da Villa mit dem Wagen gekommen war, hatte er nur diesen einen Weg: über die Guanajuata Brücke und die Avenida Juárez in die Calle Gabino Barreda. »Der Schußwinkel aus dem Fenster ist zu unsicher«, sagte Barra- zas. »Wir müssen ihn von der Straße töten. Du, Losoya, drückst dich in die Türnische. Ich stelle mich direkt an die Straße.« »Das ist viel zu gefährlich«, wehrte Guerra ab. »Wer hat hier das Kommando, du oder ich?« fuhr ihn Barrazas an. »Seine Leibwächter sind immer bei ihm«, warnte auch Losoya. »Na und? Wir sind im Vorteil. Wir geben die ersten Schüsse ab.« »Aber wenn sie nicht sofort tot sind …« »Wenn … wenn … wenn … Wenn ihr zu feige seid, dann haut doch ab. Ich will Pancho Villa töten. Und ihr?« Sie wollten es alle. Keiner von ihnen kannte Pancho. Keiner von ihnen hatte je ein Wort mit ihm gesprochen. Aber jeder war ent- schlossen, das Blut dieses Mannes zu vergießen. Koste es, was es wolle. Barrazas stand hinter dem Fenster im Erdgeschoß. Guerra und Losoya standen am Eingang. Er selbst hatte sich in eine Mauerni- sche gedrückt. »Ich gebe den ersten Schuß ab«, sagte Barrazas. Und dann warteten sie … Punkt acht Uhr bog der graue Dodge um die Ecke. Auf der Straße waren kaum Menschen. Hundert Meter entfernt ging eine Frau mit ihrem Kind an der Hand., Barrazas wartete, bis der Wagen auf drei Meter an ihn herange- kommen war, dann hob er sein Gewehr, zielte genau auf den Mann hinter dem Steuer und schoß. Die Windschutzscheibe zersplitterte. Pancho fühlte einen Stoß gegen die Brust. Er sank zurück. Trillo zog seinen Revolver. Aber da traf ihn eine Kugel in die Brust. Mit einem Keuchen sank er zusammen. Aus seinem Mund quoll ein Blutstrom. Hinter Pancho schrie Contreras auf. Sein Kopf fiel hart gegen die Scheibe auf der rechten Seite des Wagens. Als die Mordschützen sahen, daß alle Insassen des Wagens getrof- fen waren, sprangen sie auf den Dodge zu. Ihre Gewehre waren auf Pancho gerichtet, und sie schossen und schossen. Panchos Oberkörper schwankte hin und her. Vor seinen Augen wallten rote Nebel. Sein Mund war so voller Blut, daß er glaubte, daran ersticken zu müssen. Barrazas sprang auf das Trittbrett. Aus nächster Nähe sah er in die bernsteinfarbenen Augen dieses Mannes, und er schoß auf diese Augen, in denen der Lebensfunke noch immer nicht erloschen war. Panchos rechte Hand griff nach dem Revolver. Aber er konnte ihn nicht mehr fassen. Die Faust öffnete sich, der Arm fiel herab. In Panchos Kopf begann es zu wirbeln wie der Propeller eines Flugzeuges. Alle Stimmen der Welt waren in seinen Ohren. Er lauschte diesen Stimmen, die sich schließlich auf einen einzigen Ton konzentrierten. Er kannte diesen Ton. Er hatte ihn schon einmal gehört. Es war die Stimme seiner Mutter. »Wo ist mein Junge«, sagte sie, »mein Junge … mein Junge …« Er fiel dieser Stimme entgegen. Er fiel durch tausend Jahre und tausend Welten in die Stille, in die Einsamkeit, in das endlose Schweigen. Von siebenundvierzig Kugeln getroffen sank sein Körper gegen, das Lenkrad. Pancho Villa war tot … Wenn heute ein Fremder nach Parral kommt und die Menschen fragt, wie Pancho Villa gestorben ist, lächeln sie und schütteln die Köpfe. »Glauben Sie uns, Señor, er ist nicht tot. Wir haben ihn gesehen, viele Male. Er wird wiederkommen – eines Tages …«, Abbildungen]15
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